Zumindest dann, wenn man masochistische Züge trägt oder gar ein waschechter Vollmasochist ist. Auf mich trifft beides nicht zu, und ich leide nicht gern. Aber manchmal lässt es sich nicht vermeiden.
Bereits gestern musste ich nach Arbeit und Arztbesuch noch schnell in den riesigen Einkaufsmarkt, in dem ich besonders gern einkaufe, weil das Angebot so groß ist, es dort eine riesige Obst- und Gemüseabteilung gibt, in der ich noch nie enttäuscht wurde.
Eigentlich hatte ich gestern gar nicht einkaufen wollen, aber morgens, als ich gerade im Büro saß, klingelte mein Telefon, und Kerstin war dran. Siedendheiß fiel mir ein, dass wir ja abends essen gehen wollten – unsere seit 2018 übliche „Weihnachtsfeier“ – Essen zu zwei Kolleginnen – stand an, und ich hätte es beinahe vergessen! Ich musste dringend noch ein Geschenk für Kerstin kaufen, und so sauste ich schließlich zum Einkaufsmarkt, wo ich ein schönes Duschgel bzw. eine Bodylotion für sie kaufen wollte – und noch ein paar andere Kleinigkeiten aus diesem Bereich, und auch da hat der Markt eine sehr gutsortierte Abteilung mit Marken, die man im normalen Supermarkt nicht bekommt und die auch nicht 1,99 € kosten. Ich mag Kerstin sehr gern – sie ist ein Mensch, der einen auch in Krisensituationen immer motivieren und aufbauen kann, sehr hilfsbereit und sympathisch, und so kaufte ich ein Duschgel höherer Qualität und noch ein weiteres Pflegeprodukt ihrer Lieblingsmarke. Dazu noch eine Fünferpackung Reese’s Peanut Butter Cups – für mich auch eine – und noch ein paar weitere Süßigkeiten.
Für die paar Sachen habe ich reichlich Nerven gelassen, und das fing schon auf dem Parkplatz an, der riesig ist, aber schon fast komplett zugeparkt war. Mir graute bereits vor dem Inneren des Einkaufsmarktes, und es war dann auch nervend hoch drei. So viele Leute anwesend, die an der VHS offenbar den Anfängerkurs: Wie stehe ich besonders effizient im Weg absolviert und danach, weil’s so schön war, auch noch den Fortgeschrittenenkurs angehängt hatten: Wie stehe ich besonders effizient im Weg und blockiere zusätzlich mit meinem anderswo abgestellten Einkaufswagen den Zugang zu mindestens drei Regalsektionen… Es ist nicht sehr nett, aber je weiter ich in den Einkaufsmarkt vordrang, desto genervter war ich davon, und so rammte ich schließlich mit meinem Einkaufswagen mehrere abgestellte Einkaufswagen, die den Weg versperrten, einfach beiseite. Das ist normalerweise nicht meine Art, aber die Zeiten, da ich auf alles und jeden, egal, wie egoistisch er oder sie sich verhielt, Rücksicht nahm, sind – hoffentlich – vorbei. 😉
Es war dann ein sehr schöner und lustiger Abend, und Kerstin freute sich sehr über die Geschenke, die ich zu Hause noch in eine Geschenktüte gepackt hatte, wie ich mich auch über ihre freute. Das Duschgel fand sie besonders klasse – es roch nach Marzipan. Klar, es waren ja auch Mandelextrakte drin. Ich fand es selber total toll und werde es mir wohl auch kaufen müssen. 😉 Dann erzählten wir einander noch einige Schwänke aus unserem jeweiligen Leben, und gegen 22 Uhr fuhren wir unserer Wege – nachdem wir beschlossen hatten, das bald zu wiederholen, sofern möglich.
