Nicht mehr lange, dann geht es los gen Allgäu. Morgens um 7:15 h fährt mein Zug hier vom Hauptbahnhof ab, und ich kann gar nicht in Worte fassen, wie froh ich bin, einen kurzen Tapetenwechsel mitzumachen, denn mir fällt hier ungelogen fast die Decke auf den Kopf.
Eigentlich wollte ich ja in Polen sein, aber jetzt wird es das Allgäu. Und „schon“ gegen 16:20 h werde ich am Samstag dort sein. Ein bisschen graut mir vor der langen Zugfahrt – über 7 Stunden bis Augsburg, dann noch einmal knapp 2 Stunden bis Oberstdorf.
Wir haben fast Ende September, und vor etwa fünf Tagen bemühte ich eine Wetter-App, um herauszufinden, wie das Wetter dort im Allgäu sei, denn man muss ja wissen, wie die dortigen Temperaturen seien, um zu entscheiden, was man kleidungstechnisch so einpacken sollte. Kaum hatte die App die Resultate ausgespien, rannte ich auch schon an meinen Kleiderschrank, raffte diverse warme Pullover an mich und rannte mit diesen und anderer anstehender 30-Grad-Wäsche in den Waschkeller, um die Waschmaschine anzuwerfen, die beim Start immer so eine reizende Melodie von sich gibt, um unter Beweis zu stellen, dass sie auch wirklich funktionsfähig sei.
Nicht nur das. Sie wiegt die jeweilige Wäscheladung auch vor jedem Waschgang sehr sorgfältig, aber ich habe noch nie darauf gewartet, dass sie mir das Ergebnis kundtue, denn sie gibt dabei so schräge Geräusche von sich, dass ich nicht unbedingt Zeuge der daraus resultierenden Erkenntnis werden muss. Hauptsache, das Ding macht, wozu es angeschafft wurde – und das tut es. 😉
Soeben habe ich auch meinen „Irish sweater“ aus dem Schrank geholt – einen originalirischen Pullover aus Schafwolle, vor Jahren in Galway erworben, in dem man sich immer fühlt, als wäre man hineingeschweißt worden, da die Schafwolle ein wenig sperrig ist, und das trotz stets liebevoller Handwäsche. Der unglaubliche Vorteil: Dieser Pullover in meiner Lieblingsfarbe Blau ist der wärmste, den ich überhaupt besitze, und nachdem ich heute erneut las (ich hatte gehofft, es werde sich etwas an der vor fünf Tagen eruierten Wettervorhersage ändern …), dass an meinem Anreisetag vor Ort 3 Grad Celsius herrschen würden, hielt ich die Mitnahme dieses Monstrums für nicht unangebracht. Die App tröstete mich jedoch damit, dass die de facto 3 Grad über Null sich anfühlen würden wie 4 Grad über Null. Da atmet man doch gleich erleichtert auf, denn zwischen de facto 3 Grad über Null und gefühlten 4 Grad über Null besteht ein wirklich erheblicher Unterschied. 😉
Gerade habe ich noch wetter-kein-problem.com konsultiert – ich hoffe offenbar noch immer auf ein Wunder. Dort zu lesen für den Tag meiner Ankunft:
In Oberstdorf schneit es den gesamten Morgen bei Temperaturen von 0°C. Am Mittag bleibt der Himmel grau, und Regen stellt sich ein. Die Temperaturen erreichen maximal 5 °C. Am Abend ist in Oberstdorf der Himmel bedeckt, und die Temperatur liegt bei 0 °C. In der Nacht kommt es zu Schneefällen bei Tiefsttemperaturen von -1 °C. Böen können Geschwindigkeiten zwischen 14 und 27 km/h erreichen.
Die Sonne ist fast nicht zu sehen.
Sogleich begann ich zu jubeln: 5 Grad über Null! Also richtig warm! 😊 Warum wird man mit 3 Grad erschreckt, die sich wie 4 Grad Celsius anfühlen, wenn dann doch warme 5 Grad auf den Plan treten! Und im Vergleich zum Morgen fällt immerhin kein Schnee, sondern Regen – das ist richtig toll! 😉 Gleich fügte ich dem morgen zu packenden großen Trolley ein stabiles „Rrreegedach“ bei.
