Irgendwie lief in letzter Zeit nicht alles so geschmeidig. Tut es ja öfter, aber vielleicht nimmt man es in der Vorweihnachtszeit schwerer – ich weiß es nicht. Sollte denn nicht gerade in dieser Zeit alles besinnlich-muckelig sein? 😉
Immerhin ist zumindest mir nichts wirklich Schlimmes widerfahren – toi, toi, toi! Aber ein Bekannter von mir muss mit einer Trennung zurechtkommen. Das ist immer schlimm, wenn man im Grunde (noch) am Partner hängt. Kurz vor Weihnachten aber ist es die Hölle.
Es ist schon einige Jahre her, da musste ich diese wahrlich verzichtbare Erfahrung auch machen: Eine Woche vor Heiligabend teilte mein damaliger Freund mit, dass er „eine alte Flamme“ – so sagte er – wiedergetroffen habe, und nun gehe es halt nicht mehr. Gut, in der Beziehung hatte es bereits gekriselt, aber das war dann doch ein Schlag. Noch dazu, da er es mir bei der Arbeit sagte, direkt morgens. (Seither sehe ich Beziehungen mit Arbeitskollegen erheblich kritischer als vorher – man läuft denen danach unter Umständen tagtäglich über den Weg, und ganz gleich, von wem die Trennung ausging: Das ist nicht angenehm.)
Damals taumelte ich nach der Verkündigung des Status quo ziel- wie blicklos als erstes in die Teeküche, wo ich auf Lydia traf. Sie rief: „Ali! Hallo – na, wie geht es dir?“ Sofort brach ich ob der freundlichen Ansprache in Tränen aus, und Lydia sah mich erschrocken an, nahm mich sofort in den Arm und fragte mit gedämpfter Stimme: „Was ist passiert?“ Ich brachte schluchzend und stockend hervor, was passiert sei, und sie wurde wütend: „Warum das denn? Und wenn es schon so ist: Warum bei der Arbeit? Ist der bescheuert?“ Sie sah mich an und meinte: „Ali, wenn du möchtest: Ich gehe sofort zu ihm und sage ihm meine Meinung dazu! Schlimm genug, dass er das gemacht hat! Aber auch noch bei der Arbeit – ist der total bekloppt? Du musst jetzt hier achteinhalb Stunden sitzen – mit Publikumsverkehr! Und du darfst nicht einmal weinen! Der Typ hat sie doch wohl nicht mehr alle – wie unsensibel ist das denn?“
Ich drückte Lydia und meinte, sie solle das vielleicht besser nicht tun – schade eigentlich, und ich habe es hinterher bereut. 😉 Lydia meinte, falls ich meine Meinung ändern sollte: Sie säße bereit, denn das fände sie so arschig, dass sie es nicht einmal adäquat in Worte fassen könne. Und sie sah danach mehrfach nach mir, die ich wie gelähmt, aber so tränenlos an meinem damaligen Arbeitsplatz saß, dass nicht einmal Kollege Birger mitbekam, was passiert war. Einzig Giacomo, der mich überraschend gegen Mittag anrief, um zu fragen, wie es mir denn gehe und ob ich mich schon auf Weihnachten freue, sagte ich, was geschehen sei (da war Birger gerade essen), und er rief: „Wann machst du Feierabend? Du kannst unmöglich allein sein – das ist ja wohl der Hammer!“ – „Keine Ahnung, mir ist alles egal. Warum willst du das wissen?“ – „Weil ich dich abhole. Nein, keine Widerrede!“ – „Ich widerspreche doch gar nicht. Mir ist eh alles egal.“ – „Gut, dann stehe ich um 17 Uhr vor dem Gebäude deines Arbeitgebers. Oder soll ich dich im Büro abholen?“ – „Nein, ich komme raus. Aber wieso holst du mich ab – du arbeitest in Alsdorf und wohnst in der Nähe von Düsseldorf, und ich arbeite in Gelsenkirchen.“ – „Weil mir das leidtut und ich finde, dass dich wenigstens jemand abholen sollte, wenn du schon so einen Scheißtag hattest. Ich rufe an, kurz bevor ich ankomme. Gib mir bitte die Adresse.“
Gegen 17 Uhr wankte ich mit zitternden Knien aus dem Gebäude. Da stand Giacomo schon, nahm mich in den Arm und führte mich wie eine Invalidin zu seinem noblen Dienstwagen. Im Auto brach ich in Tränen aus und schluchzte: „Wir wollten Weihnachten doch zusammen feiern – ich wollte kochen. Er hat sich Wildschweinbraten gewünscht, und der ist auch schon bestellt! Und die meisten anderen Zutaten habe ich auch schon gekauft! Das kann ich jetzt alles wegschmeißen!“ – „Aber nein! Das kann man doch noch verwerten!“ Typisch Giacomo – er liebt Kochen und Essen. Wahrscheinlich würde er auch noch an Essen denken, wenn das Jüngste Gericht kurz bevorstünde. Er ist Italiener. Mir hingegen hatte es komplett den Appetit verschlagen.
