„Is‘ mir doch egal …“

Ich gebe zu, ich hatte in der letzten Zeit recht viel zu tun, weswegen ich meinen neuen Mobilfunk-Vertrag bisher auch noch nicht aktiviert hatte, was ich jedoch heute Abend nachgeholt habe, und das auf interessante Weise … Aber es ging alles gut aus. 😉

An meinem Geburtstag Anfang des Monats hatte ich den neuen Vertrag abgeschlossen bzw. beantragt, auch kurz darauf meine neue SIM-Karte bekommen, zusammen mit anderen Anweisungen, deren Befolgung nicht nur die Aktivierung meines neuen Vertrages, sondern auch die Zusendung meines neuen Smartphones in Zartviolett – welches sich offiziell blau/lavendel nennt – betraf. Aber ich war bisher wirklich nicht dazu gekommen. Und wenn Zeit war, habe ich nicht daran gedacht, weil andere Dinge vorgingen.

Gestern, mitten in einer Besprechung, rief der Mobilfunk-Provider mich auf dem Handy an (zumindest war die Rufnummer später, nachdem ich sie weggedrückt hatte, meinem Provider zuzuordnen). Aber es war ein ganz schlechter Zeitpunkt. Wahrscheinlich wollten sie nachfragen, ob ich noch lebte, und ich pappte einen Zettel an den Monitor meines Arbeits-PC: „Dringend Mobilfunk-Provider anrufen!“ Aber auch heute kam ich in der Mittagspause nicht dazu, und so rief ich nach Feierabend an, als ich bereits zu Hause war.

Zunächst hörte ich mir mehrfach die aufmunternden Werbejingles an, und dann erzählte mir eine Computerstimme, stichprobenartig und zu Schulungszwecken würden manche Gespräche aufgezeichnet. Sollte ich damit einverstanden sein, müsse ich nur ja sagen.

Ich bin keine Jasagerin, und so schwieg ich, als man – offenkundig – mit einem Ja meinerseits rechnete. Ich schwieg – und flog prompt aus der Leitung. Okay! Botschaft angekommen!

Ich rief erneut an, und an der Stelle, da man seine Zustimmung zum Gesprächsmitschnitt geben muss, sagte ich fröhlich und laut: „Ja!“ Sofort wurde ich durchgestellt!

Und es meldete sich ein junger Mann, den ich aufgrund der monotonen Art und Weise, in der er sprach, für einen Automaten hielt. Recht schnell jedoch war mir klar: „Der ist echt!“ Und schon sprudelte ich los …

Der junge Mann wirkte völlig demotiviert, als er nach meiner Auftragsnummer fragte, die ich leider nicht direkt vor mir liegen hatte, weil im Schreiben meines Providers gestanden hatte: „Halten Sie die letzten vier Ziffern Ihrer Festnetz-Kundennummer zur Hand!“ Die hatte ich nicht nur zur Hand – die lagen direkt vor mir, mitsamt letzter Rechnung! Und da werde ich nach der Auftragsnummer gefragt, die zwar auch in meiner Nähe lag, die ich jedoch erst einmal aus dem Provider-Kuvert fingern musste, und so sagte ich: „Fängt schon gut an! Ich könnte Ihnen aus dem Effeff meine Kundennummer nennen, die Sie aber wohl nicht wollen oder brauchen. Einen Moment bitte – ich beeile mich.“ – „Ehrlich gesagt: Is‘ mir völlig egal, wie lange Sie brauchen! Ich habe noch 23 Minuten bis Feierabend!“ – „So lange wird es nicht dauern – da ist sie ja schon!“ Und schon schmetterte ich dem freundlichen jungen Mann die von ihm geforderten Ziffern entgegen.

„Da fehlt noch eine Ziffer …“ kam von ihm, und ich rief: „Sorry, klar – die 1! Tut mir leid, dass ich Sie jetzt noch aufhalte.“ – „Also, im Grunde ist mir das egal – Sie können machen, was Sie wollen. Bis 20 Uhr, denn da habe ich Feierabend.“

Da wurde es mir doch etwas zu doof, und ich sagte, und das ganz bewusst in Ruhrgebietsakzent: „Na, Sie sind mir ja’n Hääaazken! Ich rufe Sie freundlich an, und Sie erklären mir dauernd, dass Ihnen eh alles scheißegal sei! Ich nehme an, Ihr Chef steht nicht direkt hinter Ihnen? Oder hat man Sie gefeuert, und Sie müssen noch den Rest der Schicht ableisten?“ – „Äh, nein, ich wollte eigentlich nur sagen …“ – „Machen Sie sich keine Mühe! Ich verstehe Sie sehr gut! Publikumsverkehr ist bisweilen anstrengend – dafür habe ich Verständnis. Ich bin ja auch sicher nicht die bequemste Anruferin kurz vor Feierabend – ich hatte die falsche Nummer bei der Hand und stelle blöde Fragen. Und mir ist klar, dass Sie sicherlich schon einiges hinter sich haben, heute.“

Da taute der junge Mann auf. „Sie verstehen mich?“ – „Ja, ich habe auch mit Publikumsverkehr zu tun, und das ist nicht immer einfach.“ – „Danke! Ich hatte heute einen echten Scheißtag! Tut mir leid, dass Sie das nun getroffen hat – dabei sind Sie nett, und das waren beileibe nicht alle Anrufer. Ein großer Teil das genaue Gegenteil.“ – „Ich kann Sie sehr gut verstehen. Sie sollten sich trotzdem etwas zusammenreißen – Sie klangen zu Beginn unseres Telefonats etwas … wie soll ich das sagen … naja … gleichgültig, und das ist euphemistisch ausgedrückt. Ich fühlte mich alles andere als willkommen.“ – „Sind Sie ein Testanruf?“- „Nee, ich bin ganz echt – seien Sie froh!“ – „Ja, das bin ich jetzt wirklich.“ – „Wie gesagt: Ich verstehe Sie wirklich gut, aber lassen Sie sich Ihre Genervtheit nicht anmerken. Klar: Den Letzten beißen die Hunde – aber im Zweifel kann der Letzte nichts dafür.“

