Große Augen

Große Augen zu haben, kann aus ganz verschiedenen Gründen geschehen. Manche haben sie von Natur aus, oder man reißt die Augen vor Überraschung, Freude, Begeisterung oder Entsetzen weit auf. Manchmal spricht man auch von „großen Augen“, wenn man etwas sehr hübsch findet und gerne haben möchte.

Meine Augen sind relativ groß geraten, was wohl bei mir in der Familie liegt, und reiße ich sie vor Überraschung, Freude, Begeisterung oder Entsetzen auf, höre ich bisweilen von sensibleren Gemütern: „O Gott! Da bekommt man ja Angst!“ Ich finde das Ganze eigentlich gar nicht so bedrohlich, aber ich kenne mich ja auch. 😉

Heute machte man mir – wie ich zunächst glaubte – ein Kompliment zum Thema. Dass es eine bloße Feststellung und etwas anders gemeint war, ging mir erst später auf … 😉

Denn ich musste heute zum Augenarzt. Bei meinem letzten Besuch dort im Mai hatte man mich darauf hingewiesen, dass auch mal wieder eine sogenannte Funduskopie vorgenommen werden müsse. Klingt spannend, ist es manchmal auch, aber im Grunde verbirgt sich lediglich eine augenärztliche Untersuchung des Augenhintergrundes dahinter. Denn wenn auch von vorne alles gut aussehen kann, können hier in Abwandlung einer bekannten Redensart Verhältnisse von vorne hui – hinten pfui herrschen. 😉 Denn das fürs Auge und die Sehfähigkeit Wichtigste – Sehnerv und Netzhaut – sieht man ja bei einer ganz normalen Standarduntersuchung nicht. Und am Ende ist dort schon so einiges marode, was schlimmstenfalls zur Erblindung führen kann – und wer will das schon  …

Ich gebe zu, ich finde alle medizinischen Eingriffe, die sich auf Einsatzgebiete am Kopf beziehen, besonders unangenehm. Selbst zum Augenarzt gehe ich nicht so gern, nicht einmal zur normalen Sehschärfen- und Kontrolluntersuchung. Ich komme mir immer vor wie ein Versager, wenn ich die zum Teil nur fliegenschissgroßen Zahlen nicht lesen kann – nicht einmal mit meiner Brille. Und ich bin überzeugt, dass höchstens Scharfschützen oder Adler in der Lage wären, dies zu tun. 😉 Nichtsdestotrotz sitze ich immer mit einem verlegenen Grinsen da, während man auf winzige Ziffern deutet und wie selbstverständlich sagt: „Lesen Sie mal die vorletzte Reihe!“ Nicht selten rate ich, oder ich sage wie in einer Verhandlung: „Nun, ich denke, es könnte sich um eine Acht handeln. Gegebenenfalls auch um eine Sechs. Oder aber um eine Null.“ Und mit gewinnendem Lächeln blicke ich zum Auftraggeber, der dann meist zurücklächelt und sagt: „Vollkommen richtig – es ist eine Null!“ (Nein, keine Sorge – ich sehe alles, was ich sehen muss, auch beim Autofahren. Eine sehr nette Arzthelferin hat mir mal gesagt: „Sie können noch verdammt viel erkennen, Frau B.! So viel erkennen nicht viele. Das beruhigte mich einerseits, andererseits aber beunruhigte es mich auch, denn wenn ich mit Brille schon so wenig zu sehen wähne: Laufen andere Leute quasi noch „blinder“ durch die Gegend? Ein Wunder, dass nicht dauernd etwas passiert … Als ich dies der Helferin sagte, lachte die sich schlapp und meinte: „Die unteren Reihen sind so klein – die kann kaum einer lesen. Es sei denn, ein Adler oder …“ – „… ein Scharfschütze.“ So ergänzte ich, und die Helferin lachte noch mehr und meinte: „Genau so, Frau B.!“ Ich war beruhigt.)

Heute sah ich noch schlechter als sonst, war aber selber schuld. Denn gestern Abend war ich mal wieder mitten beim DVD-Gucken auf der Couch eingeschlafen – mit meinen Kontaktlinsen, die ich mal wieder herauszunehmen verpennt hatte, und das im wahrsten Sinne. Und jeder Kontaktlinsenträger weiß, wie unschön das Erwachen dann ist. Obwohl meine Linsen angeblich 24 Stunden lang getragen werden können. Ha! Ich erwachte, nahm die Dinger schleunigst aus den Klüsen, fühlte aber dieses Gefühl geschwollener Augen. Ich hielt diese unter kaltes Wasser, bevor ich mich zum Arzt aufmachte. Mit meiner Brille auf der Nase, natürlich.

