„Wäre ich doch mit dem Auto gefahren!“ So dachte ich heute mehrfach, als ich die Stadt Bonn – einst Bundeshauptstadt – anderweitig verlassen wollte. Schon nach meinem Erstbesuch dieser Stadt hatte ich mich – damals noch ein Kind – schon gefragt, warum man just diese Stadt ausgewählt habe, obwohl sie zweifellos partiell sehr hübsch ist – es sei denn, man geht von ihrem Bahnhof aus … Denn der ist das Grauen. Zumindest momentan. Und Bonn an sich ist eine nette, wenn auch provinzielle Stadt.
Glücklicherweise bin ich eine Freundin des Realismus, und meine Eingangsfrage beantwortete ich mir selber: „Weil du Autobahnfahren hasst wie die meisten Katzen das Wasser!“ (Bis auf die aus der Türkei stammende Van-Katze, die Wasser so sehr liebt, dass sie sich voller Elan in die für ihren Halter wohltemperiert gefüllte Badewanne stürzt … 😉 Einige Ausnahmen mag es geben, aber die meisten Katzen verabscheuen Wasser und mögen es höchstens in geringer Darreichungsmenge zum Trinken.)
Am Mittwoch war ich zu einem vom DAAD veranstalteten Workshop gefahren, und auf der Hinfahrt war auch alles tutti. Mal abgesehen von dem eindeutig kurz vor der Abwrackung stehenden ehemaligen „InterRegio“-Zug, der inzwischen umgespritzt und – gefärbt als „InterCity“ unterwegs ist … Und „inzwischen“ bedeutet auch, dass er offenbar schon kurz nach Beginn der Geschichtsschreibung als solcher eingesetzt wurde. Aber was erwarte ich von einem IC, der tatsächlich in meiner Heimatstadt hält! 😉
Der Workshop war richtig toll, und ich kann rein gar nichts Schlechtes sagen, außer die Tatsache anmerken, dass die hervorragende Dozentin diesen auf absehbare Zeit nicht mehr veranstaltet, was wirklich ein Verlust ist. Sie erläuterte mir heute in der U-Bahn vom Gustav-Stresemann-Institut bis Bonn Hbf, warum dies so sei, und ich fand Gelegenheit, mich persönlich zu entschuldigen, dass mein vermeintlich auf lautlos gestelltes Smartphone gestern mitten im Seminar geklingelt hatte … 😉 (Bis gestern hielt ich mich für eine erbärmliche Sprinterin. Nun ja – auch diese Zeiten sind vorbei …)
Irgendwie verband diese Dozentin und mich offenbar etwas, denn als ich am Mittwoch eingecheckt, mein Zimmer im Institutshotel eingenommen hatte und nun mit dem Aufzug nach unten fuhr, um noch um den Block zu marschieren und mir etwas zu essen zu kaufen, prallte ich beim Aussteigen mit einer mich um Haupteslänge überragenden Dame zusammen, die direkt vor dem Aufzug gestanden hatte und unvermittelt eintreten wollte, dann jedoch rasch ihren Trolley beiseite fuhr, um den bisherigen Fast-Umfall zumindest zu minimieren. Ich dachte, warum auch immer: „Das ist garantiert die Dozentin!“ Keine Ahnung, warum. Doch! Wann immer ich Fortbildungen mache oder gemacht habe, gab es bei meiner Ankunft oder vice versa Zusammentreffen vorher, bei denen ich dachte: „Das ist garantiert der Dozent/die Dozentin!“ Oft mit irgendwelchen Peinlichkeiten oder Missgeschicken verbunden – und nicht selten trog meine Ahnung nicht.
Es wunderte mich daher am nächsten Morgen keineswegs, dass ich kurz vor Beginn des gestrigen Seminartages just dieser Frau gegenüberstand, die all ihre Eleven persönlich und mit Handschlag begrüßte. Als ich vor ihr stand, stutzten wir beide, und dann fing ich zu lachen an – ich kann leider nicht aus meiner Haut. Sie lachte mit und meinte: „Irgendwoher kennen wir uns!“ – „Ja, wir wären gestern fast zusammengeprallt.“ – „Wo?“ – „Als Sie wohl gerade ankamen und den Aufzug nehmen wollten, aus dem ich gerade ausstieg …“ – „Ach, ja! Das ist ja nett! Wohnen Sie auch im dritten Stock?“ – „Nein, im ersten.“ Trotzdem schüttelte sie mir heftig die Hand, und ich konnte mir sicher sein, dass ich nicht mehr aus dem Auge gelassen werden würde.