Giacomo meinte: „Und wenn ich mal mit ihm spreche? Wir kennen einander ja recht gut.“ – „Ich glaube kaum, dass das etwas bringt.“ – „Ich versuche es trotzdem – ich kann nicht ertragen, dich so zu sehen! Mir bricht das Herz!“ (Das mag übertrieben klingen, aber Giacomo ist Italiener, und manchmal treffen Klischees zu. 😉)
Und er stieg aus und rief meinen Ex an. Ich sah, wie er via Handy auf ihn einredete und dabei wild und sehr energisch gestikulierte. Als er wieder einstieg, meinte er: „Und jetzt fahren wir los und kaufen einen Weihnachtsbaum!“ – „Was hat er denn gesagt?“ – „Ihr beide feiert zumindest Heiligabend zusammen! Das ist das Mindeste, was er tun sollte! Denk an das Wildschwein!“ Na, großartig … 😉
Wir fuhren los, kauften einen Weihnachtsbaum und viel Bier. Giacomo rief seine Freundin an und sagte, er müsse die Nacht durcharbeiten. Dahinter steckte nichts Böses, nur mochte sie mich nicht, und Giacomo wollte mich nicht alleinlassen, obwohl die übergroße Sorge unbegründet war. Mir war eh alles egal. Wir schmückten den Weihnachtsbaum und leerten dabei die eine oder andere Bierflasche.
Eine Woche später, es war Heiligabend, schob ich am späten Nachmittag einen Bräter mit dem Wildschweinbraten bei Niedertemperatur in den Backofen. Mein Ex öffnete eine Flasche Rotwein. Als nach der Vorspeise das Wildschwein und die Klöße nebst Beilage fertig waren, speisten wir durchaus diszipliniert, aber die drei Gläser Rotwein über Vorspeise und Hauptgang verteilt machten sich sehr unschön bemerkbar, als ich aus der Küche das Dessert holen wollte. Ich hatte die Woche davor kaum essen können, hatte diverse Kilos verloren und war darob recht geschwächt. Außerdem vertrage ich keinen Rotwein – aber mir war ja eh alles egal. Kurz: Mir wurde schwindlig, und ich stürzte wie ein gefällter Baum um, als ich die Türschwelle gerade überschreiten wollte. Immerhin bekam ich noch mit, dass mein Ex wie angestochen aufsprang und – offenbar besorgt – zu mir hechtete. Danach lag ich mit einem kalten, nassen Waschlappen im Gesicht auf der Couch, um die Blutung zu stillen, die aus einer Platzwunde über meiner Nase resultierte. O Gott! Wie bei Prolls! Mama sternhagelvoll – und das schon vor dem Dessert! 😉 Durchaus und absolut nicht üblich bei mir – daher auch die geschockte Reaktion meines Ex. Recht geschah ihm.
Mein Ex blieb über Nacht, schlief auf der Couch und machte sich am nächsten Tag grauenvolle Vorwürfe, als er meine zerbeulte Visage sah. 😉 Mir war eh alles egal – mein Leben vorbei. 😉
Abends machte er sich dann vom Acker, nachdem er mehrere mysteriöse Anrufe entgegengenommen und geführt hatte, und er gebot mir, sofort anzurufen, wenn es mir schlecht gehe. Ich lachte dreckig und fragte, ob ich ihn jetzt gleich und sofort anrufen solle oder erst, wenn er schon weg sei … Eine Standleitung vielleicht …?
Ich bereute sehr, Weihnachten nicht bei meiner in Sachsen lebenden Schwester verbracht zu haben, wo auch meine Eltern zu Besuch aus NRW waren, und der Rest des ersten sowie der zweite Weihnachtstag gehören bis heute zu den schlimmsten Tagen, die ich überhaupt je erlebt habe. Hätten Giacomo und Richie, der inzwischen auch im Bilde war, mich nicht mehrfach angerufen, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen, wäre es noch schlimmer gewesen.
