Zittern „auf Schalke“

Nein, ich war nicht anlässlich eines Fußballspiels vor zwei Tagen auf Schalke, obwohl das Zittern unter Umständen auch dazu gepasst hätte. Bitte verratet mich nicht, aber ich bin gar keine so überzeugte Schalkerin … 😉 Pssst – nicht weitersagen. (Klar, wenn der BVB gegen die Knappen spielen würde, wäre ich auf alle Fälle auf Seiten Schalkes, und das gilt auch für einige andere Clubs, mal abgesehen vom „Glubb“ aus Nürnberg und der wahren Borussia – und ich mag Schalke ja auch, nur nicht so, wie es so viele andere Menschen speziell in dieser Stadt hier tun. 😉)

Zittern kann man jedoch auch ganz ohne Fußball auf Schalke, wenn es draußen in Strömen regnet und drinnen nicht viel wärmer ist. Ich war zum Weihnachtssingen dort. Mit Kerstin, einer meiner Kolleginnen. Einer Kollegin, die ich sehr mag, da „hart, aber herzlich“, wie sie mir auch schon vorgestellt wurde. 😉

Um 14:30 h wollte Kerstin vor meiner Haustür stehen und mich mit ihrem Mazda abholen. Sie wohnt nicht hier in der Stadt und meinte, es wäre doch albern, würde ich mich auch ins Auto setzen und zur „Arena“ fahren. Da sie eh fahren müsse, würde sie mich ganz einfach abholen. Und so sauste ich um 14:28 h die Treppen hinunter und sah aus dem Flurfenster den kleinen, weißen Mazda schon auf der anderen Straßenseite stehen.

Kaum saß ich im Auto, kaum hatten wir einander begrüßt, meinte Kerstin: „Komm, wir rauchen erst mal eine – das hier ist ein Raucherauto.“ – „Gut, dass wir mit deinem Mazda fahren – meiner ist kein Raucherauto.“ – „Aber du rauchst doch auch!“ – „Nicht in meinem Auto!“ – „Wat biss du denn für eine?“ rief Kerstin amüsiert. „Wat ich für eine bin? Eine Inkonsistente! Im Gegensatz zu dir rauche ich zwar nicht im Auto, aber in der Wohnung, wenn auch nur im Wohnzimmer.“ – „Dat würde ich niemals tun! Nur auf’m Balkon!“ – „Das meinte ich mit inkonsistent!“

Und als wir aufgeraucht hatten, fuhren wir los zur Arena. Ich lotste Kerstin sicher zu einem noch nicht ganz so übervölkerten Parkplatz – aber wir waren auch verdammt früh dran. Einlass war ab 15 h, und wir waren eine Viertelstunde früher da. Das war aber auch gut, denn so standen wir relativ weit vorne in einer der Schlangen der Weihnachtssingwilligen. 😉

Endlich waren wir drin, inzwischen auch auf Waffen und/oder Flaschen abgetastet! Es war 15:15 h – noch viel Zeit totzuschlagen, da das Massenevent erst um 16:30 h begann. Wir rauchten erst mal eine …

Dann ließ Kerstin ihre Knappenkarte aufladen, und wir umkreisten – natürlich hatten wir das Stadion just an dem Eingang geentert, der am weitesten von unserem Block Q entfernt war – die Arena und setzten uns erst einmal auf unsere beiden Randplätze. Dann holte Kerstin heiße Getränke. Und dann war es immer noch so lange hin bis zum Anfang …

Wir gingen noch einmal eine rauchen, danach zum Klo. Und zurück auf unsere Plätze in Reihe 27. Und noch immer so viel Zeit …

Kerstin und ich sind beide nicht die Geduldigsten, und so standen wir wieder auf. Noch eine rauchen. Draußen meinte Kerstin, einige Jahre jünger als ich: „Ali, wir sind beide leider doof! Wir hätten verdammt nochmal Sitzkissen mitnehmen sollen! Hast du auch einen so kalten Hintern?“ Ich grinste und meinte: „Ich wollte ja vorhin nichts sagen, als ich ein erheblich älteres Paar hier mit einer Tüte vorbeigehen sah, in der ganz eindeutig zwei Sitzkissen waren, weil ich fürchtete, du würdest mich für ein Weichei halten. Aber du hast recht: Wir hätten Sitzkissen mitnehmen sollen! Nun, immerhin regnet es im Moment nicht.“ Und daher blieben wir auch länger draußen.

Irgendwann saßen wir wieder auf unseren Plätzen ohne Sitzkissen, mussten aufgrund der Randplätze jedoch noch mehrfach aufstehen, um Menschen durchzulassen. Endlich war die Reihe voll! Nur die vor uns war erschreckend leer.

Und dann ging es los! Eine Massenveranstaltung reinsten Weihwassers, amerikanisiert, dass es heftiger kaum ging. Immerhin begann es mit Alle Jahre wieder. Und Kerstin und ich sangen heftig mit – es machte Spaß!

