It’s slippery …

Heute war der Betriebsausflug meines Arbeitgebers, und da hatte ich zunächst partout nicht mitgewollt. Warum?

Nun – es ging in eine Skihalle in einer der Nachbarstädte, und wenn ich auch so manche Dinge beherrsche: Skifahren gehört leider nicht dazu. Beileibe nicht. Ich würde es gerne können, keine Frage, aber ich habe wohl zu viel Schiss. Ich erinnere mich an zwei Gelegenheiten, da ich als Kind Skier unter den Füßen gehabt hatte. Skilehrer: mein Onkel. Zumindest beim ersten Mal. Es endete in Tränen und mit blauen Flecken. Beides auf meiner Seite. Und mein Onkel monierte noch, ich hätte mich nicht an seine Anweisungen gehalten. Ich war noch klein und verunsichert. Wäre ich schon größer und wortgewandter gewesen, hätte ich sicherlich gelacht und gesagt: „Ja, können vor Lachen! Alles, was ich tat, wurde direkt in Zweifel gezogen und gleich lautstark als völlig beknackt kommentiert. Vor Publikum. Wie soll man da noch mit echtem Vertrauen loslegen!“ Mein Onkel war ein hervorragender Skifahrer, und als Kind dachte ich: „Alles, was du hier machst, ist der totale Schwachsinn – Onkel Christoph sagt es ja auch!“

Kurze Zeit darauf der nächste Versuch – diesmal mit meiner Mutter als Skilehrerin. Endete leider nicht besser als Versuch No. 1.

Und so beschloss ich, den diesjährigen Betriebsausflug nicht mitzumachen. Aber eine Kollegin überredete mich: „Sieh mal – du bekommst einen Skikurs! Das ist doch toll! Wann ergibt sich schon einmal so eine Gelegenheit?“ Irgendwie einleuchtend. Und auf dem letzten Drücker meldete ich mich an, zusammen mit einer anderen Kollegin, die auch nicht so recht wusste …

Übrigens hat sich die Kollegin, die uns beide überredet hatte, letzten Endes anders entschieden und kam dann heute doch nicht mit … Na warte! 😉

Wir waren auch gar nicht so viele, wie sich herausstellte, als ich einen der Koordinatoren anrief, weil ich gern wissen wollte, wie viele andere Kollegen an dem mir bevorstehenden Skikurs teilnehmen würden. Es waren sehr wenige Teilnehmer generell …

Am heutigen Morgen fuhr ich recht früh los, und das mit dem ÖPNV. Besser nicht mit dem Auto, denn ich habe laut einigen Leuten ohnehin schon einen Bleifuß. Wie erst würde sich der Bleifuß machen, wenn er noch von einem stattlichen Gipsverband ummantelt wäre? 😉 Und mein Auto im schlimmsten Falle dort stehenlassen? Nein. Ich gebe zu, das ist etwas übertrieben. Ich fuhr mit dem ÖPNV, weil ich ja gegebenenfalls noch ein oder zwei Biere trinken wollte. 😉

Unterwegs traf ich meine frühere Flurkollegin Brigitte, der ein Snowboard-Kurs bevorstand. Skifahren kann sie. Wir versicherten einander, dass wir wohl beide vom Wahnsinn angefallen wären, und ich meinte: „Du kannst ja wenigstens noch umswitchen, falls das Snowboard nichts für dich sein sollte. Ich kann nur auf Après-Ski umswitchen.“ Brigitte lachte und meinte, Après-Ski sei aber doch auch schön, und falls ich den Skikurs wirklich nicht bis zum Ende mitmachen würde, wäre das beileibe keine Schande. Aber sicherlich würde ich auf den Geschmack kommen. Ich nickte und lächelte, aber in meinem Hinterkopf rief ein kleines, aber garstiges Stimmchen hämisch: „Ja, klar! Das ist sehr wahrscheinlich. Hahahaha!“

