Tempi passati (III)

Bisweilen erinnert man sich aufgrund eines bestimmten Ereignisses – egal, ob lustig, traurig oder gar tragisch – an Vergangenes. Und auch ich wurde kürzlich davon eingeholt. Danach war ich wehmütig, ein Zustand, den ich nach Möglichkeit zu vermeiden trachte. Nur lässt er sich nicht immer vermeiden. Besonders weise Menschen würden nun sagen, dass das Leben so sei – wer aber wüsste das nicht selber …

Es begab sich vor einigen Jahren im September, dass ich eine Tätigkeit als lehrbeauftragte Dozentin in Nebentätigkeit an einer Hochschule in einer der Städte in der näheren oder weiteren Umgebung antrat. Da ich zu dem Zeitpunkt bereits seit zwei Jahren mit Erfolg an einer Uni hier im Pott Studis quäl…, nein, ausbildete, hatte man mich sehr gern engagiert, und trotz einiger Unterschiede zwischen den „Lehranstalten“ erinnere ich mich gern an beide. 😊

Warum man mich jedoch zuvor zu einem Beratungstermin gebeten hatte, um meine professionelle Meinung dazu zu hören, wie denn solch ein fachsprachliches Seminar am besten zu gestalten sei – wobei man viel Wert auf meine Erfahrung zu legen schien -, und mir dann doch insgesamt über 50 Studis in einem Kurs vor die Nase setzte, obwohl ich kleine Gruppen empfohlen und entsprechende Zahlen genannt hatte, die nicht zu überschreiten seien, erschließt sich mir bis heute nicht. 😉 Die Hochschule war aber noch brandneu – vielleicht lag es daran. 😊

Recht schnell stellte sich heraus, dass der Job, gutbezahlt, erheblich stressiger war als der vergleichbare an der Uni, und ich frotzelte, dass das vergleichsweise hohe Honorar wohl eher Schmerzensgeld sei. 😉 Die Studis in der Gruppe oder – besser – Masse in diesem Seminar doch besonders „lebhaft“, um es mal so zu nennen.

Einige schienen den Sinn und Zweck einer Hochschule noch nicht so recht verinnerlicht zu haben – vielleicht gefiel ihnen auch der Inhalt meines Seminars nicht. (Im Vertrauen: Mein Lieblingsthemenbereich war er wahrlich auch nicht, ich aber zum Glück professionell genug, mir das nicht anmerken zu lassen. Wenn ich daran denke, wie fröhlich ich immer vorn im großen „Seminarraum“ herumsprang und den Studis Dinge beizubringen trachtete, die ich selber fad fand, mir das aber nicht anmerken lassen durfte, muss ich heute noch grinsen. 😉)

Zweimal pro Woche hetzte ich von meiner Hauptarbeitsstätte mit dem ÖPNV an diesen Ort, von dem ich einmal in der Woche dann auch direkt im Anschluss mit dem ÖPNV an die oben genannte Uni rasen musste – das Seminar dort dann die reine Erholung. 😉

Denn nicht wenige meiner „Zöglinge“ an der neuen Hochschule waren anstrengend. Da wurde gequasselt, was das Zeug hielt, man befasste sich mit dem Handy, dem Netbook, und man störte damit nicht nur mich, sondern auch diejenigen, die mitmachen wollten. Die waren zwar in der Mehrheit, aber gegen stetes Gequassel und weitere Dinge dieser Art hatten auch sie keine Chance.

Ich versuchte es zunächst mit Vernunft. Dann mit Sarkasmus. Ich sagte: „Einige von Ihnen scheinen mit dem Thema Hochschule noch überfordert zu sein. Aber ich habe eine tolle Idee! Da wir hier ja einen besonders großen Raum haben, schlage ich vor, dort hinten rechts eine Spielecke für diejenigen einzurichten, die sich noch nicht so lange am Stück konzentrieren können.“ Da waren die Angesprochenen empört und verkündeten, dass sie durchaus erwachsen seien. Ich grinste und meinte: „Im biologischen Sinne ist dies sicherlich zutreffend.“

Nichts half bei diesen Studis, und während einer „Sitzung“ ist mir dann der Kragen geplatzt, und ich tat etwas, das ich nie hatte tun wollen und nie zuvor getan hatte (und danach nie wieder getan habe): Ich brüllte die Seminargruppe derart an, dass man es besser wahrheitsgemäß so definiert, dass ich sie extrem heftig zusammenschiss. Die Worte „Kindergarten“, „infantil“, „Unverschämtheit“ und „Rücksichtslosigkeit“ wie auch „sondergleichen“ fanden Erwähnung in meiner erstaunlichen Arie bzw. Suada. Und nicht nur diese – es war eine lange Suada, eine sehr laute dazu. Es reichte einfach.

