Zwei auf einen Streich

Ja, ich weiß, der Schneider im Märchen Das tapfere Schneiderlein fing sieben auf einen Streich – aber das waren Fliegen. Bei mir wurden heute zwei gezogen, und das annähernd auf einen Streich bzw. mit nur geringem zeitlichem Versatz, aber das fand ich erheblich beeindruckender als sieben blöde Fliegen. 😉

Denn heute war meine kieferchirurgische OP, von deren Notwendigkeit ich letzte Woche erstmalig und zu meiner großen und durchaus unangenehmen Überraschung gehört hatte. Und das auch noch im Oberkiefer, was ich besonders besch…eiden finde, denn da haben die Backenzähne allesamt drei Wurzeln – im Unterkiefer nur zwei. Außerdem wird man mitsamt Zahnarztstuhl bei Eingriffen im Oberkiefer immer so unangenehm „kopflastig“ in Position gefahren, sprich: Das Kopfende wird immer so sehr nach unten gefahren, dass man denkt: „Wahrscheinlich habe ich gleich nicht nur eine gigantische und fies schmerzende Wunde im Mund, sondern auch noch mindestens eine Beule am Hinterkopf oder gleich einen Schädelbruch, nachdem ich sang-, klang- und ruhmlos mit dem Hinterkopf voran vom Stuhl gesaust und auf dem Boden aufgeschlagen sein werde. Ah! Nein! Nicht noch weiter hinunterfahren!“

Ich hatte zwar keine unruhige Nacht, aber ein unruhiges Erwachen hinter mir, als ich mich schleppenden Schrittes auf den Weg zur nicht weit entfernt gelegenen Zahnarztpraxis machte.
Denn ich hatte geträumt, dass mich ein Anruf der Zahnarztpraxis ereilt hätte: Der Termin müsse leider um vier Wochen verschoben werden. Als mein Wecker klingelte und ich langsam zu mir kam, dachte ich: „Wieso klingelt der Wecker? Der Termin wurde doch verschoben!“ Und dann kam peu à peu die schaurige Erkenntnis, dass es nur ein Traum gewesen sei. Ich hasse solche Träume, und auch heute fühlte ich mich entsetzlich verarscht. Was soll so etwas? Da muss ich wohl mal Tacheles mit mir selbst reden, denn der Traum wurde ja von meinem höchsteigenen Unterbewusstsein speziell für mich kreiert. 😉

Bevor ich unten an der Tür des Hauses klingelte, in dem die Praxis sich befindet, installierte ich den geräumigsten Mund-und-Nasenschutz, den ich besitze: Zwei davon hat meine Krankenversicherung mir geschenkt. Ich fand sie erst etwas groß, aber seit letzter Woche bin ich froh und dankbar um ihre Existenz und ihre Größe: seit ich von der OP wusste. Und so konnte mein Zahnarzt auch sofort sehen, wo ich versichert bin, denn linksseitig prangt – erstaunlich klein – das blauweiße Logo der KV. 😉

Die Helferin an der Anmeldung erwiderte mein „Guten Morgen“ fröhlich und sagte: „Frau B. – Sie sehen etwas zweifelnd aus. Und Sie klingen auch so. So kenne ich Sie gar nicht.“ – „Das liegt unter Umständen an dem unbeschreiblich schönen Eingriff, der mir bevorsteht.“ Die Helferin grinste und meinte: „Ach, Frau B. – das ist alles schnell vorbei, und dann sind Sie froh. O Gott – jetzt zieht sie auch noch eine Augenbraue hoch! Sie weiß zu viel! Aber ich sehe trotz Maske, dass Sie auch grinsen. Man sieht es an den Augen.“ – „Verdammt! Nicht einmal mit Maske habe ich ein Pokerface – auch diese Illusion dahin!“ Die Zahnarzthelferin brach in lautes Lachen aus, und ich lachte mit. Besser lachen vor dem Mist, der mir bevorstand. Denkt immer an die Glückshormone! Davon brauche ich beim Zahnarzt immer ganz besonders viele. 😉

Kaum hatte ich meinen Hintern im Wartezimmer auf einer Couch geparkt, kam auch schon eine andere Helferin und holte mich ab. Und sie führte mich in meinen allerliebsten Behandlungsraum: den mit dem gelben Zahnsymbol, das außen auf die Glastür geklebt ist. Es gibt vier Behandlungsräume: den blauen (blaues Zahnsymbol), den roten, den grünen und … den gelben. Er unterscheidet sich von seinen Kollegen nicht nur dadurch, dass der Stuhl um 180 Grad anders steht als in den anderen Räumen und man vom Stuhl aus schon sieht, wenn der Zahnarzt kommt, um sich schmerzhaft an einem zu schaffen zu machen, er ist auch kleiner, aber dafür mit anderen Dingen ausgestattet als die anderen Räume. Dingen, die man sich besser nicht so genau ansehen sollte. Es ist der OP-Raum, und ich mag ihn noch weniger als die anderen Räume.