Ehrlich gestanden: Da hatte ich die Befürchtung, dass ich nunmehr zu jeglichen unangenehmen Übungen herangezogen werden würde. Ich kenne das von manchen Dozenten: Sie kennen ein Gesicht und greifen dann in Zweifelsfällen gern auf dessen Inhaber zurück. Wie auf einen Rettungsanker. Ich habe das in meiner Dozententätigkeit nie gemacht, war aber während eines Seminars im Rahmen einer Fortbildung schon einmal „Opfer“.
Die Dozentin hier war jedoch wirklich gut und behandelte uns alle gleich. Und sie war nett, dennoch unnachgiebig, und wir haben gestern wirklich von 9 bis Viertel vor 6 gearbeitet, und das, da es auch um Themen ging, die den Umgang mit Emotionen in der Beratungstätigkeit behandelten, wirklich energieraubend. Heute von 9 bis Punkt 1. Und sie hat geschafft, dass auch ich inzwischen glaube, in ferner Zukunft mal eine gute Beraterin zu werden. 😉 Offenbar habe ich bis dato auch viel durchaus richtig gemacht, wie sie mir bescheinigte, da ich mich trotz geringer Erfahrung häufig einbrachte. Sie sagte mir heute in der U-Bahn: „Ihre Eingangsfrage fand ich wirklich nett, als ich fragte, wie Sie alle Ihre Kunden begrüßen würden: ‚Was führt Sie zu mir?‘ Und Ihre Attitüde fand ich so nett: Sie vermittelten wirklich, interessiert zu sein, und Sie bringen etwas herüber, das dem Ratsuchenden zeigt, dass er Ihnen alles erzählen kann.“ Ich grinste, weil ich dachte: „Ja, derzeit bin ich liebreizend, da ich noch nicht viel von der Tätigkeit weiß und mir die Ratsuchenden leidtun, da sie just auf mich treffen. Da muss man doch wenigstens lieb sein und sie lieb begrüßen.“ Das sagte ich auch der Dozentin, die schallend zu lachen begann.
Dann meinte sie: „Ich glaube, Sie unterschätzen sich. Sie scheinen wirklich sehr schön mit Ihren Kunden umzugehen. Sie müssen sich nur Zeit lassen – Sie sind doch noch ganz am Anfang. Hat sich denn schon mal jemand über Sie beschwert?“ – „Nein. Eher im Gegenteil.“ – „Na, sehen Sie! Das meine ich.“ So erzählte sie mir heute in der U-Bahn Richtung Chaos, auch Bonn Hbf genannt.
Dort trennten sich unsere Wege, denn sie musste weiter nach Köln, während ich für drei Stunden strandete.
Da der Arbeitgeber Öffentlicher Dienst nurmehr die günstigsten Tickets bei Dienstreisen akzeptiert und erstattet und da ich mit Verzögerungen gerechnet hatte und nach Möglichkeit ohne Umsteigen zurück ins Ruhrgebiet wollte, hatte ich mir eine bestimmte Verbindung herausgesucht. Ging erst zwei Stunden nach meiner Ankunft an diesem … Bahnhof.
Ich war schon am Mittwoch entsetzt, als ich dort eintraf. Es schienen nur drei Gleise überhaupt befahren zu sein, davon eines lediglich geringfügig. Die Gleise 2 und 3 dafür verstärkt, und exakt diese Situation bot sich mir heute erneut. Der Bahnhof eine Großbaustelle, Gleis 1 gesperrt, die Gleise 2 und 3 dafür übervölkert.
Nachdem ich etwas gegessen hatte – an Gleis 1 eingenommen, da dort hinreichend Sitzgelegenheiten warteten -, machte ich mich auf zu Gleis 2, wo mein Zug später abfahren sollte. Ein Gewühl dort, als bestünde irgendein Notstand. In all dem Gewühl sah ich Malina, eine Seminarkollegin, als ich mich gerade auf den hinteren Gleisbereich begeben und den Raucherbereich suchen wollte. Sie sah mich auch und winkte heftig – ich schwenkte um und kämpfte mir den Weg zu ihr durch.
