Vielleicht sollte ich einfach wieder in mein Elternhaus ziehen …

Ich habe inzwischen das Gefühl, nach der Arbeit oder am freien Wochenende jeden Tag gen D. zu rasen, wo mein Elternhaus steht. In Wirklichkeit fahre ich nur jeden zweiten Tag. Aber das reicht auch, da ich derzeit wirklich sehr viel zu tun habe. Irgendwie reißt es nicht ab …

Heute war es ziemlich warm, und so strich ich gegen kurz nach 5, als ich im Büro meine Sachen packte, das Rasenmähen. Mochte der Rasen alles andere überragen – nicht bei diesem Wetter und nicht nach diesem Arbeitstag! Aber hin musste ich – der Garten musste gewässert werden. Außerdem musste ich mich erneut als Pest Control betätigen, da ja alle zwei Tage gegen die Plage des asiatischen Zünslers Maßnahmen ergriffen werden müssen, wie man mir im Gartencenter erklärte, als ich aus dem Bereich der ABC-Waffen die C-Variante kaufte (obwohl ich mir nicht ganz sicher bin, ob nicht auch B mit hineinspielt – zumindest wurde dies behauptet;  A jedoch auf keinen Fall – das wäre dann doch etwas übertrieben 😉) Außerdem wollte ich endlich diesen vielgepriesenen Algenkalk kaufen, um nach meinen bisherigen Bemühungen den Buchsbaum noch für die Nachbrut zu vergällen. Einen Sack hatten sie im Gartencenter noch übrig, und der freundliche Inhaber des Centers meinte auch, er würde ihn mir durchaus verkaufen, wenn ich darauf bestünde. „Jedoch“, so sein fachmännisches Profigärtner-Urteil, „sind inzwischen schon zahlreiche Kunden angekommen und haben gesagt, dass das überhaupt nichts bringe. Es wurde in der letzten Zeit ein großer Hype betrieben. Es mag nutzen, wenn man vor dem Einfallen der Tiere die Sträucher damit präpariert, aber wenn die Tiere schon da sind, würde ich es nicht empfehlen. Und letzten Endes wirkt sich Kalk auch mehr auf die Bodenqualität aus. Hätten Sie noch kein Vorkommen, würde ich sagen: ‚Probieren Sie es aus!‘ Da Ihre Pflanzen jedoch schon befallen sind … Ich verkaufe Ihnen den Algenkalk, keine Frage – aber ich hatte jetzt schon so viele Reklamationen, dass ich das guten Gewissens nicht machen könnte.“ – „Es erübrigt sich ohnehin – an dem Sack hebe ich mir ja einen Bruch! Vielen Dank für die ehrliche Beratung. Dann kaufe ich doch lieber noch ein bisschen Gift.“ Der Gärtner lachte und meinte: „Klingt toll – dann kaufe ich doch lieber noch ein bisschen Gift! Sind Sie verheiratet?“ – „Mitnichten. Auch nicht verwitwet – ich vermute, Ihre Frage zielte darauf und auf die Tatsache ab, dass Giftmorde überproportional von Frauen begangen werden. Mir geht es aber wirklich nur um die Zünsler … Obwohl … Vielleicht nutzt dieser zentnerschwere Sack ja auch im einen wie anderen Falle. Wirft man ihn auf das, was man nicht oder nicht mehr mag, ob nun nörgeliger Ehemann oder Zünsler, kommt man vielleicht auch ans Ziel!“ Der Gärtner lachte heftig und meinte: „Jetzt weiß ich wieder, wer Sie sind! Sie waren in den letzten Tagen schon einmal hier und haben mich auch da zum Lachen gebracht. Kann man Sie für Veranstaltungen engagieren?“ – „Ich überlege mir das und teile Ihnen dann das Resultat meiner Überlegungen mit – sicherlich komme ich noch öfter vorbei, wenn meine Eltern nicht bald selber wieder für ihren Garten sorgen. Inzwischen gewöhne ich mich beinahe an diesen Zwei-Tage-Rhythmus, in dem ich nach der Arbeit immer nach D. fahren muss, um erneut als Blumenpflegerin, Bewässerungsexpertin wie Schädlingsbekämpferin, in größeren Abständen auch als Rasenmäherin tätig zu werden. Und das, obwohl ich Gartenarbeit nicht sonderlich mag – das geht nicht gegen Sie! Erschreckend, dass ich inzwischen über Buchsbaum und Zünsler besser Bescheid weiß als meine gartenbegeisterte Mutter, die sich mit Botanik und Gartenarbeit ziemlich gut auskennt!“ – „Können Ihre Eltern sich nicht um ihren Garten kümmern?“ – „Im Moment nicht, weil sie nicht vor Ort sind. Sie haben einen Zweitwohnsitz in der Heimat meiner Mutter und sind zweimal im Jahr für längere Zeit dort. Im Herbst-Winterhalbjahr ist das für mich entspannter – da muss man nur Blumen gießen und nach Post sehen. In der warmen Jahreszeit ist es meist stressiger, vor allem, wenn gierige Raupen sich marodierend über einen größeren Pflanzenbestand hermachen …“

