Man sagt ja, dass man mit jedem Tag dazulerne. Seit gestern bin auch ich einmal mehr davon überzeugt. Und was mir am meisten stinkt, ist die Tatsache, dass in diese neuerliche Erkenntnis ein grauenhaftes Klischee involviert ist. Genauer: das Klischee, dass autofahrende Frauen sich in erster Linie für die Farbe des Gefährts interessierten.
Nun habe ich sogar mal ein silberfarbenes Auto besessen, obwohl ich die Farbe Silber bei Autos stets als extrem spießig empfunden habe. Seit knapp drei Jahren besitze ich jedoch ein dunkelblaues Auto, und die Tatsache, dass ich das silberfarbene Auto nach kurzer Zeit wieder verkaufte, hatte rein gar nichts mit seiner Farbe zu tun. Wirklich und ausschließlich nur mit seinem Getriebe.
Gestern war ich bei der Physiotherapie, und Doris, meine Physiotherapeutin, mit der ich demnächst wieder essen gehen werde, da wir einander hervorragend verstehen, erzählte mir Folgendes: „Eine Freundin von mir hatte kürzlich eine Reifenpanne. Und stell dir vor, was passierte, als sie in ihren Kofferraum und unter diese Abdeckung sah, wo früher immer das Reserve- oder Notrad lag!“
Ich war gespannt, was Doris‘ Freundin dort wohl entdeckt habe. Einen Wurf Hundewelpen? Eine Familie von Mardern? Drei Kannen Milch? Den Leibhaftigen höchstpersönlich?
Doch nein. Doris berichtete: „Sie fand dort nur eine Flasche mit so einem komischen Gebräu drin – und noch ein paar andere Sachen. In neueren Autos ist ja nicht einmal ein Notrad mehr.“
Ich war sofort peinlich berührt, dass ich mir darüber eigentlich so recht nie Gedanken gemacht hatte. Und seit gestern Abend bin ich heilfroh, dass ich bis dato noch keine Reifenpanne gehabt habe … 😉
Denn kaum am kleinen Monty angelangt und ihn aufgeschlossen, riss ich auch schon den Kofferraum auf! Immerhin ist Monty erst drei Jahre alt und zählt damit auch noch zu den „neueren“ Autos. Rasch zerrte ich die darin befindliche Klappbox mit wichtigem Zubehör – Scheibenenteiser, Mikrofasertücher, Scheibenreiniger und weiteren Utensilien – heraus und deponierte sie neben dem Wagen, neugierig-skeptisch beäugt von zwei Männern, die unweit standen und sich unterhielten. Ich ahnte, was sie dachten: „O Gott! Eine Frau öffnet den Kofferraum und entnimmt ihm Ballast. Was macht sie denn jetzt? Da! Sie reißt die innere Abdeckung hoch! Was sucht sie da? Liegt vielleicht eine Panne vor? […] Nein, der Wagen steht auf vier funktionsfähigen Reifen. Was will sie da? Was macht sie denn da?“
Ich ignorierte die Blicke und zog die innere Abdeckung im Kofferraum an der dafür vorgesehenen Schlaufe hoch. Und lachte in mich hinein, denn ich fand ein perfektes „Negativ“ eines typischen kleinen Fiesta-Reifens. Es sah aus wie eine Gussform – sogar die Radmuttern waren als Negativ perfekt abgebildet! 😉 Es war klar, wofür diese Mulde da ist – im Optimalfalle würde ein Reserve- oder Notrad in Montys Radmaßen perfekt hineinpassen. (Der Optimalfall besteht für meine Begriffe im Vorhandensein des einen oder anderen Rades.)
In dieser Mulde lag jedoch kein Rad. Sie war aber auch nicht leer. 😉 Es lagen darin: ein Behälter mit einer milchig-trüben Flüssigkeit – offenbar Dichtmittel; ein sehr merkwürdiges Instrument, dessen Bestimmung ich morgen dem Betriebshandbuch hoffentlich entnehmen werden kann (zum Glück habe ich das Handbuch nebst Serviceheft auch wiedergefunden, das wohl kürzlich aus dem Seitenfach in der Beifahrertür unter den Beifahrersitz geschlittert war, als ich einmal eines Radfahrers wegen, der unter massiver Missachtung gängiger Verkehrsregeln von rechts quer über die Straße schoss, um eine Abkürzung zu nehmen, heftig bremsen musste).
