Was man mit berühmten Autoren gemeinsam haben kann ;-)

Ich finde immer wieder faszinierend, Dinge mit Menschen zu teilen, die man gar nicht persönlich kennt und durch Zufall kennenlernt. Wie mit meiner neuen Brieffreundin Leslie aus Texas, die es vorzieht, durch echte Briefe, also via snail mail, zu kommunizieren.

Ich hoffe, sie hat meinen ersten Brief bekommen, den ich abschickte, als ich schon zwei von ihr bekommen hatte, weil sie wohl hochfrequent schreibt. Denn sie schreibt und wirkt so liebenswert. Nachdem ich nun noch nichts bekommen habe, befürchte ich, dass sie meinen noch nicht bekommen habe oder er ihr nicht gefiel. Dabei fand ich gerade so liebenswert, wie sie mir erzählte, ihr Vater sei Ingenieur, und Gute-Nacht-Geschichten, die er ihr und ihren Geschwistern erzählte, wären gar keine solchen im herkömmlichen Sinne gewesen, sondern mehr Lehrstunden über Ingenieur- und Naturwissenschaften. Da – ich gestehe es – habe ich hellauf gelacht! Nicht etwa, weil ich das albern fand, nein. Weil ich das kannte und absolut nachvollziehen konnte. Das habe ich ihr auch geschrieben, einmal mehr fasziniert davon, dass zwei einander völlig unbekannte Menschen, die tausende Kilometer entfernt voneinander ihr Dasein fristen, durchaus vieles gemeinsam haben können, auch wenn sie in völlig unterschiedlichen Situationen, gar Systemen, leben. (Obwohl mein Vater mir, als ich vierjährig einmal fiebernd und krank im Bett lag, Goethes Zauberlehrling vorlas, weil er wohl der Meinung war, dass man allgemein- und nicht nur einseitig bildend tätig werden müsse. Und er hat das so liebenswert und lebhaft-amüsant gemacht, dass ich es nie vergaß und den Zauberlehrling seit damals ins Herz geschlossen habe, zumal dieser in der Tat einen gewissen Humor in sich trägt. 😉 )

Gestern Abend hatte ich einmal mehr ein solches Erlebnis, als ich – nach des Tages Fron und einer schlafgestörten Nacht sehr, sehr müde – in die U11 stieg, die mich nach Essen bringen sollte. Dort war ich mit Jana verabredet, vor der „Lichtburg“, einem sehr alten und ehrwürdigen Kino mit einem ehrwürdigen Kinosaal. Denn dort sollte eine Autorenlesung stattfinden, und nicht nur irgendeine! Nein! T. C. Boyle höchstselbst sollte dort lesen – und tat es dann auch.

Ich gehöre nicht zu den ausgesprochenen Boyle-Fans – zumindest gehörte ich bis gestern nicht dazu -, und so erstaunte mich, wie unterschiedlich das Publikum aussah, als ich vor dem altehrwürdigen Kino auf Jana wartete.

Als sie ankam, nahmen wir alsbald unsere Plätze ein, und als wir einmal aufstehen mussten, um später eingetroffene Leute auf ihre Plätze zu lassen, sah ich zwar diesen bärtigen Mann nebst Begleitung, der mir irgendwie bekannt vorkam. Aber ich schaltete nicht, zumal Jana mir gerade etwas zuraunte, weswegen ich meinen Kopf zu ihr wandte. Da hörte ich von links plötzlich: „Guten Abend, liebe Ali!“

Ich war wirklich ziemlich geschafft, gestern, und so sah ich mich zunächst erstaunt um: Noch eine Frau, die „Ali“ hieß, und das ganz in meiner Nähe? Dann sah ich nach links und dem bärtigen Herrn ins Gesicht: Der war mir so bekannt! Aber ich schaltete nicht, und so meinte er: „Erkennst du mich nicht mehr?“ – „Äääh …“ – „Ich bin es, Norman!“ Da fiel der Groschen! Norman, natürlich! Ein früherer Kollege! Erst vor knapp drei Jahren ausgeschieden – und schon erkannte ich ihn nicht mehr! (Her mit dem Ginkgo-Extrakt! 😉 ) Aber mit dem Bart, den er früher nicht gehabt hatte, war das auch kein Wunder. Ich sprang auf und entschuldigte mich zunächst für meine Ladehemmung, dann nahm ich Norman in den Arm, woraufhin seine Frau mich böse anstarrte und ich dachte: „Keine Angst, ich mache ihn dir gewiss nicht streitig! Wir waren nur einst Kollegen!“

Wir wünschten einander einen interessanten Abend und ließen das Ehepaar, das – was für ein Zufall! – in derselben Reihe wie wir saß, durch.

Und dann ging es auch schon los. Nach einer kurzen Ankündigung kam der Maestro in Begleitung einer Journalistin und eines Schauspielers, der die deutschen Passagen, die man ausgewählt hatte, vorlesen sollte, höchstselbst auf die Bühne. Applaus brandete auf, aber Mr Boyle war keineswegs eingebildet, sondern winkte ganz natürlich ins Publikum und rief markige Begrüßungsworte.

Ich fand ihn gleich absolut sympathisch. Er sieht aus wie ein flippiger Alt-Hippie, verfügt über einen wunderbaren Humor, und die Journalistin, die im Gegensatz zu ihm recht konservativ aussah, war ebenso hervorragend. Der Schauspieler, der die deutschen Passagen lesen sollte, saß im Halbdunkel, nachdem man erklärt hatte, dass er derzeit als Vogelscheuche im Zauberer von Oz Erfolge feiere.