„Frau B. – nehmen Sie doch schon einmal Platz,“, rief die Helferin fröhlich, als würde sie mich zu einem Kaffee einladen, und ich sagte: „Ja. Ich nehme Platz in meinem ‚Lieblings‘-Behandlungsraum. Sagen Sie, kann es sein, dass der Behandlungsstuhl hier nur deswegen andersherum positioniert ist, weil so der Rettungsdienst, den man ggf. herbeirufen muss, besser, da direkt und von vorne, an den kollabierten Patienten herankommt?“ Die Helferin, die mich noch nicht kannte, starrte mich entsetzt an, aber dann – ich hatte meine Maske inzwischen abnehmen dürfen – sah sie, dass ich heftig grinste. Und sie fing auch zu lachen an und meinte: „Mein Gott, ich dachte erst, Sie meinten das ernst!“ – „Nee, nur so halb.“ – „Ach, keine Sorge, das geht ruck-zuck!“ – „Ich weiß. Ruck-zuck – passt perfekt zur Situation, so als Ausdruck.“ Da sagte die Helferin: „Ich schalte erst jetzt! Mein Chef sagte schon vorher zu mir: ‚Gleich kommt Frau B. zur Extraktion einer Wurzel und eines Weisheitszahns, der noch im Kiefer liegt. Wappnen Sie sich.‘ Und da sagte ich noch: ‚O je – eine Angstpatientin?‘ – ‚Nein, durchaus nicht. Sie können Frau B. den halben Kiefer aufstemmen, wenn betäubt – die zuckt nicht mal mit der Wimper. Da Sie sie aber noch nicht kennen: Sie hat einen bisweilen schwarzen Humor, und sie kann sehr gut über sich selbst lachen. Eine angenehme und nette Patientin. Ich musste mich an ihren Humor aber erst gewöhnen, denn ich rechne selten mit Sarkasmus, wenn ich Patienten hier im Stuhl liegen habe, denn die meisten haben einfach Angst. Mitleid mag sie nicht. Das war für mich anfangs völlig ungewohnt, aber im Verlauf sehr nett. Nur bei Abformungen wird sie heikel. Wäre das nicht, wäre sie der perfekte Patient.‘“ – „Wie bitte? Ihr Chef hat sich derart über mich geäußert, und Sie erzählen das so offen?“ – „Ja, aber das ist doch nett gemeint. Wirklich. Sonst hätte ich Ihnen das nie gesagt! Aber sagen Sie doch mal: Wie reagieren Sie auf Abformungen?“ – „Das möchten Sie nicht wissen. Absolut scheußlich und nicht wie ich selbst.“

Da kam der Zahnarzt auch schon, und fröhlich rief er: „Guten Morgen! So, Frau B. – dann wollen wir mal sehen, ob ich es gegebenenfalls doch schaffe, die Wurzel und den Weisheitszahn herauszuholen!“ – „Sie machen mir doch immer wieder Freude mit Ihren Sprüchen! Zum Glück weiß ich ja aufgrund langjähriger Erfahrung, dass Sie das alles aus dem Handgelenk machen und können. Würde ich Sie nicht so lange kennen, würde ich mir jetzt leise und immer lauter werdende Sorgen machen und mich fragen, ob Sie sich gerade selbst beruhigen.“ – „Gott sei Dank – da ist die Frau B., die ich kenne. Letzte Woche, als Sie so still waren, habe ich mir Sorgen gemacht. Übrigens ist ‚aus dem Handgelenk‘ sehr treffend, denn so zieht man Zähne am besten.“ – „Ja. Wäre trotzdem schön, würden Sie einfach loslegen.“ – „Gut. Ich gebe Ihnen hier eine kleine Spritze.“

