Operationen? Nur bei Neumond!

Gestern bin ich – abgesehen vom Rest des Tages – mal wieder an meine Grenzen geraten. Beziehungsweise: mit der Nase darauf gestoßen worden. Mit Nachdruck. Und das Schlimmste: Es war nur gut gemeint gewesen!

Denn gestern kam eine Kollegin ins Büro, die ich schon sehr lange kenne, aber nur selten sehe, seit sie in einer anderen Abteilung arbeitet. Ich kenne sie jedoch, seit ich bei meinem Arbeitgeber tätig bin. Und ich habe sie als einen Menschen kennengelernt, der wirklich lieb und nett, wenn auch bisweilen etwas schräg ist. Es mag daran liegen, dass sie aus Norddeutschland stammt, ich hingegen eher süddeutsch-ruhrimäßig geprägt bin – ich weiß es nicht. Auf alle Fälle nimmt sie Dinge immer sehr ernst. Total ernst. Nichts ist dem Zufall überlassen, und meine Art Humor hat sie früher schon nicht so gut verstanden. Wahrscheinlich findet sie mich in mancher Hinsicht grob. Ich weiß es nicht – ich will es auch gar nicht wissen. Fakt ist: Ich mag sie trotzdem, denn – siehe oben – sie ist im Grunde ihres bisweilen sperrig wirkenden Herzens ein lieber und wohlmeinender Mensch. (Da sind wir einander sogar ähnlich … 😉)

Ich unterhielt mich gerade mit einer anderen Kollegin, als Wiebke hereinkam. Wir unterhielten uns – das Thema beschäftigte mich gestern verständlicherweise – über zahnmedizinische Behandlungen. Hier speziell Parodontosebehandlungen. Und das bekam Wiebke mit …

Sofort meinte sie alarmiert: „Ali, wann hast du den Termin?“ – „Heute – um 17 Uhr!“ Und da sah ich schon, wie Wiebkes Gesicht in sich zusammenzufallen schien. Sie stand unter Schock! 😉

„Ist alles in Ordnung, Wiebke?“ fragte ich besorgt. Da sah sie mich an und meinte voller Pein: „Ali, um Himmels willen! Heute ein solcher Termin? Das geht gar nicht!“ – „Äh, wieso nicht? Der steht schon seit einigen Wochen fest.“ – „Ja, aber … O Gott!“ – „Stimmt irgendetwas nicht?“

Da holte Wiebke tief Luft, und im nächsten Moment prasselte eine Vielzahl an Informationen auf mein Haupt ein. Ich verstand nur Vollmond. Denn als sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, meinte sie: „Ali, wir hatten vor fünf Tagen Vollmond!“ – „Ja, und?“ warf ich ahnungslos-ignorant ein. – „Da kannst du doch nicht wenige Tage später einen solchen Termin allen Ernstes wahrnehmen wollen!“ – „Aber … warum denn nicht?“

Wiebke sah mich an, wie Erwachsene Kinder ansehen, denen sie keine allzu ausgeprägten kognitiven Fähigkeiten zutrauen. Und sie holte erneut Luft. Dann sagte sie: „Vollmond ist Scheiße, wenn man gewisse Dinge machen will.“ Ich überlegte, dann sagte ich: „Wiebke, ich will keine gewissen Dinge machen. Ich muss einfach nur zum Zahnarzt.“

Erneut weilten ihre Augen bekümmert auf mir, und ich begann bereits, mich ein wenig zu sorgen. Aber da rief sie: „Arnika!“ – „Nein, Ali,“, sagte ich. „Ich heiße Ali – weißt du doch.“ – „Nein, Arnika!“ – „Nein, durchaus nicht, mein Name ist Ali! Wir kennen einander seit 2004, und ich habe meinen Namen nicht geändert.“ – „Nein, Ali! Du sollst ganz viel Arnika nehmen – vielleicht kann das der Vollmondwirkung entgegenwirken!“

Ich sagte lieber gar nichts. Gut, zugegeben, als Kind hatte ich mich vor dem Vollmond immer gefürchtet. Der sah irgendwie unheimlich aus. Wie ein riesiger, leuchtender Pfannkuchen mit Gesicht. Und er sorgte stets dafür, dass ich, wachte ich nachts auf, vor lauter Furcht völlig reglos im Bett lag, weil er die Sachen, die in Stephanies und meinem damaligen Zimmer standen, in ein so unheimliches, fahles und kaltes Licht tauchte und teils verfremdete.

Meine Mutter wollte mir helfen, und wenn ich – jeweils zu Vollmondzeiten – abends im Bett lag und furchtsam fragte: „Was ist da so hell? Ist das der Mond?“, nahm sie mich mehrfach auf den Arm, trug mich zum Fenster und stellte mich auf die Fensterbank, wobei sie mich gut festhielt und sagte: „Sieh mal, Ali – das ist doch nur der gute, alte Mond! Der tut dir nichts.“ Ich sah hin und sah einen mir sehr unheimlichen Gesellen, und schnell drückte ich mich an meine Mutter und sah den Mond lieber nicht mehr an.

