Gestern oder vielmehr letztes Jahr habe ich mit meiner Kollegin und inzwischen guter Freundin Jana Silvester gefeiert. Es war ein wunderschöner Abend! Und sehr lustig obendrein. đ
Um kurz vor halb fĂŒnf am Nachmittag setzte ich mich in die StraĂenbahn und raste gen zentrale Haltestelle im benachbarten Stadtteil. Bereits wĂ€hrend der Fahrt stellte ich â einmal mehr â fest, dass das Publikum im ĂPNV an Tagen wie diesem ein ganz besonderes ist, zumindest zu gröĂeren Teilen. Man könnte auch sagen: speziell. đ Ich nehme mich selten aus, fĂŒhre jedoch im öffentlichen Raum nicht unbedingt SelbstgesprĂ€che oder schimpfe unkontrolliert vor mich hin, wobei ich wĂŒtende Blicke auf die Umsitzenden schieĂe. Oder sonstige Dinge, die ich gestern in der Bahn erlebte. Nun ja, ich wĂŒrde ja bald aussteigen.
Von der zentralen Haltestelle aus marschierte ich weiter, bis ich um 16:50 Uhr an Janas HaustĂŒr klingelte. Sie öffnete und rief: âHey, du hast mich erwischt! Ich bin noch nicht fertig. Moment! Du bist zehn Minuten zu frĂŒh! Was ist passiert?â Die Frage war berechtigt, da zu meinen persönlichen SchwĂ€chen gehört, eher zu spĂ€t als zu frĂŒh aufzuschlagen. Und Jana kennt mich nun seit fast einem Jahr. Ich rief fröhlich: âIch wollte dich am letzten Tag des Jahres ĂŒberraschen! Ich komme doch nie zu frĂŒh.â â âĂberraschung gelungen,â, lachte Jana, âkomm herein!â
Wir wollten erst gemeinsam kochen und dann nach Bochum fahren, wo wir in den Kammerspielen ein TheaterstĂŒck ansehen wollten, um danach im Foyer des Schauspielhauses an der Silvesterparty teilzunehmen. WĂ€hrend Jana sich fertigmachte, las ich mir schon einmal das Rezept durch. Ein schnelles Gericht, aber sehr lecker: Steaks mit gebackenen Rosmarin-Knoblauch-Kartoffeln, geschmorten Tomaten und Salat sollte es geben, und wir bereiteten alles schlieĂlich zusammen zu und aĂen dann gemeinsam. AnschlieĂend fuhren wir nach Bochum.
Das TheaterstĂŒck war interessant, die Hauptdarstellerinnen, minderjĂ€hrige Laiendarstellerinnen, machten ihre Sache groĂartig, wirklich. Aber das StĂŒck war nicht meins, und wĂ€hrend der Vorstellung sah ich mehrere Leute eilig zu einem der AusgĂ€nge streben, durch den sie ebenso eilig verschwanden. Wir jedoch wollten das StĂŒck bis zu Ende sehen, das keinem gĂ€ngigen Genre entsprach und mich am ehesten an Experimentelles Theater erinnerte, dessen Fan ich nicht bin. Was auch immer es war, es war eindeutig avantgardistisch gemeint. Wir blieben also sitzen, was jedoch zu einem gewissen Teil auch daran lag, dass wir mitten im Publikum saĂen, wo ein Aufbruch mittendrin immer etwas unangenehm ist, da dann alle aufstehen mĂŒssen, an denen vorbei man dann eiligst gen Ausgang strebt. đ Aber ich bin ohnehin eine Verfechterin der Einstellung, dass man sich mit Dingen erst befassen mĂŒsse, um sie beurteilen zu können. Und die MĂ€dels haben das zĂ€he Spektakel wirklich groĂartig umgesetzt â das kann man anders nicht sagen, und ich war wirklich voller Bewunderung fĂŒr die noch sehr jungen MĂ€dchen. Die hatten den Applaus auf alle FĂ€lle mehr als verdient. Die Regisseurin und ich â da bin ich mir jedoch sehr sicher â wĂŒrden sicherlich nicht auf einen Nenner kommen, wĂŒrden wir ĂŒber das StĂŒck diskutieren, aber GeschmĂ€cker und Ansichten sind nicht selten total verschieden, und das ist auch gut so! đ
