Irgendwie hatte ich für die italienische Sprache schon immer ein Faible. Schon von relativ klein auf. Keine Ahnung, woher das kam, aber ich vermute, dass meine Vorliebe für diese Sprache dazu führte, dass ich mich in der siebten Klasse für Latein statt Französisch entschied, als es um die zweite Fremdsprache nach Englisch ging. Italienisch ist da naturgemäß und aufgrund seiner historischen wie geographischen Lage ja ziemlich nahe dran. 😉 (Gut, wenn man Französisch beherrscht, sind auch ziemlich viele italienische Begriffe gleich klar – sind halt beides romanische Sprachen, die mehr oder minder direttamente aus dem Lateinischen stammen. 😉)
Ich vermute fast, dass ich von dieser Sprache schon als kleines Kind so fasziniert war, da Mama, Stephie und ich, als ich noch ziemlich klein war, so oft mit dem Zug – einem D-Zug – in Mamas Heimat nach Franken fuhren, wenn Ferien waren. Das hat zwar mit Italien nicht so viel zu tun, aber im Zug standen Anweisungen damals immer in vier Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch und … Italienisch. Da stand zum Beispiel: „Non sporgersi dal treno!“ Und das versehen mit diversen Warnzeichen, die ich auch als Kind schon kannte. Oder: „Non aprire la porta prima che il treno si ferma!”. Das las sich wie eine Geheimsprache. 😊
Ich fragte meine Mutter, ob sie das mal vorlesen könne – sie las es mit dem ihr eigenen fränkisch gerollten Zungenspitzen-R, sehr gekonnt und als hätte sie von klein auf Italienisch gesprochen (meine Mutter spricht Hochdeutsch, Englisch, Französisch – und Fränkisch, weswegen sie „China“ und „Chemie“ auch mit einem K anlauten lässt und nicht mit einem Sch oder dem normalen Ich-Laut.) Ich war fasziniert – diese Sprache klang so schön. Und schon war ich angefixt. 😉
Und das blieb lange Zeit so, und als es aufs Abitur zuging, überlegte ich, ob ich nicht Romanistik studieren sollte. Mit Französisch als erster Sprache und dem noch zu erlernenden Italienisch als zweiter. Mit einem Französisch-LK wäre das auch kein Problem gewesen, aber irgendwie reizte mich Französisch als Hauptsprache nicht so. Und so studierte ich lieber Anglistik.
Dem Italienischen blieb ich jedoch treu, denn ich belegte an der Uni zusammen mit einer Kommilitonin einen Italienischkurs. Auf diese brillante Idee waren außer uns beiden auch noch 98 andere Studis gekommen, und so war es gut, dass wir zur ersten Kursstunde recht früh da waren, denn so bekamen wir immerhin noch Sitzplätze in diesem Hörsaal im Rogowski-Institut an der Schinkelstraße in Aachen. Diejenigen, die später kamen, mussten auf den Treppenstufen oder Fensterbänken Platz nehmen oder gar stehen. Aber wo auch immer wir saßen oder standen: Wir harrten gespannt der Ankunft der Dozentin, die als Dottoressa Nicoletta Vianelli im Vorlesungsverzeichnis stand. Alle hatten irgendwie eine bestimmte Vorstellung von einer italienischen Dozentin.