Beim Arzt ließ man mich natürlich erst wieder Zahlen lesen. Ich war heute noch jämmerlicher als sonst – aber meine Augen waren durch die mit Kontaktlinsen verbrachte Nacht nicht in Bestform. Ich war froh, als ich erlöst war und die Helferin mir Atropintropfen hineinträufelte.

Ehrlich gestanden: Ich mag diese Funduskopie gar nicht. Man bekommt diese Tropfen ins Auge, die die Pupille erweitern. Und die bleibt dann auch erst einmal Stunden erweitert, was zur Folge hat, dass man nicht nur von der eigenen Schönheit, sondern auch allem anderen geblendet wird, was leuchtet, blinkt, blitzt oder einfach nur hell ist. Zudem sieht man auch sehr unscharf. Meine letzte derartige Untersuchung fand anno 2003 oder 2004 statt. Mitten im Hochsommer, aber ich hatte zuvor nicht gewusst, dass ich an eine besonders gründliche Augenärztin geraten war – es war mein erster Besuch. (Übrigens gleichzeitig auch mein letzter. 😉) Mein damaliger Freund war dabei, allerdings nur aus dem Grunde, da die Ärztin ihre Praxis im zentralen sozialen Brennpunkt meines damaligen Wohnortes betrieb, den Ortskenner auch tagsüber nicht „unbewaffnet“ betraten.

Es war ein brüllend heißer Julitag, die Sonne knallte vom Himmel. Ich trug meine Brille und besaß leider keine Sonnenbrille mit optisch geschliffenen Gläsern … Nach der Standarduntersuchung träufelte mir die Ärztin Atropin in die Augen und schickte mich ins Wartezimmer zurück. Nach zehn Minuten träufelte die Helferin noch einmal nach … Und dann begann die Untersuchung besonderer Art. Erst wurde ich nur mit einer Spaltlampe geblendet, und die Ärztin spähte mit einer Lupe in meine Augen. Dann meinte sie: „Wir sollten sicherheitshalber auch noch eine genauere Untersuchung machen. Ich gebe jetzt noch ein paar Tropfen in Ihre Augen, eine örtliche Betäubung.“ Und ehe ich Einhalt gebieten konnte, hatte die sehr energische Ärztin auch schon ihren Worten Taten folgen lassen. Dann gab sie auch noch, wie sie sagte, ein „Schutzgel“ auf meine Hornhaut, um danach ein sogenanntes Kontaktglas auf die Hornhaut zu pressen! Und sie leuchtete erneut mit der Spaltlampe in mein wehrloses, gefügig gemachtes Auge und starrte aus nächster Nähe durch dieses Glas in dasselbe. Erst das rechte, dann das linke. Zum Glück war sie mit dem Ergebnis wohl zufrieden, als sie sich anschickte, das Kontaktglas von meinem linken Auge abzulösen. Der Versuch misslang – das Ding saß fest … Sie versuchte es erneut. Keine Chance auf diesem Wege, und ich geriet fast in Panik. Es ist nicht so angenehm, ein trichterförmiges Lupenglas auf dem Auge sitzen zu haben, das sich partout nicht von diesem trennen will. „Keine Angst, Frau B. – es hat sich nur festgesaugt. Bleiben Sie ganz ruhig – entspannen Sie sich.“ Ja, sicher, nichts leichter als das! 😉 Die Ärztin brauchte diverse Versuche, bis sie das Glas aus dem Auge bekam, wobei ich fest damit rechnete, dass mein Auge, an diversen blutigen „Drähten“ hängend, wohl nachgeben würde … Tat es aber dann doch nicht, und ich ward entlassen.

Mit kaltem Schweiß auf der Stirn tastete ich mich ins Wartezimmer und bedeutete Henrik, wir könnten nun gehen. Eigentlich sagte ich: „Henrik, bring mich bitte sofort nach Hause.“ – „Wie siehst du denn aus?“ – „Nicht jetzt. Später.“ Ich wollte die anderen Patienten im Wartezimmer nicht beunruhigen, vermute jedoch, dass sie eh kein Wort verstanden hätten …

Gut, dass Henrik dabei war, denn kaum waren wir draußen, wo die Sonne vom Himmel auf den Betonbürgersteig knallte und das helle Licht aufs Possierlichste von jenem reflektierte, tränten meine Augen wie bezahlt, und ich konnte sie kaum offen halten. Wozu auch – ich sah ja eh nichts. Henrik musste mich dann wie eine völlig Verstrahlte zur Bushaltestelle führen – zum Glück kam der Bus recht schnell, denn ich sagte nur: „Wenn wir jetzt hier noch eine halbe Stunde stehen müssen, drehe ich durch.“ Ich bin normalerweise nicht so zimperlich, aber meine Augen waren ziemlich angeschwollen, brannten wie Feuer und tränten, was das Zeug hielt, weil ich aufs Heftigste geblendet war. (Und ich schwöre: Man nimmt auch wahr, dass man angestarrt wird, wenn man so gut wie nichts sieht. 😉)

