Erstmalig in meinem Leben hier in meiner in der Tat eigenen Wohnung, die über einen Balkon verfügt, habe ich mir Balkonpflanzen bzw. -blumen gekauft. Irgendwie war mir danach, obwohl ich beileibe keinen grünen, sondern eher einen schwarzen Daumen habe. Und obwohl ich gern unabhängig bin. Aber so ein paar schöne Geranien und Fuchsien … Die könnten doch nicht schaden – im Gegenteil! Zumal ich bereits im letzten Jahr drei Blumenkästen aus dem Angebot eines Discounters mitgebracht habe – bis dato ungenutzt …
Dazu noch ein reizendes Margeritenstämmchen, das bereits in seinen ersten Tagen auf meinem Südwest-Balkon dadurch auffiel, dass es recht anspruchsvoll ist. Dabei hatte es doch beim Ankauf geheißen, es handle sich um ein pflegeleicht-bequemes Gewächs. Sonst hätte ich es doch nie gekauft! 😉
Doch nein! Kaum wandte ich dem bis dato kraftstrotzenden Wesen, das all seine kleinen Zweige leuchtend grün und energisch in alle Richtungen reckte, einige gutgelaunt wirkende Blüten dazwischen, den Rücken, schien es sich einsam zu fühlen. Denn wenn ich kurz darauf stolzgeschwellter Brust meinen Blick auf das fröhlich wirkende Gewächs richtete, kam es mir vor, als hingen die bis zum Endpunkt meiner ungeteilten Aufmerksamkeit kräftigen Zweiglein leicht depressiv in der Gegend herum. Auch die Blüten wirkten ein wenig niedergedrückt. Und schon fing ich an, mir Sorgen um das offenkundig sensible Lebewesen zu machen … Wahrscheinlich hatte ich mit sicherer Hand das einzig neurotische Margeritenstämmchen aus der großen Zahl seiner Geschwister ausgewählt! 😉
Ich habe ein Händchen für so etwas. Ich habe in meinem bisherigen Leben vier Wellensittiche besessen. Ein rein männliches und ein gemischtes Pärchen. Das eingeschlechtliche Pärchen bestand zunächst aus einem Einzelvogel, der während des ersten Tages in meiner Obhut zunächst kummervoll in seinem Käfig saß und ab und an ebenso kummervoll tschilpte.
Ich nahm mir viel Zeit für den neuen Mitbewohner, sprach Worte voller Liebe und Zuneigung zu ihm, und dies in einer Stimmlage, die für mich im Grunde völlig untypisch ist – viel zu hoch. Aber ich passte sie wohl intuitiv der Stimmqualität des kleinen, blauweißen Vogels an, den ich aus einer großen Zahl männlicher Sittiche ausgewählt hatte, weil er der einzige war, der sich in dieser großen Gruppe nicht recht behaupten konnte, keinen Sitzplatz fand und dauernd hektisch durch die Volière flatterte. Was blieb ihm auch übrig, wenn die anderen ihn immer verscheuchten und sich besonders breit machten, damit er keinen Platz fände!
Vormittags war er eingezogen, und am späteren Abend tschilpte er schon viel fröhlicher! Dennoch kam mir der Gedanke, dass der kleine Wendelin, wie ich ihn getauft hatte, als Einzelvogel sicherlich unglücklich sein würde. Mit diesem Gedanken begab ich mich, nachdem ich ein Tuch über des fröhlich zwitschernden Wendelins Gehäuse gelegt hatte, zu Bett.