Der junge Mann taute noch mehr auf, und er meinte: „Es tut mir leid, dass ich so arschig war, zu Anfang des Gesprächs. Sie sind wirklich nett, und wenn Sie die letzte Anruferin für die heutige Schicht sind, habe ich es wohl gut getroffen.“ – „Danke. Wenn wir bis 20 Uhr sprechen, bin ich die letzte Anruferin für Sie. Ich kann Ihnen gern noch ein paar Fragen stellen …“ – „Au ja, gern.“ – „Ich habe tatsächlich noch ein paar Fragen zu meinem neuen Vertrag …“ – „Gern!“

Zwar konnte er mir meine Fragen nicht beantworten, aber damit hatte ich auch nicht gerechnet, denn mir war klar, dass er mir meine neue Handynummer nicht mitteilen konnte. Aber ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man angerufen und zum Teil nicht nett behandelt wird. Es ist ja nur eine anonyme Stimme … Und man hat ja Anspruch auf bevorzugte Behandlung, ganz egal, wie arschig man sich benimmt … 😉

Und so half ich, die Zeit bis zum Feierabend zu überbrücken, und der junge Mann wurde immer fröhlicher. Zum Schluss sagte er: „So, von jetzt an wird das Gespräch nicht mehr mitgeschnitten. Ich danke Ihnen – das war ein sehr nettes Telefonat. Ich dachte erst, …“ – „ … dass die dusselige Kuh nicht einmal die richtige Nummer zur Hand habe! Tut mir leid – Ihr Auftraggeber hatte mir die falsche Nummer im Anschreiben genannt.“ – „Ja, glaube ich Ihnen auch. Sie waren ja ansonsten total fit und wirklich nett und schnell. Erlebe ich auch nicht immer.“ – „Glaube ich Ihnen. Kopp hoch, auch wenn der Hals dreckig ist! Und nicht so lustlos wirken.“ – „Ja, ich weiß. Tut mir leid – Sie waren echt cool!“ – „Ich bin gar nicht cool.“ – „Doch. Heute waren Sie es auf alle Fälle. Danke.“

Ja, das war doch nett. Da werde ich angerotzt mit: „Is‘ mir doch egal!“ Und dann ergibt sich ein nettes Gespräch, in dessen Verlauf ich einen jungen Mann davor bewahre, vor Feierabend noch mit echten Schnarchnasen sprechen zu müssen … 😉

Mir hingegen merkt man inzwischen an, dass ich bisweilen Publikumsverkehr, auch via Telefon, habe, denn als meine Schwester Stephanie mich kürzlich anrief, meldete ich mich mit meinem Nachnamen, den ich ins Telefon säuselte und kurz danach hinterhersäuselte: „Was kann ich für Sie tun?“ 😉 Es hat sich mir wohl eingebrannt … 😉

Bestens gerüstet und voller Spannung

Zumindest theoretisch bin ich bestens gerüstet für den bald anstehenden Urlaub in Polen, denn gestern befreite ich meinen niedlichen neuen Pocket-Sprachführer Polnisch aus der Packstation. Ich liebe Sprache und Sprachen – wenn auch nicht alle, denn es gibt einige, die mir nicht so gefallen -, und so stürzte ich mich zu Hause voller Begeisterung auf das wehrlose, kleine Ding, um mich in die Sprache eines Teils meiner Vorfahren ein wenig „einzufühlen“.

Ganz vorn, auf der Innenseite des Buchdeckels, standen schon sehr interessante Infos, genannt: „Das Wichtigste in Kürze“. Und so weiß ich nun, dass es im Polnischen, anders als in anderen slawischen Sprachen, tak heißt, wenn man ja sagen will – nicht etwa da. (Ich hoffe, ich komme nicht durcheinander, denn aus dem Schwedischen kenne ich tack, und das heißt dort danke. 😉 ) Und nein heißt nie und spricht sich ähnlich wie njä. Bitte, danke und Entschuldigung! folgten.

Was mich ein wenig irritierte – aber wirklich nur ein wenig! – ist die Tatsache, dass auf Position 6 gleich: Hilfe! rangiert. Ich verdrängte den Gedanken, warum das wohl schon so schnell und so weit oben erwähnt sei, da ich das Wort so reizend finde. Und so stellte ich mir vor, wie jemand überfallen wird – natürlich ohne jedwede Klischees, denn das kann ja überall passieren – und laut: „Ratunku! Ratunku!“ ruft. Natürlich mit schönem gerolltem Zungenspitzen-R! 😉 Ich liebe dieses Wort, hoffe jedoch, dass ich es nie werde benutzen müssen. 😉 Aber falls jemand in meiner Nähe Ratunku! ruft, weiß ich wenigstens, was gemeint ist und halte es weder für ein Schimpfwort, noch für einen Zauberspruch, mit dessen Hilfe man unbescholtene Mitmenschen in hässliche, warzenübersäte Kröten verwandelt … 😉

Nun gehe ich davon aus, dass in den größeren und großen Städten, die wir heimsuchen werden – Warschau (Warszawa) und Krakau (Kraków), aber auch Racibórz (auf Deutsch: Ratibor, was aber auch irgendwie gar nicht so deutsch klingt … 😉 ), nicht wenige Leute des Englischen mächtig sein werden. Aber in den kleineren Orten, die wir besuchen wollen, ist das vielleicht nicht so gegeben. Und ich hoffe, dass Stephie und ich in den kleineren Orten niemals in die Verlegenheit geraten werden, einen Tisch für zwei Personen reservieren zu müssen … 😉

Denn ich finde die deutsche Sprache – im Vergleich zum Englischen – bisweilen schon etwas „raumgreifend“. Aber nachdem ich heute in meinem kleinen Sprachführer las, wie der Satz: „Reservieren Sie uns bitte für heute Abend einen Tisch für zwei Personen“ auf Polnisch lautet und wieviel Raum er nimmt, leistete ich im Stillen Abbitte. 😉 Da ich davon ausgehe, dass im Zweifel ich in einem Umfeld, das weder anglo-, franko-, noch germanophon ist, eine derartige Bitte werde aussprechen müssen, sollte ich schon einmal üben, schnell und einigermaßen akkurat folgenden Satz zu äußern: „Proszę zarezerwować dla nas na dziś wieczór stolik dla dwóch osób!“ 😉