Ich lachte dreckig. „Kleine Spritze“! Spritzen beim Zahnarzt sehen immer monströs aus. Da wird eine Art Ampulle mit einer feinen Kanüle in einer Art Gestell installiert, das erschreckend aussieht und hinten zwei „Ohren“ hat – wie eine Schere. Sicherlich dient dies der besonders feinfühligen Applikation der Anästhesie. Schön ist anders, aber es schreckt mich nicht wirklich. Das Ganze aber als „kleine Spritze“ zu bezeichnen, ist irreführend, zumal man weiß, dass gleich der halbe Kiefer nebst Lippe durch Lidocain lahmgelegt sein wird und man mit mehreren Ladungen davon in verschiedene Teile des Kiefers und auch in den zahnnahen Bereich des Gaumens – besonders angenehm! – versehen wird. Der einzige Trost: Im Oberkiefer wirkt die Anästhesie schnell. Und heute war es auch kein Problem, eine zusätzliche Anästhesie in die Wurzelkanäle zu geben: Da war eh alles tot, denn ansonsten wäre ich vom Behandlungsstuhl abgehoben. Zweimal erlebt, zwei Leute – Zahnarzt und Helferin – mussten mich an den Schultern festhalten und auf den Behandlungsstuhl drücken, und ich schwöre, ich hätte sie in dem Moment beide gern hingemetzelt. Nach vorheriger Folter. Hatte ich schon einmal erwähnt, dass ich gemeinhin Pazifistin bin? 😉

Als man auf dem Tischchen, das am Zahnarztstuhl im Gesichtsbereich des Patienten angebracht ist, die notwendigen Instrumente aufbaute bzw. ablegte, fuhr man mich sicherheitshalber mit dem Kopf so weit hinunter, dass ich protestierte: „Hallo? Das ist nicht nötig – ich habe keine Angst davor. Fahren Sie mich bitte wieder hoch!“ Mein Zahnarzt lachte und fuhr mich wieder hoch, grinste mich an und meinte: „Der reine Gewöhnungseffekt – den meisten Patienten ist das lieber so. Ging nicht gegen Sie.“ – „Sie können mir alles vor die Nase legen – nur keine Abformlöffel. Das Skalpell hatte ich eh schon gesehen, bevor Sie mich nach unten fuhren. Bescherung war schon.“ – „Sehen Sie,“, rief der Zahnarzt der Helferin zu: „Das meinte ich! Frau B. ist wirklich absolut cool und abgebrüht – sie beschwert sich sogar, wenn man ihr OP-Instrumente vorenthält.“ Dann strich er mir über die Schulter und meinte: „Sorry. Sie wissen ja ohnehin, was auf Sie zukommt. Und daher wissen Sie auch, dass das alles gar nicht so schlimm ist.“ Ich grinste schief, und das auch aus dem Grunde heraus, dass meine linke Gesichtshälfte betäubt war.

Dann ging es auch schon los: Ich sah das Skalpell, ich spürte, dass etwas an meinem Zahn scharrte, aber keinen Schmerz. Offenbar eine bombige Anästhesie! Dann sagte der Zahnarzt: „Jetzt wird es gleich etwas laut, Frau B.!“ Es wurde laut, es drückte unschön im Kiefer, als er an der Wurzel herumfräste – angenehm oder schön ist anders. Aber es tat nicht weh und war erträglich, und was will man in solch einer Situation mehr? 😉

Dann rief er nach einer Zange, und es drückte, krachte und bohrte in meinem Kiefer aufs Possierlichste, aber da rief der Zahnarzt schon: „Frau B. – glatt herausgeholt, und das an einem Stück!“ Ich freute mich, wenn auch etwas verhalten. Gern hätte ich ja laut gejubelt, aber so fröhlich ist der Verlust einer Zahnwurzel nun auch nicht, und das schon gar nicht, wenn der linke Mundwinkel bis zum Abwinken durch einen von der Stuhlhelferin geführten Haken noch weiter nach links gezogen wird, als die Natur vorsah. Noch dazu, wenn man in kopflastiger Position hängt und der Zahnarzt dann ruft: „Oh! Die Kieferhöhle ist offen!“

Das kann passieren, wenn im Oberkiefer Zähne gezogen werden, da dort alles sehr dicht beieinander liegt. Daher schicken herkömmliche Zahnärzte Patienten zu solchen Eingriffen auch gern zu spezifizierten Kieferchirurgen. Meine letzte Erfahrung mit einem solchen führte mich dann zu meinem jetzigen Zahnarzt, der eine Zusatzausbildung und Spezifikation zum Oralchirurgen belegen, der also auch unbeabsichtigt eröffnete Kieferhöhlen fachgerecht schließen kann. Eine sehr pragmatische Lösung, finde ich.