Zudem fand ich ein kleines kastenförmiges Gerät in einer Blisterfolie, das ich schnell als Kompressor identifizierte. Das Pannenset war vollständig vorhanden. Für den Fall, dass ich ein Loch in der Reifen-Lauffläche haben würde, wäre also der Weg in die nächstgelegene Werkstatt gesichert. So ich denn mit diesem Pannenset umgehen könnte …
Ein Reserve- oder Notrad nebst Wagenheber, Radmuttern- bzw. Drehmomentschlüssel wäre mir allerdings erheblich lieber gewesen. Immerhin habe ich in meinem bisherigen Leben schon zweimal beim spontanen (Notfall-)Reifenwechsel aktiv mitgewirkt und weiß, wie man da vorgehen muss. Mit so einem albernen Pannenset habe ich bis dato keine Erfahrungen gemacht, und die solide Reifenwechsel-Lösung wäre mir von daher erheblich lieber.
Ich senkte beklommen die innere Kofferraumabdeckung wieder auf die Mulde des Grauens und packte alles, was in den Kofferraum gehörte, wieder ein. Dann setzte ich mich ins Auto und fuhr los, weiterhin neugierig beäugt von den beiden Männern, die noch immer dastanden. Was hatte diese Frau da gemacht? (Inzwischen habe ich gelernt, dass manche (!) Männer Frauen, die ihre Motorhaube öffnen, fixieren und mehr oder minder konzentriert unter diese starren, um dann dort höchstselbst mit den Händen tätig zu werden, indem sie zum Beispiel die eine oder andere Flüssigkeit einfüllen, für Wesen von einem anderen Stern zu halten scheinen. Hinsichtlich des Kofferraums scheint es erstaunlicherweise ähnlich zu sein, und in diesem speziellen Falle bin ich recht froh, dass keiner herankam, um seine Hilfe anzubieten. Was hätte ich auch sagen sollen? „Oh, ich wollte nur nachsehen, ob der Kompressor auch noch da ist!“)
Als ich vom Mitarbeiterparkplatz fuhr, wurde ich von einem massiven Lachanfall übermannt: Da fahre ich seit fast drei Jahren mit diesem Auto herum und weiß nicht, was sich unter der Abdeckklappe im Kofferraum befindet! Oder eben auch nicht … 😉
Und der Lachanfall steigerte sich noch, als sich das Kopfkino einschaltete: Ali hat eine Reifenpanne. Sie fährt rechts heran, schaltet die Warnblinkanlage ein. Steigt aus, öffnet den Kofferraum, dem sie das an der linken Seite mit Klettband fixierte schwarze Päckchen entnimmt; zieht sich die darin befindliche Warnweste an, stellt das ebenfalls darin enthaltene Warndreieck im vorgesehenen Abstand zum Auto auf. Geht zurück und öffnet voller Zuversicht und im Vertrauen, gleich Notrad, Wagenheber und Radmutternschlüssel vorzufinden, die Abdeckklappe im Kofferraum. Findet eine leere, fein „ziselierte“ Mulde für ein Rad vor – sogar Ausbuchtungen für Radmuttern sind, einem Negativ gleich, eingeprägt! Aber kein Rad! Nur eine Flasche mit einer milchig-trüben Flüssigkeit, ein merkwürdiges Utensil, sowie ein kastenförmiges Instrument … Und das blöde Betriebshandbuch in den Tiefen des Wagens verschollen … 😉
Bei der Vorstellung musste ich derart lachen, dass ich beinahe das Lenkrad verriss … Zum Glück kann ich über mich selber lachen, und genau das tat ich auch. Wie blöd kann man sein! 😉 Seit drei Jahren besitze ich dieses Auto – und ich weiß nicht einmal, dass ich zwar eine wunderbare Reserve- respektive Notradmulde im Kofferraum habe, aber kein Rad, sondern so ein tolles Pannenset! 😉 Wenn das nicht typisch Frau ist! Echt peinlich … 😉
Ehrlich gestanden: Ich bin abergläubisch, ein wenig zumindest. Und es würde mich nicht wundern, würde ich exakt jetzt und in nächster Zeit, nachdem ich weiß, dass ich nur die „Deppenausrüstung“ im Kofferraum habe, vor deren Handhabung mir weit mehr graut, als ein solides Rad zu wechseln, eine Reifenpanne haben werde. 😉
Zu Hause googelte ich gleich: Notrad Ford Fiesta. Fand auch diverse Angebote und hielt die Luft an: Neu sollte solch ein „Sekundär“-Rad allen Ernstes etwa 150,- Euro kosten!
Dann lachte ich und dachte: „Kein Wunder – die Händler können solche Preise verlangen, wenn man die Alternative betrachtet, vor der wahrscheinlich nicht nur dir graut!“ 😉
Und ich lachte noch mehr, als ich erneut daran dachte, wie naiv und arglos-dumm ich die letzten Jahre durch die Gegend gefahren war. Und dann musste ich an all meine „Klienten“ denken, denen ich stets einschärfe, nicht naiv zu sein und alle Gegebenheiten immer ganz genau zu prüfen. Sehr überzeugend, wirklich. 😉
Euch eine schöne Restwoche – und mir bloß keine Reifenpanne! 😊