Am zweiten Feiertag riefen meine Eltern aus Sachsen an und legten mir nahe, doch Silvester nach Dresden zu kommen – da wäre ich wenigstens nicht allein. Ich solle sofort einen Hin- und Rückflug buchen. Da es in der Tat das Vernünftigste war, das ich zu dem Zeitpunkt tun konnte, setzte ich mich an den PC und buchte …
Und am 28., als ich gerade einmal mehr düsteren Gemüts blicklos auf den Bildschirm des Fernsehers starrte, klingelte mein Telefon. Giacomo war dran, und er sagte: „Was machst du gerade?“ – „Ich sitze hier herum …“ – „… und deine Gedanken kreisen, und du bist wahrscheinlich nicht zurechtgemacht?“ – „Wozu auch?“ – „Du machst dich jetzt fertig. In einer Stunde bin ich bei dir und hole dich ab.“ – „Wohin?“ – „Zu mir.“ – „Aber das wird Sylvana nicht passen.“ – „Doch. Es tut ihr leid, was dir passiert ist – sie findet das auch nicht schön. Ich hole dich ab, und dann koche ich etwas. Du hast doch, wie ich dich kenne, sicher noch nichts gegessen.“ – „Das ist vergebliche Liebesmühe – ich bekomme eh nichts hinunter.“ – „Ah, komm, etwas Pasta geht immer. Du machst dich jetzt fertig – in einer Stunde stehe ich vor der Tür! Pack etwas für die Nacht ein – heute kommst du nicht mehr nach Hause.“
Sylvana nahm mich in den Arm, als wir in der Nähe von Düsseldorf ankamen, zog sich dann aber dezent zurück, und Giacomo kochte für mich Strozzapreti („Die magst du doch so gerne!“) mit einer wunderbaren Pilz-Tomatensauce. Er gab sich solche Mühe, aber ich konnte kaum etwas essen und brach erneut in Tränen aus. „Nicht weinen! Hier – etwas Weißwein! Und deine Nase sieht doch auch gar nicht so schlimm aus. Gar nicht so geschwollen, wie du behauptet hast. Nur bist du erschreckend dünn geworden – versuch doch noch einmal von der Pasta! Komm, nur ein bisschen!“
Da ich nicht nur nicht essen, sondern auch nicht schlafen konnte, schlug sich Giacomo die Nacht mit mir um die Ohren, und wir redeten und hörten Musik. Und am nächsten Tag bekam ich Kaffee an die Couch geliefert, und am späten Nachmittag fuhr mich Giacomo nach Hause. „Wenn es dir schlecht geht, rufst du sofort an!“ gebot er mir.
Silvester war ich dann in Dresden und litt dort ebenso wie zuvor – nur mit mehr Leuten um mich herum, die mich abzulenken trachteten. So richtig gelungen ist es ihnen nicht, aber ich fand rührend, dass sie es versuchten, und ich gab mir große Mühe.
Am besten gelang die Ablenkung übrigens dem Hund, der den Vermietern meiner Schwester und meines Schwagers gehörte: einer Colliehündin. Am Silvesterabend hatte sie, die offenbar sehr kommunikativ und menschenfreundlich war, an der Wohnungstür gekratzt, war eingelassen worden und hatte alle Anwesenden freundlich begrüßt. Meine Mutter wusste zu berichten, dass sie bereits Heiligabend dagewesen sei, um ihr Weihnachtsgeschenk zu präsentieren: ein Stofftier, einen kleinen Fuchs aus Plüsch, den sie stolz allen Anwesenden zeigte, indem sie rund um den Tisch schritt und das Plüschtier jedem präsentierte! 😉
Bei mir blieb sie Silvester länger, sah mich lange an, setzte sich neben mich, legte mir die Schnauze aufs Knie und leckte wiederholt meine Hand. Und am nächsten Tag begegnete ich ihr im Garten, wo sie mich freudig begrüßte und mich dazu animierte, mit ihr Fangen zu spielen. In einer kurzen Pause ging ich vor ihr in die Knie, um sie zu streicheln, und sie legte mir eine Vorderpfote auf den Arm, sah mich an und leckte mir über die Nase. Offenbar spürte das Tier, dass hier Ansprache dringend vonnöten war. 😊 Am liebsten hätte ich es mitgenommen, als ich nach Hause reiste. 😉
Ich hatte hervorragende Unterstützung damals, und ich habe das Ganze auch überstanden. Es war scheußlich, aber ich bin noch heute ganz gerührt, wenn ich daran denke, wie sich -zig Leute, darunter gar ein Hund, bemüht haben. 😉 Und heute greife ich mir an die Stirn, wenn ich an diese exorbitante Trauer denke – im Grunde war es verschwendete Energie gewesen, aber das weiß man ja immer erst später. Nicht, wenn man jemanden noch liebt. Erst hinterher fragt man sich oft, warum eigentlich. Aber das braucht seine Zeit. 😉
Dennoch – und wenn Trennungen immer Scheiße sind – sollte man sich nicht gerade kurz vor Weihnachten trennen. Das macht alles noch schlimmer. Ich weiß, wovon ich spreche. Zum Glück aber kann mir das derzeit immerhin nicht passieren. Wenn es nur solche Petitessen sind, wie sie mir kürzlich passiert sind, ist es nicht so schlimm.
Euch ein schönes Weihnachtsfest ohne Stress, Streit oder gar Trennungen! 😊