Als wir Morgen kommt der Weihnachtsmann anstimmten, kam tatsächlich jemand: die halbe Reihe 26 vor uns! Eine Art Hühnerhaufen, der sich zunächst setzte, dann wieder „hochflatterte“, weil mittendrin eine der Damen – alle tranken Glühwein – doch, wenn auch verspätet, gemerkt hatte, dass sie noch einmal zur Toilette müsse. Und kaum war sie wieder da, merkte auch die Nächste, dass sie … La Ola in der halben Reihe 26 in Block Q, obwohl mir Hühnerhaufen erheblich besser gefiel …

Und so ging es bis zur Pause. Irgendwann sah ich einen intensiven Blick von rechts auf mich gerichtet, und ich drehte mich in die Richtung, obwohl ich blind hätte sagen können, wer mich da anstarrte und auch, warum. Natürlich war es Kerstin, und sie hatte ihren sehr, sehr strengen Blick drauf, der besagte: „Pass op! Leg dich nicht mit mir an!“ Ich sah sie an, und da meinte sie auch schon: „Was ist das da in der Reihe vor uns?“ – „Keine Ahnung – ist wohl ein Hühnerhaufen!“ – „Wenn das so weitergeht, werde ich sauer. Ich versuche hier, Videos zu machen, und dauernd habe ich irgendeinen dieser blöden Hinterköppe im Bild! Leiden die unter Sitzunruhe?“ – „Eher unter einer Reizblase,“, gab ich zurück, „reg dich nicht auf – mich nervt es auch.“ – „Du hast doch unsere Regenschirme unter deinem Sitz!“ – „Soll ich denen auf die Köppe hauen, oder was erwartest du von mir?“ – „Ja!“

Zum Glück hatte sie sich bis zur Pause wieder beruhigt. Der Hühnerhaufen nicht. Der flatterte immer noch.

Richtig ärgerlich war ich dann auch, als die Hühner nach der Pause den gleichen Scheiß wieder abzogen, und mir entfleuchte der Spruch: „Boah, ey! Ich verstehe manche Männer immer besser! Frauen – manche zumindest! – stören im Fußballstadion nur!“ Und ich meinte zu einer der vor mir Wuselnden: „Hallo? Würden Sie sich bitte einfach hinsetzen? Sie stören!“

Da drehte die „Dame“ sich zu mir um und meinte: „Ey! Wat willss du Tussi von miiaa! Ey! Ich kann hier machen, wattich will! Ich happ dafüüaa bezahlt!“ – „Ich auch,“, gab ich zurück, zuckte jedoch vor ihrem ein wenig unkontrolliert hervorschnellenden Zeigefinger zurück. Lieber die ewige Hin-und-Her-Stresserei aushalten als ein Auge einbüßen! Hätte ich meine Brille getragen, wäre diese Diskussion anders ausgegangen. 😉

Aber ich schwor mir: „Wenn dieser Haufen vor uns auch noch mein Lieblingslied stört, haue ich denen echt die Schirme auf’n Kopp!“ Zum Glück waren sie wohl alle am Glühweinstand oder au’m Lokus, als Leonard Cohens Hallelujah dran war. Kein Weihnachtslied, aber wunderschön.

Und sie waren auch abwesend, als das Steigerlied angestimmt wurde: Das einzige Lied, bei dem sich alle von den Sitzen erhoben und voller Inbrunst und sichtlich und hörbar bewegt mitsangen. Auf der Bühne auch ein Kumpel, der mit Tränen in den Augen ebenfalls voller Inbrunst sang. Auch ich hatte die Tränen in den Augen – und ich war gewiss nicht die Einzige. Zwei Tage nach Schließung der letzten noch fördernden Zeche war das zu erwarten. Ein bisschen kitschig, aber wunderschön.

Dann noch ein paar kitschige anglo-amerikanische Weihnachtslieder, ein eher hispanisches ebenso, das ich seit vielen Jahren kenne, das jedoch erst seit einiger Zeit allgemein bekannt ist und prompt zum „Weihnachtshit“ wurde. Nun ja … 😉 Auf alle Fälle hymnisch. 😉 Und der Refrain singt sich so schön.

Wir sangen fast bis zum Umfallen, und kurz vor Ende der zweiten „Halbzeit“ merkte ich, die früher in zwei Chören gesungen hat, die Auswirkungen, die eintreten, wenn man sehr lange nicht so viel gesungen hat: Meine Stimme machte Zicken! Die von Kerstin auch! Wir singen beide Alt, und die meisten Lieder waren für Altistinnen zu hoch angestimmt. Wir schafften zwar die höheren Töne, aber es war mehr „Druck“ vonnöten, zumal die um uns Sitzenden gar nicht so begeistert sangen wie wir. 😉 Mehr „Druck“ auf die tiefergestimmten Stimmbänder bedeutet: mehr Stress, mehr Anstrengung, und beim letzten Lied, Stille Nacht, war mir klar, dass ich anderntags sicherlich keinen geraden Ton mehr hervorbringen könnte, würde ich mich bemühen, alles „auszusingen“. Keinen geraden Ton würde ich mehr sprechen können – ich spreche nicht vom Singen. 😉 Das wäre gar nicht mehr gegangen. 😉

Als Stille Nacht gerade ausgeklungen war, kam der Hühnerhaufen einmal mehr zurück und wunderte sich: „Wie getz? Schonn aus?“ Kerstin sagte: „Ja, schonn aus! Wäre Ihnen länger vorgekommen, hätten Sie die ganze Zeit auf Ihren Plätzen gesessen!“ – „Ey, wie biss du denn drauf, Tussi!“

Ich zerrte Kerstin schnell am Ärmel weg und meinte: „Wie ich es vorhin schon anmerkte: Es gibt Frauen, die gehören nicht in ein Fußballstadion – egal, zu welchem Ereignis!“

Und wir schlappten durch den inzwischen wieder strömenden Regen frierend zu Kerstins Auto. Sie meinte: „Ist dir auch so scheißkalt? Das hat da total gezogen! Ich habe einen ganz kalten Hintern, und meine Füße spüre ich kaum noch!“ – „Geht mir genauso – schnell zum Auto!“ – „Hast du dir gemerkt, wo wir geparkt haben?“ – „Rechts neben dir stand ein schwarzes Auto, und links war ein Baum.“ Wir hielten inne und sahen uns um: Etwa ein Drittel aller dort parkenden Autos war schwarz, und es gab zahlreiche Bäume …

Dennoch haben wir den kleinen weißen Mazda irgendwann gefunden, beide völlig durchgefroren und mit nassen, kalten Füßen, und Kerstin fuhr mich nach Hause.