Immerhin hatte diese zur Folge, dass sie mit großen Augen und völlig sprachlos dasaßen. Und während meine Pulsfrequenz langsam wieder abfiel, sortierte ich meine Stimmbänder und meinte schließlich: „Sehr schön. Dann können wir ja wohl weitermachen. Eines nur: Sie haben mich zu etwas gebracht, das ich nie tun wollte. Darauf sollten Sie nicht stolz sein. Ich bin es jedenfalls ganz und gar nicht.“

Nach der Veranstaltung kamen einige Studis zu mir und wollten mit mir sprechen. Es waren naturgemäß ausschließlich Studis, die ohnehin schon mitmachten. Einer sagte: „Wow, Frau B.! Wir hätten nicht gedacht, dass Sie so brüllen können – das war cool! Und auch gerechtfertigt. Wir wollten Ihnen nur sagen, dass wir Sie unterstützen – wir sind die Mehrheit. Und wir machen das gewiss nicht nur der Noten wegen. Wir mögen Sie und finden, dass Sie das wirklich toll machen. Wir wollten Ihnen nur sagen, dass Sie auf uns zählen können. Zur Not schmeißen wir die anderen demnächst raus!“ Ich sah mir die Studis an – einige davon baumlange und kräftige Jungs – und fing zu lachen an. „Ich komme eventuell darauf zurück, hoffe dennoch darauf, dass man mit Vernunft agieren kann,“, meinte ich und kniff ihnen ein Auge zu.

Das Seminar lief danach aber recht geschmeidig, nachdem ich in der nächsten Sitzung zu Anfang ein paar deutliche Worte abgelassen hatte: dass mir klar sei, dass der Themenbereich nicht unbedingt der spannendste sei, man aber doch im Sinne einer guten Gemeinschaft bitte an einem Strang ziehen solle und sie nicht mehr in der Schule seien. Und sie sollten bitte nie vergessen: Auch ich müsse da durch … 😉

Danach hatte ich die beste Seminargruppe aller Zeiten, und als es dann zum Ende des zweiten Semesters ging, ich alle ihre Seminararbeiten korrigiert und ihnen die Noten mitgeteilt hatte, wobei ich natürlich die Möglichkeit gab, Einsicht zu nehmen und ein persönliches Gespräch zu führen, fragte einer der Teilnehmer, ob wir denn nicht zum Abschluss im Rahmen dieses Seminars eine kleine Grillparty machen könnten – es sei doch ihr erstes Jahr gewesen, und wir hätten uns doch letzten Endes auch alle gut verstanden. Ich meinte: „Sofern Sie mich nicht grillen wollen – ich bin dabei, wenn Sie die Erlaubnis einholen, hier auf dem Gelände zu grillen und auch Alkohol zu trinken. Ich spendiere einen Kasten Bier. Da Sie ja alle schon groß sind, vertraue ich Ihnen diese Aufgabe an, denn Sie wissen ja, dass ich dafür keine Zeit habe, da ich ständig auf dem Sprung bin. Suchen Sie von daher einen Tag aus, an dem ich meinen Nebentätigkeiten nicht nachgehe.“

Das taten sie auch, und so trafen wir uns an einem Freitagmittag auf dem Hochschulgelände. Als ich eintraf, war das Gelage schon in vollem Gange: Einige spielten „Flunkyball“ und wollten mich sogleich zum Mitspielen zwangsverpflichten. Ich rief, dass ich eine absolut miese Werferin sei, dafür aber eine hervorragende Zuschauerin und außerdem erst einmal mit ein paar Jungs und Mädels zur nahegelegenen Tanke müsse, den versprochenen Kasten Bieres käuflich zu erwerben, und so kam ich davon. Und schon eilte ich mit Julius, Thomas, den alle nur Tommek nannten, Sven und Timo gen Tanke. Zurück kamen wir mit zwei Kästen Bier, einer davon von mir bezahlt, Chips und einer Flasche Wodka nebst Softdrinks. Nicht, dass der ohnehin schon vorhandene Vorrat allzu schnell zur Neige ginge … 😉