Die 16-Tage-Vorschau enthüllte bereits bei Erstbetrachtung vor fünf Tagen, dass die Niederschlagswahrscheinlichkeit bis auf wenige Ausnahmen bei 90 Prozent liege. Und da mein Anreisetag der einzige mit derart niedrigen Temperaturen ist, scheint es sich bei dem Niederschlag der Folgetage um massiven Regen zu handeln. Die Sonne scheint sich außerdem stets durchgängig beschämt im Hintergrund zu halten. Erst an meinem Abreisetag soll sie wieder scheinen – danke, Allgäu! 😉
Heute rief meine Schwester an, mit der ich den Urlaub verbringen werde. Auf meine Frage, ob sie sich mal die Wettervorhersage fürs Allgäu angesehen hätte, meinte sie nur: „Nein. Warum?“ Ich berichtete von den drei, vier, fünf Grad am Anreisetag, aber sie reagierte unbegeistert – davon wollte sie wohl lieber nichts wissen, was ich durchaus verstehen konnte. Ich verschwieg daher diplomatisch den vorhergesagten Dauerregen. 😉
Da es hier derzeit recht warm ist, stehe ich nun vor der berechtigten Frage, was ich auf der endlos scheinenden Zugfahrt anziehen soll. Ich kann doch nicht bei hier recht warmen bis moderaten Temperaturen in Skiunterwäsche und einer Winterjacke losmarschieren.
Als ich gerade darüber nachdachte, fiel mir mein früherer Chorkollege Peter aus dem Zweiten Bass ein, der im Chor stets halblinks hinter mir saß oder stand. Aus meiner Perspektive. Aus dem Publikum halbrechts. 😉 Peter war Maschinenbauingenieur, und für gewöhnlich wirkte er relativ normal. Niemand hätte ihm etwas Schräges zugetraut.
Bis zu jenem Chorkonzert in der Passionszeit, also vor Ostern, das in Essen-Kray stattfinden sollte und von uns, einem Aachener Chor, zusammen mit vier Solisten, also Profi-Sängern, und einem Streicher-Ensemble in einer Krayer Kirche gestaltet werden sollte.
Wir – der Aachener Chor – reisten mit der Bahn an, und meine Alt-Kollegin Ute und ich saßen mit zwei Bass-Kollegen in einem Vierer-Sitzbereich und fuhren über Aachen-Rothe Erde, Köln und weitere Städte bis Essen Hauptbahnhof.
Kaum hatte der Zug den Bahnhof AC-Rothe Erde verlassen, entschuldigte Peter sich und verschwand auf der Toilette. Zurück kam er schließlich mit etwas Giftgrünem, eindeutig textiler Natur, in der Hand, das er – für einen Bass erstaunlich theatralisch – fein säuberlich in eine Plastiktüte und diese dann in seine Tasche packte, während sein Bass-Kollege, Ute und ich zusahen und uns fragten, was es damit wohl auf sich habe.
Ute fasste sich ein Herz und fragte ihn: „Was ist das, Peter?“ Peter sah uns verschwörerisch und auch ein wenig stolz an, und dann verkündete er: „Das ist eine lange Unterhose. Genauer: meine wärmste lange Unterhose [o Gott – er besaß mehrere davon!]. Draußen ist es kalt, aber hier im Zug ist es ja warm. Meine Mutter hat mir die zu Weihnachten geschenkt. Sie hat öfter eine Blasenentzündung, und sie meinte, man könne sich so leicht verkühlen.“ (Ich Naivling! Bis dato war ich der festen Überzeugung gewesen, dass Schlips-Oberhemd-Socken das grauenhafteste Geschenk sei, das man Männern im Allgemeinen machen könne… Es ging offenbar noch schlimmer, wenn ich auch die mütterliche Sorge im Prinzip durchaus rührend fand – Peter wohl noch mehr.)
