„Singen und Schlafen“ :-)

So hieß das Babysitting-Programm, das mein Onkel Christoph Stephie und mir immer angedeihen ließ, als wir – noch recht klein – in Bamberg Ferien machten, woher meine Mutter stammt. Und natürlich auch Onkel Christoph selber.

In Bayern fangen die Sommerferien traditionell erst sehr spät an, und so musste mein Onkel Christoph, seines Zeichens Lehrer, immer noch arbeiten, wenn wir bereits Omas Wohnung mehr oder minder bereicherten, wo er, als ich ziemlich klein war, noch lebte, als er unverheiratet und noch sogenannter „Junglehrer“ war, kurz nach dem Staatsexamen.

Ich erinnere mich daran, dass Oma und meine Mutter wiederholt auf Onkel Christophs Rückkehr von seinem Arbeitsplatz warteten wie der Löwe aufs Futter: Sie wollten in die Stadt, und das ohne zwei quengelnde Kinder. Und kaum war Onkel Christoph in all seiner Respekt gebietenden Größe – 1,97 m – durch die Wohnungstür gekommen, zu meiner großen Freude stets, indem er seinen Kopf einzog, um mit diesem nicht anzustoßen, was mich als Kind stets zu Heiterkeitsausbrüchen hinriss, weil alle anderen Menschen in meiner Familie schon stolz waren, die 1,75-m-Grenze überschritten zu haben (ich blieb 10 Zentimeter darunter …), wurde er auch schon von Mama und Oma damit überrascht, dass sie ja nun unbedingt … Und er würde doch sicherlich gern auf seine zwei kleinen Nichten aufpassen – nicht wahr?

Ich sehe auch noch immer das Gesicht Onkel Christophs vor mir: So richtig begeistert wirkte er nicht, und er rief auch mehrfach, er sei „fei müd“. Aber dann sah er Stephie und mich an und meinte stets: „Na, denn …“. Und während Mama und Oma eiligen Fußes die Wohnung verließen, wurden Stephie und ich auf das weitere Programm eingeschworen. 😉

Das nannte sich sehr dezidiert Singen und Schlafen. Beim ersten Mal fremdelten wir noch ein wenig: Singen leuchtete ja noch ein – aber Schlafen? Wir wollten eigentlich viel lieber mit Onkel Christoph herumtoben und waren doch schon so groß, dass ein Mittagsschlaf als albernes Unterfangen erschien. Herumtoben wollte er aber nicht – hatte ja auch schon sehr viel seines Arbeitstages hinter sich, was wir als Kinder jedoch nicht verstanden. Da wir es uns aber nicht mit Onkel Christoph verscherzen wollten, den wir beide heiß und innig liebten, da er auch so gut mit Kindern umgehen konnte, fügten wir uns in unser Schicksal. 😉 Und dann lernten wir es schätzen – und auch meine Mutter fand es cool, die zumindest mit mir immer heftig zu ringen hatte, was den Mittagsschlaf anbelangte. Man muss den einfach nur gut als etwas ganz anderes verpacken – schon wird er eingehalten. 😉

Zuerst wurde gesungen, und wir lernten sehr viele Lieder von unserem Onkel kennen, die wir ohne dieses spezielle Programm sicherlich nie kennengelernt hätten. Unvergessen: der Seeschlangen-Song, der Favorit überhaupt! Ein sehr mitreißendes Kinderlied, der Text von James Krüss. Eindeutig einer der Favoriten. Weniger beliebt bei mir: „Sabinchen war ein Frauenzimmer, gar hold und tugendhaft“. Ziemlich blutrünstig, aber auch das gehörte zum Programm, und weder Stephie noch ich heulten. Wir fanden den Inhalt des Liedes zwar gruselig, aber irgendwie einleuchtend und haben keine Neurosen davongetragen. 😉

Zumal es ja das Lied vom „hübschen, wachsamen Hahn“ gab. Und das von „Sascha“, der „mit den Worten geizte“. Ganz zu schweigen von „Gregor“, der nicht zum „Abendtanz“ gehen sollte – das war ein Lied, das ich besonders liebte, da es so geheimnisvoll war: „Weiße Hand wie Schnee braut dir Tee aus Zauberkräutern“ hieß es da – das war spannend! Das war ein Lied, das sonst keiner kannte.

Und dann noch das Lied, dessen Refrain „Hejom, fejom, Schnee fiel in der Nacht!“ lautete. All diese fremdartigen Lieder lernten wir von Onkel Christoph, und wir sangen sie voller Inbrunst, bis wir müde wurden. Dann begann der zweite Teil von Singen und Schlafen. 😉 Auf diesen hatte Onkel Christoph wohl die ganze Zeit hingearbeitet. 😉

Und wenn meine Mutter und meine Oma zurückkehrten, fanden sie sowohl meinen Onkel, als auch Stephie und mich schlafend vor. Quasi bis zum Umfallen gesungen. Ziel erreicht. Die „Nichtchen“, wie er uns immer nannte, hielten Mittagsschlaf, und auch er hatte endlich seine Ruhe.😉

All die Lieder, die keiner sonst kannte, als ich ein Kind war, habe ich irgendwann gegoogelt, wann immer mir mal wieder die entsprechende Melodie durch den Kopf schoss. Und „Gregor“, dem vom „Abendtanz“ abgeraten wurde, entpuppte sich als ukrainisches Volkslied. „Sascha“ war russisch. Und „hejom, fejom“ habe ich erst kürzlich gegoogelt und unter „schnee fiel in der nacht“ gefunden: Ein schwedisches Volkslied ist es, und es heißt „Bonden och Kråkan“ – „Der Bauer und die Krähe“. Naheliegend, denn sowohl auf Deutsch als auch auf Schwedisch war stets von einer Krähe die Rede, die lachte. 😉 Der Bauer hatte sowohl auf Deutsch wie auch auf Schwedisch weniger zu lachen. 😉

Meinen Onkel habe ich zuletzt vor einigen Jahren gesehen – wir wohnen recht weit voneinander entfernt. Inzwischen ist er krank, und ich habe mich weniger gekümmert, als ich hätte tun können und müssen. Als mir neulich dieses schwedische „Krähen“-Lied durch den Kopf ging, fiel mir ein, wie er sich immer so lieb um uns gekümmert hat, obwohl das sicherlich nicht sein vordringliches Interesse gewesen war. Und er konnte auch so schön Geschichten erzählen. Es wird höchste Zeit, dass ich ihm mal eine schöne Geschichte erzähle. 😊

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