Als Jana und ich unsere MĂ€ntel abholten und auf die StraĂe gingen, um erst einmal eine zu rauchen, meinte sie: âAli, wie fandest du das StĂŒck?â Sie klang zögerlich, und ich meinte: âIch fand es ⊠interessant. Die MĂ€dels waren groĂartig â das muss gesagt werden. Warum fragst du?â â âWeil ich das StĂŒck sehr merkwĂŒrdig fand und keine eigene Interpretation fĂŒr mich finde. Du kennst dich mit sowas wohl besser aus.â Ich lachte und meinte: âNein, wie kommst du darauf? Ich bin nicht so der Schauspiel-Typ â frag mich etwas ĂŒber Musiktheater, dann könnte ich eher meine Meinung sagen.â â âAber du hast doch u. a. Literaturwissenschaften studiert.â â âJa, zu Literatur könnte ich noch etwas sagen â bei diesem StĂŒck hier ist mir nicht einmal das Genre klar, was wahrscheinlich beabsichtigt ist. Aber von Theaterwissenschaft, was ja in den 80ern und 90ern neben Ăkotrophologie ein total angesagter Studiengang war, habe ich keine Ahnung. Ich bin auch ratlos. Und bitte: Ich habe zwar irgendwas studiert, aber das heiĂt beileibe nicht, dass ich mich ĂŒberall auskennen wĂŒrde. Im Vertrauen: Du ĂŒberschĂ€tzst mich!â Da lachte Jana, und ich meinte grinsend: âUnd beim nĂ€chsten Mal gehen wir in eine Wagner-Oper!â Jana sah mich an und meinte: âDas ist nicht dein Ernst!â â âNein. Ich mag Wagner-Opern nicht. Und wir sollten auch besser in einen Teil des Opernzyklusâ Licht von Karlheinz Stockhausen gehen. Das wĂ€re sicherlich ein geeignetes Pendant zu diesem StĂŒck hier.â Und ich lachte laut. Seit jeher frage ich mich, was Stockhausen-Begeisterte zu Stockhausen-Begeisterten mache. Ich finde seine Musik grauenhaft.
Fröhlich machten wir uns auf zum Schauspielhaus. Und die Party war auch prima, und wir tanzten und lachten viel. Leider war der Jahreswechsel dann etwas verdorben, und das nicht nur fĂŒr Jana und mich, sondern auch fĂŒr andere PartygĂ€ste, denn eine ganze Gruppe von Menschen, die sich auf dem Vorplatz zum Schauspielhaus zusammengefunden hatten, verwandelten den Vorplatz in eine Art Kriegsgebiet, indem sie bereits ab 23 Uhr intensiv herumböllerten. Mit groĂen Recyclingtaschen diverser Discounter und SupermĂ€rkte, randvoll mit Pyrotechnik, kamen sie an und hantierten obendrein auf sehr riskante Weise mit den Knallern. Sogar etwa sechsjĂ€hrige Kinder liefen mit Chinaböllern in der Hand herum, die sie dann anzĂŒndeten und unbesehen sonstwohin warfen. Das fand ich ein bisschen fragwĂŒrdig, vor allem, als ein kleiner Junge rief: âEine Bombe, eine Bombe! Geil!â Ja, total geil, so eine Bombe âŠ
GlĂŒcklicherweise teilte uns vor dem Theater Wartenden, die SektglĂ€ser startbereit in der Hand, dann das Schauspielhaus via Lautsprecher mit, dass es nur noch eine Minute bis zum Jahreswechsel sei â angesichts der exorbitanten Knallerei hĂ€tte man schon annehmen können, der Zeitpunkt sei bereits ĂŒberschritten -, und dann gab es den Countdown. Jana und ich stieĂen mit unseren SektglĂ€sern an, umarmten und drĂŒckten einander ganz fest und wĂŒnschten einander GlĂŒck und Gesundheit, und das kam wirklich von Herzen. đ Das Feuerwerk wurde noch intensiver â es fĂŒhlte sich wirklich an, als wĂ€ren wir mitten in einem Kriegsgebiet, aber wir betrachteten gerĂŒhrt die wunderbaren Bilder, die da an den Himmel gemalt wurden. Und trotz des LĂ€rms hörten wir die Kirchenglocken lĂ€uten. Wahrscheinlich hat Bochum besonders leistungsstarke Glocken ⊠Wir nahmen allerdings auch nur die tiefgestimmten, gröĂten Glocken wahr ĂŒber all dem Geheule, Gepfeif und den DetonationsgerĂ€uschen. đ
Und zum GlĂŒck gab es keine Verletzten, niemand wurde von einem BlindgĂ€nger getroffen oder einer Rakete angeflogen.