Und so langten wir an der Skihalle an. Genauer: an der Talstation. Zum Glück fährt dort ein Förderband bis zur Bergstation, und Brigitte sprang gleich fröhlich darauf, wankte zwar ein paarmal, hatte dann aber einen festen Stand gefunden. Ich sprang auch todesmutig hinauf, wankte und schwankte, aber zum Glück gab es ja einen Handlauf … Leider endete der nach wenigen Metern, und das Förderband war recht schmal … Nach etwa sechs, sieben Metern sprang ich wieder hinunter und legte den Weg bis zur Bergstation per pedes zurück. Erheblich langsamer als Brigitte war ich dabei nicht, aber es war erheblich anstrengender.

Dann standen wir in der Sonne, die bereits morgens ziemlich brannte, und wir beobachteten verschiedene Kollegen, die gerade bequem mit dem Auto anfuhren. Meine zunächst ebenfalls unentschlossene, dann überredete Kollegin, die mir Handschuhe mitbringen wollte, da ich unter dem seltsamen Phänomen leide, dass ich Handschuhe grundsätzlich verliere oder verbasele, besser gesagt: meist nur einen davon, hatte per Whatsapp geschrieben, sie sei aufgehalten worden und komme später. (Sosehr ich meine Kollegin mag: In dem Moment hoffte ich, sie möge erneut aufgehalten werden und dann schreiben, dass sie es leider nicht schaffe: Denn ohne Handschuhe darf man nicht auf die Piste … Ich wünschte nichts Schlimmes, ich mag meine Kollegin sehr, aber so ein klitzekleiner Fall von höherer Gewalt …? Nichts Schlimmes, nur ein temporär nicht anspringender Motor – natürlich reversibel und ohne Werkstattbesuch! So unter dem Motto: „Ich kann mir das auch nicht erklären – der springt doch immer an! Tut er auch jetzt wieder! Wie verhext!“ 😉 )

Doch dann traf sie ein – mit Handschuhen für mich. Und schon ging es los …

Zunächst erhielten wir einen nicht zu vernachlässigenden Teil der für den Ausflug berappten Summe zurück: Der Chef hatte netterweise subventioniert, und da nur so wenige sich angemeldet hatten, bekamen wir einiges zurück. Ich nehme an, das machte mir meine spätere Entscheidung auch etwas leichter. 😉

Dann hieß es: Umziehen! Ich gab zu bedenken, dass ich eine Skihose und -jacke brauchte und mich gewiss nicht vorab umziehen und dann in meinem Unterzeug auf den „Laufsteg“ treten würde. Ich war zum Glück nicht die Einzige. Ein Kollege aus meiner Abteilung benötigte ebenfalls eine Skihose, und so gingen wir zur Kasse zurück, erhielten einen Bon, und auf Nachfrage erstellte man uns anderweitig einen Bon für einen Helm. Und schon ging es zur Ausleihe, wo der Kollege alsbald eine Hose, ich Jacke wie Hose erhielt. Kaum umgezogen, raste ich los, mir Skischuhe zu leihen.

Als ich mir die Skischuhe genauer ansah, fragte ich mich, ob meine ernsthaft vorgetragene Antwort auf die Frage nach meiner Schuhgröße wirklich gut gewesen sei. Die 38 sah verdammt klein aus, und ich war schon knapp in der Zeit. Keine Frage: Die Größe war richtig, aber als ich damit bei meinen Kolleginnen Stine und Jana ankam, meinten die beiden: „Viel Spaß! Es ist schon eine Herausforderung, die Dinger anzuziehen.“ Und es stimmte: Es war eine Herausforderung! Jeder, der regelmäßig Ski fährt, wird lachen, aber blutige Anfänger wie ich fühlen sich bereits zum Zeitpunkt, da sie diese „Biester“ von Schuhen fest – und festverschlossen – an den Füßen haben, als hätten sie bereits einen Viertel-Arbeitstag hinter sich. 😉  Immerhin war die 38 goldrichtig. Nur das Laufen in den klobigen Tretern war gewöhnungsbedürftig, und ich fühlte mich, als sei ich einige Entwicklungsstufen zurückgeworfen worden: Vom homo erectus zu einer Stufe, da man erheblich gebeugter ging.