Und so rief er auch schon seiner Helferin zu: „Plastische Deckung!“ Und er rief nach Nahtmaterial, während er meine Schulter tätschelte und sagte: „Kriegen wir alles hin, Frau B.!“ – „Davon gehe ich aus,“, nuschelte ich zurück, „ich mache mir keine Sorgen – ich wusste, dass das passieren kann!“ – „Das weiß ich – Sie sind kampferprobt. Halten Sie sich mal die Nase zu, und dann pusten Sie ganz kräftig! Mund offenlassen!“

Kein Problem – mein Mund stand eh offen, da die Stuhlhelferin nebst Haken ihres Amtes waltete. Keine Chance, ihn zu schließen. Außerdem bin ich im Hinblick auf ärztliche Behandlungen – egal, welcher Art – kaum noch erstaunt, wenn ich niesen, husten oder mir die Nase zuhalten und dann pusten soll. 😉 Ich tat, wie mir befohlen, und selbst ich hörte dieses komische Pfeifen, das daraufhin ertönte und zur Folge hatte, dass der Zahnarzt rief: „Plastische Deckung bereit? Nahtmaterial!“
Ich frage mich allerdings jetzt, was zur „plastischen Deckung“ benutzt wurde. Das wird gemeinhin mit Mundschleimhaut verschlossen und dann genäht. Wahrscheinlich hingen durch die Extraktion der Wurzel noch so viele Fetzen herum, dass man die dazu benutzen konnte. Es wurde jedenfalls rasch geschlossen und genäht.

Dann kam der Weisheitszahn dran, der ja noch im Kiefer lag, da er sich bis dato nicht dazu hatte durchringen können, durchzubrechen. Erneutes „Scharren“ mit dem Skalpell, und dann rief der Zahnarzt begeistert: „Da komme ich leicht dran! Zange!“ Er rief auch noch die genaue Bezeichnung des Instruments, aber damit kenne ich mich nicht so aus. Zu mir sagte er: „Frau B. – ich muss jetzt mal ganz beherzt werden, nicht wundern!“ – „Noch beherzter als zuvor?“ nuschelte ich zwischen Haken und Absauger hindurch, und der Zahnarzt lachte und meinte: „Ja.“ – „O Gott!“

Und dann krachte es beängstigend im Dachgebälk, es drückte, knirschte und war einfach nur unangenehm, obwohl nichts wehtat.

Als es ganz besonders krachte und ich gerade dachte, dass es nun aber wirklich allmählich reiche und ich mich schon beschweren wollte, rief der Zahnarzt: „Frau B. – alles gut! Das Ding ist raus, und auch an einem Stück.“ Und schon rief er seiner Helferin zu: „Naht!“

Dann wurde das Ganze genäht, und ich wünschte, ich hätte mitgezählt, denn dann könnte ich zumindest sagen, wie viele Nähte angelegt wurden. Ich habe aber irgendwann den Überblick verloren, aber die beiden verlorenen Zähne können sich immerhin damit rühmen, dass man sie durch zahlreiche, wenn auch nicht -lose, Nähte gewürdigt habe. 😊

Den Weisheitszahn habe ich mir mitgeben lassen, denn er sieht so unschuldig aus, zumal der Zahnarzt noch sagte: „Glück im Unglück, Frau B. – der Weisheitszahn war zum Glück ein echtes ‚Lämmchen‘. Und er sieht auch so unschuldig aus. Sie hatten Glück im Unglück, denn die meisten Weisheitszähne muss ich in Fragmenten herausholen. Und Ihrer kommt an einem Stück heraus, als wäre er dazu bestimmt! Genial!“ – „Ja. Dafür sind die Gebrauchszähne alle Scheiße!“

Und da hat mein Zahnarzt mich in den Arm genommen und gedrückt. Und gelacht. Ich habe auch gelacht, und da meinte mein Zahnarzt: „Den Rest kriegen wir auch hin.“ – „Ja, das Implantat. Kriegen wir auch hin. Ich fange dann schon einmal wieder mit Lotto an.“