Meine Mutter versuchte es mit altbekannten Liedern wie: „Der Mond ist aufgegangen“ oder „Guter Mond, du gehst so stille“ – nichts half. Immer, wenn es draußen dunkel war und dennoch dieses fahle Licht durch die Ritzen in der Jalousie strahlte, fragte ich voller Pein: „Ist das der Mond?“

Irgendwann wusste sich meine Mutter keinen anderen Rat mehr, und so sagte sie: „Aber nein! Das ist nicht der Mond! Das ist die Flutlichtanlage auf Schalke! Die Jungs trainieren jetzt – deswegen ist es hier so hell.“ Problem gelöst. Das war einzusehen, und das sah ich auch ein und akzeptierte es. Da waren Menschen beteiligt, nicht nur dieser unheimliche, leuchtende Himmelskörper! Und dann auch noch hinsichtlich Fußballs – das beruhigte mich. (Hätte ich als Dreijährige nur etwas mehr Ahnung von geographischen Aspekten gehabt, wäre mir nicht nur der Mond, sondern obendrein aufgegangen, dass man die Schalker Flutlichtanlage von unserem Kinderzimmerfenster unmöglich sehen konnte, da es in die völlig entgegengesetzte Richtung ging … Wie gut, dass ich das damals noch nicht wusste … 😉)

Ihr seht: Ich hatte schon früh ein gespaltenes Verhältnis zum Mond. Speziell, wenn er voll war. Alle anderen Zustände störten mich nicht. Und nun sollte mich diese längst überwundene Sache doch noch einholen?

„Wiebke, was ist denn so schlimm daran, wenn ich fünf Tage nach Vollmond eine Parodontosebehandlung vornehmen lasse?“ – „Das ist einfach nicht gut. Wahrscheinlich ist es erheblich schmerzhafter, und es heilt sicherlich auch schlechter.“ (Ha! Wusste ich es doch schon als Kleinkind! Der Scheiß-Vollmond ist schädlich! 😉)

Nein, nicht wirklich, und ich sah Wiebke irritiert an, als sie mir eine kurze Vorlesung zum Thema hielt. Operationen jedweder Art bitte nur bei Neumond!

Ich hätte ja gern mein Gesicht in dem Moment gesehen. Und ich schwöre, mir lag auf der Zunge, zu sagen: „Muss ich da vorher auch noch geraspelte Ziegenhufe, das Herz eines vor Morgengrauen geschlachteten Huhns und die geschnittenen Zehennägel einer Jungfrau in der Neumondnacht an der Nordseite meines Hauses eingraben und dazu irgendeinen Zauberspruch aufsagen?“ Ich öffnete sogar schon den Mund, schloss ihn aber lieber wieder. Ich fürchtete mich vor der Antwort. 😉 Und nicht nur das, denn sie meinte es ja lieb. 😊 Und so sagte ich ebenso lieb: „Danke, Wiebke. Ich werde es mir merken und fürderhin klüger handeln.“ Sie nickte zufrieden und meinte: „Das ist gut so. Ich freue mich, dass ich dir helfen konnte.“ (Gut, da musste ich sehr an mich halten, nicht laut: „Scheiße!“ zu schreien, aber ich riss mich am Riemen und lächelte schwachsinnig.)

Immerhin hatte ihr Einsatz zur Folge, dass mich heute die andere Kollegin anrief und total nett fragte, wie ich denn den gestrigen Eingriff überstanden hätte. Ich gab an, die ganze Nacht aufgrund fieser und bohrender Schmerzen im linken Teil meiner Kiefer nicht so recht geschlafen zu haben, und da meinte Simone: „Siehste! Wärest du lieber mal an einem Neumondtag hingegangen!“ Und sie lachte sich scheckig. Ich lachte auch. Und dann rief mich Wiebke an … Ich sagte – anders als zu Simone -, dass alles bestens gelaufen und ich wohl mehr so der Kurz-nach-Vollmond-Behandlungstyp sei. Daraufhin meinte Wiebke: „Ich glaube, du verstehst das Prinzip nicht. Aber das ist nicht schlimm – man kann so vieles lernen.“ Das stimmt. Es gibt in der Tat so viele Dinge, die man lernen kann. Kann. Nicht muss. Geschweige denn: will. 😉

Der zweite Termin für die rechte Kieferseite ist am kommenden Dienstag. Am Neunzehnten. Einen Tag vor Neumond. Muss ich mir jetzt Sorgen machen? Oder gilt das schon? 😉

Ich habe es wirklich nicht mit solchen Dingen. Aber zumindest weiß ich, wann was nett gemeint ist, auch wenn ich darüber frotzle. Und immerhin weiß ich dank Wiebkes Einsatz nun auch noch, dass ich Friseurbesuche niemals in die Phase abnehmenden Mondes legen, sondern nur bei zunehmendem Mond meine Haare schneiden lassen soll. Die wachsen dann nämlich viel kräftiger nach! Danke, Wiebke! 😊

So haben verschiedene Menschen verschiedene Aberglauben. Ich befürchte nur, Wiebke hält ihren für wissenschaftlich fundiert …

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