„Kein Schwein ruft mich an…“ ;-)

Ich weiß schon jetzt, dass ich in der kommenden Nacht kein Auge zutun werde. Denn morgen um 9 wartet das Grauen auf mich.

Morgen früh um 9 werde ich mit sicherlich angstgeweiteten Pupillen auf dem Behandlungsstuhl im von mir meistgehassten Behandlungsraum meines Zahnarztes liegen und mir wünschen, man möge mir nur einen bis drei Zähne ziehen wollen. Oder mich einfach k.o. schlagen, bevor die Behandlung überhaupt einsetzt.

Morgen steht der Sinuslift mit Knochenaufbau an. Besonders splatteraffinen Menschen rate ich dringend dazu, diesbezüglich zu googeln, was ich hartnäckig bis dato vermieden hatte – es erstaunt mich jetzt noch! Denn ich wusste ja seit Anfang Dezember von meinem morgigen Termin und habe seither stets vermieden, externer Sinuslift oder Knochenaufbau Oberkiefer zu googeln. Ich war richtig stolz auf mich!

Nur gestern habe ich massiv geschwächelt, und seitdem geht es mir gar nicht gut. Da stand zu lesen und zu lernen – und das mit Fotos, blutigen Fotos! -, wie solch ein externer Sinuslift vonstattengehe. Seitdem schießen mir jammervolle Exklamationen wie: „O Gott!“ oder: „O Gott, wieso du!“ in relativ hoher Frequenz durch den Kopf.

Und als ich heute am frühen Nachmittag mit einer guten Bekannten, die Ärztin und auch sonst völlig unerschrocken ist, völlig unabhängige WhatsApp-Nachrichten austauschte, bis mir wieder einfiel, was mir morgen bevorstünde und ich dies anmerkte und darauf eine Nachricht bekam, die besagte: „O Gott, arme Ali! Ich habe großes Mitleid mit dir, aber ich weiß: Du schaffst das!“, wurde mir so richtig angst und bange. Warum schrieb Heide so etwas, statt zu schreiben: „Alles halb so wild, Ali! Das machst du locker auf der linken Arschbacke! Das ist gar nicht schlimm…“?  Dabei weiß ich doch, dass sie es total nett und aufmunternd meinte. Nur saß ich nach dem Lesen ihrer entsprechenden Nachricht völlig erstarrt und wie schockgefrostet da. Sie ist Ärztin und reagiert so – es muss noch schlimmer sein, als ich ohnehin befürchte!

Ich muss leider zugeben, dass ich heute den ganzen Tag im Büro zwar sehr fleißig war, ebenso fleißig jedoch auf einen Anruf wartete, so doof das auch klingen mag. Genauer: Ich wartete auf einen Anruf meines Zahnarztes, der in etwa so lautete: „Frau B., es tut uns unendlich leid – aber wir hatten einen Wasserrohrbruch in der Praxis, und alles ist überschwemmt. Leider müssen wir Ihren Termin verschieben.“ Oder: „Liebe Frau B., Sie wissen ja, wie das in Corona-Zeiten ist… Wir hatten leider einen Patienten, der mit Symptomen ankam, und nun sind wir alle in Quarantäne. Wir müssen leider Ihren für morgen geplanten Termin verschieben.“ 😉

Nichts Derartiges trat ein, dafür gegen 18 Uhr die Putzfrau in mein Büro. Sie rief: „Ah! Immer noch hier!“ und kniff mir ein Auge zu, wie sie es immer tut. Die Putzfrau und ich verstehen einander prima und unterhalten uns öfter. Sie ist Russin, kommt aus Kasachstan und war früher Mathematiklehrerin. Einer der nettesten Menschen, die ich je kennengelernt habe.

Als sie mir vor etwa zwei Jahren erzählte, was ihr eigentlicher Beruf sei, starrte ich sie entsetzt an, obwohl mir klar ist, dass Schicksale wie ihres nicht so ungewöhnlich sind, was ich erschreckend und traurig finde. Wir hatten danach ein sehr langes Gespräch, und ich fand ihre fröhliche und positive Art klasse, als sie sagte, es sei ihr um ihre Kinder gegangen, die noch klein gewesen seien, als sie nach Deutschland kam. Sie sollten es besser haben und hätten beide auch eine sehr gute Schulbildung – ihre Tochter studiere inzwischen, und das sei ihr wichtig gewesen. Ich sagte ihr damals, dass sie einer der coolsten Menschen sei, die ich je getroffen hätte, und da lachte sie und meinte: „Und Sie einer der nettesten, die ich in Deutschland je getroffen habe. Viele unterhalten sich nicht mit mir, weil ich die Putzfrau bin.“ – „Sie sind Mathematiklehrerin! Und das bleiben Sie auch für mich, der vor Mathematik immer graute. Und im Übrigen ist völlig wurscht, wer was arbeitet – Hauptsache, das Herz sitzt am richtigen Fleck. Obwohl Sie hier völlig unterbewertet sind.“ – „Bin ich zufrieden, wenn Kinder glücklich.“ Das fand ich berührend.

Seit diesem ersten Gespräch unterhalten wir uns oft, und heute war es besonders tröstlich, als sie mit ihrem typischen Spruch hereinkam: „Immer noch hier! So spät!“ – „Ich komme ja auch immer relativ spät. Aber die nächsten Tage komme ich gar nicht, weil ich dann wohl krankgeschrieben sein werde.“ – „Oh, warum?“ Und da erzählte ich ihr, was mir morgen bevorstünde, und lachend erzählte ich ihr, dass ich im Grunde den ganzen Tag auf den „Wasserrohrbruch“- bzw. „Quarantäne“-Anruf gewartet hätte, zumindest unterschwellig, weil mir so sehr vor dem morgigen Eingriff graue.

Da lachte und sagte sie: „Ist nicht schön, wirklich nicht. Aber halb so wild, denn ich drücke Daumen. Ist schnell vorbei, nicht lange nachdenken.“

Und da lachte ich auch und meinte: „Wir sehen uns dann hoffentlich nächste Woche.“ – „Ganz bestimmt. Ganz ehrlich: Würde mir genauso gehen wie Ihnen – aber geht schnell vorbei!“ – „Danke! Ganz ehrlich: Ich frage mich manchmal, was ich ohne Sie machen würde. Sie haben immer ein nettes Wort.“ – „Ist gar nicht schwer. Sie haben auch immer nettes Wort und hören immer zu. Freue ich mich immer, wenn ich hierherkomme.“  

Mir graut noch immer vor morgen, aber ich weiß, dass ein sehr netter Mensch mir die Daumen drücken wird. 😊

Drückt mir bitte auch die Daumen. 😉 9 Uhr. 😉

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