Ich spiele seit meinem siebten Lebensjahr Klavier, in Musikerkreisen und gehobener Gesellschaft auch Piano genannt, was vom italienischen Namen dieses Instrumentes kommt, der da Pianoforte lautet. Ein sehr populäres Instrument, mit dem – abgesehen von echten Fans – Generationen von Kindern und Jugendlichen gequält wurden. Keine Frage, ich finde gut, ein Musikinstrument spielen zu können. Auch das Pianoforte, obwohl es – wenn es auch ein sehr schönes Instrument ist – niemals mein Lieblingsinstrument gewesen ist. Lieber wäre mir die Querflöte gewesen, mein Lieblingsinstrument seit früher Kindheit. Schuld daran trägt ein Nachbar meiner frühesten Kindheit, der Erster Geiger in einem Sinfonieorchester war, aber neben der Violine auch Klavier, Klarinette, Saxophon und Querflöte hervorragend spielte. Da sage noch einmal jemand etwas gegen frühkindliche Prägung! 😉
Jenem Nachbarn – abgesehen von meiner Mutter und meinem Vater, die klassische Musik lieben, wobei speziell mein Vater auch dafür Verantwortung trägt, dass ich Klavier zu spielen in der Lage bin – ist zu verdanken, dass ich erste Einblicke in das erhielt, was als symphonische – wahlweise auch sinfonische – Musik bekannt ist. Dafür gibt es ein probates Mittel. Es heißt Peter und der Wolf und ist ein sogenanntes symphonisches bzw. Musikmärchen und wurde von seinem sowjetischen Komponisten, Sergej Prokofjew, dazu geschaffen, Kindern die Instrumente eines Sinfonieorchesters spielerisch vorzustellen und sie mit einem Orchester vertraut zu machen.
Ich habe erst kürzlich eine ältere Version davon auf einem Ableger eines Hauptsenders im TV gesehen. Sie war aus den ausgehenden 90ern und vom Orchester der Deutschen Oper Berlin nebst Loriot als Erzähler gestaltet. Ich war durch Zufall auf diesen Kanal geraten, als das Werk gerade begann, indem das Orchester die Instrumente stimmte und der Kammerton a‘ in der Luft hing, anhand dessen die Instrumente gestimmt werden, und ich blieb prompt hängen. Allein das Stimmen der Instrumente des Orchesters erzeugte bei mir Spannung. Kindheitserinnerungen kamen auf, und so blieb ich die ganze gute halbe Stunde dabei, denn es ist ein wirklich auf auch noch kleine Kinder abgestimmtes Werk und daher entsprechend kurz. 😊 Wer das als kleines Kind durchhält, hat gute Chancen, als Erwachsener eine drei- oder vierstündige Oper ohne größere Schäden durchzustehen. Wenn er denn will. 😉
Als Herr Wuttke Stephanie, seinen Sohn Gernot und mich, damals fünf Jahre alt, damals zu der Aufführung von Peter und der Wolf mitnahm, an der er selber als Bestandteil der Streicher teilhatte, die das Motiv und Thema des kleinen, tapferen Peters spielten, der mit Hilfe seines Freundes, des kleinen, ebenso tapferen Vogels, dargestellt durch – na, was wohl? – eine Querflöte, den Wolf mit einfachen, aber cleveren und garantiert nicht tödlichen Mitteln besiegt, war ich ganz aufgeregt. Mein erster offizieller Konzertbesuch! 😉 (Das dachte ich damals zwar nicht so, war aber dennoch aufgeregt.)
Bis die Vorstellung begann, war noch einiges an Zeit, und Herr Wuttke musste noch an einer Vorabprobe teilnehmen. Er meinte zu uns: „Seht euch das Musiktheater an. Aber macht keinen Ärger. Und um 17 Uhr seid ihr pünktlich hier und auf euren Plätzen.“ Und Stephanie, Gernot und ich rannten durchs Musiktheater und sahen uns alles an. Gernot war nicht zum ersten Mal dort – er kannte sich aus, und wir landeten dank seiner Kenntnisse im Großen Haus sogar hinter der Bühne, wurden mehrfach fortgejagt, aber es gab auch Mitarbeiter, die Gernot erkannten und uns dann einiges zeigten, was mit ihrer Arbeit zu tun hatte. Ich war ja noch klein und fand damals die vielen Türen, die in den Konzertraum des Großen Hauses, ins Parkett und die beiden Ränge führten, am interessantesten. Es war für mich wie ein Ausflug in eine andere, spannende Welt. Viel zu schnell mussten wir ins Kleine Haus, wo Peter und der Wolf beginnen sollte.