Wir wurden unter großem Hallo begrüßt und nahmen Platz: erst einmal ein Begrüßungsbier für die bisweilen brüllende Dozentin … 😉

Kaum saß ich, klebte sich ein bis dato amüsanter, netter und sympathischer Studi an meine linke Seite. Aber er belaberte mich, dass er mit seiner Note für die Seminararbeit nicht zufrieden sei. Ich sagte ruhig und sachlich: „Nun, Sie haben mit einer Drei doch eine annehmbare Note bekommen.“ – „Aber ich bin nicht zufrieden damit.“ – „Das mag sein, das verstehe ich auch. Aber die Dinge sind, wie sie sind, und ich gedenke auch nicht, hier über Noten zu diskutieren, die ich beileibe nicht nebenbei und aus Spaß so vergeben habe, wie es geschehen ist. Sie hatten mehrere Wochen Zeit, mich während des Semesters zu kontaktieren. Sie hätten Einsicht nehmen können – das Angebot bestand von meiner Seite und wurde wiederholt so kommuniziert. Sie sind aber nicht gekommen oder haben sich bei mir gemeldet. Sie haben die Gelegenheit versäumt – das Semester ist vorbei, und ich bin heute als Privatperson hier. Es gab eine längere Zeitspanne, sich bei mir zu melden, und wir hätten in Ruhe sprechen können, obwohl ich sagen muss, dass Ihre Arbeit eine Drei ist und ich auch nicht zaubern kann. Jetzt aber nicht mehr, und schon gar nicht zu dieser Gelegenheit.“ Der Studi klagte mir sein Leid – seine Eltern seien mit dem Ergebnis auch nicht zufrieden. Ich blieb standhaft und meinte, es sei hinreichend Zeit und Möglichkeit gewesen, mich anzusprechen, und es sei seine Note und nicht die seiner Eltern. Er sei erwachsen. Es mag herzlos klingen, war es aber beileibe nicht. Irgendwo gibt es Grenzen, und ich hatte über mehrere Wochen Gelegenheit für ein Gespräch geboten.

Der Studi hatte wohl vor meinem Eintreffen schon einiges an Alkohol und anderem konsumiert, und ich spürte, dass er wohl innerlich immer aggressiver wurde. Ich hatte ein mulmiges Gefühl, obwohl ich mir sicher war, von meiner Entscheidung nicht abzuweichen. Nicht, weil ich stur oder rechthaberisch wäre, nein. Nur gab seine Arbeit wirklich nicht mehr her. Ich wiederholte, ich sei als Privatperson da und sah mich vorsichtig in der Runde um, in der wir saßen. Da saßen noch immer Sven, Julius, Timo und Tommek gegenüber und neben uns, die zuvor noch versucht hatten, vom Gesprächsthema abzulenken. Ich versuchte unauffällig, Blickkontakt aufzunehmen, weil mir mulmig zumute war und ich befürchtete, der unzufriedene Studi könne mir eins auf die Zwölf hauen, aber das gelang nicht: Die vier saßen sehr angespannt und hochkonzentriert auf der äußersten Kante ihrer Sitzgelegenheiten. Ich sah noch einmal genau hin: Sie saßen wirklich unter großer Spannung da, als würden sie jeden Moment abgeschossen werden, und da begriff ich: Sie schätzten die Situation wohl ähnlich ein wie ich und waren quasi sprungbereit, sollte ihr Kommilitone übergriffig werden! Sie erinnerten mich an meine beiden früheren Katzen, wenn die ein Objekt fixierten, auf das sie sich nach langer Tarnung stürzten. Da fühlte ich mich etwas besser, und glücklicherweise haute der unzufriedene Studi dann auch ab: seine Bierflasche war leer, und die nächste Ladung Würstchen auf dem Grill war fertig …

Ich blickte in die Runde, in der sich die vier Jungs wieder bequem zurücksetzten: „Was war das denn jetzt gerade? Ich hoffe, dass das nicht so weitergeht!“ – „Keine Sorge, Frau B. – wir passen auf Sie auf! Der hat sich ja gerade so blöd benommen, dass wir Sorge hatten, der würde gegen Sie übergriffig werden, Ihnen gar eine knallen! [Genau das war auch meine Befürchtung gewesen.] Aber keine Sorge! Wir hätten den sofort unschädlich gemacht!“ – „Das fiel mir schon auf – herzlichen Dank, ich weiß das zu schätzen!“ Und Tommek meinte: „Keiner von uns würde zulassen, dass jemand unserer Frau B. etwas tut!“ Ich war gerührt, und da die Studis nun nicht mehr als „Abhängige“ galten, bot ich ihnen allen, die schon öfter nachgefragt hatten, ob das nicht möglich sei, das Du an. Immerhin würde ich sie ja nicht mehr unterrichten.