Ute und ich wagten kaum, einander anzusehen, denn die Gefahr, dass wir beide in einen apokalyptischen Lachanfall ausbrechen würden, war nicht gering. Ute war ohnehin unfähig, etwas zu sagen, während ich hervorwürgte: „Donnerwetter – ich wusste gar nicht, dass es lange Unterhosen auch in so peppigen Farben gibt!“, was mir einen Ellbogencheck seitens Ute einbrachte. Ich drehte mich zu ihr und meinte: „Ja, was?! Wusstest du, dass es lange Unterhosen in solch coolen Farben gibt?“ Sie sah mich an, Tränen des unterdrückten Lachens in den Augen, und ihr Blick flehte mich förmlich an, den Mund zu halten. Ich tat ihr den Gefallen, denn ich mochte Ute sehr.
Zwei Stationen vor Essen Hauptbahnhof verschwand Peter wieder in der Zugtoilette, nachdem er das giftgrüne Etwas erneut aus der Tasche gezogen hatte. Ute raunte mir zu: „Peter ist doch eigentlich ein ziemlich attraktiver und netter Typ. Jetzt stell dir bitte mal vor, du lernst den irgendwo auf einer Party oder sonstwo kennen, ihr verabredet euch ein paarmal, und dann gehst du mit ihm nach Hause. Und dann soll es zur Sache gehen, und er reißt sich vor deinen Augen die Klamotten vom Leib, oder du tust das, und dann steht er da in einer giftgrünen langen Unterhose und preist Mama, weil die ihn vor einer Blasenentzündung bewahren will! Ein Alptraum!“
Das war zu viel! Da konnte ich dann auch nicht mehr an mich halten, und ein lauter Lachanfall überwältigte mich. Ute fiel ein, und Peters Bass-Kollege lachte ebenfalls und meinte: „Ich bin zwar keine Frau, aber ich kann absolut verstehen, was euch umtreibt. Ich hatte große Mühe, als er das mit seiner Mutter erzählte.“ Ich riss mich zusammen und meinte: „Aber irgendwie ist es ja auch lieb, dass er das Geschenk so wertschätzt – ich habe als Kind schon diese ätzenden dicken Strumpfhosen gehasst, die ich damals immer im Herbst und Winter anziehen musste. Ganz schlimm mit Kleidern oder Röcken!“ – „Ja, die Scheißdinger rutschten immer!“ schrie Ute angewidert, und ich fügte hinzu: „Und manche kratzten obendrein!“ – „Und es gab welche für Sonn- und Feiertage und welche für alltags!“ – „Und ich bin grundsätzlich immer mit denen sofort hingeflogen, die für Sonn- und Feiertage waren!“ rief ich. Das stimmte. Erstaunlicherweise waren es auch just immer die Sonn- und Feiertagsstrumpfhosen in Weiß oder Beige, die am meisten kratzten und die meistgehassten waren.
Da kam Peter zurück, und er strahlte und sagte: „So, wieder gerüstet fürs feindliche Leben!“ Da fuhr der Zug glücklicherweise in Essen Hauptbahnhof ein, und es entstand geschäftiges Treiben.
Die Generalprobe in der Kirche musste dann auch einmal unterbrochen werden, da ein Zweiter Bassist sich rasch seiner warmen Unterhose entledigen musste – er hatte die Temperaturen im gut geheizten Gotteshaus eindeutig unterschätzt. Er hatte auch keinerlei Scheu, für alle hörbar zu verkünden, dass er schnell mal seine lange Unterhose ausziehen müsse, da es wärmer sei, als er erwartet habe. Und so bekamen auch noch die Chorkollegen, die während der Zugfahrt nicht in unserer Nähe gesessen hatten, mit, dass Bassist Peter offenbar ein Fan giftgrüner langer Unterhosen war, denn er brachte sie aus der Sakristei wieder mit und deponierte sie stolz hinter dem Altar. Es hätte mich allerdings nicht gewundert, hätte er sie mitten darauf gelegt und noch einmal liebevoll gestreichelt. 😉
Vielleicht sollte ich auf der langen Zugfahrt ja auch so vorgehen und kurz vor Augsburg, wo ich den EC verlassen muss, um umzusteigen, auf der Zugtoilette eine lange Unterhose anziehen. Oder?
Ach, Mist – ich besitze so etwas gar nicht! Ob ich morgen noch einmal einkaufen gehen sollte? 😉