Das Kleine Haus war erheblich weniger spektakulär, doch dort harrten andere interessante Dinge. Denn das Orchester stimmte gerade seine Instrumente. Eine gewisse Kakophonie, aber gerade dadurch interessant – es lag Spannung in der Luft. Und schon ging es los. Der Erzähler hob an, die Geschichte zu erzählen, dann wurden die verschiedenen Charaktere vorgestellt – ergo die verschiedenen Instrumente. Und die Geschichte nahm ihren Lauf. Ich fand es spannend, aber als der Wolf, von drei Hörnern intoniert, erschien, wäre ich vor Furcht am liebsten unter dem Vordersitz verschwunden. Drei Hörner, untermalt von anderen Instrumenten und Schlagwerk, die ein sehr unheilschwangeres und unheimliches Motiv spielten. Und schon verzog ich mein Gesicht, aber da tönte von rechts: „Wehe, du heulst! Da ist kein Wolf! Das ist nur Musik.“ Es war Stephanie, die mich da warnte, sie nicht zu blamieren. Dabei hatte ich mich schon beim Motiv des Großvaters, der von einem Fagott dargestellt wird, ein wenig verunsichert gefühlt. Auch das Fagott hatte für mich einen etwas dräuenden Klang … 😉
„Nur Musik“! Ich sah Stephanie an – was sagte sie da? Das ist doch nicht „nur“! Das waren für mich keine drei Hörner – das war ein Wolf, der drohend nahte! Und das Fagott war kein Fagott, sondern ein knorziger, Pfeife rauchender Großvater, bei dem man auch nicht so recht wusste … Die Klarinette eine Katze, die auf samtenen Pfoten einherschlich oder -lief, die so nasal klingende Oboe eine Ente, die Querflöte ein munter zwitschernder Vogel, die so heiter schrammelnden Streicher der kleine, fröhliche Peter, und die Pauken und die Große Trommel waren Gewehrschüsse! „Nur Musik“! Ha!
Auf der Rückfahrt im Auto „fachsimpelte“ ich mit Herrn Wuttke und pries Peter, den Vogel und die Katze – alles Instrumente, die ich mochte. Um die Ente, die vom Wolf gefressen worden war, tat es mir leid (da hätte ich während der Aufführung fast zu weinen begonnen – immerhin war ich passionierte Entenfütterin … 😉 ), und ich war sehr beeindruckt von diesem musikalischen Werk. 😉 Herr Wuttke freute sich, und er meinte zu Stephanie und Gernot: „Wenigstens eine, die offenbar Freude daran hatte – der kleinen Ali hat es wohl gefallen.“
Seit damals frage ich mich jedoch, wie man auf die Idee komme, Instrumente wie Horn, Oboe oder Fagott von klein auf freiwillig zu erlernen. Keine Frage: Sie werden in klassischen Orchestern stets benötigt. Aber – freiwillig?
Mein Ex Richie hat mir mal vor vielen Jahren ein altes Tonband vorgespielt, das er als Kind aufgenommen hatte („Ich wollte damals Toningenieur werden!“). Man hörte ihn – als Kind – sprechen, im Hintergrund seine Eltern. Doch da waren noch andere Laute, die sehr merkwürdig klangen. Und so fragte ich: „Was ist das da im Hintergrund? Es klingt wie ein Nebelhorn oder wie ein Elefant mit schlimmen Verdauungsproblemen.“ – „Das ist mein Bruder Benno. Er hat da gerade Fagott geübt.“ Ich kannte Benno bereits. Er war Fotograf, und ein wirklich guter, ein echter Künstler. Und so fragte ich: „Benno? Fagott? Nun ja, er ist in der Tat ein wenig exzentrisch … Dennoch: Hat er das freiwillig gespielt?“ – „Nee. Er wollte eigentlich Trompete lernen.“ – „Warum dann der Schwenk vom Blech- zum Holzblasinstrument?“ – „Meine Eltern dachten, es sei nur ein Strohfeuer, und so wollten sie ihm keine Trompete kaufen, aber er meinte, in der Musikschule gäbe es Leihinstrumente. Aber alle Trompeten waren bereits verliehen, und es gab nur noch ein freies Fagott.“ – „Das wundert mich nicht!“ – „Was?