Noch rasch die Skier und einen Helm ausgeliehen, und schon standen wir vor der Skischule. Da rann der Schweiß bereits …

Die Skilehrerin tauchte alsbald auf und zeigte uns den aufrechten Ga.. – nein. Sie zeigte uns, wie man Skier richtig trägt. Und so schleppten wir das Material gen Piste, eigneten uns unterwegs noch Skistöcke an, und los ging es! (Da hatte ich bereits den Eindruck, dass ich völlig fehl am Platze sei. Und: Ich tendiere zu teils unberechenbarem Umknicken in den Fußknöcheln. Würde ich mit diesen Schuhen, die ein Umknicken eigentlich vermeiden sollen, aufgrund meiner blöden Knöchel dennoch umknicken, wäre sicherlich gleich der entsprechende Knöchel durch. Kurz: Richtig wohl fühlte ich mich nicht, als ich in etwa derselben Gangart wie der erste Mensch auf dem Mond gen Piste schritt. Nein, eher „eierte“.)

Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, und ebenso setzte ich meine beiden Betonfüße auf die Piste, als auch schon – huiii! – ein offenbar durchaus versierter Skifahrer derart an mir vorbeisauste, dass sogar meine durch den Helm fixierten Haare noch wehten! Das gab mir bereits fast den Rest, aber tapfer eierte ich in das Terrain, in dem verschiedene Kleinstkinder geschult wurden und erheblich besser fuhren, als ich je in der Lage sein werde. 😉

Unsere Skilehrerin brachte uns bei, wie die Skier anzuziehen seien. Mit entsprechendem Druck klappte es, und der Völkl-Ski saß wie einbetoniert an meinem „Betonschuh“. Völlig unpassenderweise schoss mir durch den Kopf: „Diese Kombination aus ‚Betonschuh‘ und erstaunlich schwerem Objekt darunter würde den Einsatz echter Mafia-Betonschuhe überflüssig machen. Wieso ist die Mafia noch nie darauf gekommen? Würde man mich in dieser Montur in den Rhein werfen, naja …“

Dann lernten wir, den Ski wieder vom Schuh zu lösen. Das Gleiche dann mit der anderen Seite. Und danach folgten ein paar nette gymnastische Übungen, die ohne die beiden Gewichte am Fuß erheblich leichter gefallen wären. Dann mussten wir mit je nur einem Ski, den Stöcken und dem unbe-ski-ten Betonfuß eine größere Runde fahren. Anschließend Fußwechsel. Und als ich gerade auf der linken Seite mit dem Ski versehen los“stochen“ wollte, was mir – ich bin offenbar auch kein Linksfüßer – ohnehin schwerer fiel, raste erneut ein offenbar versierter Skifahrer an mir vorbei. Haarscharf und für mein Gefühl etwas zu dicht.

Und da ist wohl irgendetwas passiert. Jedenfalls löste ich – erstaunlich versiert – den Ski von meinem Skischuh, lächelte die Skilehrerin an und sagte: „Ganz herzlichen Dank – Sie haben das total toll gemacht. Nur ich bin hier falsch und werde die Skier jetzt zurückbringen. Ich würde Sie ohnehin nur aufhalten.“ – „Aber nein!“ – „Doch, doch. Aber vielen Dank.“

Irgendwie habe ich viel zuviel Schiss, wenn es ums Skifahren geht. Als ich mit den Skiern abzog, fühlte ich mich wie eine komplette Versagerin. Und ich bin mir sicher, um mich herum dampfte es, als ich den Helm abnahm – wahrscheinlich verdunstete der Angstschweiß. 😉 Aber tapfer und über mich selber Witze machend retournierte ich das Material. Immerhin hatte ich eine halbe Stunde durchgehalten! 😉