Jana und ich kicherten ein wenig – was für eine Vorstellung für den Schauspieler! Dabei ist der Wizard of Oz doch ein wunderbares Stück. Dennoch: Als Vogelscheuche vorgestellt zu werden, und sei es auch dieser wichtige Charakter aus dem Zauberer von Oz, wirkt recht erheiternd.

Nach einem einleitenden Interview las dann Mr Boyle den ersten Part, nachdem er mehrfach Frrrau Boyle erwähnt hatte, seine Frau, die er wohl wirklich „Frau Boyle“ nennt, da sie deutsche Vorfahren hat. Alle lauschten gebannt in diesem riesigen, altehrwürdigen Kinosaal, der insgesamt 1250 Sitzplätze umfasst. Er las wirklich hervorragend – wir waren alle gefesselt von seinem neuesten Roman, in dem er über Timothy Leary erzählt.

Weiter ging es mit „Plauderei“, und irgendwann fragte die Journalistin, ob er uns denn seinen Lieblingsfilm benennen könne. Da kam wie aus der Pistole geschossen: „The Big Lebowski“! Und schon johlten und applaudierten diverse Menschen aus dem Publikum – auch ich, und das zur Überraschung Janas und der sonstigen Sitznachbarn, denn in unserer Ecke war ich wohl die Einzige. 😉

Und was Mr Boyle auch sonst so zu erzählen hatte, begeisterte mich. Mit dem hätte ich mich gern mal unterhalten – er sprach mir in manchen Dingen aus der schwarzen Seele! 😊

Der Schauspieler las dann eine sehr lange Passage aus der Übersetzung – hervorragend gelesen, wunderbare Stimme, wunderbare Betonung. Danach las Mr Boyle noch einmal selbst und auf Englisch.

Und danach konnten wir uns Bücher signieren lassen. Da merkte ich, dass ich etwas vergessen hatte: Ich hatte kein Buch! Dabei werden solche Lesungen doch gerade deswegen veranstaltet, um Bücher zu verkaufen! 😉

Aber einmal mehr muss ich Jana, meine liebenswerte Kollegin, preisen: Sie hatte zwei Exemplare dabei! Eines hatte sie zwar – wie sie sagte – ggf. für ihre Kinder gedacht, aber da diese noch klein seien, im Grunde auch für mich. Ich kaufte es ihr spontan ab, und schon standen wir – und das auch für die nächste knappe Stunde noch – in einer endlos scheinend langen Schlange vor der Bühne. Und lernten einmal mehr, dass kleiner gewachsene Menschen in jedem Falle schon sehr früh eines gelernt haben: sich durchzusetzen! 😉

Denn wir – Jana ist exakt 2 Zentimeter kürzer als ich – standen hinter zwei sehr hochgewachsenen Herren, die jedoch wie festgewurzelt stehenblieben, obwohl von rechts Menschen sich vordrängelten! So etwas macht mich wahnsinnig – und Jana offenbar auch. Es mag daran liegen, dass wir, da kleiner gewachsen, als Kinder und auch später so oft abgedrängt wurden, weil wir eben nicht so groß sind. Man lernt als kleinerer Mensch aber sehr schnell, und während Jana ein wenig eingekeilt dastand, hatte ich bessere Möglichkeiten – und wir wollten doch nicht dort übernachten, oder? 😉 Ich bahnte einen Weg, natürlich diskret, aber nachhaltig, und rasch standen Jana und ich relativ weit vorn.

Und nach über einer Stunde dann auch auf der Bühne. Und schon rückten wir näher, und dann war ich schon dran. Verdammt! Ich hatte mir gar nicht überlegt, was ich sagen wollte! Und ich wollte doch nicht einfach nur schwachsinnig grinsend mein Buch hinlegen und signieren lassen …

Doch schon brach es aus mir heraus, als T. C. Boyle mich aufmerksam anblickte, und ich rief fröhlich: „Good evening, Mr Boyle!“ – „Good evening, young lady!“ Ich lachte. Dann meinte ich: „Thank you very much for this wonderful evening. I was so pleased to learn one of your favourite films is one of my favourite films as well: The Big Lebowski!” Da lachte er und meinte: “Really?” – “Yes – I like the Dude!“ Da meinte er: „You should see O Brother Where Art Thou and Fargo as well if you like the Dude!” Und da lachte ich und rief: “I know and like both films, and I especially love Fargo! Frances McDormand is so brilliant, and I’ll never forget her yelling Aw, Jeez! And everything is so bizarre, nobody’s perfect, and this makes you feel good!” Mr Boyle sah mich an, lachte und meinte, das fände er ja mal total gelungen, und ich hätte einen guten Geschmack. Und was Frances McDormand eigentlich in der Synchronisation sagen würde. Ich sagte: „In the German synchro she always yells Jesses!” – “Does that mean the same as Jeez?” – “Absolutely. In Southern Germany.” T. C. Boyle kniff mir ein Auge zu, ich zwinkerte zurück, und obwohl ich nur eine aus einer nervig langen Reihe war, fand ich das alles prima, zumal er meinte, er glaube, mit mir könne er sich lange über Filme unterhalten. Keiner der zahllosen Leute zuvor hätte so begeistert auf seine Filmvorlieben reagiert. 😉

Ich fand das nett. Halt ein paar freundliche Worte an eine völlig unbekannte Person. Unverbindlich, aber freundlich. Der Abend war definitiv gerettet. Außerdem ist Mr Boyle Anglist – noch etwas, das ich sympathisch finde.

Nun besitze ich das neue Buch von T. C. Boyle, von ihm höchstselbst signiert, habe mich mit ihm persönlich unterhalten und über Filmvorlieben ausgetauscht. Damit hätte ich zu Beginn des Tages nie gerechnet! 😉

Ebensowenig, dass ich ausgerechnet mit T. C. Boyle so einiges gemeinsam haben würde … 😉

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