Wenn ich allerdings den mitgegebenen Weisheitszahn so betrachte, finde ich ihn auch ganz lieb. 😉 Nichts Böses erlebt, recht klein, nur drei Spitzen – wie ein Kinderzahn. Irgendwie süß. War aber trotzdem doof und unangenehm, als man ihn zog. 😉

Die nächste unangenehme Zahnarztbehandlung wird wohl die Implantatbehandlung sein. Ansonsten muss ich mir dringend noch etwas anderes einfallen lassen. Ich wüsste allerdings nichts Gruseligeres. 😉

Adrenaline Surges 

Ich mache drei Kreuze, wenn ich ab nächstem Montag ganze acht Arbeitstage Urlaub habe, denn den letzten Urlaub hatte ich vor inzwischen einem halben Jahr, und das macht sich allmählich bemerkbar und hinterlässt Spuren.

Als ich heute ins Büro kam, fragte ich meine Team-B-Kollegin Gina: „Gina, kann es sein, dass ich seit gestern graue Haare bekommen habe?“ Gina sah genau hin, sagte jedoch: „Dein Ansatz ist eher dunkelblond. Aber du siehst ein bisschen müde aus.“ – „Alles klar – ich rufe noch diese Woche bei meiner Friseurin an …“ – „Nein, nein, ich meine wirklich dunkelblond und keineswegs grau, und der Ansatz ist minimal. Ach, was sage ich! Minimalst! Aber wie gesagt: Ein bisschen müde siehst du aus.“

Kein Wunder – ich hatte so gut wie gar nicht geschlafen in der letzten Nacht. Ich schlafe ohnehin schlecht in der letzten Zeit, seit gestern jedoch in besonderem Maße. Ich hatte einen Homeoffice-Tag, und an all die, die glauben, „Homeoffice“ sei Entspannung pur, gleich dies: Ich arbeite im Homeoffice oft noch länger als im Büro, da ich stets die Befürchtung hege, etwas zu verpassen oder zu übersehen. Und von meiner Tätigkeit – erst recht aber unverzeihlicher Untätigkeit – hängen andere Menschen ab. Da bin ich dann besonders aufmerksam und mache speziell im Homeoffice öfter Überstunden, und die nicht einzeln. Ich schreibe sie allerdings nicht auf – sollte ich aber vielleicht einmal tun. Doch dazu später. 😉

Gestern habe ich besonders früh angefangen – um sieben Uhr! Das ist eine für meine Verhältnisse völlig unübliche Zeit, aber ich musste gestern sehr früh Feierabend machen, da um 15:45 h ein Zahnarzttermin dräute. Die Brücke oben links, die aus drei Elementen bestand (man beachte das Präteritum 😉 ), hatte sich gelockert, und da geht man besser schnellstmöglich zum Zahnarzt. Daher mein völlig ungewöhnlicher Arbeitsbeginn.

Zunächst arbeitete ich Mails ab, bearbeitete darüber hinaus das, was außerdem dringend bearbeitet werden musste, und dann nahm ich an einem Zoom-Meeting mit einer Kollegin und diversen unserer Klienten teil. Eine Stunde war angesetzt – es wurden dann zwei daraus. Zwischendurch brummte mein Handy mehrfach – Rufumleitung über meine Büronummer -, aber ich konnte nicht drangehen.

Hinterher sah ich dann: O Gott – mindestens ein Notfall war darunter, der mir auch schon eine Mail geschickt hatte. Ich kümmerte mich umgehend um Lösung, und dann klingelte das Handy ununterbrochen …

Ich fühlte mich bereits ziemlich abgespannt, als ich zum Zahnarzt ging. Nur durch eine gewisse Überbeanspruchung meiner Wenigkeit ist zu erklären, dass ich dort schließlich so reagierte, wie ich reagierte … 😉

Denn der Zahnarzt wollte die gelockerte Brücke abnehmen – was harmlos klingt, eigentlich auch ist, jedoch mit dem Einsatz zwar nicht von Hammer und Meißel, aber etwas Ähnlichem einhergeht. Der Zahnarzt und die „Stuhlhelferin“ – klingt nach etwas ganz anderem, als gemeint ist – begaben sich ans Werk, und bereits beim zweiten Versuch löste sich die Brücke, und da rief mein Zahnarzt: „Oh! Jetzt haben wir ein Problem!“ („Wieso das?“ dachte ich. „Das Ding ging doch glatt heraus!“ Aber genau das war das Problem …)