Ich kaufte noch eine Portion Gift, das jedoch bienen- und vogelverträglich sei, wie auf der Packung stand, obwohl die Inhaltsstoffe furchterregende Namen hatten. Nun gut, ich bin keine Chemikerin … Dies hier war zum eigenhändigen Anmischen und von einem anderen Hersteller. Dann raste ich zu meinem Elternhaus – es war schon kurz nach 6, und irgendwann wollte ich auch endlich mal zu Hause sein.

Zunächst einmal stand das Wässern der Pflanzen an – einige Rhododendren hingen schon wie ein Schluck Wasser in der Kurve … Zunächst war der Vorgarten dran. Dazu musste ich in die Garage und hatte wohlweislich den kleinen Monty so geparkt, dass er nicht mit dem Garagentor in Konflikt geriete, das  selbstverständlich über einen Elektro-Antrieb verfügt, zumal  mein Vater Ingenieur ist. Und weil er das ist, ist er ein Bedenkenträger und hat grundsätzlich stets sämtliche Ventile sämtlicher Wasserleitungen in Haus und Garage sehr, sehr fest zugedreht, wenn er und meine Mutter längere Zeit nicht da sind – mit Überschwemmungen ist jederzeit zu rechnen. 😉 Ich kämpfe schon immer mit dem Hauptventil im Haus – das in der Garage war noch fester zugedreht …

Ich erinnerte mich prompt an eine Gegebenheit, die etwa drei Jahre zurückliegt. Ich sollte im Haus irgendetwas prüfen, musste dazu auf eine Leiter steigen und ein Ventil über Kopf öffnen. „Kein Problem, Alilein,“, hatte mein Vater gesagt, „du steigst einfach auf eine Leiter, und dann öffnest du das rote Ventil über Kopf – unten im Keller, du weißt schon …“ Das Ventil zu finden, war kein Problem, das mit der Leiter auch nicht. Aber dann – ich hatte das Telefon zwischen Schulter und Ohr geklemmt – bekam ich das Ventil nicht auf, und ich sagte zu meinem Vater: „Wo ist eine Rohrzange? Das Ding geht nicht auf!“ – „Nein, Kind, lieber keine Rohrzange – Laien sollten keine Rohrzange benutzen. Am Ende ist das Ventil hin!“ – „Sonst noch irgendwelche Tipps, wie ich das Ding öffnen kann?“ – „Dreh einfach dran.“ – „Ja, für wie blöd hältst du mich? Was mache ich hier die ganze Zeit? Ich versuche, zu drehen! Das Ding ist wie einbetoniert! Hast du es vielleicht mit einer Rohrzange festgezogen? Mit bloßen Händen doch sicher nicht!“ Ich durfte dann zwar keine Rohrzange benutzen – ich hätte das Ventil ja beschädigen können! -, aber immerhin ein anderes Werkzeug zu Hilfe nehmen. Damit klappte es irgendwann auch, aber ich schnaubte in den Hörer: „Das ist echt eine Zumutung! Nächstes Mal schraubst du das Ding nicht so fest zu, bitte! Du bist doch immer derjenige gewesen, der sich mokierte, wenn Leute Schrauben doll drehten oder Wasserflaschenverschlüsse wie die Berserker festzurrten, dass kaum jemand sie ohne Werkzeug öffnen konnte!“

Dann wollte meine Mutter mich sprechen. Und während wir sprachen, rief mein Vater etwas aus dem Hintergrund – ich sollte noch irgendetwas kontrollieren. „Was denn jetzt?“ – „Papa möchte dich noch einmal sprechen.“ Und schon war mein Vater dran, und giftig fragte ich: „Was nun? Würde ich dir eine Freude bereiten, indem ich noch ein paar Ventile auf- und zudrehe? Oder soll ich nachsehen, ob die Garage noch da ist?“ Das war es dann nicht. Aber etwas ähnlich „Spektakuläres“ … 😉 Ich liebe meinen Vater sehr, aber die Ingenieure seiner Generation sind nicht immer einfach in ihrem Bedenkenträgertum … 😉

Das Wässern des Vorgartens heute stellte – nachdem das Ventil endlich offen war – dann kein Problem dar, und ich ging sehr großzügig vor. Als ich gerade den Schlauch zum linken Teil des Vorgartens zerrte, um dort die Pflanzen zu bewässern, hörte ich hinter mir auf der Straße einen Knall, und kurz darauf schrie ein Kind und weinte bitterlich …