Und trotz allem: Es war ein sehr, sehr schöner Abend! 😊

Auf Kohle geboren …

„Wir sind auf Kohle geboren.“ So sagen echte Ruhris, echte Pottkinder. Ja, ich weiß, dass das oft belächelt wird, nicht recht ernst genommen. Irgendwie wird hier alles als Manta, Manta wahrgenommen und bewertet. Falls jemand diesen Film noch kennt. 😉

Das ist mir allerdings gleichgültig, denn auch ich bin auf Kohle geboren worden, und zu meiner Kindheit gehörten selbstredend funktionsfähige Zechen mit funktionsfähigen Fördertürmen, an denen sich das Rad drehte – natürlich! Was der Unterschied zwischen einer Seil- und einer Förderfahrt sei, war mir schon in sehr jungen Jahren klar, und ein Teil meiner Vorfahren väterlicherseits bestand aus Kumpels.

Jedes Mal, wenn wir zu meinen Großeltern väterlicherseits fuhren und ein Förderturm zur Linken sichtbar war, sagte mein Vater an einem bestimmten Punkt: „Hier bin ich schon durch die Erde gelaufen.“ Da hielt ich immer die Luft an: beeindruckend! Mein Vater war da durch die Erde gelaufen! Es war für mich so ähnlich wie die Aussage, dass jemand anderes über Wasser gelaufen sei. 😉

Und als meine Schwester und ich gerade des eigenständigen Laufens – ohne allzu heftige Stürze auf den dick verpackten Windelpopo zu verursachen – mächtig waren, schleppte mein Vater uns mitsamt unserer fränkischen Mutter, die mit Steinkohlebergbau absolut unvertraut war, ins Bochumer Bergbaumuseum. Ich war so oft dort – und doch so lange nicht. Ich sollte wieder einmal hinfahren. Jetzt erst recht!

Mein Vater, ein waschechtes Pottkind ohne jedwede externe – zum Beispiel fränkische – Einflüsse, studierte Elektrotechnik, um nach erfolgreichem Examen Bestandteil der Bergbau-Fraktion des Konglomerats Montanindustrie zu werden, wozu auch die Stahlproduktion gehört – selbstredend. Davon spricht mein Vater auch stets mit Hochachtung. Er ist wirklich ein echtes Pottkind. 😉 Allerdings habe ich keinen einzigen Stahlarbeiter in meinem Stammbaum – ich stamme der Kohlefraktion ab. Aber ohne Kohle kein Stahl, nicht wahr? 😉

Nur gibt es die Kohle billiger – nein, preisgünstiger, denn billig ist so ein billiges Wort! – aus anderen Ländern, wo man die Arbeitssicherheit nicht so priorisiert wie hierzulande, wie man bisweilen lesen kann. Manchmal als Katastrophenmeldung aus fernen Landen. Ich weiß noch, wie ich mitfieberte, als es 2010 in Südamerika ein Grubenunglück gegeben hatte.

Wie auch immer: Ich bin heute ein wenig traurig, denn heute wurde die letzte noch fördernde Zeche – Prosper Haniel in Bottrop – geschlossen. Keine Förderung mehr. Stillgelegt.

Eine meiner Kolleginnen meinte, es sei ja auch an der Zeit – Kohle sei viel zu lange subventioniert worden. Und sie sagte: „Endlich ist dieser Bergbau-Scheiß vorbei!“ Ich bin selten sprachlos. Hier war ich es. Man kann über die Subventionierung streiten. Aber ist es denn besser, Kohle aus Ländern preisgünstig zu erwerben, die mit allen Mitteln fördern – Sicherheit wurscht? Denn irgendwo muss ja gespart werden, wenn ein Produkt so günstig angeboten wird. Und ich hatte vor einiger Zeit ein interessantes Gespräch mit zwei chinesischen Ingenieuren, die auf die teils gruseligen Arbeitsbedingungen im Bergbau ihres Landes hinwiesen. Von sich aus, was mich erstaunte, denn sie waren erschreckend offen und schilderten die Zustände weniger verblümt, als ich von Asiaten gewohnt war. Möglich also, dass die Zustände noch schlimmer waren, als sie sie schilderten.

Mir tun die Kumpels leid. Die werden zwar unterkommen, da sie ja alle qualifiziert sind durch ihre Ausbildung. Die älteren werden in Rente gehen. Aber ich bin aufgrund der Erfahrung meiner Bergbau-Vorfahren ganz sicher, dass Menschen, die au’m Pütt gearbeitet haben, ein ganz besonderer Schlag sein müssen. Ein Menschenschlag, der die Region hier ausgemacht hat. Künftig wird das wegbrechen, und das Revier wird eine Region sein wie -zig andere. Austauschbar. Traurig. Ähnlich traurig wie das Verschwinden von Dialekten. Okay – versteht auch nicht jeder. 😉

Schimpft mich eine Nostalgikerin, Konservative (was ich nicht bin) oder eine Traditionalistin (was ich so auch nicht bin): Es ist mir egal. Mir tut es irgendwie weh, dass hier wieder etwas zu Grabe getragen wird, was ich von klein auf kannte. Ob etwas Besseres nachkommt, steht in den Sternen. Dass hier Wissen, Kenntnisse und Handwerkskunst im Sande verlaufen, ist mehr als klar.