Am nächsten Tag war ich wildentschlossen, einen Kumpel für den kleinen Wicht zu kaufen. Da Weihnachten nahte, meinte eine Freundin zu mir, sie wolle mir diesen schenken. Und zu zweit zogen wir los, nachdem der kleine Wendelin mich morgens schon ganz heiter begrüßt hatte und gar nicht mehr fremdelte. Offenbar hatte er sich nicht nur mit mir abgefunden, sondern mochte mich sogar! 😉
Sonja und ich standen erneut vor der Volière, und die Qual der Wahl stand mir erneut bevor. Und ich kann leider nicht aus meiner Haut heraus, und so wählte ich einen grasgrünen Sittich, der aus der Masse hervorstach, weil er wie angestochen und nervös auf seiner Sitzstange von links nach rechts und retour seittrabte … Ein offenbar nervöser Geselle, der mich an meinen damaligen Ex-Freund Richie erinnerte. Der war auch immer etwas nervös gewesen – und die Trennung lag noch nicht lange zurück. Ganz im Gegenteil. 😉
So kam Konrad ins Haus und zu Wendelin in den Käfig. Der freute sich zunächst. Aber die Freude war nur von kurzer Dauer … Denn Konrad entpuppte sich als autoritäres und dominantes Arschloch. Sorry, anders kann man das kaum sagen. 😉 Wendelin hatte nicht mehr viel zu melden, aber er war in jeder Hinsicht ein liebenswerter kleiner Geselle und passte sich an. So kamen die beiden auch miteinander klar, auch wenn mir das dominante Gebaren Konrads nicht gefiel. Wahrscheinlich habe ich mich mit dem kleinen Wendelin identifiziert, und so betrachtete ich Konrad bisweilen mit einem gewissen Zorn, auch wenn ich niemals zugelassen hätte, dass jemand ihm etwas zuleide fügte. 😉
Beim zweiten Pärchen Jahre später wollte ich weit umsichtiger vorgehen. Außerdem dachte ich, die Gefahr einer derartigen Dominanz wäre geringer, würde ich ein gemischtes Pärchen nehmen. Wie falsch man doch bisweilen liegen kann! 😉
Ich stand beim Händler und starrte in die Volière. Es saßen nur sieben Sittiche darin: fünf Hähne, zwei Hennen. Sechs Sittiche saßen auf einer Stange nebeneinander, niedlich aneinandergeschmiegt. Nur einer der Hähne saß entfernt auf einer anderen Stange. Jeder rational agierende Mensch hätte gedacht: „Irgendetwas stimmt hier nicht – nimm nicht den türkisgelben Einzelsittich!“ Auch mir schoss dieser Gedanke durch den Kopf, doch schon hörte ich mich sagen: „Ich nehme zum einen den türkisgelben Sittich da rechts!“ Und schon griff der Händler in die Volière, und der Sittich, der noch am selben Abend auf den Namen Julius getauft wurde, ließ sich ohne Gegenwehr einfangen. (Auch das hätte mir zu denken geben sollen … 😉 )
Auf der anderen, weitaus mehr belebten, Stange war eine gewisse Unruhe entstanden, und die dort sitzenden Sittiche flatterten und tschilpten aufgeregt. Der Händler meinte: „Und welcher soll dazukommen?“ – „Nun, ein Weibchen, bitte schön.“ – „Da hätten wir das blassgelbe da und das blauweiße.“
Manchmal habe ich hinterher überlegt, ob das blassgelbe Weibchen vielleicht besser zu Julius gepasst hätte, denn es blickte ein wenig blass-lethargisch in die Gegend, nachdem die erste Aufregung sich gelegt hatte … Ich wählte das blauweiße, das mich von seiner Optik ein wenig an den kleinen Wendelin erinnerte, obwohl der von hellerem Blau gewesen war …
Der Händler – ich bewundere ihn noch heute! – griff unerschrocken in die Volière und in Richtung des blauweißen Weibchens. Was für ein Aufruhr, und was für ein Geschrei! Es dauerte weit länger, bis er den kleinen Vogel, dessen Wellen bis zur Wachshaut oben am Schnabel reichten – ein noch sehr junger Vogel – in der Hand hielt. Der kleine Vogel wehrte sich mit Schnabel und Klauen, und nur mit Mühe unterdrückte der Händler offenbar wilde Flüche. 😉 Rasch steckte er das erbittert kämpfende Geflügel in eine Schachtel, die er – zusammen mit der anderen Schachtel, die da so still stand und den türkisgelben Sittich enthielt – rasch zur Kasse trug, wo die Händlersfrau dann einspringen musste, da der Händler selber seine Verletzungen, zwei blutige Scharten, verarzten musste, die das wehrhafte Weibchen flinken Schnabels in zwei seiner Finger geschreddert hatte …
Beide Schachteln befanden sich neben der Kasse, und während aus der einen kein Laut zu hören war, entwickelte die andere ein Eigenleben: Sie hüpfte zornentbrannt auf den Rand des Tresens zu, während wütendes – und sehr lautes – Gekreisch herausdrang.
