Drückt mir bitte die Daumen, dass ich übermorgen nicht an diesen Satz denken muss, wenn ich – erstmalig in meinem Leben – als Interviewerin tätig werde, und das per Zoom, der Corona-Situation wegen. Ich habe schon als Übersetzerin gearbeitet. Auch als Dolmetscherin auf einem dreitägigen Kongress. Als Interviewerin indes noch nie.
Zu Anfang jedes Jahres und in dessen Mitte veranstaltet mein Arbeitgeber eine Art kleine Messe für Interessierte, während derer unsere Angebote vorgestellt und daran Interessierte beraten werden. Bis dato und vor Corona als Präsenzveranstaltung. Dieses Jahr anders. Dieses Jahr virtuell. Da mein Arbeitsbereich heftig involviert ist, muss ich – ausgerechnet ich! 😉 – nun zwei Interviews mit ehemaligen Klienten führen, die dann online zu sehen sind. Also: die Klienten, ich – und die Interviews en tout.
Aber warum so negativ? Es ist einfach eine völlig neue Herausforderung. Speziell für jemanden, der kamerascheu ist. Gut möglich, dass ich mich als „Stimme aus dem Off“ einfach besser mache, aber wer weiß das schon? 😉
Übermorgen – Brückentag – habe ich zwar eigentlich frei, aber da es sich, so der Koordinator dieser Veranstaltung, ein sehr netter Kollege, um eine „sportliche Punktlandung“ handle und die Zeit daher drängt, habe ich mich mit meiner ersten Klientin für just diesen Tag zum Video-Interview verabredet. Mit viel Zeit im Gepäck. 😉
Gestern „trainierte“ ich bereits, um mich vorzubereiten. Ich startete ein Zoom-Meeting mit mir als Host. Es war kurz nach elf, und ich saß in meinem Esszimmer. Verbindlich lächelnd und wie eine gute Gastgeberin sprach ich meine kurze Einleitung gen Kamera, wobei ich das Ganze mitschnitt.
Kaum zum Ende gekommen, überfiel mich das Grauen: Ich klang so wie ein Typ, den ich in Aachen eher unfreiwillig kannte und am liebsten von hinten sah, ergo im Abschiedsmodus, und meine Ansprache klang wie: „Ich bin der Eugen – ich schneid‘ hier die Wurst!“
Der Typ tauchte während meiner Studentenjob-Zeit in einer Studentenkneipe unregelmäßig auf und wirkte stets irgendwie … derangiert. Nicht wie die hellste Kerze auf der Torte. Er war es wohl auch nicht, sondern eher eine unverschämte und penetrante Nervensäge. Es waren immer alle froh, wenn er wieder ging, ich – hatte ich Thekenschicht – zuvörderst. Denn war Eugen da, waren Beleidigungen an der Tagesordnung, Beleidigungen in alle nur denkbaren Richtungen, und ich musste mehrfach an mich halten, ihm nicht den Inhalt des Eiswürfelbehälters über den Kopf zu schütten und mit dem leeren Eiswürfelbehälter seinen Scheitel noch einmal korrekt nachzuziehen. Aber nach außen blieb ich stets so cool wie der Inhalt des Eisbehälters, der niemals über Eugens Haupt ausgeleert wurde. 😉
Die einzig lustige Geschichte, die aber auch wie „Arsch auf Eimer“ zu ihm passte, war folgende: Eugen hatte all seine angefangenen Lehren nie beendet, aber da der Mensch von etwas leben muss und andere Menschen bisweilen (zu) gutmütig sind, stellte ein Metzger in einer recht zentral gelegenen Straße ihn ein, in seinem Ladengeschäft zu arbeiten. Hinter den Kulissen. Und ungelernt. Man stellte Eugen an die Wurstschneidemaschine in den Raum hinter dem Verkaufslokal, und nach einiger Einarbeitungszeit beherrschte Eugen das Wurst-in-Scheiben-verschiedener-Stärke-Schneiden auch mehr oder minder gut. 😉
Eines unschönen Tages kam die Gewerbeaufsicht in Gestalt zweier Beamter in den Metzgerladen, natürlich unangekündigt. Man prüfte im Verkaufsraum hier, man prüfte da – alles glücklicherweise (für den Metzger) zur Zufriedenheit. Dann strebte man in die hinteren Räume, in deren einem Eugen seiner schnittigen Tätigkeit nachkam …
Dem Metzger graute. O Gott! Eugen war in seiner Gänze nicht zwingend publikumspräsentabel. Aber die beiden Beamten drängten darauf, auch die Hinterräume zu besichtigen. Verständlich. Wenn schon, denn schon, und man muss ja auch prüfen, ob in Gänze alles okay sei. 😉
Ich kann mir die Not des Metzgers lebhaft vorstellen, auch den gesteigerten Blutdruck und das Gefühl von Ohnmacht und Verlust der geschäftlichen Existenz. 😉 Aber was sollte er tun? Und schon betraten die beiden Beamten den Wurstschneideraum, in dem Eugen stupide grinsend seines Amtes waltete …
Einer der beiden Beamten sprach ihn an: „Wie heißen Sie, und was ist Ihre Aufgabe in diesem Betrieb?“ – „Hä?“ – „Wie heißen Sie, und was ist Ihre Aufgabe in diesem Betrieb?“ – „Ääh …“ – „Haben Sie meine Frage verstanden?“ – „Ääh, ja.“ – „Ja, und?“
Und da kam, nicht ohne Stolz: „Ich bin der Eugen! Ich schneid‘ hier die Wurst!“
Auf Fragen nach seinem Nachnamen und seiner entsprechenden Ausbildung wie Arbeitsvertrag kam keine Antwort, aber so präzise wie ein Uhrwerk schnitt Eugen Cervelatwurst … Das konnte er, das tat er. 😉 Man hatte es ihm so gezeigt. 😉
Nach diesem Besuch der Gewerbeaufsicht bekam der Metzger eine Geldstrafe, und Eugen war erneut joblos und noch weniger erträglich als zuvor.