Vielleicht bin ich ja wirklich eine unbelehrbare Traditionalistin. Ich weiß es nicht. Ich war heute den ganzen Tag auf alle Fälle etwas traurig. Wieder ein Stück Kindheit, wieder ein Stück Heimat weg. Als würde man es einem unter den Füßen wegreißen. Als wäre es ein Tagesbruch. Ja, und diesen Ausdruck wird man bald auch nicht mehr kennen.

„Tagesbruch? Was ist das denn?“ wird man sagen. Nicht, dass ein Tagesbruch etwas Gutes sei – ganz und gar nicht! 😉 Aber allein der Begriff wird untergehen, ähnlich wie der Begriff D-Zug.

Wie ich auf D-Zug komme? Das war total süß! Ich saß in der 301, in der Straßenbahn. Ich kam von meiner Dozentenfron aus Dortmund, und hinter mir saßen vier junge Mädels. Eines fragte ein anderes: „Sag mal, wann bekommen wir endlich deine Geburtstagseinladung?“ Das angesprochene Mädchen meinte: „Bald – eine alte Frau ist doch kein D-Zug!“ Und dann hörte ich förmlich, wie sich atemloses Schweigen auf die vier Mädels legte und das künftige Geburtstagskind meinte: „Was ist eigentlich ein D-Zug?“ Da brach ich in lautes Gelächter aus.

Und ich drehte mich zu den Mädels um und meinte: „Sorry, ich habe gerade euer Gespräch mitangehört. Und ich finde total klasse, dass ich mal – quasi omamäßig – etwas erklären kann. Ihr wollt wissen, was ein D-Zug ist?“ Die vier Mädels nickten. Ich erklärte es ihnen, wir lachten alle, und die Mädels meinten: „Wie beschwerlich Reisen früher gewesen sein muss!“ Ich lachte und meinte: „Etwas beschwerlicher als heute.“

Ich kann noch immer nicht ganz fassen, dass ich nun in einer zechenlosen Region lebe, bin mir jedoch sicher, dass ich irgendwie damit klarkomme – ich bin ja ein Ruhri, und wir kommen mit allem klar! 😉 -, und ich wünsche euch allen ein frohes Weihnachtsfest und alles Liebe und Gute für 2019! 😊

P. S.: Und ich bin sehr stolz, ein echtes Pottkind zu sein! So! 😉

Verfolgt von der „Zuckerfee“ … ;-)

Noch vier Tage, dann fängt der Weihnachtsurlaub an. Er ist dringend nötig, wie es scheint und ich heute feststellen musste.

Nun ist der Montag noch nie mein Lieblingstag gewesen. Bereits früher, als Kind und Jugendlicher, graute mir bereits am Sonntag vor dem Montag. Da fing die Woche an, und man musste wieder zur Schule. Obwohl ich keine schlechte Schülerin war, bin ich nie sonderlich gern zur Schule gegangen. Es half auch nicht, dass mein Vater immer sagte, das bereite aufs spätere Arbeitsleben vor. Ich dachte nur: „Tolle Motivation – Hut ab, Papa, echt!“ Und da mir sonntags schon immer vor Montag graute und bereits der Tag vor dem Horrortag überschattet war, war auch der Sonntag nie mein Lieblingstag. 😉 Hinzu kam, dass meine Schwester Stephanie sich stets stolz in die Brust warf, sie sei an einem Sonntag geboren worden, somit ein echtes Sonntagskind und damit etwas Besonderes – als wäre sie die Sonne selbst, nach der der Wochentag, an dem sie das Licht der Welt erblickte, benannt wurde und um die die Planeten zu kreisen verdammt sind. 😉

Ich wurde an einem ordinären Freitag geboren, kam pünktlich zum Spätfilm um 22:30 h an einem heißen Augustabend zur Welt und war wohl aufgrund der hohen Tagestemperaturen und der soeben am eigenen Leib verspürten Strapazen so ermattet, dass ich zunächst nicht einmal schreien wollte, als ich das grelle Licht des Kreißsaals wahrnahm. Erblickte wäre falsch, da ich laut meiner Mutter meine Augenlider so fest zusammenpresste, dass man beinahe annehmen konnte, sie wären zusammengewachsen. Und – wie es auch heute noch meine Art ist, wenn ich schlechte Laune oder mich besonders massiv geärgert habe – ich schwieg beredt. Mehrere sanfte Klapse waren notwendig, um festzustellen, dass ich offenbar durchaus lebendig war, denn da holte ich wohl Luft, aber man musste mich wohl auch noch vorsichtig zwicken, damit ich auch eine Lautäußerung von mir gab, das dann aber sehr intensiv und offenbar sehr, sehr verärgert. Eher empört. Dieses Unterfangen, auch Leben genannt, fange ja schon gut bzw. höchst bescheiden an, schien ich zum Ausdruck bringen zu wollen.