In der Umkleide warf ich einen Blick in meinen Taschenspiegel: Ich sah aus, als käme ich aus einem Nahkampf! Meine Haare hingen herum, als wäre ihre Hauptaufgabe, die Trägerin möglichst unvorteilhaft aussehen zu lassen – zum Glück hatte ich eine Bürste dabei. Überhaupt schwitzte ich auf Teufel, komm raus. Erst einmal die Schuhe loswerden, was schwer genug war. (Nicht, dass doch noch jemand kam, der mich in den nächsten Tümpel werfen wollte! 😉 ) Dann aus Skihose und
-jacke gepellt. Das Unterzeug vom Leib gerissen, atmete ich auf – Luft! 😉 Und nach gefühlt einer Stunde – es waren realiter 10 Minuten – brachte ich noch die Skischuhe und -kleidung weg.

Dann gesellte ich mich zu einigen Kollegen, die gleich so schlau gewesen waren, das „Sommerpaket“ zu buchen. Immerhin saßen wir draußen im Biergarten, und es war sehr lustig. Warum hatte ich mich nicht gleich für diese Möglichkeit entschieden? 😉

Ich muss bei alldem sagen, dass meine Skikurs- und auch diverse andere Kollegen sehr nett waren, denn sie meinten, dass ich es doch immerhin versucht hätte. Ja, das stimmt. Ich kam mir trotzdem doof vor. 😉

Es war trotz allem ein netter Betriebsausflug, und ich war sehr erstaunt, wie viele Kollegen ich noch gar nicht kannte. Bei entsprechend großer „Firma“ lernt man einige erst beim Betriebsausflug kennen. 😉

Skifahren werde ich wohl in diesem Leben nicht mehr lernen. Schade. Lieber setzte ich mich auf ein mir unbekanntes und hibbeliges Pferd. 😉

Under pressure …

Ganz bald ist wieder einer jener Tage, auf die ich mich als Kind, Jugendliche und junge Erwachsene noch sehr gefreut habe. Mein Geburtstag. Heute sehe ich diesem Tag – wie auch dem letzten Tag des Jahres – mit eher gemischten Gefühlen entgegen.

Bis zum 25. – strenggenommen dem 26., wenn man den allerersten Geburtstag, den im Kreißsaal, mitzählt – war das für mich in der Tat ein Freudentag, und ich weiß aus verlässlicher Quelle, dass ich mit dieser Einschätzung nicht allein dastehe. Ab da wird alles ein bisschen anders. 😉 Die böse 3 an erster Stelle lauert in einer dunklen Toreinfahrt, und man fragt sich, wie es eigentlich komme, dass die Jahre als Kind so unendlich lang erschienen und diese Wahrnehmung nun plötzlich ganz anders ist. Alles scheint irgendwie schneller zu gehen. Das ist zwar völlig subjektiv, aber es ist doch nicht von der Hand zu weisen.

Das betrifft nicht nur Zeitliches. Auch räumliche Aspekte sind davon betroffen. Als ich das erste Mal nach Jahren die Straße, in der ich ab meiner Geburt bis zum vierten Lebensjahr lebte, wiedersah, war ich verblüfft: Diese Straße war mir als Kleinkind stets wie ein breiter Boulevard vorgekommen, – gut, vielleicht nicht ganz wie eine echte Prachtstraße, denn sie befand sich schließlich im „Pott“ und mittenmang in Gelsenkirchen -, doch was ich im wahnsinnig erwachsenen Alter von 17 Lenzen sah, war eine sehr provinziell anmutende, schmale Straße. Sehr ernüchternd. Gut, es mag daran liegen, dass man selber ja wächst, aber mit 165 Zentimetern vom Scheitel bis zur Sohle bin ich ja nun nicht wirklich das, was man hochgewachsen nennt. 😉