So lang ist der Satz eigentlich gar nicht. Er kommt einem nur so lang vor, vor allem in der Lautschrift, die hilfreich unter dem im Sprachführer angegebenen höflichen Satz angeführt ist. Vielleicht sollte ich einfach besonders liebreizend lächelnd die weniger höfliche Form benutzen: „Poproszę stolik dla dwóch osób.“ – „Einen Tisch für zwei Personen, bitte.“ Und wenn all das nicht hilft, sage ich einfach: „Stól!“ und zeige auf meine Schwester und mich, dabei ganz besonders lieblich lächelnd. Stól heißt Tisch. Das ist dann zwar total unhöflich und hinsichtlich der Grammatik falsch, aber sicherlich wird man meine Bemühungen zu schätzen wissen. 😉

Die Grammatik ist ohnehin so eine Sache in den slawischen Sprachen – allein die Kasus und die Deklination -, und ganz besonders im Polnischen. Neben der Artikulation – die Aussprache ist, wenn man sich damit noch nie beschäftigt hat, auch ein Buch mit sieben Siegeln. Hoffentlich bleiben wir mit dem Mietwagen nie im Hinterland liegen, denn sonst müsste ich fragen: „Gdzie tu jest w pobliźu warsztat naprawczy?“ („Wo gibt es hier in der Nähe eine Werkstatt?“ Praktischerweise wurde das deutsche Wort Werkstatt polonisiert in warsztat und würde mir sicherlich die wenigsten Probleme bereiten. 😉 Das größte Problem würde sicherlich die Antwort des so Angesprochenen darstellen … )

Aber nach all dem, was ich von Bekannten und Freunden hörte, die bereits einmal oder mehrmals in Polen waren, würden Stephie und ich sicherlich sofort – insbesondere in eher ländlichen Bezirken – in die Familie aufgenommen, mit einer zünftigen zakuska bewirtet, das Auto in die nächste warsztat geschleppt und repariert. So, wie ich das aus den slawischen Ländern kenne, die ich bisher bereist habe. 😊 Und von all den Polen, mit denen ich bisher hierzulande zu tun hatte. 😊

Und wenn alle sprachlichen Bemühungen nicht helfen, stelle ich mich hin und singe ein polnisches Volkslied, das ich vor vielen Jahren im Chor singen musste bzw. durfte: „Hej, bystra woda“! Ich gebe zu, man musste uns den Text phonetisch nahebringen – eine polnische Muttersprachlerin tat dies, und so klang das Ergebnis dann wohl zumindest so ähnlich wie Polnisch. Mit Ruhrgebietsakzent. Aber das machte nichts, denn das Ruhrdeutsche wurde ja auch durch Polen „mitentwickelt“. 😉 Den Text kann ich heute noch – vor allem den der ersten Strophe. Wenn wir damit nicht punkten können, weiß ich es auch nicht … 😉

Als ich heute einer polnischen Bekannten erzählte, ich würde im Urlaub nach Polen fahren, freute sie sich. Und als ich dann einen Satz, den ich zuvor aus meinem niedlichen Pocket-Sprachführer auswendig gelernt hatte, zitierte: „Ten lek jest tylko na receptę“, was soviel heißt wie: „Dieses Mittel ist verschreibungspflichtig“ und dann noch aberwitzig ergänzte: „O której godzinie jest śniadanie?“ [„Um welche Zeit ist das Frühstück?“], meinte sie: „Czy mówisz po polsku?“

Ich starrte sie an, dann grinste ich und sagte: „Nie. [Njä]“ Und da lachte sie sich halbtot und meinte: „Cool, Ali! Ich frage, ob du Polnisch sprichst, und du sagst nein. Aber auf Polnisch! Und das klang echt gut!“ (Ich hatte die Frage wohl richtig interpretiert. 😉 )

Na, also! Ich muss mir gar keine Sorgen machen. 😉 Am besten wird sein – zumindest für nicht-anglo-, franko- und germanophone Regionen –, ich merke mir strategisch sinnvolle Vokabeln und präge mir deren Aussprache ein. Und wenn mich einer fragt, ob ich Polnisch beherrsche, antworte ich besser nicht mit: „Nie.“ Sondern besser nonverbal und durch Hochziehen meiner Schultern. Alles andere könnte sonst verarschend wirken.

Der Urlaub wird sicherlich toll, und ich freue mich schon – zumal ich auch sprachlich inzwischen zumindest ansatzweise gerüstet bin. Oder so etwas Ähnliches. 😉

Eines weiß ich aber schon jetzt: Meinen Lieblingsfluch haben die Polen aus dem Deutschen übernommen, wie ich durch Googeln erfuhr. Er schreibt sich szajs! Und wie er sich ausspricht, könnt ihr dann ganz einfach googeln. 😉

„’LOT‘? O Gott!“

Gestern Abend – ich lag gerade entspannt hingestreckt in meiner Eckbadewanne in lauwarmem Wasser, um mich ein wenig abzukühlen – rief meine Schwester an. Das Handy lag im Schlafzimmer, dessen Tür – ebenso wie die Badezimmertür gegenüber – offen stand. Ich hatte mich gerade so richtig schön in die Badewanne und unter Wasser gefläzt, als es klingelte.

Ich bin – ich muss es leider zugeben – zu den Leuten gehörig, die auch als Telefonjunkies bekannt sind. Menschen, die es ums Verrecken nicht klingeln lassen können und dann enttäuscht sind, wenn doch nur ein Meinungsforschungsinstitut am anderen Ende ist …  Gestern jedoch hob ich nicht einmal eine Augenbraue, sondern dachte nur: „Es ist mir völlig scheißegal, wer da gerade anruft. Ich bleibe hier liegen, bis ich Schwimmhäute zwischen Fingern und Zehen habe!“ 😉

So dachte ich geschätzt etwa vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden. Denn da klingelte das Handy erneut. (Glücklicherweise meldet sich meine Mailbox relativ zügig, sodass das Klingeln recht schnell abriss …) Doch nein – nichts würde mich aus der Badewanne bringen, jedenfalls nicht, bevor ich selber heraussteigen wollte!