Und die, die eine besonders klischeehafte hatten, wurden nicht enttäuscht, denn die dottoressa kam nicht nur zu spät, sondern auch noch extrem schwungvoll in den Hörsaal! Sie schritt nicht, nein, sie hechtete quasi hinein und warf funkelnde Blicke mit einem strahlenden Lächeln um sich. Von den fünfzig Prozent der männlichen Kursbesucher war mindestens die Hälfte sogleich rettungslos in sie verliebt! 😉
Sonja raunte mir ins Ohr: „O Gott! Die ist ja extrem energisch! Sicher nimmt die uns dauernd ungefragt dran, wenn wir gerade überhaupt nichts begriffen haben!“ Ich befürchtete zwar das Gleiche, meinte aber: „Ach was, die ist doch nett! Sieh nur, wie fröhlich sie uns alle anlächelt!“ Und ich versuchte, dieses diabolische Funkeln in der Dozentin Augen zu verdrängen. 😉
Glücklicherweise saßen wir in einer der hinteren Reihen, denn nach einer kurzen Vorstellung („Mi chiamo Nicoletta Vianelli e io sono di Mantova!“) schleuderte sie uns auch schon die erste Übung um die Ohren, die von der ersten Reihe sogleich exerziert werden sollte, und das nach Möglichkeit correttamente, per favore! 😉 (Wir saßen in Reihe 7, und so raunte ich Sonja ins Ohr: „Wie gut, dass wir nicht ganz so früh da waren – bis die an Reihe 7 gekommen ist, beherrschen wir das Ganze perfekt! Perfettamente!“ Sonja sah mich eingeschüchtert an. Ich grinste, obwohl mir angesichts der sehr energischen Vorgehensweise der dottoressa mit absoluten Greenhorns auch ein wenig bange war. Und sie ging die Reihen verdammt schnell durch! 😉)
Immerhin haben wir in der ersten Stunde die ersten einfachen Sätze gelernt („Sono un’idiota e anche i miei genitori!“ – Nein, ganz so nicht, obwohl wir uns nach der ersten Stunde so fühlten …). Ich war mir zumindest sicher, dass ich niemals eine casalinga werden wollte und niemals die Anlaute von gialle – gelb – und scialle – Schal – durcheinanderwerfen würde. Immerhin wurde ich da gelobt, da mir als Einziger aus Reihe 7 klar war, dass ein gi- wie in gialle wie dsch- und nicht wie sch- wie in scialle zu artikulieren sei. Ganz zu schweigen von einem sk- wie in schianto.
Nach dieser initialen Stunde gingen Sonja und ich erst einmal einen Kaffee – nein! einen caffè! – trinken. Der kalte Schweiß stand uns auf der Stirn. Sonja meinte: „Ich weiß nicht, ob ich nächste Woche noch einmal hingehe – die Dozentin macht mir Angst!“ – „Ach was, die ist doch total nett! Und so lebhaft!“ – „Eben!“
Wir gingen wieder hin. Bis der Kurs geteilt wurde, da 100 Teilnehmer doch recht viel waren. Aber 50 sind für einen Sprachkurs auch zu viele. Allzu viel lernt man da nicht.
Obwohl ich der dottoressa sehr dankbar bin, denn bis heute kann ich Azzurro fehlerfrei singen, und das unter Verständnis dessen, was ich da singe – ein melancholisches Lied, das aber so einen wunderbaren „typisch italienischen“ Schwung hat. 😉 Ich kann den gesamten Text nebst Melodie singen, seitdem wir das bei unserer Dozentin tun mussten – zur Auflockerung, wie sie sagte. 😉 Ich vermute allerdings, dass sie es zu ihrer eigenen Auflockerung tat – wahrscheinlich hat sie sich köstlich amüsiert. (Hätte ich an ihrer Stelle sicher auch. 😉 )
Italienisch ist gar nicht so schwer, stellte ich fest, nachdem ich vier Jahre mit einem Italiener zusammen war. Noch heute kann ich im Restaurant Essen auf Italienisch bestellen. Und den Rest, den ich in dieser Zeit lernte und lange nicht benutzt habe, hole ich auch wieder auf … 😉 Zur Not singe ich halt Azzurro – das beherrsche ich perfettamente! 😉 Aber nicht nur das – erst kürzlich stellte ich fest, dass ich mich durchaus noch einigermaßen verständigen kann. Okay, ich gestikulierte etwas heftiger, aber das tat und tut Giacomo, mein italienischer Ex, auch immer. Er allerdings, um seine – flüssig geäußerten – Worte zu unterstreichen. Ich, um davon abzulenken, dass meine Worte im Italienischen nicht so flüssig sind, wie ich es gerne hätte. 😉
Doch das Beste am Italienischen sind die wunderbaren Flüche – die beherrsche ich aus dem Effeff … 😉