Den Dreißigsten ging ich mit einer Gelassenheit an, dass die Menschen, die mich kannten, bass erstaunt waren. Sie kannten mich als Hibbel. Als Menschen, der sich stets irgendwelche Gedanken macht, nicht selten nervös. Doch ich blieb ruhig und äußerte auf Nachfrage nur ganz abgeklärt: „Ach, nein, ich fürchte mich nicht vor der 30. Zumal ich es ja eh nicht ändern kann, nicht wahr?“ Und dann lachte ich. Kurz vor meinem Geburtstag tönte mein Lachen dann allerdings zunehmend hektisch – ich gebe es zu. 😉

Ich hatte abends vorher in die Studentenkneipe in Aachen geladen, in der ich gejobbt hatte, denn ich wollte hineinfeiern. Drei Stichfässer Bier vorbestellt, und das ganz abgeklärt. Ich war ganz ruhig und staunte über die interessiert-besorgten Nachfragen, ob ich denn keine Panik hätte. Warum Panik? Alles gut!

Und so war es auch. Der Abend superentspannt. Ha! Ihr Angstmacher! Und ich lachte über die anderen, die mich offenbar völlig falsch eingeschätzt hatten. Und so blieb es auch.

Bis exakt 23:30 h. Ab diesem Zeitpunkt war ich nicht mehr ich selbst. Ich starrte auf die Wanduhr, als hinge mein Leben davon ab. Obwohl das falsch ist, da es ja noch eine gewisse Aktivität erfordert hätte. Ich aber war wie gelähmt. Ich merkte zwar, wie um mich herum plötzlich Hektik ausbrach – etwa gegen 23:45 h -, aber mir war alles egal. Ich fühlte mich, als stünde ich an meinem eigenen Grab. Ich sah zwar noch, wie Christina – sie war barfuß, wie ich noch wahrnahm, aber nicht einmal staunte, da man in Trance des Staunens offenbar nicht fähig ist – wie von der Tarantel gestochen plötzlich rennend die Kneipe verließ und dabei schrie: „Wartet auf mich! Ich komme gleich wieder!“. Aber irgendwie berührte es mich nicht. Das ging mich doch gar nichts an – zumindest fühlte es sich so an.

Um 23:55 h war Christina wieder da, hielt etwas in der Hand, und alle scharten sich um sie und Tisch 2. Sie schienen etwas zu unterschreiben. Völlig wurscht. Ich blickte lieber wieder auf die Uhr, die gnadenlose.

Um 00:00 h jubelten dann alle los, sangen, und alle wollten mich gleichzeitig drücken, während ich mühsam die Tränen unterdrückte. Sie überreichten ihr Geschenk mitsamt der Geburtstagskarte, die sie ganz vergessen hatten, Christina jedoch nicht, die sie auf dem letzten Drücker noch aus ihrer Wohnung geholt hatte. Sie hatte sie besorgt, weil sie besorgt gewesen war, dass niemand daran gedacht haben könne – zu Recht. Ich drückte sie besonders fest, und das, obwohl wir nie die besten Freundinnen gewesen waren. Aber es berührte mich, dass sie daran gedacht und dann extra losgerannt war. Vielleicht stand ich auch unter Schock. 😉

Und dann wurde es doch ein ganz normaler und sehr netter Geburtstag. Naja – bis auf den nächsten Morgen, als ich von einem kleinen Mädchen als „alte Frau“ bezeichnet wurde … 😉 Kam nicht so gut. 😉

Beim überübernächsten Geburtstag lebte ich bereits in Ratingen, und an jenem Tag fuhr ich mit meinem damaligen Freund zu meinen Eltern. Ein sehr warmer Tag, und wir verbrachten ihn bei gutem Essen im Garten. Nach einer wilden Party stand mir nicht der Sinn, und es war sehr schön so. Abends fuhren wir wieder zurück, über Essen Hbf. Die S6 mal wieder leicht verspätet – aber was erwartet man von der S6 Richtung Köln … 😉