Das stimmte dann zwar nicht, da Tommek und Timo auch noch einen allgemeinsprachlichen Sprachkurs bei mir besuchten und mich in selbigem auch brav siezten, sofern überhaupt Deutsch gesprochen wurde – also zu Anfang und gegen Ende der jeweiligen Stunde. Ich war erstaunt, dass sie überhaupt kamen und meinte: „Da machen Sie freiwillig noch einen Englischkurs bei mir?“ Und die beiden meinten: „Ja, man kann nicht genug Englisch können – und bei Ihnen macht das wenigstens Spaß, und wir sehen Sie so außerdem noch öfter.“ Ich war schon wieder gerührt.

Und nun erfahre ich über ein Soziales Medium, dass Tommek tot sei. Dabei gehörte er gar nicht einmal zu den Ex-Studis, mit denen ich bis heute Kontakt habe. Ich erfuhr es durch Zufall, und es war, als hätte man mir einen Baseballschläger ins Gesicht geschmettert. Mir wurde schlecht, als ich es las. Ich wollte es erst gar nicht glauben.

Dabei habe ich all die Studis seit geraumer Zeit nicht gesehen, aber man vergisst sie doch auch nicht. Daher arbeite ich ja auch so gern mit Menschen. Aber manchmal hat das seine Schattenseiten.

Ruhe in Frieden – ich kann es immer noch nicht fassen. ☹

„Azzurro“ … 😉

Irgendwie hatte ich für die italienische Sprache schon immer ein Faible. Schon von relativ klein auf. Keine Ahnung, woher das kam, aber ich vermute, dass meine Vorliebe für diese Sprache dazu führte, dass ich mich in der siebten Klasse für Latein statt Französisch entschied, als es um die zweite Fremdsprache nach Englisch ging. Italienisch ist da naturgemäß und aufgrund seiner historischen wie geographischen Lage ja ziemlich nahe dran. 😉 (Gut, wenn man Französisch beherrscht, sind auch ziemlich viele italienische Begriffe gleich klar – sind halt beides romanische Sprachen, die mehr oder minder direttamente aus dem Lateinischen stammen. 😉)

Ich vermute fast, dass ich von dieser Sprache schon als kleines Kind so fasziniert war, da Mama, Stephie und ich, als ich noch ziemlich klein war, so oft mit dem Zug – einem D-Zug – in Mamas Heimat nach Franken fuhren, wenn Ferien waren. Das hat zwar mit Italien nicht so viel zu tun, aber im Zug standen Anweisungen damals immer in vier Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch und … Italienisch. Da stand zum Beispiel: „Non sporgersi dal treno!“ Und das versehen mit diversen Warnzeichen, die ich auch als Kind schon kannte. Oder: „Non aprire la porta prima che il treno si ferma!”. Das las sich wie eine Geheimsprache. 😊

Ich fragte meine Mutter, ob sie das mal vorlesen könne – sie las es mit dem ihr eigenen fränkisch gerollten Zungenspitzen-R, sehr gekonnt und als hätte sie von klein auf Italienisch gesprochen (meine Mutter spricht Hochdeutsch, Englisch, Französisch – und Fränkisch, weswegen sie „China“ und „Chemie“ auch mit einem K anlauten lässt und nicht mit einem Sch oder dem normalen Ich-Laut.) Ich war fasziniert – diese Sprache klang so schön. Und schon war ich angefixt. 😉

Und das blieb lange Zeit so, und als es aufs Abitur zuging, überlegte ich, ob ich nicht Romanistik studieren sollte. Mit Französisch als erster Sprache und dem noch zu erlernenden Italienisch als zweiter. Mit einem Französisch-LK wäre das auch kein Problem gewesen, aber irgendwie reizte mich Französisch als Hauptsprache nicht so. Und so studierte ich lieber Anglistik.