Klingeln Numero 3 etwa fünf Minuten später gab mir Gewissheit, dass es sich wohl unzweifelhaft um meine Schwester handeln musste, was ich bereits bei Numero 1 vermutet hatte, bei Numero 2 noch ein wenig mehr. (Meine Schwester ruft, geht man nicht sofort ans Telefon, in geringen Abständen immer wieder an, wenn es etwas Wichtiges gibt. Oder so.) Von mir nimmt sie offenbar ohnehin an, dass ich gelegentlich absichtlich nicht drangehe, wenn sie anruft, obwohl ich es bequem könnte. Zu Unrecht. Seitdem sie das glaubt, unterdrückt sie ihre Rufnummer (obwohl ich glaube, dass das in Wirklichkeit einen anderen Grund habe) und ist doch zuverlässig immer als sie identifizierbar, da sie der einzige meiner Kontakte ist, bei dem Private Number auf dem Display erscheint, wenn er anruft … 😉

Als es dann knapp 5 Minuten später erneut klingelte, dachte ich: „O je – vielleicht liegt ja etwas Drastisches an!“ Ich dachte sofort an meine Eltern – nicht, dass da etwas passiert war! Und schon schoss ich aus der Wanne, trocknete mich ab, zog meinen fuchsiafarbenen Bademantel an und wählte die Nummer meiner Schwester.

Niemand ging dran. Und so whatsappte ich meine Schwester an: „Jetzt bin ich extra aus der Badewanne gestiegen!“ Keine fünf Minuten später klingelte mein Handy – Stephie war dran. „Sorry, ich wollte dich nicht stören – aber ich habe hier gerade einen günstigen Flug von Düsseldorf nach Warschau gefunden! Wir sollten am besten buchen!“

Das dachte ich mir bereits seit Tagen. Hatte auch schon darauf hingewiesen. Aber ich hasse es, allzu hektisch zu agieren – und Flüge gibt es ja immer. Nur halt dann manchmal nicht mehr ganz so günstig …

Meine Schwester war auf einer Flugbuchungs-Plattform fündig geworden, und ich setzte mich rasch an meinen PC, um parallel zu ihr zu buchen und ein E-Ticket zu generieren. Aber mein PC machte mir – ich hatte Ähnliches schon befürchtet – einen Strich durch die Rechnung. Er ist, was das Wetter anbelangt, ein ähnliches Sensibelchen wie ich, nur erheblich konsequenter, denn: Er schaltet sich, wenn es ihm zu warm wird, einfach sang- und klanglos ab. (Gut – ich bin bei derartigem Wetter auch schon umgekippt, ich will nicht meckern … 😉 )

Ich sagte: „Stephie, du wirst für mich mitbuchen müssen – mein Rechner hat sich gerade verabschiedet.“ – „Kein Problem – dann verrechnen wir das während der Reise.“ Und schon stellte sie ein wunderbares Reisepaket zusammen. Der Flug – hin und rück – sollte pro Nase ca. 120,- € kosten. Auf wundersame Weise ergab dann das finale Ergebnis einen Pro-Nase-Preis von knapp 260,- € … Dabei hatte sie – mit mir abgestimmt – nur wenige diesen Endpreis durchaus nicht rechtfertigenden Zusatzleistungen mitaufgenommen. Im Kopf überschlug ich den Preis für die Zusätze, was Stephie wohl ihresgleichen tat, und wir kamen beide darauf, dass da etwas nicht stimmen könne. Sie versuchte es über eine andere Plattform, auf der es nicht besser war, und da meinte ich: „Ich halte, ehrlich gesagt, nicht so viel von diesen Plattformen. Warum nicht bei der Airline direkt buchen? Diese Plattformen wirken immer so bequem – und dann kommt so etwas heraus. Einen Versuch direkt bei der Fluggesellschaft ist es zumindest wert.“

Das fand meine Schwester gut, meinte dann aber: „Sag mal, das wollte ich dich ohnehin fragen: Die Airline heißt LOT! O Gott – ich muss da an das englische Wort für Schicksal denken, und es ist ein Billigflug! Hast du schon einmal davon gehört?“

Meine Schwester und ich fliegen – wie die meisten meiner Familienmitglieder – für unser Leben gern. Nur offenbar völlig unterschiedlich. Zumindest sind unsere Interessen sehr verschieden. Ich interessiere mich fürs Fliegen en gros und en détail, also auch für die Technik, ebenso wie für das Drumherum. Und so sagte mir auch LOT etwas, und ich meinte: „Das ist die bekannteste und größte polnische Airline. Kannst du dich noch an den Flugunfall von 2011 erinnern, als eine Boeing 767 auf dem internationalen Flughafen in Warschau eine Notlandung vollführen musste und auf dem Bauch landete, weil das Fahrwerk sich nicht ausfahren ließ? Das war eine LOT-Maschine!“ – „Aaah! Bist du wahnsinnig? Was erzählst du denn da?!“ – „Ja, aber das ist wahr! Und – um dich zu beruhigen: Niemand an Bord wurde verletzt – alles ging glimpflich aus, und das aufgrund des Könnens des LOT-Piloten!“ – „Ali! Ich habe manchmal den Eindruck, du machst das mit Absicht!“ – „Was denn genau?“ – „Solche Dinge erzählen und dann abwarten, wie das Gegenüber reagiert!“ – „Unsinn! Ich habe doch nur darauf hinweisen wollen, dass LOT gar nicht so unbekannt sei.“ – „Das machst du mit Absicht!“ – „Jetzt hör zu palavern auf! Buche lieber die Flüge.“

Und das tat meine Schwester. Sie gab nach erfolgter Eingabe sämtlicher notwendiger Informationen die Nummer ihrer Kreditkarte ein und klickte Weiter an. Alles schien gut … Doch plötzlich rief sie: „Hier steht: „Leider ist Ihre Kreditkarte offenbar noch nicht für das AbsolutelySecure-Verfahren registriert – die Buchung konnte nicht vorgenommen werden!“

So ein Mist – unsere Plätze E und F (Mitte und Fenster) in Reihe 13 (die einzige Reihe, die noch zur Gänze frei war – warum nur … 😉 ) würden sicherlich alsbald anderweitig vergeben sein … Und so meinte ich: „Pass auf, ich gebe dir meine Kreditkartennummer [denn mein PC war noch immer nicht bereit, seinen Dienst zu tun], und dann versuchst du es damit noch einmal.“ Jedoch fügte ich hinzu: „Ich habe allerdings den dumpfen Verdacht, dass es zum gleichen Ergebnis komme …“

Und so war es auch. Schräg – ich buche Flüge und anderes immer über meine Kreditkarte und nutze sie oft. Meine Schwester wohl ähnlich – bisher nie ein Problem …

Es ging dann so aus, dass Stephie meinte: „Ich rufe jetzt bei der Hotline an! Bleibst du dran? Ich hole nur eben das Festnetztelefon.“ (Wir telefonierten beide per Handy, zumal ich mir ohnehin ein neues Festnetz-Telefon kaufen muss und derzeit nur übers Handy erreichbar bin.)