Montage sind vor allem frühmorgens für mich offenbar ähnlich wie jener Moment im Kreißsaal einer Essener Klinik. Der Wecker klingelt, und ich mag die Augen nicht aufmachen, nachdem mir, schlaftrunken, schmerzhaft zu Bewusstsein gedrungen ist, dass Montag sei. Dieser Moment, da ich exakt dies feststelle, ist annähernd von Verzweiflung und Trauer umfangen. Nein, ich arbeite gern, aber der Wochenbeginn ist seit jeher so grauenhaft, dass ich fast überzeugt bin, dass Menschen durch den Wochentag, an dem sie geboren wurden, doch ein wenig beeinflusst wurden. Ich meine, ich bin an dem Tag geboren worden, an dem das Wochenende beginnt! Kein Wunder, dass mich der Montag schreckt – was will man auch anderes erwarten? 😉

Doch zurück. Der heutige Montag war wie alle Montage. Kurz: grauenhaft. Das einzige, was mich tröstete, war das Bewusstsein, dass es der letzte Montag vor dem Weihnachtsurlaub sei, und so schleppte ich mich mit halbgeschlossenen Augen ins Bad und unter die Dusche, machte mich alltagstauglich und sauste schließlich in den Hof, wo Monty seit Anfang September seinen Stellplatz hat.

Murrend und knurrend schwang ich mich hinters Steuer und startete den Motor. Bzw. versuchte, den Motor zu starten, denn dieser gab röchelnde Geräusche von sich. Nein! Bitte nicht! Ich war eh schon spät dran! Keine Ahnung, wie vieler Versuche es bedurfte, bis ich es geschafft hatte und der Motor wie gewohnt vor sich hinbrummte. Das war mir schon einmal passiert – bei ähnlicher Witterung, so dass sich mir die Frage stellte, ob der kleine Monty vielleicht Rheumatiker sei, der allzu feuchte Witterung nicht vertrage. Immerhin war er wegen der Ausfallerscheinung vor knapp einem Jahr schon einmal eigens in der Werkstatt gewesen, wo man nichts Lebensbedrohliches feststellte. Genauer: Man stellte gar nichts fest. Vermutlich ist der kleine Wicht einfach wetterfühlig. Ich kann ihn verstehen – ich fand das Wetter heute auch scheiße. 😉

Ich raste gen Arbeit, ich war wirklich spät dran. Immerhin fand ich sofort einen Parkplatz und sauste ins Büro, wo ich pünktlich zum Beginn der Öffnungszeiten – wir haben Publikumsverkehr – eintraf.

Meine Bürokollegin, die immer viel früher da ist, grinste mir zu und meinte: „Moin!“ Ich japste: „Moin! Schönes Wochenende gehabt?“ – „Ja, und du? Du wirkst etwas unentspannt.“ Ich lachte und berichtete, verlieh ebenso meiner Hoffnung Ausdruck, dass mein Wagen nach Feierabend zügig anspringen möge (was er übrigens tat – er scheint einfach auch kein Montagstyp zu sein, zumindest morgens).

Dann arbeiteten wir friedlich vor uns hin. Bis ich meinte: „Am Sonntag gehe ich mit Kerstin zum Weihnachtssingen auf Schalke!“ – „Echt? Cool!“ – „Ja, hoffentlich wird es das!“

Und da meinte Jana: „Wann ist das?“ – „Am Sonntag,“, rief ich fröhlich, „um 16:30 h!“ Da sah sie mich an und meinte: „Aber am Sonntag um 16 h ist doch Der Nussknacker im Musiktheater!“

Ich sah sie an, freundlich lächelnd. Ja, okay, Tschaikowskys Nussknacker ist am kommenden Sonntag um 16 h im Musiktheater. Schön. Was aber hatte das mit mir zu tun? Keine Frage: Ich liebe Tschaikowskys Nussknacker, ich mag Ballett, und dieses hier mag ich ganz besonders.

Ich schaltete leider noch immer nicht, bis Jana sagte: „Da wolltest du doch mit!“ – „Ich?“ – „Ja!“

Nebulös tauchte in meinem Gehirn eine Unterhaltung auf, in der es um diese Veranstaltung ging. Offenbar hatte ich gesagt, ich wolle mit. Es wundert mich auch nicht – wie gesagt: Ich liebe dieses Ballett. Aber mir wurde auch klar, dass diese Unterhaltung vor längerer Zeit stattgefunden hatte – und das Ergebnis hatte ich wohl nicht abgespeichert, obwohl ich die Veranstaltung in meinem Outlook-Kalender eingetragen hatte, wie sich herausstellte. Nur leider benutze ich diesen Kalender mehr bei der Arbeit, und das auch nur im Modus „Arbeitswoche anzeigen“, ergo nur Montag bis Freitag …

Ich fühlte mich wie jeder, der vor dem Problem steht, simultan an zwei verschiedenen Orten sein zu sollen, was sich zumeist schwierig gestaltet. Und ich hatte ein schlechtes Gewissen. Einer würde ich absagen müssen, entweder Jana oder Kerstin. (Mir graute davor, Kerstin absagen zu müssen – die würde alles andere als gnädig reagieren. Und ich hätte es ihr nicht einmal verdenken können.)

Jana war, wie ich sie auch kennengelernt habe, sehr liebenswert und machte es mir leichter. Als ich mir die Haare raufte, meinte sie: „He! Keinen Kopp machen! Du kennst das Ballett! Geh mit Kerstin zum Weihnachtssingen!“ – „Aber das tut mir so leid! Wie konnte ich das nur vergessen!“ – „Keinen Kopp machen, sagte ich gerade! Hörst du mir eigentlich zu?“ – „Meist schon.“ – „Gerade eben wohl nicht – hör auf, dir Vorwürfe zu machen. Bestimmt geht meine Mutter gern mit – der würde das sicherlich auch Spaß machen.“ Ich machte mir darob noch mehr Vorwürfe, aber Jana schimpfte mich lachend aus.