Dem Italienischen blieb ich jedoch treu, denn ich belegte an der Uni zusammen mit einer Kommilitonin einen Italienischkurs. Auf diese brillante Idee waren außer uns beiden auch noch 98 andere Studis gekommen, und so war es gut, dass wir zur ersten Kursstunde recht früh da waren, denn so bekamen wir immerhin noch Sitzplätze in diesem Hörsaal im Rogowski-Institut an der Schinkelstraße in Aachen. Diejenigen, die später kamen, mussten auf den Treppenstufen oder Fensterbänken Platz nehmen oder gar stehen. Aber wo auch immer wir saßen oder standen: Wir harrten gespannt der Ankunft der Dozentin, die als Dottoressa Nicoletta Vianelli im Vorlesungsverzeichnis stand. Alle hatten irgendwie eine bestimmte Vorstellung von einer italienischen Dozentin.

Und die, die eine besonders klischeehafte hatten, wurden nicht enttäuscht, denn die dottoressa kam nicht nur zu spät, sondern auch noch extrem schwungvoll in den Hörsaal! Sie schritt nicht, nein, sie hechtete quasi hinein und warf funkelnde Blicke mit einem strahlenden Lächeln um sich. Von den fünfzig Prozent der männlichen Kursbesucher war mindestens die Hälfte sogleich rettungslos in sie verliebt! 😉

Sonja raunte mir ins Ohr: „O Gott! Die ist ja extrem energisch! Sicher nimmt die uns dauernd ungefragt dran, wenn wir gerade überhaupt nichts begriffen haben!“ Ich befürchtete zwar das Gleiche, meinte aber: „Ach was, die ist doch nett! Sieh nur, wie fröhlich sie uns alle anlächelt!“ Und ich versuchte, dieses diabolische Funkeln in der Dozentin Augen zu verdrängen. 😉

Glücklicherweise saßen wir in einer der hinteren Reihen, denn nach einer kurzen Vorstellung („Mi chiamo Nicoletta Vianelli e io sono di Mantova!“) schleuderte sie uns auch schon die erste Übung um die Ohren, die von der ersten Reihe sogleich exerziert werden sollte, und das nach Möglichkeit correttamente, per favore! 😉 (Wir saßen in Reihe 7, und so raunte ich Sonja ins Ohr: „Wie gut, dass wir nicht ganz so früh da waren – bis die an Reihe 7 gekommen ist, beherrschen wir das Ganze perfekt! Perfettamente!“ Sonja sah mich eingeschüchtert an. Ich grinste, obwohl mir angesichts der sehr energischen Vorgehensweise der dottoressa mit absoluten Greenhorns auch ein wenig bange war. Und sie ging die Reihen verdammt schnell durch! 😉)

Immerhin haben wir in der ersten Stunde die ersten einfachen Sätze gelernt („Sono un’idiota e anche i miei genitori!“ – Nein, ganz so nicht, obwohl wir uns nach der ersten Stunde so fühlten …). Ich war mir zumindest sicher, dass ich niemals eine casalinga werden wollte und niemals die Anlaute von gialle – gelb – und scialle Schal – durcheinanderwerfen würde. Immerhin wurde ich da gelobt, da mir als Einziger aus Reihe 7 klar war, dass ein gi- wie in gialle wie dsch- und nicht wie sch- wie in scialle zu artikulieren sei. Ganz zu schweigen von einem sk- wie in schianto.
Nach dieser initialen Stunde gingen Sonja und ich erst einmal einen Kaffee – nein! einen caffè! – trinken. Der kalte Schweiß stand uns auf der Stirn. Sonja meinte: „Ich weiß nicht, ob ich nächste Woche noch einmal hingehe – die Dozentin macht mir Angst!“ – „Ach was, die ist doch total nett! Und so lebhaft!“ – „Eben!“

Wir gingen wieder hin. Bis der Kurs geteilt wurde, da 100 Teilnehmer doch recht viel waren. Aber 50 sind für einen Sprachkurs auch zu viele. Allzu viel lernt man da nicht.