Sie fand heraus, dass bei LOT in Düsseldorf aufgrund der Tatsache, dass Sonntag war, niemand erreichbar war, fand dann aber die Servicenummer der Hotline und meinte lachend: „Ich habe die Wahl zwischen Englisch und Polnisch – was soll ich nehmen?“ Ich riet ihr zu Polnisch, da wir das ja beide fließend sprechen … 😉

Gefühlte acht bis zehn Minuten hing sie in der Warteschleife und fragte mich mehrfach, ob ich nicht lieber anrufen wolle. Hätte ich gemacht, hätte mein Festnetz-Telefon sich nicht kürzlich in die Ewigen Jagdgründe verabschiedet. Mit dem Handy rufe ich so ungern bei Hotlines an – nur, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt. Vielleicht bin ich da allzu skeptisch, denn so ein Callcenter kann ja überall auf der Welt … Lassen wir das.

Endlich meldete sich jemand, und meine Schwester parlierte los. Es endete nach insgesamt etwa einer Viertelstunde damit, dass wir nun beide Plätze auf der Maschine und auch die E-Tickets per Mail gesendet bekommen haben.

Als meine Schwester, der die Bestätigungen geschickt worden waren, die erste Mail öffnete, schrie sie: „O Gott! Das Callcenter ist in Toronto! Wie lange hat das Telefonat eigentlich gedauert?“ – „‘ne Viertelstunde vielleicht?“ – „Ach, du Schande – das wird sicher teuer!“ – „Ach, sicherlich nicht so teuer wie die Buchungen über die Buchungsplattform!“ – „Ja, danke! Was meinst du: Wie teuer mag das Gespräch gewesen sein?!?“ – „Steht irgendwie auf meine Stirn gemeißelt, dass ich Expertin für Auslands-Telefongebühren sei? Es wird sicherlich nicht so schlimm.“ [Ganz sicher war ich mir allerdings nicht … ] – „Du hättest ja auch mal …“ – „Ach! Ich habe derzeit nur mein Handy – was meinst du wohl, wie teuer das damit geworden wäre!“

Wenn man meint, man könne sparen, kommt sicherlich irgendein anderer fieser Aspekt dazwischen … 😉

Doch als ich die von meiner Schwester weitergeleiteten Mails mit den E-Tickets öffnete, sah ich etwas, das mir zwar vertraut ist, und doch enthielt es etwas, das ich nicht kannte: „Marketed by: LOT Polish Airlines – Operated by: Deep Blue Sea Airline.“

Mir ist das Dry-Lease wie Wet-Lease-Verfahren durchaus bekannt – passiert ja allenthalben, und keiner macht sich Gedanken. Nur: Deep Blue Sea kannte ich gar nicht … Aber man kann ja googeln …

Das tat ich auch. Und danach las ich noch einige Bewertungen zur Fluggesellschaft. Einer rumänischen Billigfluggesellschaft … Ich hätte es besser nicht getan … Die Bewertungen waren großenteils so geartet, dass selbst mir angst und bange wurde. Die Flotte besteht aus 29 Maschinen, der Altersdurchschnitt liegt bei 20,3 Jahren … Ich war nie gut in Mathe, aber mein erster Gedanke war: „29 Maschinen, und der Altersdurchschnitt liegt bei 20,3 Jahren! Wie alt mag die dienstälteste Maschine sein?“ Dann dachte ich: „Naja, sicherlich fliegt zum Frédéric-Chopin-Flughafen nicht die älteste Maschine …“

Stimmt. Tut sie nicht. Denn ich sah mir danach noch einmal die Flotte der LOT an – zwei Maschinen haben sie von Deep Blue Sea „wet-geleast“, ergo nicht nur die Maschine, sondern auch die Besatzung, die in fast allen Bewertungen als rude oder extremely rude bezeichnet wurde. Eine Boeing 737-800 aus dem Jahre 1997. Liegt nur knapp über dem Altersdurchschnitt, ist nicht die älteste Maschine … 😉

Das habe ich Stephie noch nicht erzählt – es erschien mir günstiger so. 😉 Sie machte sich noch Sorgen wegen LOT! Und das war keineswegs gerechtfertigt. 😉

Sollten wir bei An- oder Abflug abstürzen, so hoffe ich wenigstens, dass es über Polen passiere. Dann wären wir wenigstens bei den Ahnen … 😉

Nein – ich bin mir ziemlich sicher, dass beide Flüge prima funktionieren – zumindest bezüglich der Tatsache, dass wir sicher landen (obwohl ich Gruseliges in den ganzen Bewertungen las …), einmal in Polen, das zweite Mal in Deutschland. Vielleicht werden wir sogar positiv überrascht! 😉

Man muss immer positiv denken … 😉

Noch ist Polen nicht verloren …

Denn noch sind Stephie und ich ja nicht da.

In wenigen Wochen steht mein Jahresurlaub an. Endlich! Drei Wochen – ich kann es immer noch nicht glauben. Zu lange liegt mein letzter richtiger Urlaub, der nicht nur aus drei Tagen bestand, zurück. Genauer: Zum Zeitpunkt, da mein diesjähriger Jahresurlaub seinen Anfang nimmt, liegt mein letzter richtiger Urlaub beinahe eineinhalb Jahre zurück …

Und das merke ich mehr und mehr. 😉

Diesmal geht es zwar wieder mit meiner Schwester Stephanie los, jedoch nicht nach Schottland, Irland oder England – unsere letzten Reiseziele. Etwas ganz anderes wird es sein. Denn wir reisen – siehe oben – nach Polen. Schon lange hatten wir das vor. Teile unserer Vorfahren kommen aus der Region. Und aus Tschechien, genauer: aus Mähren. Oder Moravia, wie das so hübsch lateinisch heißt. 😉