Heute war mein erster Urlaubstag, und ich hatte meinen Eltern versprochen, mit ihnen zum Einkaufen zu fahren, da inzwischen beide alters- und gesundheitsbedingt nicht mehr Auto fahren können. Die Fleischbestellung, die meine Mutter getätigt hatte, musste abgeholt und noch weitere Dinge gekauft werden. Ich freute mich schon unbändig auf das Gedrängel und die Menschenmassen in diesem großen Supermarkt in D., in dem wir erst kürzlich gewesen waren. Da war zwar noch kein Weihnachtsstress, aber ich war trotzdem völlig erschlagen, als wir den Supermarkt verließen. Meine Mutter hatte nur kurz etwas aussuchen wollen, während ich durch den Markt sauste und noch dies und das aus den Regalen holte, was meine Mutter noch brauchte: So ging es schneller. Mein Vater, der unbedingt mitgewollt hatte, gehört eher zu den Leuten, die dann irgendwo „abgestellt“ und geheißen werden, zu warten. Auf diese Weise geschah es, dass meine Mutter wie vom Erdboden verschwand und ich den Laden wirklich richtig gut kennenlernte, da ich wiederholt kreiste und meine Mutter suchte. Zwar habe ich ein Smartphone, und auch meine Eltern haben Handys. Problem nur: Sie benutzen sie nie. Die Handys sind auch so gut wie nie eingeschaltet. Ansonsten hätte ein kurzer Anruf genügt – ganz normal…
Doch so kam ich in den „Genuss“, ausgerufen zu werden – wie früher, bevor es diese praktischen Mobiltelefone gab. Ich holte meinen Vater, der in der Ecke zwischen dem Tchibo- und einem Süßigkeitenregal wartete, ab, und nachdem ich noch rasch an einer SB-Kasse die Artikel, die ich noch immer in den Händen hielt, gezahlt hatte, kam es zu einer Familien-Réunion hinter dem Kassenbereich. Da meine Mutter gesundheitlich angeschlagen ist, hatte ich grässliche Bilder vor Augen, wie sie gerade reanimiert wurde, gestürzt war, Becken- oder Oberschenkelhalsbruch, Herzinfarkt, Schlaganfall… Ich gebe zu, vielleicht etwas übertrieben, aber sie erzählen mir nie, wenn etwas passiert ist, einer von ihnen gestürzt oder Vergleichbares. Sie wollten mir keine Sorgen machen, sagen sie immer wieder treuherzig. Mir die Haare raufend, habe ich ihnen wieder und wieder gebetsmühlenartig erklärt, dass ich mir noch viel mehr Sorgen mache, wenn ich erst im Nachhinein erfahre, dass mein Vater eine Treppe hinuntergestürzt sei oder Ähnliches. Ich überlege immer noch, temporär zu ihnen zu ziehen – aber viel nutzt das auch nicht, denn ich muss ja arbeiten, und das nicht in D., sondern an meinem Wohnort.
Meiner Mutter ging es übrigens prima. Sie hatte nur – so ist sie – schon einmal gezahlt. Auf die Idee war ich zwar auch sehr schnell gekommen, sie aber in dem Gewimmel an den Kassen nicht gesehen, und da sie noch von anderen Artikeln gesprochen hatte, die sie noch suchen wollte, war nicht klar ersichtlich, was geschehen war.
Nach dem Einkauf sagte ich: „Künftig fahre ich jeweils nur mit einem von euch zum Einkaufen. Das ist ja schlimmer, als einen Sack Flöhe zu hüten! Die eine entscheidet sich spontan gegen die eigenen Vorgaben, der andere klebt in der Ecke zwischen Tchibo- und Süßigkeitensektion und weicht nicht einen Schritt, während ich wie ein Hütehund versuche, die Herde wieder zusammenzutreiben! Unglaublich!“ Meine Mutter lachte. Ich lachte dann auch, aber es klang etwas hysterisch. 😉
Und heute ging es wieder in diesen Supermarkt. Einen Tag vor Heiligabend. Ich überlegte schon bei der Anfahrt, ob es nicht attraktiver gewesen wäre, heute noch ins Büro zu fahren, mir einen Weisheitszahn ziehen zu lassen oder ein Zahnimplantat mit Knochenauffüllung im Oberkiefer an mir durchführen zu lassen.
Ich fahre einen relativ kleinen Dreitürer und habe mich einmal probehalber hinten auf den Rücksitz gesetzt. Danach lachte ich schallend und beschloss, mich nie wieder hinten in dieses Auto zu setzen. Es ist sogar für jüngere Menschen ein elendes Gefriemel, hinein- und wieder herauszukommen. Aber mein Vater wollte unbedingt mitfahren, obwohl ich sagte: „Wir bringen dir auch etwas ganz Schönes mit, wenn du zu Hause bleibst! Sieh mal – mein Auto ist im Grunde nur für zwei Personen ausgelegt.“ Es klingt nicht schön, und ich kann es ja verstehen: Sie kommen, seit sie selber nicht mehr fahren können, kaum noch vor die Haustür, und zum Glück war kürzlich meine Schwester zu Besuch, die mit den beiden einige Ausflüge gemacht hat. Aber mein Vater ist eherner Westfale und eher eigenwillig – ich bin jetzt noch ganz erstaunt darüber, wie schnell er hinten im Auto saß! Meine Mutter stieg auch noch ein – und schon ging es los!
