Über Missverständnisse

Ich gebe zu, nicht der geduldigste Mensch zu sein. En gros war ich bis dato aber eher ungeduldig mit mir selber. Inzwischen bin ich allerdings mit mir selber gar nicht mehr so ungeduldig. Eher mit dem „Umfeld“.

Die Situation ist derzeit bescheiden – keine Frage. Warum manche derzeit aber derart bescheuert und ungeduldig reagieren, ist mir dennoch nicht klar. Und ich staune darüber, wie viele Mitmenschen davon sprechen, dass wir unter „Quarantäne“ seien. Ich mache mir Sorgen um die Allgemeinbildung – das allerdings auch nicht erst jetzt.

Viele Menschen sprechen derzeit von Quarantäne, wenn sie diese Kontaktsperre meinen, die wir seit einiger Zeit durchmachen. Eine echte Quarantäne ist etwas ganz anderes.

Ich war als dreijähriges Kind einmal ein echtes Quarantäne-„Opfer“. Mehrere Wochen lang, nicht nur maximal zwei. Diverse Wochen vor Weihnachten mit unklarem Befund ins Krankenhaus eingeliefert worden. Aus Übereifer des diensthabenden Chef-Chirurgen meines Appendix beraubt, danach dann die Diagnose Paratyphus. Anschließend isoliert. Immerhin durften Mama und Papa mich besuchen, wenn sie Kittel und Mundschutz wie Handschuhe trugen. Niemand anderes durfte mich besuchen, und die Tür meines Krankenhauszimmers ließ sich nur von außen öffnen.

Heiligabend wurde ich entlassen. Laut Krankenhaus seit einer Woche negativ getestet, aber das Gesundheitsamt war misstrauisch. Die wollten, dass ich noch länger im Krankenhaus bleiben sollte, und nur dem Einsatz eines Arztes des Krankenhauses und meiner Mutter ist zu verdanken, dass ich an jenem Heiligen Abend entlassen wurde. Ich erinnere mich übrigens heute noch daran, wie Schwester Felicitas mich in den Arm nahm und mir eine weihnachtliche Tüte mit Süßigkeiten in die Hand drückte und sagte: „Mach’s gut, Kleine – du bist gesund!“ und wie wir dann durch das Foyer liefen und dann endlich im Auto saßen. Und obwohl ich noch so klein war, wurde mir damals schon einigermaßen klar, dass es Dinge gebe, gegen die im Zweifel nicht einmal die eigenen Eltern ankommen, nachdem ich die Erleichterung in den Gesichtern meiner Mutter und meines Vaters gesehen hatte. Nach dem zuvor erfolgten erleichterten Entlassungsgespräch mit Arzt und Schwestern.

Und so war ich total glücklich, wieder in mein gewohntes Umfeld zu kommen – vor allem am Heiligen Abend! Ich kann mich sogar noch an zwei Geschenke erinnern, die ich just da bekommen habe. Eines besitze ich heute noch: einen Steiff-Teddybären von meinem Onkel Christoph. 😊 Das zweite war ein „Bausatz“ von Lego.  Den habe ich – lange gesund – mit allen anderen Legosteinen, die ich besaß, anderweitig verbaut. 😉 Den Teddy besitze ich heute noch, obwohl er nicht mehr brummen kann. Seine Stimme hat er schon lange verloren. 😉

Was ich nie vergessen habe, waren die Wochen nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus. Ich war einfach nur froh, wieder bei Mama und Papa zu sein – und sogar bei meiner Schwester. 😉 Mir war zunächst nicht klar, was damit verbunden war. Ich wunderte mich damals allerdings nicht nur darüber, dass ich meine Hände nach dem normalen Waschen in einer Lösung baden musste, die ekelhaft roch. Den Namen „Sagrotan“ habe ich nie vergessen, ganz zu schweigen von dem Geruch,  und ich fühlte mich schon als Kind irgendwie schuldig, dass jeder, der mit mir zu tun gehabt hatte, seine Hände in diesem ekelhaften Zeug baden musste.