Ich bin schon sehr gespannt, und heute, an einem denkwürdigen Tag, dem ich – ähnlich wie Silvester – jedes Jahr voller Grauen entgegensehe, seit ich 30 wurde (am vierzigsten denkwürdigen Tag habe ich sogar geweint! 😉 ), habe ich ganz pragmatisch ein Pocket-Wörterbuch für die Reise bestellt – mit Aussprachehilfen, denn Polnisch ist nicht nur eine sehr schwierige Sprache, sogar die schwierigste der generell schwierigen slawischen Sprachen, was die Grammatik anbelangt: Auch ihre Aussprache ist für nicht-slawischerprobte Sprecher schwer nachvollziehbar. Es werden bisweilen recht viele Konsonanten aneinandergereiht, die für Uneingeweihte schier unaussprechlich scheinen, für Muttersprachler jedoch gar kein Problem darstellen und – wenn man die Muttersprachler sprechen hört – ganz wunderbar klingen. Finde ich zumindest. Wunderbar, aber undurchschau- und ähnlich schwierig artikulierbar. Ich bin froh, wenigstens Smacznego! und Serdecznie witamy! sagen zu können. Nur: Ich glaube nicht, dass man eine vierzehntägige Polenreise bestreiten kann, wenn man lediglich Guten Appetit! und Herzlich willkommen! sagen kann, zumal wenn man dort zu Gast ist und nurmehr hoffen kann, dass man selber willkommen geheißen werde. 😉 Auch Ausspruch No. 3 – na zdrowie – hilft nur wenig weiter. Es sei denn, man sitzt in einer geselligen Kneipe und trinkt gerade ein leckeres piwo.

Die Reiseroute und ihr Ausmaß ist noch nicht ganz klar. Gleiches gilt für Abflug- und Ankunftsort. Möglich, dass wir von Düsseldorf nach Krakau oder Warschau fliegen. Oder von Dortmund. Auch sollten wir langsam damit beginnen, Hotelzimmer zu buchen. Aber vielleicht wird es ja ohnehin eine Abenteuerreise. 😉

Mein Tag begann zumindest heute damit, dass ich erneut nach günstigen Flügen suchte. Besser, ich lenkte mich vom neuen Lebensjahr und einer völlig ungewohnten Zahl ab, die die Anzahl meiner bisherigen Lebensjahre so genau definiert. 😉 Ich bin leider ein bisschen eitel … 😉

Zwischenzeitlich bekam ich diverse WhatsApp-Nachrichten und Glückwünsche, über die ich mich sehr freute. Zumindest stellten sie einen gewissen Trost dar. 😉 Dabei musste ich feststellen, dass der Akku meines Handys und das Handy an sich schwächelten – leider beileibe nicht zum ersten Mal. Vor drei Jahren hatte ich mir das S6 in Meerblau zum Geburtstag geschenkt – wenn das kein Zeichen war! Und schon ließ ich die Flugrecherche Flugrecherche sein und ging auf die Seite meines Mobilfunk-Providers, um – nicht, dass das noch zur Tradition wird – ein neues Smartphone nebst Vertragsänderung (die war vonnöten) zu organisieren. Das neue Smartphone wird zartviolett sein – ist mal was anderes. Doof nur, dass ich meine Nummer nicht behalten kann – ich habe eigens die Hotline des Providers angerufen, die mir bestätigte, leider, leider gehe das nicht. Warum, konnte mir keiner erklären. Nun gut – eine neue Nummer. Hoffentlich nicht wieder eine wie die bei E-Plus damals, die auf -6969 endete und die mir jedes Mal, wenn ich sie nennen musste, schlüpfrige Kommentare einbrachte – haha … 😉

Doch zurück zum Urlaub, den ich dann wohl mit neuem Handy antreten werde. Meine Patentante rief an, gratulierte und erklärte, sie habe einen Urlaubszuschuss auf mein Konto überwiesen, dessen Daten sie meinem Vater abgepresst hatte, um mich zu überraschen. (Leider hatte ich davon gar nichts mitbekommen, da ich kein Online-Banking betreibe – zum Glück wies mein Vater mich, als er und Mama mir gratulierten, darauf hin. 😉 ) Ich freute mich riesig, und Tante Ute erklärte, sie fände klasse, dass Stephie und ich nach Polen reisen würden. Immerhin sei sie dort zur Welt gekommen, was ihr jedoch auch erst klar geworden sei, als sie nach vielen Jahren einen neuen Pass beantragt habe und bei dessen Abholung sehr erstaunt gewesen sei, denn da habe statt des ihr aus dem alten Pass vertrauten Namens ihres Geburtsortes, dem einstigen deutschen Namen, ein Konglomerat erstaunlich vieler Konsonanten gestanden, und sie habe dies bei der Bediensteten der passausstellenden Behörde zunächst moniert und gesagt: „Ich kann meinen eigenen Geburtsort nicht aussprechen! Was, wenn ich ihn irgendwo angeben muss? Und wieso besteht er aus zwei Wörtern?“ Daraufhin habe man ihr mitgeteilt, sie sei nun einmal nach Kriegsende dort zur Welt gekommen – da gelte der polnische Name. Inzwischen kann sie ihn hervorragend aussprechen, und sie berichtete, sie sei mit ihrem Bruder und ihrer Schwägerin vor einigen Jahren dort gewesen, und es sei einfach nur schön gewesen, wie freundschaftlich man sie trotz der historischen Gegebenheiten aufgenommen hätte. Seither hätte sie neue Freunde in Polen, und es freue sie, dass Stephie und ich hinreisen würden – ganz gewiss würde es uns gefallen. Und diese ganzen Klischees, die manche Leute äußerten, seien einfach nur bescheuert.

Mein Reden seit Jahren. Ich werde nie vergessen, wie ich in Aachen mal mit Freunden und Bekannten in einer Kneipe saß und wir zu fortgeschrittener Stunde über unsere jeweilige Abstammung bzw. Vorfahren sprachen: Einer hatte französische Vorfahren aus dem Elsass, ein anderer englische, ein weiterer niederländische Wurzeln. Dann ruhten ihre Augen auf mir, und ich sagte völlig unvoreingenommen: „Ich habe unter anderem fränkische, polnische und tschechische Vorfahren.“ Daraufhin schrie der, der die französischen Vorfahren hatte, laut durch die Kneipe: „Achtung! Passt alle auf eure Habseligkeiten auf! Diese kleine Frau hier sieht harmlos aus, hat aber polnische Vorfahren! Ihr wisst, was das bedeutet – haltet eure Sachen lieber fest! Hahaha!“ Und er lachte sich halbtot, während – ungelogen! – diverse Leute in der Kneipe ihre Sachen an sich rafften und mir Blicke zuwarfen, als würde ich sie ihnen durch meine reine Anwesenheit streitig machen. Freundlich waren die Blicke beileibe nicht.