Obwohl ich der dottoressa sehr dankbar bin, denn bis heute kann ich Azzurro fehlerfrei singen, und das unter Verständnis dessen, was ich da singe – ein melancholisches Lied, das aber so einen wunderbaren „typisch italienischen“ Schwung hat. 😉 Ich kann den gesamten Text nebst Melodie singen, seitdem wir das bei unserer Dozentin tun mussten – zur Auflockerung, wie sie sagte. 😉 Ich vermute allerdings, dass sie es zu ihrer eigenen Auflockerung tat – wahrscheinlich hat sie sich köstlich amüsiert. (Hätte ich an ihrer Stelle sicher auch. 😉 )

Italienisch ist gar nicht so schwer, stellte ich fest, nachdem ich vier Jahre mit einem Italiener zusammen war. Noch heute kann ich im Restaurant Essen auf Italienisch bestellen. Und den Rest, den ich in dieser Zeit lernte und lange nicht benutzt habe, hole ich auch wieder auf … 😉 Zur Not singe ich halt Azzurro – das beherrsche ich perfettamente! 😉 Aber nicht nur das – erst kürzlich stellte ich fest, dass ich mich durchaus noch einigermaßen verständigen kann. Okay, ich gestikulierte etwas heftiger, aber das tat und tut Giacomo, mein italienischer Ex, auch immer. Er allerdings, um seine – flüssig geäußerten – Worte zu unterstreichen. Ich, um davon abzulenken, dass meine Worte im Italienischen nicht so flüssig sind, wie ich es gerne hätte. 😉

Doch das Beste am Italienischen sind die wunderbaren Flüche – die beherrsche ich aus dem Effeff … 😉

Italienischer Abend

Heute habe ich mir Spaghetti aglio, olio e peperoncino zum Abendessen gemacht – meine absolute Lieblingszubereitungsart für Spaghetti. Und eine der einfachsten: Spaghetti kochen, bis sie al dente sind, zwischenzeitlich mehrere gute Schlucke Olivenöl – natürlich kein minderwertiges und am besten italienisches – gemächlich in einer großen Pfanne erhitzen und darin mindestens (!) eine in Scheiben geschnittene Knoblauchzehe – ich nehme immer mehr – vorsichtig leicht glasig werden lassen. Bloß nicht braun werden lassen, denn dann könnt, nein: müsst! ihr alles wegschütten und neu ansetzen, denn Knoblauch wird, zu scharf erhitzt und gebräunt, bitter und versaut dann das ganze Olivenöl. Also alles con molta sensibilità und mit viel Gefühl – sehr wichtig bei der italienischen Küche, und nicht nur bei der Küche! – angehen. 😉

Zwischenzeitlich solltet ihr schon einen peperoncino rosso, ggf. eine rote Chilischote, in feine Ringe schneiden. (Oder auch zwei – je nach Schotengröße, Schärfegrad und Geschmack.) Falls es nur leicht scharf werden darf, bitte vorher längs aufschlitzen und die Kerne entfernen. Am besten – gilt vor allem für Kontaktlinsenträger – mit Gummihandschuhen. Bei mir gibt es das Ganze immer mit Kernen – wenn, dann, bitte, richtig! (Und auch mit zwei nicht allzu kleinen peperoncini rossi.) 😉 Und ohne Gummihandschuhe. Ich wasche meine Hände danach aber immer sehr, sehr gründlich, wenn auch nicht in Unschuld.

Das Ganze zum Knoblauch ins erhitzte Olivenöl geben. Gegarte Spaghetti ebenfalls hinzu und mit viel Gefühl so schwenken, dass die Pasta mit Olivenöl gut benetzt ist – ergo gut durchmischen. Frischgemahlenen – in meinem Falle: schwarzen – Pfeffer und Salz darauf, vermischen, und schon kann es losgehen. 😉 Wenn ihr Knoblauch mögt, könnte es passieren, dass dieses einfache Nudelgericht bald auch zu euren Lieblingsgerichten zählt. 😉

Hervorragend. Ich hörte heute dazu laut ein altes und bekanntes Lied von Paolo Conte. Im Grunde eher eine Art Sprechgesang, aber eines der schönsten Liebeslieder, die ich kenne, obwohl es in Moll und recht melancholisch ist. Ein echter Ohrwurm. Via con me. Ich sang laut mit – mir war danach: „Via via / Vieni via di qui […]“. 😉 Ob es daran lag, dass die letzten Tage ziemlich stressig waren? Fluchtgedanken hege ich für gewöhnlich nämlich nicht. 😉