Ich drehte mich um – o Gott, hatte das Ganze mit meiner Turbo-Bewässerung zu tun? Nein, niemand war über den Schlauch gestürzt, der Unfall außer Reichweite geschehen. Aus dem Augenwinkel hatte ich kurz vor dem Knall eine sehr schnelle Bewegung wahrgenommen, und nun sah ich, was es gewesen war: Ein kleiner Junge, etwa sechs, sieben Jahre alt, war voller Übermut mit dem Fahrrad die Straße entlanggerast, wohl seitlich weggerutscht und dann gestürzt, und das so richtig mit Schmackes. Nun lag er da, das Fahrrad halb auf ihm, und er schrie zum Steinerweichen. Ich stellte sofort den Schlauch ab und rief: „Ganz ruhig! Liegenbleiben!“ Und ich rannte zu dem Kleinen, der bitterlich weinend bäuchlings auf dem Boden lag. Im ersten Moment hatte ich mit Kopfverletzungen, hohem Blutverlust und sonstigen Katastrophen gerechnet – es hatte wirklich laut geknallt. Und mein alle zwei Jahre stattfindendes Ersthelfertraining steht doch erst am nächsten Montag wieder an … Und es ist dringend nötig …

„Ganz ruhig liegenbleiben – warte, ich helfe dir,“, sagte ich zu dem Kleinen. Und ich hob das kleine Fahrrad auf und legte es an die Seite. „Ich kann nicht aufstehen,“, jammerte der kleine Kerl, während ich ihn begutachtete. Am Kopf, von hinten und seitlich war keine Verletzung erkennbar, und so sagte ich, die ich weiß, dass Kinder oft – wie auch hier – im ersten Schrecken gar nicht schreien, dies danach umso lauter tun – auch aus Schreck: „Komm, ich helfe dir aufstehen, das kriegen wir hin.“ Und ganz vorsichtig packte ich dem kleinen Kerl unter die Achseln und hob ihn auf, wobei er aktiv mithalf. Dann sah ich ihn mir genauer an, und ich sah, dass zwar nichts Dramatisches passiert war, er aber einige Schürfwunden hatte, von denen ich weiß, dass sie zwar harmlos sind, aber richtig fies wehtun. An beiden Knien, obwohl da nur oberflächlich und ohne Blut, aber an einem Arm eine kleine blutige Schürfwunde, am anderen Ellbogen auch.

„Das tut jetzt sehr weh, das weiß ich, aber es ist nicht so schlimm. Wo wohnst du?“ – „Da hinten,“, jammerte der Kleine, und ich fragte: „Schaffst du es bis dahin?“ Der Kleine nickte. „Deine Mama oder dein Papa sollen das desinfizieren, und dann heilt das auch ganz schnell.“

Ich erschrecke noch jetzt ein bisschen über mich – ich war wohl im Ali-als-Kind-Modus. Ich hätte den kleinen Fratz nach Hause begleiten müssen, obwohl er sagte, er schaffe das allein. Eine tolle Ersthelferin bin ich! Lässt das Kind allein nach Hause gehen! Es tut mir jetzt noch leid – ich kannte das so aus meiner eigenen Kindheit, hätte hier aber doch anders reagieren müssen.

Mein Gedanke war jedoch nicht böse oder unachtsam gewesen: Ich habe – auch im Ersthelfertraining – gelernt, dass Kinder meist viel gelassener auf kleine (!) Verletzungen reagieren, wenn man kein so großes Brimborium macht, sondern ruhig und ganz normal mit ihnen umgeht. Warum mache ich mir jetzt Sorgen? Ach, ja – weil ich den kleinen Fratz nicht allein hätte gehen lassen sollen … Am besten, ich spreche das Ganze im Ersthelfertraining in sechs Tagen an. Sicherlich werde ich verbal in der Luft zerfetzt …

Zur Strafe musste ich dann noch den hinteren Garten bewässern – es wäre alles einfacher gewesen, hätte mein Ingenieurvater mich zuvor mit der Funktionsweise des wasserführenden Systems vertraut gemacht, das er in den letzten Jahren offenbar mehrfach geändert hat … 😉

Als ich zu Hause eintraf, war es nach 21 Uhr, und meine Frisur war etwas zerzaust. Ich hatte mir wohl einmal zu häufig die Haare gerauft … 😉

Zum Glück kommen meine Eltern am Donnerstag zurück. Wäre ich gläubig, würde ich meinem Schöpfer auf Knien danken … 😉

Und noch etwas habe ich gelernt: Nie wieder werde ich unmündige Opfer ihres eigenen überhöhten Fahrverhaltens allein nach Hause gehen lassen. Das spukt mir noch immer im Kopp herum … 🙁