„Wat leuk!“ Oder: Warum ich reagiere, wenn jemand: „Mevrouw de Boer!“ ruft

Irgendwie kamen meine neue Kollegin Jana und ich kürzlich darauf, dass wir beide Niederländisch sehr mögen und diese Sprache unheimlich gern selber beherrschen würden. Sie meinte: „Hey! Wir können doch zusammen einen Kurs machen, wenn du magst!“ Ich rief: „Sehr gern!“ Aber irgendwie dachte ich gar nicht, dass es ihr so ernst sei …

Doch heute griff sie das Thema tatsächlich erneut auf und erzählte ganz eifrig, sie habe bereits recherchiert (hatte ich, ehrlich gesagt, auch schon) – leider habe der Kurs für mehr oder minder Ahnungslose, groentjes und beginnelings, der A1-Kurs, bereits im Februar begonnen. Zumindest in der hiesigen Volkshochschule. Das hatte ich auch schon gesehen. Und so recherchierten wir auch in den Nachbarstädten. Überall hatten die Kurse schon begonnen. Während Jana in B. recherchierte, tat ich dies in M. – und dort wurde ich auch fündig, denn der A1-Kurs beginnt dort erst Mitte April. Hurra! Wir waren begeistert – dem Naturereignis „Niederländisch für Newbies“ stand nichts mehr im Wege. Da Jana zwei Kinder hat, musste sie sich allerdings zunächst nach einer Betreuungsperson für die Mittwochabende umsehen, war sich aber ziemlich sicher, dass sich da jemand finde. Da ich Jana bis dato als sehr toughe und entschlossene Person kennengelernt habe, mache ich mir keine allzu großen Sorgen darüber, dass ich nun gegebenenfalls doch allein hinfahren müsse. (Falls doch: Feuert mich an, da auch wirklich mittwochs immer brav hinzufahren – allein ist es immer doof … 😉 )

Da Sprachkurse schnell ausgebucht sind, meldete zumindest ich mich schon einmal definitiv an. (Wehe dir, Jana, wenn du mir morgen sagst, dass es bei dir nicht gehe … 😉 )

Jana sah allerdings kein Problem – warten wir es ab. Sie meinte: „Wahrscheinlich kann ich gegen dich ohnehin nicht anstinken – ich habe den Eindruck, du kennst dich schon besser aus. Vielleicht solltest du besser in den A2-Kurs? O je – dann wäre ich allein im A1-Kurs.“ – „Keine Sorge! Ich fange auch mal lieber bei A1 an, obwohl ich tatsächlich mal einen Niederländisch-Kurs an der Uni gemacht habe. Naja … zumindest zur Hälfte. Dann war es mir zu doof. Und ich muss das Ganze ja auch mal wirklich fundiert und von der Pike auf lernen.“ – „Wieso ‚doof‘? O je – ob wir dann wirklich einen solchen Kurs machen sollen?“ – „Nein, keine Sorge! Es lag nur an der Unterrichtsgestaltung. Es war in einem Sommersemester, und wir trafen uns jeden Donnerstag im Fo7, einem Hörsaal im Kármán-Auditorium. Unsere Dozentin kam aus Groningen, und sie war sehr nett …“

Das war sie wirklich gewesen. Meine Freundin Marie-Louise und ich stießen erst zur zweiten Stunde dazu – bei der ersten Seminarsitzung waren wir beide verhindert gewesen. Ich hatte mit einer heftigen Bronchitis darnieder gelegen, Marie-Louise hatte einen anderen Termin. Aber zur zweiten Stunde waren wir präsent, wenngleich meine Stimme dies noch nicht so war – nach der Bronchitis klang sie gewöhnungsbedürftig, sehr kratzig und viel tiefer als sonst. Es war nicht ganz einfach, zu sprechen, und es reizte zu Lachanfällen, wenn ich meine Stimme erhob, denn ich klang wie ein etwa 70-jähriger männlicher Kettenraucher, der obendrein täglich eine Flasche Whisky konsumiert und danach mit Reißnägeln gurgelt. 😉 Richtig gut konnte ich nicht sprechen, und als Marilu, wie sie genannt wurde, und ich neu im Kurs eintrafen und uns vorstellen mussten, übernahm Marilu meinen Part und erklärte, ich hätte erkältungsbedingt eine Stimme wie ein rostiges Reibeisen. Marjolein, die Dozentin, lachte und meinte: „Die optimale Voraussetzung, wenn man Niederländisch lernen möchte! Keine Sorge – alles wird gut!“

Die erste Hälfte der jeweiligen Doppelstunde bestand daraus, dass wir im Hörsaal saßen und Lektionen lernten – dazu auch die zugehörige Portion grammatica, ein Wort, das mit einem wunderbar velaren Laut, genauer: dem CH wie in Lachen, auch Ach-Laut genannt, anlautet. 😉

Nach einer Dreiviertelstunde meinte Marjolein dann immer ganz reizend in ihrer naturgemäß kehligen Aussprache: „Vooruit dan maar! De zon schijnt! Wij willen op de trap gaan zitten!“ Oder aber: „Het zonnetje schijnt zo mooi!“

Schon immer liebte ich den Hang, Dinge so reizend zu verniedlichen. Jedenfalls im Niederländischen. Was ich jedoch nicht liebte und im Grunde auch keiner von uns wollte, war, den Hörsaal zu verlassen, um draußen in der so schön scheinenden Sonne auf der Treppe vor dem Kármán-Auditorium zu sitzen, wo gefühlt hunderte Passanten vorbeikamen, die Zeugen unserer praktischen Sprachübungen wurden, denn die Übungen mussten wir immer „op de trap“ machen, mit verteilten Rollen.