Als wir wartend am Bahnsteig standen, unweit einer der Treppen, die auf den Bahnsteig führen, bekam ich mit, wie eine kleine, zierliche Frau sich die Treppe hochschleppte. Sie war hochschwanger, und das augenscheinlich so sehr, dass sich ihr Bauch schon wieder absenkte. Ich kenne mich damit mangels eigener Erfahrung nicht so aus, aber eines war mir klar: Die Frau stand kurz vor der Niederkunft! Ich machte Henrik aufmerksam, aber der meinte: „Sie wird schon wissen, was sie tut. Das geht uns nichts an.“ Ich könnte mich noch heute ohrfeigen, dass ich mich wieder abwendete! „Das geht uns nichts an“ ist eigentlich gar nicht meine Einstellung, und ich verstehe mich bis heute nicht. Das geht mir heute noch nach. Hätte ich besser reagiert, wäre der armen Frau einiges erspart geblieben, und man hätte sich direkt im Essener Zentrum um sie gekümmert.

Stattdessen stieg sie wie wir in die S6, als diese endlich eingefahren war. Sie saß wenige Meter vor uns, als sich die Türen schlossen. Henrik las in einem Buch, und ich hielt meine Augen auf die Frau gerichtet, die sich in einem Vierersitz halb hinlegte, als die Bahn auch schon ruckelnd anfuhr. Die Frau schrie laut auf, und ich sagte: „Um Himmels willen, Henrik – die arme Frau! Die hat wirklich Wehen! Wir müssen etwas tun!“ – „Was sollen wir denn tun?“

Ich erhob mich von meinem Sitz, um zur Frau zu laufen, als auch schon eine andere Frau hinstürzte. Offenbar eine Landsmännin, denn sie konnte sich mit der werdenden Mutter verständigen. Ich lief ebenfalls hin und sah, wie sich die werdende Mutter hochstemmte. Sie wollte sich hinstellen, aber ich rief: „Nicht aufstehen! Um Himmels willen! Sagen Sie ihr bitte, dass sie nicht aufstehen darf! Sonst kommt das Baby noch hier in der S-Bahn – und es ist hier doch so schmutzig! Das ist keine Umgebung dafür, ein Kind zur Welt zu bringen. Übersetzen Sie ihr das, bitte!“ Und zusammen mit der anderen Frau gelang es dann, die werdende Mutter wieder halb liegend zu plazieren. Es muss furchtbar für sie gewesen sein, und an mir nagte das schlechte Gewissen.

Die andere Frau meinte: „Bleiben Sie bei ihr? Ich renne los und suche den Sicherheitsdienst. Die müssen einen Rettungswagen rufen – sie muss sofort in ein Krankenhaus!“ – „Ja, sicher, ich bleibe hier!“ Und während die andere Frau losrannte, blieb ich bei der werdenden Mutter und redete vorsichtig und beruhigend auf sie ein, hielt sie fest, da sie erneut aufspringen wollte. „Nein! Nicht aufstehen!“ rief ich und schüttelte beschwörend meinen Kopf. Da kam auch schon die andere Frau mit den beiden Security-Leuten zurück.

Einer davon war schon etwas älter, und er schien sich auszukennen: „Sie darf nicht aufstehen! Das Baby kommt sonst noch hier während der Fahrt! Und es ist doch hier so schmutzig!“ Und sein jüngerer Kollege, aufgrund des Szenarios recht blass um die Nase, rief: „Ich gebe dem Lokführer Bescheid, dass er die Feuerwehr ruft!“ Wuuusch, war er weg, während drei Leute sich um die werdende Mutter kümmerten. Ich hatte in meiner Tasche noch ein Päckchen Feuchttaschentücher gefunden, fast leer, aber zwei Tücher waren noch darin. Damit wischten die andere Frau und ich der armen werdenden Mutter über die Stirn und die Handgelenke. Sie schrie jedes Mal, wenn die S-Bahn bremste oder wieder anfuhr, gellend – die andere Frau und ich hatten die Tränen des Mitgefühls in den Augen stehen. Richtig helfen konnten wir nicht, aber wir hielten schließlich beide Hände der werdenden Mutter, und sie drückte bei jedem Brems- und neuerlichem Anfahrvorgang so fest zu, dass ich dachte, sie würde uns die Handknochen brechen.