Wie sich Letzteres anfĂŒhlt, weiĂ ich ĂŒbrigens. Vor Jahren feierte ich mit meinem damaligen Freund Henrik auf einer Privatparty mit vielen Teilnehmern in Essen. Es gab viel zu essen, es gab Bier, Wein, Sekt, GlĂŒhwein und Feuerzangenbowle. Kurz vor Mitternacht stĂŒrmten wir auf die StraĂe, dabei mehrere leere Sektflaschen als âAbschussrampenâ fĂŒr Raketen. Und es war ein wunderbares Feuerwerk! Der Veranstalter der Party, ein ehemaliger Kollege von Henrik und mir, hatte jedoch gesagt: âNur auf der StraĂe â nicht auf dem BĂŒrgersteig. Sicher ist sicher.â Und so standen wir vorne am Rand des BĂŒrgersteigs, und wir alle ah-ten und oh-ten angesichts der wunderbaren Effekte am Himmel und auf der StraĂe.
Plötzlich schlug mir jemand von hinten auf die rechte Schulter, und das sehr heftig. Zumindest dachte ich dies, und als ich meinen Kopf nach rechts drehte, sauste unter lautem Geheul eine Rakete an meinem rechten Ohr vorbei! Offenbar war sie es gewesen, die den Schlag auf meine Schulter verursacht hatte ⊠Ich erschrak fast zu Tode, und ich schrie vor Schreck laut auf. Der Gastgeber, mit dem ich zwei Jahre in einem BĂŒro gesessen hatte, kam zu mir und fragte, was passiert sei. Es stellte sich heraus, dass einer der GĂ€ste hinten auf dem BĂŒrgersteig eine eigene âAbschussbasisâ installiert, aber wohl zuviel Feuerzangenbowle konsumiert hatte, denn er war, als die ZĂŒndschnur schon fast bis zum Anschlag durchgeglommen war, gegen die Sektflasche getaumelt, die dann umkippte und die Rakete dann, wĂ€hrend die Flasche kippte, schrĂ€g und in Richtung meiner rechten Schulter abgeschossen wurde. Der Gastgeber hat dann dem Verantwortlichen die Hölle heiĂgemacht, nachdem er sich um mich gekĂŒmmert hatte, die jedoch versicherte, nur einen gigantischen Schrecken erlitten zu haben, und man möge kein allzu groĂes Fass aufmachen. âDoch, Ali! Das muss man! Du hĂ€ttest schwer verletzt sein können! Deine Haare hĂ€tten in Flammen aufgehen, sonstwas hĂ€tte passieren können! Und ich hatte eigens gesagt: Nur auf der StraĂe!â â âJa, du hast ja Recht, ich will nur keinen allzu groĂen Aufriss meinetwegen.â â âDoch!â rief Volker. Und dann stauchte er den Herrn zusammen, der das Ganze verursacht hatte, und er rief ihm ein Taxi. Und die nĂ€chsten Tage dachte ich umso mehr, dass das absolut richtig gewesen sei, denn was ich im ersten Schrecken nicht gemerkt hatte, war die Tatsache, dass ich ein durchdringendes Pfeifen im rechten Ohr hatte. Es dauerte drei Tage, wurde dann schwĂ€cher und verschwand. Aber es war sehr unangenehm â als wĂŒrde ich mich noch immer im Zentrum des Silvesterfeuerwerks befinden. đ
Aber gestern war es â abgesehen von kleinen Ărgernissen â wirklich sehr schön. So viel hatte ich schon lange nicht mehr getanzt und gelacht.
Euch auch ein frohes, gesundes und glĂŒckliches neues Jahr! đ