Grauenhaft! Wie hatte ich das vergessen können! Dieser Montag war mit einem Schlag noch gruseliger geworden. Ich hasse solche Situationen, in denen man einen zugunsten eines anderen enttäuschen muss. Jana hat mir allerdings wirklich sehr geholfen – ich bin ihr wirklich sehr dankbar. Und dieser Dank äußerte sich bei mir darin, dass ich den Rest des Tages einen Ohrwurm hatte. Einen schlimmen Ohrwurm, denn Tschaikowskys Tanz der Zuckerfee aus dem Nussknacker ist – zumindest als Ohrwurm – sehr eigen, und das nicht zuletzt seiner Instrumentierung wegen, denn der dominierende Part erfolgt auf einer Celesta. 😉 Ich ertappte mich sogar dabei, dass ich das Stück vor mich hin pfiff, als ich zwei Buchungen tätigte …

Auf alle Fälle weiß ich nun, dass ich doch wieder einen Taschenkalender werde führen müssen. 😉

Der allergrößte Witz ist, dass ich erst gestern – völlig untypisch für mich – einen Märchenfilm im TV sah, der mittags im Ersten lief: Nussknacker und Mausekönig von bzw. nach E.T.A. Hoffmann, ein Kunstmärchen, das der Ursprung des Tschaikowsky’schen Balletts ist. Und nicht einmal da fiel der Groschen!

Ich muss wirklich urlaubsreif sein … 😉

Die Postkutsche kommt!

Reisen in früheren Zeiten war unzweifelhaft erheblich beschwerlicher als heutzutage. Glücklicherweise haben sich diesbezüglich die Zeiten geändert.

Auch für Postsendungen galt dies, die mit der Postkutsche befördert wurden und aufgrund der geringen Fahrtgeschwindigkeit und oft größerer Entfernung sowie unbequemer Straßensituation teils sehr, sehr lange brauchten, um beim Empfänger zu landen. Wurde – wie in so vielen Western eindrucksvoll dargestellt – eine Postkutsche (die oft auch weniger betuchte Reisende beförderte) überfallen, erreichte manche Sendung den Empfänger auch gar nicht. „Pech gehabt!“ war dann die Losung der Stunde.

Aber zum Glück muss ja heutzutage niemand mehr wochenlang warten, bis endlich ein Brief, ein Päckchen, ein Paket eintrifft, den oder das man sehnlich erwartet. In Zeiten der E-Mail, von WhatsApp und Konsorten hat der Brief ohnehin ein wenig an Bedeutung verloren. Größere Sendungen – besagtes Päckchen oder Paket – werden jedoch nach wie vor ungebrochen auf dem Postweg befördert, obwohl es viel schöner wäre, den jeweiligen Inhalt, das zu versendende Gut an den Empfänger ganz einfach beamen zu können. 😉 Doch zum Glück gibt es ja zahlreiche serviceorientierte und zuverlässige Logistik-Unternehmen, auch Paketdienste genannt. Bequem, sicher und zeitnah wie pünktlich werden dort beförderte Sendungen ausgeliefert, von freundlichen, serviceorientierten Zustellern, denen man gern ein Trinkgeld gibt, wenn sie das große, schwere Paket, das nicht in die Packstation – mein bevorzugter Ablageort – passte, in den ersten Stock getragen haben. Ja, es ist wirklich wunderbar, sich stets und immer auf solch vorbildliche Unternehmen verlassen zu können, statt auf die alle Jubeljahre eintreffende Postkutsche warten zu müssen, manchmal sogar vergeblich, da unterwegs überfallen …

Und ich mache immer und ausschließlich positive Erfahr… – MO-MENT! Was erzähle ich denn da? Hat mir jemand etwas in den letztjährig im Vereinigten Königreich erworbenen Earl Grey Tea getan? 😉

Immer und ausschließlich positive Erfahrungen? Ha!

Ich weiß, dass die Zusteller einen harten und unverschämt schlecht bezahlten Job haben – das finde ich absolut daneben. Ich weiß, dass durch die Explosion hinsichtlich Online-Bestellungen das Lieferaufkommen ebenfalls explodiert ist und habe zwischenzeitlich beschlossen, meine Online-Bestellungen, ohnehin nicht hoch, zu drosseln. Dennoch sehe ich es nicht ganz ein, dass diese Unternehmen – eines habe ich ganz besonders lieb – ein Riesenbohei um und massenweise Werbung für ihre tollen Dienstleistungen machen, die sie sich teuer bezahlen lassen, die Realität dann jedoch suboptimal erscheint und man sich dann noch – hakt man nach oder, sofern nötig, beschwert sich – auf den Arm genommen fühlt angesichts der meist wenig oder nicht hilfreichen Standardantworten und der mangelhaften Lösungsmöglichkeiten der Zuständigen.

Gestern sah ich ein Video, in dem ein junger Mann all seiner angestauten Wut Luft macht – kaskadenartig bricht sein ganzer Frust aus ihm heraus, und wie man so schnell sprechen kann, kann selbst ich nicht nachvollziehen. Aber verstehen konnte ich den jungen Mann, der am Black Friday wohl etwas bestellt hatte, worauf er sich freute. Und dann kam das Paket nicht. Ja, kann passieren, aber man hatte ihm mal wieder einen Benachrichtigungsschein in den Briefkasten geworfen, obwohl er wohl zu Hause gewesen war. Klingel kaputt, könnte man da annehmen, aber das muss beileibe nicht sein.

