Auf etwa zwei Rädern raste ich mit dem kleinen Monty Heiligabend in die Wohnsiedlung, in der mein Elternhaus steht. Zwar rechtzeitig losgefahren, um „zwischen 4 und halb 5“ dort anzukommen, aber unterwegs wurde ich Opfer von diversen Schleichern und mindestens einem Psychopathen, der auf einer Strecke, da „70“ die empfohlene und Höchstgeschwindigkeit ist, vor mir maximal 50 fuhr und immer dann, wenn ich links ausscherte, um nachzusehen, ob er überholt werden könne, ebenfalls nach links ausscherte, um mir die Sicht zu nehmen. Er fand es wohl lustig. Ich nicht, denn ich war durchaus in Eile, und ich kenne den Steven-Spielberg-Einsteigerfilm Duell oder Duel (auf Englisch). Er beschleunigte erst, als er in einer Stichstraße einen Polizeiwagen stehen sah. 😉 (Zugegeben: Ich kenne die Situation auf just dieser Strecke eigentlich umgekehrt, aber so war es doch mal nett. 😉 )
Meine Mutter hatte angekündigt, um 5 mit dem Kochen zu beginnen, und doch war man erstaunt, als ich mit hängender Zunge im Elternhaus ankam. Ich schleppte mein Gepäck in mein altes Kinderzimmer, noch immer bestückt mit flammroten IKEA-Schränken und -Kommoden, die interessanterweise nach Jahrzehnten noch den gleichen Geruch verströmen wie bei ihrer Anschaffung. 😉 Ich liebe mein ehemaliges Kinderzimmer – möglich, dass es auch mit dem Geruch zu tun hat. Und mit der Tatsache, dass ich bei seiner Anschaffung Rot als meine Lieblingsfarbe deklariert hatte. 😉
Es gab schlesische Weißwürste gebraten mit Stampfkartoffeln und Feldsalat. Die besten Würste, die ich je gebraten gegessen hatte. Sogar besser als fränkische „Broodwärschdla“ – und das will was heißen! 😉
Im Laufe des Abendessens wollten wir mit Stephie und Helge, die beide in Sachsen leben, via Zoom kommunizieren, denn da mein Schwager Chirurg und Operateur ist und – siehe oben – beide in Sachsen leben, obwohl keiner von dort stammt, zogen wir alle vor, dass sie nicht nach NRW kämen.
Da ich in Bezug auf Zoom die – relativ – Erfahrenste war, jedoch auch auf meine Anweisung und partiell eigenhändige Installation zumindest drei Fünftel der Veranstaltung Zoom installiert hatten, hätte eigentlich gar nichts schiefgehen dürfen. Doof nur, dass just im Esszimmerbereich meines Elternhauses, wo wir auf Anweisung meiner Schwester alle ein Glas Sekt trinken wollten oder sollten, das Signal am schwächsten war, und so zogen wir wie beim Auszug aus Ägypten mitsamt Laptop meines Vaters an verschiedene Orte meines Elternhauses, bis wir schließlich in meines Vaters Arbeitszimmer ankamen. Meine Mutter rief: „Toller Weihnachtsabend – hier in dieser Butze! Ich gehe lieber ins Wohnzimmer zurück – ihr könnt mich ja rufen, wenn es funktioniert!“ Ich hasse es, wenn Außenstehende, die Problematik nicht verstehend, unproduktiv herumlästern – und ich sah meinen Vater an. Wir hätten ein perfektes Spiegelbild abgegeben, würden wir einander nur ähnlicher sehen. Zumindest scheinen wir technisch übereinzustimmen. 😉
Wir haben dann schließlich im Arbeitszimmer meines Vaters mit Stephie und Helge sowohl auditiv als auch unter Zuhilfenahme der Videomöglichkeit beiderseits kommuniziert, obwohl Mama protestierte, es sähe hier ja gar nicht weihnachtlich aus. Da sah ich Papa mich von der Seite ansehen, und so sagte ich: „Ja, aber das sind doch irgendwie einfach Corona-Weihnachten, provisorisch und quasi von Haus zu Haus – oder? Besser geht es wohl nicht, und so ist es doch nett!“ 😉
Es war so nett, dass sie noch immer mit Helge und Stephie sprachen, als ich bereits draußen auf der Terrasse mindestens zwei Zigaretten geraucht hatte.