Und so passierten wir nach Essen-Süd auch noch Essen-Stadtwald und Essen-Hügel. Es kam mir so vor, als fahre die S6 erheblich schneller als sonst. So rasten wir gen Essen-Werden und hielten schließlich dort im S-Bahnhof. Es waren bereits Martinshörner zu hören, man sah den Widerschein von Blaulicht, und dann sahen wir einen RTW und einen Notarztwagen heranrasen. Der Lokführer hatte den Rettungsdienst nach Essen-Werden bestellt, da dies der erste S-Bahnhof nach dem Hauptbahnhof war, da der Rettungsdienst quasi neben den Gleisen halten konnte.

Wir waren in einem der vorderen Wagen, der Rettungsdienst stand weiter hinten, und während der Security-Mitarbeiter sich darum kümmerte, die werdende Mutter, die immer massiver aufstehen wollte, festzuhalten, rannte ich zur Tür, öffnete sie und stellte mich hinein, dabei beide Arme schwenkend und schreiend: „Hierher! Hier ist der Notfall!“

Und da schepperten sie mit ihrem Equipment heran – es erinnerte mich an die „Blechbüchsenarmee“ aus zwei Stücken der Augsburger Puppenkiste. 😊

Die Notärztin war sehr lieb zu der Frau, die inzwischen verzweifelt weinte. „Wo ist der Vater?“ fragte sie schließlich, und die werdende Mutter weinte und sagte mühsam: „Nix Vaterrr. Weg!“ – „Wir bringen Sie jetzt erst einmal ins Krankenhaus, machen Sie sich keine Sorgen.“

Und schon stand eine fahrbare Trage im Einstiegsbereich, man half der armen Frau vorsichtig auf die Füße, und mir kamen die Tränen, als sie ihre Schuhe ausziehen wollte, als man ihr auf die Trage half. „Nein, lassen Sie die ruhig an,“, sagte die Notärztin und strich der Frau über den Arm, aber die meinte: „Schmutz!“ – „Das macht nichts.“

Die andere Frau, die sich besser mit ihr verständigen konnte, meinte sofort: „Ich fahre mit – sie versteht und spricht kaum Deutsch.“ Und schon wurde die Trage zur Tür geschoben. Die werdende Mutter sah mich noch an, nickte mir zu und hob leicht ihre Hand. Ich winkte ihr zu und sagte zu der Begleiterin: „Sagen Sie ihr bitte, dass ich ihr die Daumen drücke und ihr alles Gute wünsche. Auf den Tag genau vor etlichen Jahren bin ich genau hier zur Welt gekommen – vielleicht sogar im selben Krankenhaus wie ihr Kind. Es wird sicher alles gut! Ich bin auch gut zur Welt gekommen. Vielleicht beruhigt sie das.“ – „Ach, das ist ja klasse – das sage ich ihr! Alles Liebe und danke!“

Und schon waren sie aus der Bahn und auf dem Weg zum RTW, der auch kurz darauf losraste.

Mich hat das damals ziemlich berührt, und ich denke jedes Jahr an meinem Geburtstag daran. Auch daran, dass ich eher hätte reagieren können. Und sollen.

Ich habe mir damals geschworen, nur noch auf mein Bauchgefühl zu hören, wenn ich so etwas sehe. 😊

Euch ein schönes Wochenende, und ich werde meinen Geburtstag – kein runder – sicherlich gut überstehen. 😉