Nur in Notfällen lasse oder ließ ich mir Pakete und Sendungen an meine Wohnadresse schicken, denn auch ich kenne dieses wundersame Phänomen des sich plötzlich und ohne Vorwarnung im Briefkasten materialisiert habenden Paketdienst-Benachrichtigungsscheines, auf dem steht, man habe leider nicht zu Hause angetroffen werden können, obwohl man – ein toller Service dieses Paketdienstes! – bereits einen Wunschtermin bean- bzw. beauftragt hatte (meist Samstag) und daher wie festgetackert in der Wohnung ausharrte, um nur ja den Paketdienst nicht zu verpassen … In der stillen Wohnung, die kontemplative Stille durch keinerlei penetrantes Klingelsignal gestört.

Dreimal bin ich auf den Wunschtermin schon hereingefal…, ääh, habe ich ihm eine Chance gegeb…, nein! Dreimal habe ich die wunderbare Wunschtermin-Wahlmöglichkeit wahrgenommen und diesen Service genutzt. Genutzt hat es mir vice versa jedoch … wenig.

Beim ersten Mal harrte ich der Dinge, die da kommen sollten. Aber nicht kamen. Ich wartete auch noch die nächsten zwei Tage, dann rief ich beim Paketdienst an und fragte nach dem Verbleib des Paketes. Das sei zugestellt worden, hieß es, nachdem ich meine Sendungsnummer heruntergebetet hatte, insgesamt dreimal. Ich war bass erstaunt, wie, zugestellt? Bei mir gähnende Leere und kein Paket. Wem hatte man es zugestellt? Tja, das könne sie mir auch nicht sagen, erklärte die junge Frau – das sei nicht angegeben. Wie bitte? Nicht angegeben? „Aber das muss man doch angeben – das kenne ich nicht anders,“, sagte ich mit schwächer werdender Stimme, „wie soll man denn sonst herausfinden, bei wem man das Paket abholen muss?“

Tja, da habe es wohl leider einen Systemfehler gegeben, so dass sie mir nun nicht mehr mitteilen könne, wo genau sich mein Paket gerade seiner Existenz erfreue. Sicherheitshalber klingelte ich bei den Nachbarn, die mit mir in einem Haus leben. Zwei sagten, sie wüssten nichts von einem Paket, einer war nicht da, und die alte Frau Müller hörte wohl nicht, dass ich klingelte …

Als ich am nächsten Abend von der Arbeit kam, klingelte mein Telefon sehr energisch. Ich meldete mich und wurde sogleich in sehr energischem Ton angeherrscht: „Frau B.! Holen Sie endlich Ihr Paket ab, das ich für Sie angenommen habe! Das steht jetzt schon seit einer Woche hier!“ Es war die alte Frau Müller. Zwar hatte sie offenbar ein anderes Zeitgefühl, denn es war Dienstag, und das Paket stand somit erst seit Samstag bei ihr, aber ich konnte verstehen, dass sie sich ärgerte. Dabei konnte ich nicht einmal etwas dafür. Glücklicherweise ging alles noch einmal glimpflich aus.

Ich beschloss, bei der nächsten schweren Sendung, die nicht an die Packstation geliefert werden konnte, so der Versender, dem werten Wunschtermin eine weitere Chance zu geben. Sicherlich hatte ich nur Pech gehabt. Aber es war wie beim ersten Mal. Nur hatte ich diesmal einen Benachrichtigungsschein im Briefkasten – ich sei leider nicht zu Hause gewesen, und so habe man das – wirklich schwere – Paket nun in die nächstgelegene Paketdienst-Filiale gebracht, wo ich es bequem am Montag abholen könne … Ja, ich holte es auch am Montag ab, wenn auch nicht bequem, denn ich musste das schwere Ding zu Fuß nach Hause schleppen. Es war wirklich schwer, denn es waren sechs gläserne Halbliterflaschen naturtrüben fränkischen Kellerbieres darin, das ich hier in keinem Getränkemarkt gefunden hatte. Drei davon wollte ich jemandem zum Geburtstag schenken, die anderen drei waren für mich. Fluchend schleppte ich das Gebinde meiner Wege, aber das Geburtstagsgeschenk kam so in zweifachem Sinne von Herzen, denn mein Herz hämmerte heftig gegen meine Rippen, als ich das schwere Paket endlich in meine Wohnung gewuchtet hatte. Im Schweiße meines Angesichts und ohne Rücksicht auf meine Unversehrtheit hatte ich dieses Geburtstagsgeschenk und mein eigenes Deputat heimgeschleppt, denn ich wäre mit dem schweren Karton fast die Treppe hinuntergesegelt. 😉

Und trotz all dieser Unbilden gab es noch einen Drittversuch – es ging nicht anders, und ich dachte: „Was lange währt, wird endlich gut!“ und „Aller guten Dinge sind drei!“ Doch sogleich fiel mir auf, dass die vorhergegangenen zwei Dinge ja keineswegs gut gewesen waren, aber ich wollte nicht kleinlich sein.