„O Gott! Welcher der beiden ist das?“ fragte ich die Händlerfrau. Die blickte nicht einmal in die Schachtel, griff diese nur, bevor sie vom Tresen stürzen konnte, und meinte: „Das ist das Weibchen. Die sind im Allgemeinen viel energischer.“ – „Ach so,“, sagte ich arglos lachend.
Und so, wie ich sie kaufte, blieben sie auch: Julius immer ein wenig feige, Jakobine, wie ich die kleine Giftnudel nannte, immer eine kleine Xanthippe. Aber auch sehr beeindruckend, denn sie war absolut unerschrocken, zäh und hatte einen sehr starken Willen. Den zeigte sie auch, als sie, fast vierzehnjährig, physisch nicht mehr konnte und mehrfach von der Stange fiel. Geistig war sie aber total fit, und so brachte ich die Sitzstangen halt etwas niedriger an, damit sie es schaffte, wieder hochzuklettern. Als aber auch diese Maßnahmen eines Tages nicht mehr halfen, musste ich sie zum Tierarzt bringen, der meinte, sie sei in Ehren sehr alt geworden, aber sie würde sich künftig nur noch quälen. Ich musste sie einschläfern lassen – das einzige meiner Tiere, das mit mir in meine jetzige Wohnung umgezogen war und sich als Einzelvogel nach dem Ableben ihres ohnehin nicht sonderlich geliebten Partners offenbar durchaus nicht unwohl gefühlt hatte – sie lebte förmlich auf.
Ich habe offenbar wirklich ein Händchen dafür, immer irgendwelche Neurotiker ins Haus zu holen – zumindest bei Tieren. Anscheinend aber auch bei Pflanzen …
Denn als ich vorhin den Wetterbericht sah, nahm ich mit Schrecken wahr, dass es wieder richtig kalt werden solle! Und das Margeritenstämmchen, dem ich ohnehin schon täglich gut zurede, stand draußen auf dem Balkon! Und das nicht mehr allein, denn es hatten sich sieben weitere Pflanzen hinzugesellt: fünf Geranien und zwei Fuchsien! Rasch googelte ich, inwieweit diese Gesellen winterhart seien, fand jedoch recht widersprüchliche Aussagen. Man riet unter anderem, die empfindlichen Wesen mit Blisterfolie abzudecken. Klar – habe ich immer laufenden Meters im Hause …
Besorgt starrte ich die pflanzliche Gesellschaft an, und sofort ließ das Margeritenstämmchen, das zuvor noch so hemdsärmelig ausgesehen hatte, die Ohren hängen …
Nun stehen sie alle in der Wohnung. Sieben in der Küche, das Margeritenstämmchen im Wohnzimmer. Es reckt fröhlich sämtliche Zweige in alle Richtungen, und soeben sehe ich, dass eine Knospe erblüht ist, die vorhin auf dem Balkon noch geschlossen war! Ha! Gesiegt! Ich habe mich durchgesetzt! Ich bin in der Wohnung – sie hat mich hereingeholt! So zumindest sieht aus, was die Margerite derzeit darstellt – aufgeblüht.
Was habe ich mir da nur wieder ins Haus geholt! Und das derzeit im doppelten Sinne … Erpresser, wie es aussieht. Und Dominanz in Reinform … 😉