Nachdem ich gestern bei dem „Video-Testlauf“ meine reizende, kleine Einleitung absolviert hatte, kam mir dieser „Ich bin der Eugen – ich schneid‘ hier die Wurst“-Satz in den Sinn, und dann musste ich mich wirklich sehr zusammenreißen, platzte leider aber doch heraus. Lieber noch einmal ganz von vorn anfangen …
So geschah es. Erneute Einleitung, und ich sprach sogar weiter, um elf Uhr zehn. War doch gar nicht so schwer – immer diese Anstellerei!
Doch da ertönte aus dem Nachbarhaus ein dröhnendes „Wrrroooom“! Eine Bohrmaschine. Größeres Kaliber. Meine Mundwinkel hoben sich, fingen zu beben an, und schon platzte ich heraus. 😉
Dritter Versuch – da noch der Überzeugung, dass die von den Klienten und meine davon unabhängig (Corona!) getätigte Aufzeichnung einfach zusammengeschnitten werden würden – wenige Minuten später. Die Bohrmaschine pausierte offenbar. Mittels freundlicher und einladender Attitüde erklärte ich, was meine Aufgabe sei, und ich stellte die Fragen, die abgesprochen waren.
Danach betrachtete ich das Video. O Gott! Meine Augen schweiften hilf- und ziellos wie erschreckend groß von links nach rechts und retour! Es ist – hat man nicht eine Ausbildung als Schauspieler hinter sich – wirklich schwierig, sich einen nichtvorhandenen Gesprächspartner zu imaginieren. Und selbst dann, wenn man weiß, dass man sich das doch einfach nur vorstellen müsse, kann es passieren, dass die Augen des Interviewers hin und her schweifen, als würden sie erwarten, dass endlich jemand durch die Tür oder wie ein Hirsch „durchs Gebüsch gebrochen“ komme, der auch Antworten gebe. 😉
Versuch No. 4: Ich reminiszierte heftig den Film Cast Away mit Tom Hanks, als der nach einem Flugzeugabsturz eine Art Robinson Crusoe darstellt, ganz allein auf einer kleinen Insel. Sein einziger Freund: ein Volleyball der Marke Wilson. Mit „Wilson“ spricht der Verschollene, weil er sonst keinen Ansprechpartner hat. Offenbar half ihm das – warum also mir nicht? 😉
Ich holte einen Blumentopf herbei, aus dem fröhlich-buntes Gewächs leuchtet, und ich stellte diesen schräg neben mich. Das war jetzt der nette Fabian! Und schon nahm ich ein neues Test-Video auf! 😉
Erfolg: null. Das Gewächs ist nun einmal nicht Fabian und ist einfach stumm – meine Augen schweiften wie zuvor, als hingen sie plan- und ziellos in den Wanten eines Segelschiffs, auf der Suche nach dem echten Interview-Partner. 😉
Immerhin war gestern ein sehr lustiger Homeoffice-Tag – ich hatte viel zu lachen, weil ich stets dachte: „Cool! Was soll nur werden?“ Immerhin bin ich zum Schluss gekommen, dass zwei separate Zoom-Meetings unter Mitschnitt derselben das Beste seien, was ich tun könne. Und so habe ich übermorgen ein solches Meeting mit Madeleine, die ich interviewen muss. Madeleine ist ein wunderbarer Mensch, sehr liebenswert und freundlich, und das wird sicher lustig. Hoffe ich zumindest. 😉
Drückt mir trotzdem die Daumen, dass ich bei meiner freundlichen Einleitung nicht an den wurstschneidenden Eugen denken muss, denn ich kenne mich: An völlig unpassenden Stellen breche ich schon einmal gern in überbordendes und schier unstillbares Gelächter aus … 😉
Drückt mir die Daumen – auch wenn diese Schilderung beileibe nicht wirklich ernst gemeint ist. 😉