Zugegeben, es war kein Vergnügen, diese „tote“ Sprache zu lernen, aber ihre Kenntnis war mir bisher ausschließlich von Nutzen, wenn man davon absieht, dass ich in der Oberstufe in der jeweiligen Doppelstunde Latein-GK (eine Einzel- und eine Doppelstunde in der Woche) stets Mühe hatte, nicht einzuschlafen, woran mich jedoch der spezielle und sehr sarkastische Humor Herrn Feldbergs hinderte. Und so langweilig ich diese Sprache auch fand, war mir doch bewusst, dass die Kenntnis sicherlich nicht verkehrt war. Speziell dann, wenn man einen Vater hat, der sehr gern lateinische Zitate von sich gibt, wenn man mal wieder aufgrund einer gewissen Unbesonnenheit Schiffbruch erleidet. Der sagt dann nämlich: „Quidquid agis, prudenter agas et respice finem!“ Heißt soviel wie: „Was auch immer du tust, handle klug und bedenke das Ende!“ Es geht also um vorausschauendes Handeln, und bei mir als Kind und Jugendlicher war dieser Hinweis manchmal durchaus nicht ganz unangebracht. 😉
Und schaffte ich trotz besten Willens etwas nicht so, wie ich es hatte schaffen wollen und ärgerte mich darüber, hieß es: „Ut desint vires, tamen est laudanda voluntas.“ Das bedeutet: „Wenn auch die Kräfte fehlen, so ist der gute Wille doch zu loben.“ (In Arbeitszeugnissen kann man dazu lesen: „Er/Sie hat sich stets bemüht …“ 😉 ) Vielleicht dachte mein Vater sich damals, dass Kritik in einer kuriosen „Geheimsprache“ besser herüberkomme als ein markiges deutsches: „Siehste, das kommt davon, wenn man impulsiv handelt. Erst den Kopp einschalten!“ Oder: „Sieh doch einfach ein, dass Tennis nicht dein Ding ist.“ Nur als Beispiel. 😉
Eines hat er immerhin erreicht: Ich wollte diese „Geheimsprache“, vulgo: Latein, auch lernen. 😉 Und als ich darin schon fortgeschritten war und er wieder mal mit: „Ut desint vires …“ ankam, konterte ich stets: „Per aspera ad astra!“ Dann lachte er und meinte: „Sehr gut. Nie aufgeben – da hast du schon recht.“ (Und doch gab ich in aussichtslosen Fällen irgendwann auf. Aber man musste es zumindest versuchen.) Übrigens wollte mein Vater mich mit diesem Zitat keineswegs entmutigen. Wohl eher im Gegenteil – ich habe einen sehr lieben Vater. 😊
Diejenigen, die keinerlei Nutzen im Erlernen der lateinischen Sprache sehen und von „tote Sprache, wozu braucht man die“ sprechen, scheinen keinerlei Ahnung von deren immensem Nutzen zu haben. Nicht nur, dass man es, hat man die lateinische Grammatik und auch deren Vokabular verinnerlicht, erheblich leichter hat, viele Sprachen zu lernen, vor allem romanische wie zum Beispiel Spanisch, Französisch, Italienisch oder Rumänisch, aber auch die germanischen wie Schwedisch, Norwegisch, Dänisch und andere. Und Englisch, eine wunderbare Mischung aus germanischen und romanischen Elementen. Nein, auch die eigene Muttersprache und deren Grammatik wirkt gleich viel fluffiger und besser nachvollziehbar. 😉 Und auch viele Fremdwörter sind plötzlich kein Buch mit sieben Siegeln mehr, begegnet man ihnen dann im Lateinunterricht. Echte Aha-Erlebnisse tun sich da auf! 😉
So helfen Kenntnisse in dieser Sprache auch im Alltag oft weiter. Erst heute durfte ich das einmal mehr feststellen.