“ – „Dass das Fagott noch frei war. Wer sucht sich das freiwillig aus? Ich meine … Hör doch mal hin! Das klingt wirklich nach Verdauungsproblemen. Aber gut – es ist sicherlich eine seiner ersten Übungen.“ – „Nee, da hatte er schon ein Jahr Unterricht.“ Ich schluckte. O Gott! Schlimmer als jeder Geigenschüler in der Anfangszeit. Aber – zu Bennos Verteidigung – Fagott ist sehr schwer zu spielen. „Tapfer,“, meinte ich, „wie lange hat er denn durchgehalten?“ – „Danach nur noch knapp ein Jahr – er hatte halt immer noch auf die Trompete gehofft, denn man hatte ihm gesagt, er würde die erste freiwerdende Leihtrompete bekommen, wenn einer der Trompetenschüler aufgäbe. Zunächst solle er doch mit dem Fagott beginnen …“ – „Es wurde aber keine Trompete frei, nehme ich an?“ – „Richtig. Benno selber hätte aber noch länger als die knapp zwei Jahre durchgehalten – er war wirklich fixiert auf die Trompete.“ – „Aber?“ – „Mein Vater hat ihm Geld geboten, wenn er nur mit dem Fagottspielen aufhöre.“ – „Okay, angesichts dieser Foltertöne aus der Kammer des Schreckens oder dem Zoo kann ich deinen Vater verstehen.“ – „Wir haben alle gelitten.“ – „Glaube ich sofort. Wusstest du, dass manche Orchestermusiker das Fagott auch als ‚Furzröhre‘ bezeichnen?“
Mit der Oboe, die mit dem Fagott verwandt ist, verhält es sich ähnlich. Ich habe mal eine Gruppe Oboenanfänger – auch die hatten schon fast ein Jahr Unterricht gehabt – gehört und kann nur sagen: Ja, Übung macht den Meister … Hier muss viel Übung her – extra viel Übung. Aber es sind wirklich schwierig zu spielende Instrumente mit einem heiklen Mundstück – das Erzeugen von Tönen generell, ganz zu schweigen von sinnstiftenden und beabsichtigten solchen, ist nicht von Pappe. Daher frage ich mich auch immer, ob Kinder und Jugendliche Instrumente wie Oboe und Fagott wirklich freiwillig auswählen … Auf diese Idee wäre ich nie verfallen.
Ob sie von den Eltern gezwungen werden? Ob das eigentlich gewünschte Leihinstrument in der Musikschule vergriffen war und man sie mit der Aussicht auf das erste freiwerdende Wunschinstrument in die Doppelrohrblatt-Mundstück-Falle lockte, worunter dann die gesamte Familie zu leiden hat, ebenso die Nachbarn? 😉
Oder ob sie – wie ich – als Kinder in Peter und der Wolf gebracht wurden, wo sie dann die Ente bzw. den Großvater zu ihren Lieblingscharakteren erwählten und die die beiden Figuren darstellenden Instrumente unbedingt erlernen wollten? Oder waren die Eltern Oboisten bzw. Fagottisten, und es verhielt sich so wie früher beim Beruf des Henkers, da nicht selten die Nachfahren den gleichen Beruf erlernen mussten, weil die Erde eh schon verbrannt war und nichts anderes mehr in Frage kam? 😉
Dennoch habe ich mir diese Neunziger-Aufführung sehr gern angesehen. Sehr niedlich, was man beim Kameraschwenk ins Publikum sehen konnte: gebannt auf die Bühne starrende Kinder mit aufgerissenen Augen und offenem Mund. Nett auch die Kommentare, das Lachen – und einmal hörte man Weinen (das tat mir etwas leid), als die Ente, die doch selber schuld war, vom Wolf verspeist wurde … Ich habe mal im Fernsehen einen Orchestermusiker lachend erzählen hören, das lebhafteste Publikum habe man stets bei Peter und der Wolf. Laute Zwischenrufe der Begeisterung oder des Bedauerns, der Sorge und Lachen seien an der Tagesordnung. Aber deswegen sei man als Musiker dabei eigentlich immer gut gelaunt, denn es sei schön, die Begeisterung und das Mitfiebern der Kinder zu erleben.
Das kann ich aus Publikumsperspektive nur bestätigen. 😊 Und wer weiß? Vielleicht sind ja einige künftige Oboisten und Fagottisten im Publikum … Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. 😉
Euch ein schönes, harmonisches Wochenende! 😊