Es gab da stets diese „reizenden“ Dialoge, die sich zwischen Meneer Gonzalez, einem fiktiven mexikanischen Touristen – er kann auch Spanier gewesen sein -, und Mevrouw de Boer abspielten. Meneer Gonzalez kannte sich als Tourist grundsätzlich nicht aus, aber zum Glück war stets die allwissende und hilfsbereite Mevrouw de Boer präsent, eine Niederländerin und Einheimische, die fortan die Wege und Geschicke von Meneer Gonzalez leitete und lenkte. 😉 Marilu hatte sich spontan für die Rolle von Meneer Gonzalez entschieden.

Wir saßen da immer auf dieser starkfrequentierten Treppe und vollführten peinlich berührt diese Dialoge, während die Passanten entsprechende Bemerkungen machten. Einige zweifelten an unserem Verstand und lästerten, was das Zeug hielt. Unter diesen Voraussetzungen macht das Ganze nicht so viel Spaß – das kann sicherlich jeder nachvollziehen … 😉 Und spätestens nach einer halben Stunde hatte ich der ungewohnten stimmlos-velaren Laute bzw. uvularen Frikative oder Reibelaute (der Name „Reibelaut“ kommt nicht von ungefähr) wegen Halsschmerzen … Und so gingen Marilu und ich irgendwann nicht mehr hin. Immerhin hat ihr Mann, seines Zeichens Niederländer, sich sehr erfolgreich um die korrekte Aussprache unserer niederländischen Nasallaute verdient gemacht, die wir mit Hilfe einiger Biere dann irgendwann auch annähernd authentisch beherrschten.

Ich habe mich jedoch oft geärgert, das Ganze nicht einfach durchgezogen zu haben, denn Niederländisch ist wirklich eine ganz sympathische Sprache. Was im Deutschen extrem bürokratisch klingt, klingt im Niederländischen in vielen Fällen einfach nur … knuddelig. Ihr kennt doch sicherlich diese Verkehrsschilder, auf denen ein Auto zu sehen ist, das an einem Abschleppwagen hängt. Im Deutschen steht darunter immer ganz spröde: „Widerrechtlich parkende Fahrzeuge werden kostenpflichtig abgeschleppt.“ In den Niederlanden sieht das Schild zwar genauso aus, aber unter der bildlichen Darstellung las ich dort mehrfach: „Fout gestaan – in de kraan!“ Widerrechtliches Parken hat dort zwar die gleichen Konsequenzen wie hierzulande, aber mal ehrlich: Das klingt doch einfach nur süß und wie mit Augenzwinkern gesagt. (Obwohl es absolut ernst gemeint ist.) 😊

Und ich brach vor Lachen in Maastricht mal beinahe zusammen, als ich die Beschriftung an einer Verkehrsinsel las, auf der sich ein versenkbarer Poller befand. Denn dort hieß es: „Attentie! Beweegbaar obstakel!“ Es war das „obstakel“, das den Lachanfall auslöste, da ich dieses Wort aus dem Lateinischen, Englischen, Französischen und Italienischen kannte. Hier, mitten in den Niederlanden, überfiel es mich unerwartet, und es klang so herrlich altmodisch-gespreizt und damit auch ein bisschen albern. Da ich selber zu Albernheiten tendiere, lachte ich mich fast schlapp. Nicht laut, mehr innerlich. 😉 Beweegbaar obstakel hatte im Erwachsenenalter die gleiche Wirkung auf mich wie die erstmalige Konfrontation mit dem Begriff bromfiets als Kind. Fiets ist das Fahrrad, und brommen bedeutet brummen – ergo ein brummendes Fahrrad. Kurz und in deutscher Sprache: ein Moped oder Mofa! Wer angesichts des Begriffs bromfiets nicht lacht oder beschließt, diese Sprache einfach nur zu lieben, hat kein Herz. 😉 Finde ich jedenfalls. 😉

Aber zum Glück weiß ich Sprachen zu schätzen, und ich lache im Grunde zumeist auch nur über den Klang, beileibe nicht über die Aussage. Es klingt oft einfach niedlich, auch wenn es todernst gemeint ist. Und ich möchte gern diese Sprache sprechen können, weil sie so sympathisch klingt und der Erwerb von Fremdsprachen ohnehin immer lohnend ist. Und weil wir ja hier nicht weit von den Niederlanden entfernt leben.

Was auch immer Jana mir morgen sagt: Ich werde ab Mitte April mittwochs nach M. fahren, aus einem Buch mit dem Titel Wat leuk! lernen und sicherlich erneut regelmäßig unter Halsschmerzen leiden. 😉

Im Zuge meines ersten Niederländischkurses hatte ich in Aachen bei einigen Leuten dann den Spitznamen Mevrouw de Boer, und ich schwöre, ich würde auch heute noch reagieren bzw. zusammenzucken, würde man mich oder eine Person, die wirklich so heißt, so rufen … 😉 )