Mit Mühe fanden wir noch einen freien Parkplatz – immerhin. Meine Mutter war auch relativ schnell aus dem Auto heraus und stand daneben, sich auf ihren Stock stützend. Mein Vater hingegen brauchte einige Minuten – er steckte noch im „Geburtskanal“ fest. Zumindest schwebte mir dieser Vergleich vor, was den extrem mühevollen Aussteigeprozess aus dem Fond des kleinen Ford Fiesta anbelangte. Ich sagte nur, indem ich mir an den Haaren riss: „Ich habe es mehrfach gesagt – es ist einfach schwierig. Komm jetzt da raus, Papa – ich halte dich doch fest. Ansonsten musst du hier warten. Und das möchtest du ja nicht – und ich auch nicht.“
Endlich war es geschafft, und wir gingen auf den Supermarkt zu. Meine Mutter meinte zu mir: „Warum sehen deine Haare eigentlich so strippig aus?“ – „Weil ich sie mir gerade gerauft habe, als ich glaubte, Papa käme nie aus diesem Auto heraus! Dabei hatte ich wiederholt auf das Problem hingewiesen. Wieso hört eigentlich nie jemand auf mich?“ – „Ach so. Auf mich hört auch nie jemand. Zumindest kein Westfale wie dein Vater.“ Und meine Mutter lachte einmal mehr und sagte: „Es ist ärgerlich, aber zum Ausgleich gewöhnt man sich auch nie daran.“ Der Satz hätte von mir sein können, bewusst absurd. Es fing schon gut an… 😉
Immerhin fanden wir auch einen freien Einkaufswagen aus dem Restbestand dieser Einkaufshilfsmittel. Da nur noch so wenige verfügbar waren, hatte ich bereits ein sehr plastisches Bild vor Augen, wie hektisch es im Inneren des Supermarkts werden würde…
Und es war kein Trugbild, denn innen war es noch schlimmer, als ich – anerkannte Pessimistin – angenommen hatte. Ich stand an der Fleischtheke und sah, wie Menschen für vier Personen, wie sie angaben, allein für Heiligabend, wie sie ebenfalls angaben, 16 Rouladen, groß wie Duschtücher, kauften. Und für den ersten und zweiten Feiertag dann noch Gänse und große Braten. Ich bin beileibe keine Vegetarierin oder Veganerin, aber da überkamen mich doch leise Zweifel. Im Vergleich dazu nahmen sich unsere Hirschkeule und die schlesischen Bratwürste in ihrer Verpackung recht zahm und zierlich aus.
Während mein Vater – beruhigend – an der Seite meiner Mutter blieb, sauste ich durch den Laden und holte dies und das. Ich holte auch einige Dinge für mich, unter anderem Bacon English Style, also keine schmalen Baconstreifen, sondern so zugeschnitten wie in Großbritannien und Irland, ergo breiter. Sehr schön – gibt ein schönes „Frühstück“ für mich, zusammen mit gebratenen Pilzen, Tomaten, Rührei und Baked Beans. Auf die Würste, die eigentlich auch dazugehören, verzichte ich.
Dann fiel der Satz meiner Mutter: „Für die Hirschkeule brauchen wir noch einen schönen Rotwein. Einen Bordeaux oder Burgunder. Wir suchen den nur kurz aus.“ Woher kannte ich diesen Satz, modifiziert, nur? Immerhin wollten sie zu zweit in die Weinabteilung gehen, und sie hatten ja auch ihre Handys dabei. Ich sagte noch: „Bleibt bitte dort. Ich hole nur noch rasch die restlichen Sachen von der Liste. Ich kenne mich im Laden ja schon recht gut aus, obwohl ich erst das zweite Mal hier bin. Aber beim letzten Mal bin ich so oft hier gekreist, dass ich mich wahrscheinlich besser auskenne als ihr. Bleibt bitte in der Weinabteilung. Ich komme dann dorthin, und dann gehen wir gemeinsam zur Kasse.“ – „Ja, so machen wir das.“ So tönte an mein Ohr.
Als ich mit mehreren Artikeln im Arm in der Weinabteilung anlangte, sah ich dort… ausschließlich fremde Menschen. Durch vorherige Erfahrungen – siehe oben – bereits geschult, lief ich zum Kassenbereich und scannte mit meinen Blicken sämtliche Kassenschlangen: Meine Eltern waren nirgendwo zu sehen.