Denn der Zahnarzt sagte: „Frau B. – das Problem besteht darin, dass der hintere der beiden Brücken-Pfeilerzähne abgebrochen ist. Der ist hin. Nur noch die Wurzel im Kiefer.“ O Gott!
Mein Zahnarzt sah mir ins Gesicht und meinte: „Frau B. – was ist los? So kenne ich Sie gar nicht! Sie sind ganz blass geworden und sagen kein Wort. Sie wirken, als stünden Sie unter Schock! So kenne ich Sie nicht, denn ansonsten reagieren Sie immer mit einem gewissen Sarkasmus und schwarzem Humor auf derlei Hiobsbotschaften. Ist alles in Ordnung?“ – „Nee. Aber wenn Sie schwarzen Humor wünschen, kann ich Ihnen sagen, dass ich wohl wieder anfangen werde, Lotto zu spielen, denn sechs Richtige werde ich brauchen, nachdem der Zahn ganz hinten nun verloren ist. Denn das bedeutet doch sicher, dass ich ein Implantat benötige, nicht wahr?“ – „Es gibt noch eine andere Möglichkeit – aber die ist nicht so haltbar.“ – „Sehen Sie – und da wundern Sie sich, dass ich keinen Ton sage.“ – „Es tut mir sehr leid.“ – „Wieso habe ich nicht gemerkt, was da passierte – ich wäre doch sofort hier in der Praxis gewesen! Aber es tat nichts weh, es gab kein Anzeichen – ich bin wirklich etwas geschockt.“ Ja, und ich war völlig durch den Wind, denn sonst wäre mir eingefallen, dass der hintere Pfeilerzahn ja nicht nur wurzelbehandelt war, sondern auch schon eine Wurzelspitzenresektion mitgemacht hatte. Der war tot, und da konnte nichts mehr wehtun.

Der Zahnarzt rief einen Zahntechniker herbei, drückte dem die dreigliedrige Brücke in die Hand und sagte: „Bitte trennen, damit wir zumindest den Fünfer wieder überkronen können. Der ist absolut in Ordnung.“ Der Zahntechniker verschwand mit meinen drei „Zähnen“, während ich noch immer völlig konsterniert im Zahnarztstuhl lehnte und Zahnarzt und Helferin voller Hingabe ein Panorama-Röntgenbild meines Gebisses betrachteten … In der Zwischenzeit rasten meine Gedanken: „Die Wurzel des abgebrochenen Zahnes muss gezogen werden – das wird richtig bescheiden! Denn ohne Schneiden und Ausgraben geht da nichts! Und dann kommt wieder dieser Miniatur-Trennschleifer zum Einsatz, und jede Wurzelspitze wird einzeln herausgeholt …“ Wobei herausholen ein echter Euphemismus ist.

Das hatte ich schon einmal mitgemacht, und gegen Ende des reizenden Eingriffs hatte ich damals gedacht: „Wie gut, dass es nun vorbei ist! Lieber noch einmal mein Magister-Examen: Magisterarbeit über sechs Monate, davor mindestens sechs Monate Recherche, drei Prüfungsklausuren und drei mündliche Prüfungen, in denen du alles wissen musst, was du je im Studium gelernt hast.“ Das war damals großer Stress – aber ich hätte es sofort erneut in Angriff genommen, wäre mir nur der dentalchirurgische Eingriff erspart geblieben. 😉‘‘

Dann trat der ZA wieder an mich heran und verkündete das Verdikt: „Die Wurzel muss ausgegraben werden, und hinter diesem Zahn liegt auch noch ein Weisheitszahn im Kiefer. Wir machen den Schnitt dann einfach etwas länger und sehen zu, dass wir den Weisheitszahn auch noch herausholen. Klotzen, nicht kleckern, denn wenn wir schon einmal dabei sind, Frau B. …“ Und er fügte hinzu: „Und das machen wir dann in der kommenden Woche.“

Wie praktisch, denn da habe ich ja Urlaub … 😉 Ich hatte mich auf ruhige Tage gefreut, wenn schon mein Auslandsurlaub dieses Jahr ausfallen müsse. Und dann am Mittwoch so etwas! 😉

Ich ging dann recht schnell nach Hause – es wartete noch Arbeit, und die lenkt ja immer von Misshelligkeiten ab, nicht wahr? Denn heute musste ich einen Live-Vortrag im Rahmen einer kleinen „Messe“ halten. Natürlich dieses Jahr virtuell, während diese Infoveranstaltung sonst immer als Präsenzveranstaltung stattgefunden hatte.