Später saßen wir dann im Wohnzimmer und sahen alte Super-8-Filme, was ich sehr schön fand. Es ist einfach schön, zu sehen, dass man als Baby schon in Zweifelsfällen eine Augenbraue so hochzog, wie man es heute in Zweifelsfällen noch macht – und man erkennt sein Gesicht wieder, obwohl man als Baby weniger Haare innehatte. Ich zumindest weiß nun, dass ich seit jeher offenbar eine Zweiflerin war. 😉
Irgendwann jedoch zog ich beide Augenbrauen hoch und fragte meine Mutter: „Wem sehe ich eigentlich ähnlich? Anhand der Filme und meines heutigen Aussehens könnte ich es gar nicht bestimmen.“
Meine Mutter sah mich an und kniff mir ein Auge zu. Dann sagte sie: „Du bist irgendwie so ein Konglomerat. Zumindest vom Gesicht.“ – „Aha. Ich dachte, ich sähe dir ähnlich. Wir haben doch die gleichen Augen!“ – „Nun wirklich nicht.“ – „Wieso das denn nicht?“ – „Du hast die gleichen Augen wie Omma Elisabeth.“ – „Nee!“ – „Doch!“ – „Omma Elisabeth hatte eine ganz andere Augenfarbe!“ – „Nicht die Farbe! Die Form! Sieh dich doch einmal an! Die Farbe – okay, die ist nicht gleich. Die Form aber auf alle Fälle! Vor allem jetzt – so, wie du gerade dreinsiehst! Wie kopiert!“
Das Problem besteht darin, dass ich mich mit „Omma Elisabeth“ nie so wirklich gut verstanden habe – zumindest wesenstechnisch. Und nun sollte ich augentechnisch… also wirklich! 😉
Mama lachte sich scheckig und rief: „Je mehr du zweifelst, ähneln deine Augen denen von Omma Elisabeth, zumindest, was die Form anbelangt! Die werden immer runder und größer! Ich könnte mich totlachen! Riesige Augen, die sich nach oben wölben und zum äußeren Winkel nach unten ziehen – genau wie bei Omma Elisabeth.“ – „Das ist doch nicht dein Ernst!“ – „Doch, absolut! Warte mal!“
Und Mama lief los und holte ein Foto aus einer entfernten Schublade, das ihre Schwiegermutter als junge Frau in den Dreißigern des letzten Jahrhunderts zeigt: mit sehr großen, runden Augen, die sich am äußeren Rand nach unten ziehen. Es war, als blickte ich in einen Spiegel. Ich sagte lieber nichts mehr. Zumal mir dann einfiel, dass es von mir ein Foto gibt, bei dem ich mich immer gefragt habe, wem ich da eigentlich ähnlich sehe, so aus meiner Familie. Jetzt weiß ich es. 😉
Meine Mutter meinte dann: „Nur augenformtechnisch, Ali.“ Und mein Vater, der sich jetzt schon auf Silvester freut, rief aus dem Hintergrund: „Silvester sehen wir uns noch mehr Filme an, Alilein, und dann zeige ich dir auch, wie der Projektor funktioniert! Ich bin ja nicht mehr ewig da, und der Projektor ist auch schon alt! Aber die Filme sind doch schön – sieh mal, was für schöne, große Augen du schon immer hattest!“ O ja. Wie Omma Elisabeth in den Dreißigern. 😉
Na, warte nur, Papa! Wir gucken Super-8-Filme, und danach gibt es Gesellschaftsspiele, die Du genauso magst wie ich Vergleiche zwischen mir und Verwandten. Zumindest deren Augen. 😉
Und ich dachte immer, ich sähe meiner Mutter ähnlich! Man lernt bisweilen sehr dazu – auch, wenn man es gar nicht will… 😉