„Das kann doch nicht wahr sein!“ rief ich empört, lud sämtliche Artikel, die ich bei mir trug, auf einen Stapel 1-Kilogramm-Zuckertüten und holte mein Handy aus meinem Rucksack. Rasch die Nummer meiner Mutter gewählt, und schon tönte an mein Ohr: „Der gewünschte Teilnehmer ist zurzeit nicht zu erreichen.“
„Das kann doch nicht wahr sein!“ rief ich erneut – ich hatte in der letzten Zeit eindeutig zu viel Stress gehabt. Ein Mann sprach mich an: „Kann ich Ihnen helfen?“ – „Mir ist nicht zu helfen. Haben Sie auch ältere Eltern, mit denen Sie zum Einkaufen fahren? Ich bin heute zum zweiten Mal mit meinen hier: Beim letzten Mal verschwand meine Mutter zunächst spurlos, dieses Mal sind beide weg. Dabei hatten wir doch vereinbart, uns in der Weinabteilung zu treffen – da sind sie aber nicht. Und beide haben Handys – die sind aber nie eingeschaltet! Ich liebe meine Eltern – aber sie machen mich noch wahnsinnig! Zumindest beim Einkaufen. Vielleicht sollte ich sie ausrufen lassen: ‚Die kleine Ali hat ihre Eltern verloren und weint in der Nährmittelabteilung‘ oder so.“ Der Mann lachte sich scheckig und meinte: „Machen Sie sich nichts draus – ich kenne das sehr gut. Meine Eltern sind auch sehr eigenwillig, wenn wir zusammen einkaufen. Ich fahre sie nämlich auch öfter zum Einkaufen und begleite sie. Ich würde Ihnen ja helfen, aber meine Frau wartet dort hinten irgendwo auf mich. Ich sollte noch eine Dose Birnen und ein Glas Preiselbeeren holen.“ – „Gehen Sie schnell zu Ihrer Frau, bevor sie auch noch verschwunden ist. Dieser Laden hier scheint ein als Supermarkt getarntes Schwarzes Loch zu sein.“ Der Mann lachte noch mehr und meinte: „War nett, Sie kennenzulernen – Sie haben einen netten Humor. Frohe Weihnachten!“ – „Ja, Ihnen und Ihrer Frau auch.“ – „Und Ihren Eltern.“ – „Wenn ich sie je wiederfinde…“
Ich steuerte ein weiteres Mal die Weinabteilung an, bog um ein Weinregal und sah … meine Mutter! Sie stand dort und hantierte mit ihrem Handy… Ich rief leicht empört: „MUTTI!“ – „Ach, da bist du ja!“ – „Ja! Ich bin hier! Wie auch schon zuvor – da warst du aber nicht hier!“ – „Ach, ich wollte dich gerade anrufen…“ – „Und ich habe dich vor nicht einmal fünf Minuten angerufen! Dein Handy war nicht eingeschaltet.“ – „Ja, ich wollte es gerade einschalten…“ – „Egal. Wo ist Papa?“ – „Der steht an der Kasse.“ – „Gott sei Dank!“ Denn mir war klar, dass er sich dort nicht leichtfertig wegbewegen würde, wenn ausgemacht war, dass er dort warten solle. 😉
Auf dem Weg zur richtigen Kasse, was aufgrund des vorweihnachtlichen Gewusels nicht einfach war, erklärte mir meine Mutter: „Es tut mir leid, aber ich hatte gar nicht mehr daran gedacht, dass du ja auch noch da seist. Und da habe ich zu Papa gesagt: ‚Lass uns schnell zur Kasse gehen, Karl-Heinz!‘“ – „Ja. Absolut nachvollziehbar. Immerhin hast du daran gedacht, dass du ein Handy hast, und ich musste nicht erneut ausgerufen werden. Du musst das Handy nur einschalten, wenn wir losfahren. Das wäre prima.“ – „Das mache ich dann beim nächsten Mal.“ – „Ich bitte darum.“
Wir zahlten und gingen zum Auto. Als wir es erreicht hatten, sagte ich: „Wir packen jetzt die Sachen in den Kofferraum, und dann bringe ich den Einkaufswagen zurück. Wenn ich zurückkomme, sitzt ihr bitte beide im Auto, Papa vorne. Beide angeschnallt. Und dann fahre ich euch nach Hause. Keine Widerrede!“
Ja, ich weiß, das klingt respektlos. Aber es ist nicht so gemeint, denn ich liebe meine Eltern. Nur beim Einkaufen sind sie bisweilen sehr stressig. 😉 Ich werde mich in den nächsten Tagen mit dem Fahrgefühl des erheblich größeren Wagens meiner Eltern vertraut machen müssen. Immerhin: ein Automatikwagen. Damit fahre ich im Allgemeinen ja sehr gern. 😉
Frohe Weihnachten Euch allen! 😊 Und geht kurz vor Weihnachten niemals einkaufen! 😉