Ich sah meinen Bekannten an, tippte mir gegen die Stirn und sagte: „Sag mal, hast du sie noch alle? Was soll das denn?“ – „Ach, war doch nur ein Scherz!“ – „Ja, aber hast du gesehen, wie die Leute reagierten und mich ansahen? Geht es noch?“ Und die Tresenfrau meinte zu Michael, der sich gern Michel – französische Aussprache – nannte: „Mal wieder nach deinem Motto: Lieber einen guten Freund verlieren, als einen schlechten Witz auslassen, nicht wahr? Ich habe auch gesehen, wie Ali angesehen wurde. Übrigens bekleckern sich Franzosen auch nicht immer mit Ruhm. Wie alle anderen Menschen ganz unterschiedlicher Nationalitäten.“

Ich winkte ab: „Lass gut sein, Marilu. Es war ein Scherz. Ein blöder Scherz. Ich bin nur immer sehr erstaunt, wie unterschiedlich verschiedene Nationalitäten betrachtet werden. Ich werde von nun an von den Leuten, die gerade ihre Sachen an sich rafften, nicht nur als potentielle, sondern Per-naturam-Diebin angesehen werden. Warum eigentlich? Ich habe noch nie schlechte Erfahrungen mit Polen gemacht. Bis jetzt. Es kann natürlich sein, dass sich das noch ändert, denn in jedem Land gibt es nette Menschen, aber auch Arschlöcher. Nur ist mir bis jetzt noch nie Schlechtes durch Polen widerfahren, und ich kenne einige. Im Gegenteil.“

Das stimmte. Naja, gut, einen hatte ich kennengelernt, der nicht gerade eine Zierde seiner Zunft gewesen war. Dem hatte ich in der Sprach- und Förderschule, in der ich damals neben dem Studium arbeitete, Deutsch beibringen sollen. Władysław P. hieß er, und er bedeutete mir gleich in der allerersten Stunde, ich solle ihn Władek nennen. Ich nannte ihn konsequent Herr P., ignorierte, dass er mich „nach Warszawa“ mitnehmen wollte und schlug ihm mehrfach auf die Finger, als er nach mir griff. Und das genauso konsequent, wie ich das immer machte, wenn man übergriffig wurde – ganz unabhängig von der Staatsbürgerschaft. Und eines Tages sagte mein damaliger Chef ganz konsterniert zu mir: „Frau B., ich mache ja öfter hier die Runde, und aus Ihrem jeweiligen Unterrichtsraum höre ich immer lebhaftes Reden, Lachen und gute Stimmung. Als ich aber neulich, als Sie eine Stunde mit Herrn P. hatten, vorbeikam, traute ich meinen Ohren nicht: Aus Ihrem Raum drang etwas, das wie Kasernenhofton klang! Von Ihnen! Das kenne ich gar nicht von Ihnen! Sagen Sie mir bitte, was für einen Grund das hat!“ Ich schilderte die Gegebenheiten, auch, dass ich die Möglichkeit hätte, alsbald in Warszawa zu leben, lachte jedoch und meinte: „Keine Sorge, alles im Griff!“ Mein Chef fand das gar nicht so lustig, und er meinte: „So geht das nicht – das muss ihm klar sein!“ – „Ich denke, es ist klar. Ich habe es mehrfach zu verstehen gegeben. Und das durchaus energisch.“ Mein Chef sah mich besorgt an und meinte: „Sollten Sie in Schwierigkeiten sein, schreien Sie ganz laut – dann komme ich sofort zu Ihnen!“

Vor meinem geistigen Auge erschien folgendes Szenario: Großer Hund benimmt sich in Gegenwart eines Dackels komplett daneben, wird übergriffig gegen Dackel. Dackel bellt laut und empört, schnappt um sich. Tür geht auf, und zweiter Dackel erscheint. Beide Dackel kläffen großen Hund an, einer hängt sich an dessen Vorderbeine, der andere zwickt den großen Hund in die Hinterläufe, dabei garstig knurrend. Großer Hund lacht und schüttelt die kleinen Plagegeister ab … 😉

In etwa so hätte es ausgesehen, hätte mein Chef mich gegen den durchaus hochgewachsenen und kräftigen polnischen Sprachschüler verteidigen müssen – mein Chef überragte mich um etwa einen oder zwei Zentimeter. Und so brach ich in helles Lachen aus, als mein Chef mich inständig bat, ihn zu Hilfe zu rufen. Außerdem war es gar nicht nötig.

Dann hatte ich eine sehr, sehr nette Polin, der ich Deutsch beibringen sollte, und das lief prima, denn im Gegensatz zu Herrn P. lernte sie fleißig. Und eines Tages erklärte mir mein Chef, er habe eine ganz neue Schülerin für mich. Einen etwas schwierigeren Fall. Eine fünfzehnjährige Polin – der Fall liege ihm am Herzen. Das Mädchen sei sehr intelligent und ebenso künstlerisch begabt, aber extrem schüchtern und unsicher, und es werde in der Schule gemobbt. Da habe er sofort an mich gedacht: „Frau B., wenn eine das hinkriegen kann, dann Sie! Ich erinnere mich noch an Ihre Anfangszeit hier – Sie wirkten sehr schüchtern und ein bisschen verhuscht. Und mit einem Mal waren Sie so, wie Sie wohl wirklich sind, zumindest in der Tätigkeit hier. Woran lag das eigentlich?“

Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu meinem Chef, und ich sagte wahrheitsgemäß, dass eine ziemlich vertrackte Beziehung mich derart verunsichert hätte. Als diese beendet gewesen sei, ein halbes Jahr nach meinem Einstieg in dieser Sprach- und Förderschule, sei ich am Boden zerstört gewesen, hätte dann aber wohl irgendwie den Stier bei den Hörnern gepackt – irgendwie musste es ja weitergehen. 😉
Mein Chef grinste mich an und meinte: „Wozu gescheiterte Beziehungen bisweilen gut sein können! Inzwischen sind Sie meine echte Patentlösung für schwierige Fälle. Im Gegensatz zur Anfangszeit sehr lebhaft und fröhlich – und Sie haben ein Händchen für Ihre Schüler, vor allem die schwierigen Fälle.“ Das war ein Kompliment, und ich übernahm die kleine Lina sofort. Ein ganz liebes Mädchen, sehr sensibel, das in der Tat künstlerisch sehr begabt war. Gemobbt wurde es, weil es ganz anders war als seine Mitschülerinnen, nach denen sich die Jungs schon öfter umdrehten. Nach der kleinen Lina drehte sich keiner um – dabei hatte sie garantiert mehr drauf als das Gros der Mitschülerinnen.