„Das ist ja schön – so sehen wir einander noch einmal!“ schrie sie. „Hoffentlich hast du mehr Glück mit deinem Zug als ich!“ – „Der fährt erst in über einer Stunde, und eigentlich könnte ich noch in die Stadt …“ – „Mach das bloß nicht! Auf die Weise habe ich schon mal den letzten Zug verpasst!“ – „Ja, es lohnt sich auch für mich nicht. Aber was ist mit dir?“
Es stellte sich heraus, dass sie – sie kam von der Uni in Frankfurt – eine Verbindung hatte, die mit mehrmaligem Umsteigen u. a. in Köln verbunden war. Aber am Nebengleis war eine Direktverbindung nach Frankfurt Hbf angezeigt, die bei der Vorab-Buchung nicht angezeigt worden war. Ebensowenig auf bahn.de, wie mir Malina sehr lebhaft sofort auf ihrem Smartphone zeigte und beteuerte, sie habe inzwischen alles versucht, umzubuchen, was aber mit einem Sparticket nicht gehe.
Ich sah eine Bahnbedienstete am Gleis und sagte: „Da hinten ist eine Bahnbedienstete – los, die fragen wir jetzt!“ Gesagt – getan, und sie war eine sehr gute Beraterin. 😉 Denn sie erklärte, dass sie, sobald der Zug einfahren würde, mit dem Zugführer sprechen würde, der Malinas Sparticket, mit dem man nur und ausschließlich den zuvörderst gebuchten Zug besteigen dürfe, sicherlich umwandeln könne. Ich weiß noch, dass wir ihr sagten: „Wir setzen uns dort vorn hin!“ Sie meinte, sobald der Zug einführe, würde sie uns ganz sicher finden …
Malina und ich redeten und redeten … Sie erzählte mir, dass sie in der zwölften Woche schwanger sei und sich so freue. Ich dachte: „Die Dritte in der reinen Frauenveranstaltung dieses Seminars!“ Denn offenbar verirren sich wenige Männer in diese Tätigkeit, warum auch immer, denn es war in der Tat eine reine Frauenveranstaltung gewesen. 😉
Ich freute mich aber auch für sie, und als wir beide kaskadenartig redeten, muss wohl der Zug eingefahren sein, der ohne Umstieg nach Frankfurt gefahren ist, heute, von Bonn Hbf … 😉
Als Malina zehn Minuten später die Nähe der zuvor gedungenen Bahnbediensteten suchte, sah ich nur noch, wie diese in einer Art gestikulierte, die für mich so aussah, als sagte sie: „Wo waren Sie denn?“ Es bestätigte sich, als Malina dann zu mir zurückkam. Immerhin: Wir lachten beide, und ich habe sie dann in den nächsten Zug verfrachtet, der gen Köln fuhr. Sie nahm mich zum Abschied in den Arm, ich drückte sie auch, wies dann auf ihren Bauch und meinte: „Alles Gute für euch!“ Das hatte immerhin zur Folge, dass nicht ich – wie ich es eigentlich geplant hatte – ihren Trolley in den Zug hob, sondern ein Mann, der Richtung Malina meinte: „Sie dürfen nicht schwer heben!“ Ich kniff ihr ein Auge zu, sie kniff zurück.
Und mein IC – zumindest besser als das Ding, mit dem ich am Mittwoch gen Bonn gefahren war – kam auch irgendwann mit nur 40 Minuten Verspätung nach eigentlicher Abfahrzeit.
Immerhin war es ein schönes Seminar mit netten Kolleginnen, deren Probleme mit den meinen zumindest arbeitstechnisch bisweilen fast deckungsgleich sind. Mindestens drei waren schwanger – das bin ich nicht. 😉
Der Bonner Hauptbahnhof ist – zumindest derzeit – jedoch eine Katastrophe. Nichts fährt, wie es sollte, und es gibt nur zwei ernsthaft befahrene Gleise, aber der Nutzer dieser Institution wird zumindest darauf hingewiesen, dass derzeit 150 Bahnhöfe innerhalb Deutschlands auf ähnlich schöne Weise nicht nur renoviert, sondern beglückt werden.
Ich kann nur eines sagen: Den Bonner Hauptbahnhof habe ich als Kind oft befahren, wenn auch nur auf der Durchreise zu schöneren Zielen. Und wenn es so bleibt, wie es ist, wird sich daran nichts ändern. 😉
Aber es gab wohl einmal ein sehr schönes – aus meiner Sicht – Staatsgeschenk seitens Deutschlands an Großbritannien, und das vor der Wiedervereinigung: ein Pferd. Ich glaube, es war ein Hannoveraner Wallach, der wie eine Eins in die britische „Kavallerie“ passte, die an Tagen bemüht wurde, da Repräsentationspflichten anstanden. Der Rappwallach aus deutschen Gefilden trabte in schönem Gleichschritt mit seinen Kollegen anderer Provenienz mit. Sein Name: Bonn.
Was für ein Name für ein so stolzes Tier! 😉