Für gewöhnlich habe ich kein Problem damit, auch vor größerem Publikum zu sprechen – im Gegenteil, denn das macht mir sogar Spaß. Aber heute musste ich per Zoom quasi „in den weiten Weltenraum“ hinein sprechen, ohne jedwedes Feedback, ohne Augenzwinkern, ohne Mimik, ohne Gestik.

Zunächst lief es gut, denn da war nur mein Kollege Pepe anwesend, der die Messe logistisch betreut. Ein total netter und lockerer Mensch, und ich plauderte ebenso locker drauflos. Lief doch prima! 😊

Auf einmal machte es „ding-dong“ – ein weiterer Teilnehmer kündigte sich an. O Gott – es war mein Chef! 😉 Ich hätte ja zu gern mein Gesicht gesehen, aber wohlweislich hatte ich nur Bildschirmpräsentation ausgewählt und festgelegt, und ich riss mich zusammen und gewährte meinem Chef Eintritt zu dem Vortrag.

Nur kurz zur Erklärung: Ich mag meinen Chef sehr, aber seine Anwesenheit verunsicherte mich dennoch – und dann hakte auch noch die Präsentation! Hätte ich Blickkontakt zum Publikum gehabt, hätte es mich nicht verunsichert. Aber hier sprach ich quasi ins Nichts, und das ist dann doch ein ganz  anderes Gefühl. Es kamen noch weitere Teilnehmer, und irgendwann war ich froh, als mein Vortrag beendet war, und ich stoppte die Aufzeichnung.

Pepe schaltete sich ein, und er rief: „Das war klasse, Ali – ein ganz dickes Schulterklopfen von mir!“ – „Danke, nett, aber es war grauenhaft!“ – „Unsinn!“ – „Nein, wirklich – es war furchtbar! Ich habe irgendwann den roten Faden verloren! Und dieses Gestammel! Das kenne ich von mir nicht – das kann ich besser!“ – „Findest du? Ich fand dich ziemlich locker, und der rote Faden war auch da!“

Und da schaltete sich mein Chef ein, und das im wahrsten Sinne, denn er schaltete die Videofunktion für seinen Part ein. Ich sah, wie er fröhlich lachte, und ich schlug die Hände vors Gesicht und rief: „Was für eine Schmach!“ Da rief mein Chef: „Ali! Du spinnst! Ich fand dich cool, und der Vortrag war gut – du bist immer viel zu selbstkritisch!“ – „Mir fehlte das reale Publikum, und dann kamst du auch noch – es war furchtbar!“ Und da meinte mein Chef: „Ach, Ali, das tut mir leid! Ich bin eigentlich nur gekommen, weil ich dachte, dass dich das beruhigen würde!“ Ich lachte und meinte: „Falsch. Ich konnte es als Kind schon nicht leiden, wenn ich Klavier übte und sich jemand danebensetzte, weil er es so nett fand, mir zuzuhören. Ich spielte immer besser, wenn ich allein war.“ – „Das merke ich mir. Aber der Vortrag war gut und wirkte sehr natürlich.“

Ja. Davon bin ich überzeugt, denn ich habe derart oft „äh“ gesagt, dass es natürlicher kaum geht. 😉 Und die mehrfach hängende Präsentation wirkte auch sehr natürlich – da bin ich mir ganz sicher. 😉

Aber immerhin habe ich die virtuelle Premiere hinter mir. Beim nächsten Mal läuft alles reibungslos – da bin ich mir absolut sicher. Nur frage ich mich gerade: Wozu habe ich gestern noch bis zum Erbrechen geprobt? Ach ja … Ablenkung von der Zahnkatastrophe! Somit doch für etwas gut. 😉

Euch einen schönen Abend, und drückt mir bitte für den nächsten Mittwoch die Daumen! Ich bin ja irgendwie froh, dass wir noch Maskenpflicht haben und ich zwei Masken von meiner Krankenversicherung geschenkt bekommen habe, bei denen ich erst dachte: „Huch! Dahinter verschwindet ja sogar mein Gesicht fast komplett!“ Echt nützlich ab der kommenden Woche, wenn ich meine nach der OP zerbeulte Visage und die unvermeidlichen Hämatome verbergen möchte.

Wenn das kein perfektes Timing ist! 😉 Fast wie geplant.

Aber eben auch nur fast. 😉