Ich habe derzeit Urlaub und hatte heute um 12:15 Uhr einen Termin bei meinem Hautarzt zwecks Hautkrebsscreenings. Ich musste insgesamt eine Stunde nutzlos herumsitzen, trotz Termins. Dann endlich kam eine Ärztin zu mir. Um 13:10 Uhr, als ich schon langsam unleidlich wurde. Normalerweise werde ich nicht unleidlich in dieser Praxis, da ich weiß, dass ich längere Wartezeiten in Kauf nehmen muss. Aber ich habe vor zwei Wochen mit Intervallfasten begonnen, und ich durfte um 13 Uhr meine allererste Mahlzeit des Tages zu mir nehmen, war also mit extrem nüchternem Magen eingetroffen. Mein Blutzuckerspiegel also eher niedrig, und wer sich etwas mit der Materie auskennt, weiß, dass mit sinkendem Blutzuckerspiegel der Adrenalinspiegel steigt, was auch Menschen, die im Grunde friedliebend und freundlich sind, etwas ungeduldiger und gereizter werden lässt. Doch keine Sorge: Ich hatte mich im Griff. 😉
Ich bin nun schon seit sechs Jahren Patientin in dieser Praxis und trotzdem immer wieder erstaunt, dass ich manchen Ärztinnen (denn es gibt hauptsächlich Ärztinnen in dieser Praxis, obwohl der Inhaber ein männlicher Arzt ist) nur zwei- oder dreimal begegne und dann immer neue, mir unbekannte Ärztinnen da sind. Auch heute erschien erneut eine mir völlig fremde Ärztin. Sie war Asiatin, und nachdem sie gehört hatte, was der Grund für mein Erscheinen in der Praxis war, sagte sie: „Alle ausßiehen!“ Ich sah mich um: Wo waren die anderen, die sich mit mir zusammen ausziehen sollten? Doch ich riss mich schnell zusammen und mir die Klamotten vom Leib, bis auf die Unterwäsche. Dann wurde ich in sehr genauen Augenschein genommen, und das nicht nur mit bloßem Auge, sondern auch mit einem Dermatoskop an heikleren Stellen. Manchmal rief die sehr sachliche, aber nette asiatische Ärztin: „Achtung, wild kalt!“ Und sie sprühte mir ein alkoholhaltiges Desinfektionsmittel auf eine bestimmte Stelle und presste dann das Dermatoskop darauf, auf dieses wiederum eines ihrer Augen. Und so zog sie die gesamte Fleischbeschau durch. 😉
Doch dann fiel ihr ein, dass sie etwas vergessen hatte, und sie rief: „Sseige Planta!“ Ich stutzte. Bitte, was sollte ich ihr zeigen? Ich habe doch kein Händchen für Pflanzen und auch keine Plantage! Doch dann fiel der Groschen recht schnell, und ich danke Herrn Feldberg noch heute für die gründliche Unterweisung im Fach Latein! 😉 Sie wollte meine Fußsohlen sehen! Planta ist die Fußsohle. Das Gegenstück, die Handinnenfläche, heißt palma. (Da hätte ich auch unverzüglich reagiert, da das Ganze im Englischen palm heißt.) Klingt alles sehr pflanzlich. Kein Wunder, dass ich da nur mit Verzögerung reagiere – ich habe einfach keine Begabung für Pflanzen. 😉
Sie war sowohl mit der rechten als auch der linken Planta zufrieden und gebot mir dann: „Mache Mund auf!“ Schnell schluckte ich das Kaugummi hinunter, das ich in meiner Intervallfasten-Verzweiflung gekaut hatte, und riss meinen Mund auf. „Ah, ssieht gut aus, alles okay!“ So die Ärztin, während ich aufgrund der überhasteten Schlucktätigkeit ein Problem mit meinem Zwerchfell bekam. Kurz: Ich erlitt einen Schluckauf. Aber egal … Es war immerhin alles okay.
Rasch zog ich mich wieder an und wurde sehr freundlich verabschiedet: „Schüss! Bis ssu nächste Mal!“ – „Herzlichen Dank und einen schönen Tag!“ – „Helzliche Dank! Und ist alles in Oldnung, fleut mich. Schüss!“ Und schon verließ sie U2. Das ist kein U-Boot, nur das Untersuchungszimmer, in dem ich mich befunden und Planta links und Planta rechts vorgezeigt hatte. Und ich dachte: „Du meine Güte! Ich hielt es immer für ein Klischee, dass manche Asiaten kein R sprechen können!“
Immerhin hatte ich fast alles verstanden. Das ist nicht immer einfach bei einem sehr starken Akzent wie einigen asiatischen. Ich habe einmal zwischen chinesischen Kongressteilnehmern und meinem damaligen Chef drei Tage gedolmetscht – ich konnte eine ganze Woche darauf kaum ein Auge zubekommen, weil ich derart unter Adrenalin stand, dass ich wie aufgezogen und unter Spannung gesetzt war, denn ich hatte wie ein Schießhund aufpassen und mich konzentrieren müssen – das ist echt anstrengend. Und ich bin ja keine durchtrainierte Dolmetscherin.
Eines habe ich heute aber einmal mehr gelernt: Egal, welche Sprache ihr sprecht, ist Latein doch immer total hilfreich. Bei einer Prophylaxeuntersuchung in puncto Hautkrebs hatte ich damit allerdings auch nicht zwingend gerechnet. 😉
Danke, Herr Feldberg – ohne Sie und Ihr penetrantes Beharren darauf, dass Latein auch heute noch superwichtig sei, hätte ich heute wie ein Knalldepp dagestanden. Und das im wahrsten Sinne, denn ich hätte ohne Ihr Beharren darauf, wie wichtig Lateinkenntnisse seien, nicht einen Fuß gehoben! 😉
Gegen babylonische Sprachverwirrung hilft also nur eines: Latein! 😉
Euch einen schönen Abend! 😊