Zu Anfang war es schwierig, sie zum Sprechen zu bringen – sie war total eingeschüchtert. Aber irgendwie klappte es recht schnell, und sie fasste Vertrauen zu mir. Ihr Traum: ein einjähriger Schüleraustausch in die Vereinigten Staaten. Daran würden wir arbeiten – und an Linas Selbstwertgefühl. Es war vordergründig Englisch, aber in Wirklichkeit noch viel mehr.

Aus dieser „Kooperation“ erwuchs eine Freundschaft, denn Linas Mutter lud sowohl meinen Chef, als auch mich im Zuge dieser insgesamt fast zwei Jahre andauernden „Arbeitsgemeinschaft“ eines Tages zu einer kleinen Feier ein: Es war im Advent, und wir waren eingeladen zum Vorweihnachtsessen, zu dem auch einige polnische Freunde eingeladen waren. Es war wunderschön. Es gab Barszcz und Bigos, viel Tee, Sekt, und wir erzählten viele Geschichten. Linas Mutter erzählte, wie sie nach Deutschland gekommen seien, damals noch mit ihrem Mann, der jedoch kurz darauf sehr krank geworden und gestorben sei. Seither würde sie Lina und sich allein durchbringen. Mir wurde meine Verantwortung noch bewusster, ebenso aber auch, dass man mir absolut vertraute.

Als wir während der Adventsfeier feststellten, dass meine näheren Vorfahren aus der gleichen Region kamen wie Linas Mutter („Nenn mich Danuta!“), ich die Gerichte kannte, von denen erzählt wurde, als es um das Thema Essen ging, rief mein Chef: „Irgendwie fühle ich mich jetzt so richtig doof: Ich gehöre gar nicht dazu!“ Und er lachte, und Danuta meinte gleich: „Doch! Natürlich Sie gehören dazu! Hätte ich Sie sonst eingeladen?“ Und zum Trost gab es dann eine Bescherung, denn – obwohl Danuta finanziell nicht übermäßig gut gestellt war – wir bekamen auch alle noch ein kleines Geschenk. Ich einen Kaffeebecher, in dem eine Orange steckte. Den Kaffeebecher habe ich heute noch und halte ihn in Ehren.

Und als mein Chef dann sein Unternehmen aufgab, habe ich privat noch weiter bei Lina und Danuta Unterricht gegeben, und Lina hat es nicht nur geschafft, das Austauschjahr zu ergattern, sondern war zum Schluss ganz anders als zu Beginn, lachend, fröhlich, den Kopp oben tragend, was ich ihr immer wieder gesagt hatte: „Kopp hoch tragen! Nicht die Nase – das wäre arrogant und eingebildet. Außerdem regnet es dann hinein. Du musst den Kopf gerade tragen, Schultern zurück – du bist jemand, und deine Mitschülerinnen können dich mal!“ Als ich meine letzte Stunde absolviert hatte, sagte Danuta: „Ich kann gar nicht soviel danken, wie es wäre nötig! Hast du ein ganz anderes Mädchen aus Lina gemacht!“ Ich grinste und schüttelte den Kopf: „Nee. Das hat sie ganz allein gemacht. Ich habe sie nur ein bisschen angestupst. Aber es ist ihre eigene Leistung, nicht meine, und das habe ich ihr vorhin genauso gesagt. Ganz ehrlich: Ich muss sogar ein bisschen grinsen, dass es so toll geklappt hat. Denn ich war früher genauso wie Lina zu Anfang. Nur nicht so begabt. Manchmal bin ich es heute noch. Umso schöner, immer wieder bestätigt zu sehen, dass es möglich ist, das zu überwinden. Mir hat die Arbeit auch sehr viel gebracht.“ Danuta sah mich an, dann platzte sie vor Lachen heraus und meinte: „Wie nennt ihr das hier? Understatement, glaube ich. Du bist die beste Lehrerin, die wir hätten kriegen können, und wir mögen dich beide sehr.“ Ich lachte auch und meinte: „Danke, das freut mich sehr – ebenso, euch getroffen zu haben. Aber Understatement ist es nicht – ich habe einfach nur die Wahrheit gesagt.“ – „Na, dann gratuliere ich uns allen – ich hoffe, wir bleiben in Kontakt, denn ich mag dich wirklich sehr gern.“ Und zum Abschied nahm Danuta mich in den Arm und drückte mich ganz fest. Und wir hatten auch noch längere Zeit Kontakt – bis ich Aachen verließ.

Danach hatte ich öfter Kontakt zu diversen Polen, und alles lief prima. Ich verstehe die doofen Klischees daher absolut nicht, obwohl mir klar ist, dass es in jedem Land, in jeder Nationalität sehr viele nette Menschen, aber auch echte Armleuchter gibt.

Dennoch habe ich mich vorhin bei einer echt unzulässigen Aussage ertappt, als mein Schwager mich anrief, um mir zum Geburtstag zu gratulieren. Ich meinte während des Gesprächs zu ihm: „Sag Stephanie doch bitte, dass ich auch schon ein Reisewörterbuch mit Aussprachehilfen gekauft habe – abgestimmt auf typische Reisesituationen in dem besuchten Land.“ – „Ja, mache ich.“ Und es ritt mich irgendein Teufelchen, denn ich rief: „Zum Beispiel der Satz: ‚He! Wir lassen uns nicht über den Tisch ziehen! Dieses Hotelzimmer ist den geforderten Preis nicht wert!‘ Oder: ‚Geben Sie mir sofort mein Portemonnaie mit der Kohle zurück!‘“ Helge lachte, ich lachte, denn natürlich war es nicht ernst gemeint gewesen, aber plötzlich kam mir zu Bewusstsein, dass ich gerade ein gruseliges Klischee bemüht hatte – über das ich mich Jahre zuvor echt geärgert hatte. Und meine Erkenntnis war: Ich bin keineswegs besser als andere Klischeereiter. Aber – ganz ehrlich – das hatte ich auch weder erwartet, noch behauptet. 😉

Ich bin sehr gespannt auf den Urlaub. Und ganz sicher, dass es mir sehr gefallen werde. 😊