Und so saß und harrte ich erneut an einem Samstag. Mir ging ein Lied aus den End-80ern durch den Kopp, dessen Refrain lautete: „All I can do is sit `n‘ wait. All I can do is sit `n’ wait.  […] Sit `n‘ wait, sit `n‘ wait, sit `n‘ wait …“ Nie zuvor und nie wieder habe ich diesen Text als so wahr empfunden … 😉

Ich harrte sogar längere Zeit am Küchenfenster und lief, harrte ich schließlich wieder woanders, öfter dorthin, um hinauszustarren. Möglich, dass der Paketdienst-Wagen ja gleich käme.

Irgendwann erschien es mir immer unwahrscheinlicher, und ich ging mit der Wäsche in den Keller – es musste gewaschen werden. Auf dem Rückweg öffnete ich meinen Briefkasten, denn es schien etwas darin zu liegen. Ja! Es war ein Benachrichtigungsschein des Paketdienstes! Leider sei ich nicht zu Hause anzutreffen gewesen … (Doch, doch – man hätte nur einmal den Versuch starten müssen, dies herauszufinden, indem man die Klingel betätigte, dachte ich resignierend.)

Meine Resignation wuchs, und dies ins schier Unermessliche, als ich den Text auf dem Schein zu Ende las. Man habe das Paket bei meinem Wunschnachbarn abgegeben. Bitte, bei wem? Ich hatte einen Wunschnachbarn? Das war mir neu! Ich hatte nie einen solchen angegeben! Wozu auch – ich hatte ja bereits vom wunderbaren Wunschtermin Gebrauch gemacht und war deswegen selbstredend höchstpersönlich zu Hause und annahmewillig wie -fähig gewesen! Wozu da die Notwendigkeit eines Wunschnachbarn – und wer sollte das überhaupt sein? Ich staunte, als ich sah, dass weder ein Name, noch die Hausnummer eingetragen war! Immerhin schien sich diese ominöse Person, bei der nun mein Paket seiner Abholung harrte, in derselben Straße zu befinden, in der auch das Haus steht, in dem ich lebe. Aber hier sind so viele Häuser … 😉

War das eine humanitäre Aktion des Paketdienstes, die unter dem Titel Lerne deine Nachbarn besser kennen rangierte? Oder wollte der Paketdienst intuitiv-hellseherische Fähigkeiten bei seinen Kunden fördern? Ich war ratlos und überlegte, ob ich mich auf der Straße aufbauen sollte, um dort laut zu rufen: „Hallo? Hat hier irgendjemand ein Paket für mich angenommen? Bitte melden Sie sich – Sie wurden zu meinem Wunschnachbarn ernannt, und da sollten wir einander doch mal kennenlernen, nicht wahr? Oder werfen Sie das Paket einfach in den Vorgarten – es ist nichts Zerbrechliches drin!“

Ich verwarf diese Idee, denn es war eiskalt draußen, und ich wollte auf diese Weise nicht im Mittelpunkt stehen. Ich bin ohnehin viel schüchterner, als viele glauben. 😉 Stattdessen verbrachte ich an diesem Nachmittag eine gar lauschige Zeit, indem ich Klinken putzte und bei diversen Nachbarn klingelte, um zu erfragen, ob man eventuell ein Paket für mich entgegengenommen habe. Bei Numero 10 wurde ich schließlich fündig, und freudestrahlend meinte ich zu der Nachbarin im Nebenhaus, die mir in Mantel und Schal die Tür öffnete: „Sie also sind mein Wunschnachbar!“ – „Wie bitte?“ Ich zeigte ihr den Benachrichtigungsschein, und sie griff sich an den Kopf und meinte: „Da steht ja gar kein Name und keine Hausnummer! Wie doof ist das denn? Da mussten Sie jetzt von Tür zu Tür rennen? Toller Service des Paketdienstes! Ich bin leider auf dem Sprung, sonst würde ich Sie auf einen Kaffee hereinbitten. Aber beim nächsten Mal,“ sagte sie und kniff mir ein Auge zu, „denn ich musste auch schon öfter Paketen hinterherrennen, obwohl ich zu Hause war. Wenigstens stand bei mir aber immer ein Name auf dem Zettel.“ Und wir schieden lachend voneinander.

Ich kann den frustrierten jungen Mann aus dem Video daher durchaus verstehen, wenn ich in einem Fall auch seine Wortwahl nicht schätze. Aber ansonsten hat er mein volles Verständnis.

Und bisweilen überlege ich, ob die Zeit der Postkutschen wirklich so unbequem war – unbequemer als heute. Denn bekam man früher seine Post nicht wegen eines unschönen Überfalls oder Achsbruchs, so bekommt man seine Post heute bisweilen auch nicht. Nicht wegen irgendwelcher Überfälle, sondern weil Pakete bisweilen auf wundersame Weise verschwinden, Pakete wider die Vereinbarung in Paketdienst-Filialen abgeliefert werden, ohne den zu Hause harrenden Wunschtermin-Empfänger darüber in Kenntnis zu setzen oder einfach über den Gartenzaun geworfen werden (eine Bekannte berichtete, sie habe kürzlich ein schon länger erwartetes, angeblich zugestelltes Paket unter einem ausladenden Busch im Garten gefunden, mehr durch Zufall, da sie gerade den Rasen mähte, und ein Nachbar berichtete, er habe ein Paket für einen anderen Nachbarn in der Blauen Tonne gefunden …). Und Päckchen sind sowieso ganz heikel! Keine Tracking-Nummer. Verschickt deshalb lieber niemals Päckchen! 😉

In diesem Sinne: Beamen wäre doch ganz schön. 😉 Und: Trotz so vieler Wunschmöglichkeiten bleiben doch recht viele Wünsche offen.

Einen schönen zweiten Advent! 🙂