Was aber noch krasser war, war die Tatsache, dass regelmäßig Stuhlproben abzugeben waren. Von der ganzen Familie. Glücklicherweise hatten wir damals einen sogenannten Flachspüler. 😉 Und mehr oder minder regelmäßig kam ein „Inspektor“ vom Gesundheitsamt, sich davon zu überzeugen, dass die Quarantänemaßnahmen in meiner Familie eingehalten würden. Die waren derart gelagert, dass zwar meine Eltern das Haus für Arbeit und Einkaufen verlassen durften, meine Schwester und ich aber nur in unserem Kinderzimmer bleiben sollten. Und das Zugeständnis an meine Eltern – Arbeiten und Einkaufen – auch nur unter der Voraussetzung, dass dann eben Proben eingesammelt werden würden. Und nicht nur das – ich glaube, meine Mutter hat damals jeden Tag mindestens einmal die Waschmaschine anwerfen müssen. Ganz zu schweigen von dieser Sagrotan-Maßnahme. Ich weiß nur, dass ich damals ein schlechtes Gewissen hatte – das geschah alles meinetwegen. (Und danach war ich auch nicht mehr im Kindergarten …) 😉

Regelmäßig kam Herr Fischer-Voor zu uns. Ein freundlicher Mensch, und er war eigentlich ziemlich cool. Während meine Mutter die vier in adäquate Vorrichtungen gefüllten Stuhlprobenbehältnisse noch in einer Extrapackung in Gestalt einer Plastikverpackung verstauen wollte, sagte Herr Fischer-Voor nur: „Nein, alles okay!“ und steckte sich die vier Proben relativ „nackt“ völlig ungerührt in die Tasche seines Jacketts. Das Gesicht meiner Mutter werde ich nie vergessen! 😉

Herr Fischer-Voor war im Grunde immer pünktlich, und wenn er seinen Besuch angekündigt hatte, erreichte er meine Familie auch immer so, wie sie zu erreichen war, ganz nach Vorgabe. 😉

Nur einmal kam er unangekündigt. Da tobten Stephie und ich, die wir gemäß Auflagen des Gesundheitsamtes nicht nur das Haus, sondern sogar das Kinderzimmer nicht verlassen durften, mit Mama, die meinte, man könne Kinder doch nicht wochenlang in ein kleines Zimmer sperren (so die Vorgabe des Gesundheitsamtes: „Die Kinder dürfen das Kinderzimmer nicht verlassen!“), laut lachend quer durch die Wohnung, als es an der Tür klingelte. Mein Vater öffnete die Tür, und ich habe ihn nie wieder so laut und vermeintlich freudig den Besucher an der Tür begrüßen hören. 😉 So laut, dass auch Mama, Stephie und ich das hören konnten. Und sofort waren wir stumm, während wir meinen Vater sagen hörten, dass die Kinder leider gerade schliefen, als Herr Fischer-Voor angab, nachsehen zu wollen, ob die Kinder auch brav in ihrem Zimmer seien … Mein Vater hat irgendwie geschafft, dem Gesundheitsamt-Inspektor die vier Proben auszuhändigen, ohne dass dieser noch darauf bestand, „nach dem Rechten“ zu sehen. Mein Vater behauptete hinterher, es sei hart an der Grenze gewesen, gab allerdings auch zu, der Inspektor habe gegrinst. 😉

Ich habe das nie vergessen, denn das war einschneidend. In der Tat wurde man überwacht. Was mich derzeit stark verwundert, ist die Tatsache, dass es Menschen gibt, die sich allen Ernstes einbilden, unter Quarantäne zu stehen, obwohl doch nur eine Kontaktsperre besteht. Die finde ich auch unangenehm, da ich – unter anderem – meine Eltern nicht besuchen kann oder darf. Aber eine echte Quarantäne ist das nicht. Das ist noch viel krasser. 😉 Und so verstehe ich auch das vielerlei anzutreffende „Geheul“ nicht. Liebe Leute – ihr habt keine Ahnung, was Quarantäne wirklich bedeutet. 😉

Bleibt gesund und munter! 😊

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