Und mir fielen die vielen Abende wieder ein, die damals mit Giacomo und vielen anderen Leuten in Ratingen immer in Giacomos Küche endeten, mit Spaghetti aglio, olio e peperoncino, und da wurde ich fast ein wenig sentimental. 😉

Doch dann fiel mir ein, wie Giacomo, sein bester Freund Ettore, dessen Freundin Raffaela und ich einst in einem italienischen Restaurant gehobener Klasse saßen, das rappelvoll war mit lauter standesbewussten Menschen, die meisten Deutsche, die – wie so viele Deutsche – Italien und die italienische Küche nebst Lebensart so sehr lieben, wie nicht wenige davon kund und zu wissen geben. Es war ein Gehabe der obersten Kategorie um uns herum, ein Getue, das auch ich nicht so recht mochte, und Giacomo und Ettore hatten die Lage auch gleich erfasst, und so präsentierten sie den selbsternannten Italien-Liebhabern italienische Lebensart par excellence, indem sie wie auf Kommando beide laut und zumindest textsicher Fratelli d’Italia anstimmten, die italienische Nationalhymne, die sehr schmissig klingt, was die Melodie anbelangt. Versteht man den Text, versteht man auch, dass die Hymne recht martialisch ist. Hier kam erschwerend noch hinzu, dass Giacomo nicht singen kann und keinen einzigen Ton zu treffen in der Lage ist – er klingt, „singt“ er, stets wie ein eher kleines Tier, eine Katze oder so, das in einem blechernen Behältnis oder einem Ofenrohr bestialisch gequält wird. 😉

Raffaela und ich fanden es zunächst auch noch lustig, bis uns auffiel, dass die Umsitzenden uns böse und vorwurfsvoll anstarrten. Wohlgemerkt: uns, nicht etwa die beiden schaurigen Sangesbrüder. 😉 Den Blicken konnte man entnehmen, was man uns mitteilen wollte: „Ihr beiden Weiber, die ihr da noch lacht: Könnt ihr diese beiden Wilden nicht einmal zur Ordnung rufen und das Ganze beenden?!? Aber sofort!“ Raffaela sah mich an und lupfte die blütenweiße Tischdecke. Ich wusste, was sie meinte: „Ob wir nicht besser unter den Tisch kriechen? Das ist ja peinlich …“ Ich schüttelte sachte meinen Kopf – wieso sollten sie und ich denn in Sack und Asche gehen? Wir sangen ja nicht. Und was die wohlsituierten anderen Gäste – Fans italienischen Essens und zugehöriger Lebensart – nicht ahnten: Weder Raffaela, noch ich hätten etwas an der Situation ändern können. Hier wurde italienischer Lebensart gefrönt, dass die Umsitzenden sich eigentlich hätten freuen müssen, und Raffaela und ich hätten nicht einmal in unseren kühnsten Träumen etwas dagegen tun können. 😉 Und so kniff ich ihr ein Auge zu, mied jedoch die Blicke der anderen Leute und tat gar so, als verstünde ich kein Deutsch. Kurz: Auch ich fühlte mich unbehaglich. Das passierte schon einmal, wenn wir in dieser Besetzung unterwegs waren und die beiden „fratelli d’Italia“ mal wieder beschlossen, etwas mehr oder minder Durchgeknalltes zu unternehmen, woran sie echte Freude hatten. 😉 Raffaela und ich ließen uns möglichst nie aus der Fassung bringen – hier musste un atteggiamento fermo eingenommen und bewahrt werden. Immer Haltung bewahren. 😉

Dennoch brach ich in haltloses Kichern aus, als ein Kellner im schwarzen Anzug mit zwei Gläsern überteuerten Grappas an unseren Tisch kam und Giacomo und Ettore mit freundlichen italienischen Worten für die reizende Gesangseinlage dankte und mit dem Grappa bestach. Ich lachte so heftig, dass der Kellner mir auch noch einen Grappa brachte. Raffaela lehnte dankend ab – ihr Blick schweifte einmal mehr unter den Tisch … Vor allem, als alle Umsitzenden applaudierten und der Kellner sich leicht in ihre Richtung verneigte. Allerdings sah ich auch, dass es um seine Mundwinkel zuckte, als er sich wieder zu uns umdrehte, und dann kniff er mir auch noch ein Auge zu. 😉

Italienische Lebensart kann sich auf so unterschiedliche Weise äußern … 😉