Zu Hause habe ich erst einmal im Bad bei dezentem Licht in den Spiegel geschaut … Ich sah aus wie ein Zombie oder wie etwas, das sich vom Blut anderer Lebewesen ernährt. Die Farbe meiner Augen konnte man kaum ausmachen – Uneingeweihte hätten, und das zu Recht, behauptet, ich hätte kohlrabenschwarze Augen, denn man sah nur Pupille und mit besonderer Aufmerksamkeit einen hauchdünnen, türkisgrünen Rand drumherum. Aber der war wirklich kaum zu erkennen. Es sah unheimlich aus. Ich legte mich frustriert ins Bett und schlief erst einmal drei Stunden, denn zu etwas anderem taugte ich nicht – ich konnte kaum sehen. Lesen ging nicht, Fernsehen ging nicht, und ich bin nicht so die Hörbuchfreundin. 😉 Es dauerte den ganzen Tag, bis sich meine Augen wieder normalisiert hatten, aber weh taten sie immer noch.

Und so ging ich heute sehr „erfreut“ zu meinem hiesigen Augenarzt. Normale Augenvermessung, Zahlenlesen, dann Augentropfen und Wartezimmer. Nach zehn Minuten kam eine Helferin mit einer Tropfflasche zu mir: „Frau B., lassen Sie mich mal sehen, ob wir nachträufeln müssen. Ach nein, das ist offenbar nicht nötig.“ – „Ich sehe sicherlich total bescheuert aus.“ – „Sie sehen sehr gut aus – sehr schöne Augen mit großen Pupillen.“ Und schon zog die Helferin weiter zu meinen Sitznachbarn. Offenbar war heute Funduskopie-Tag (ob es Rabatt gibt?). 😉

Die Untersuchung ging dann recht zügig und ohne Kontaktgläser. Man leuchtete mit der Spaltlampe in meine blendempfindlichen Augen, hielt eine Lupe zwischen Lampe und Auge und hieß mich, in alle nur denkbaren Richtungen zu blicken, rechts- wie linksseitig. Der Arzt gab der Helferin kolossal beruhigende Dinge zu Protokoll: „Rechts … Glaskörpertrübung … mouches volantes … Netzhaut… Cave! Links … Glaskörpertrübung … Netzhaut … Cave!“

Cave? In Bezug auf meine Netzhäute sprach er eine Warnung aus? Warum? Mir rutschte das Herz in die Hose, denn kürzlich hatte ein Kollege von mir eine partielle Netzhautablösung erlitten, von jetzt auf gleich. Und nur, weil er so schnell reagiert hat, ist er nun auf dem Auge nicht blind, hat aber mehrere Operationen hinter sich! Mir wurde ganz anders …

Und so fragte ich so lässig wie möglich: „Warum Cave? Was ist mit meiner Netzhaut? Und der Glaskörpertrübung?“ Der Arzt sah mich grinsend an und meinte: „Keine Sorge, Frau B. – es ist alles in Ordnung. Nur haben Sie auf beiden Augen eine Glaskörpertrübung. Wahrscheinlich sehen Sie öfter dunkle Punkte oder Fäden vor Augen, was wir mouches volantes nennen. Das heißt …“ – „… fliegende Fliegen, kenne ich. Ja, stimmt, habe ich schon, seit ich denken kann.“ – „Ist auch nicht schlimm.“ – „Was ist mit der Netzhaut – wieso Cave?“ (Die Sache mit dem Kollegen hatte uns allen einen Riesenschrecken eingejagt, da sie so plötzlich und ohne Vorwarnung kam … Und auch ich bin davon ganz offenbar nicht unberührt geblieben.)

Und da lächelte mich der Arzt an und sagte mit sanfter Stimme: „Frau B. – Sie haben sehr große Augen …“ Ich lächelte geschmeichelt, aber da sprach er weiter: „Und bei großen Augen ist das Risiko erhöht, dass irgendwann – unter Umständen – ein Loch in der Netzhaut entsteht. Und dann rutscht der Glaskörper partiell durch das Loch, das sich dann noch vergrößert, und …“ – „… bumm, sind Sie blind!“ meinte ich entsetzt. Der Arzt lachte und meinte: „Ich mag Ihren Humor. [Der Naivling. Das war kein Humor.] Nein, nein, keine Sorge. Nicht sofort. Es kann ein paar Stunden oder sogar Tage dauern.“ Ich starrte ihn entgeistert an, und er lachte noch mehr und meinte: „Aber im Moment ist alles in Ordnung. Allerdings sollten Sie mindestens einmal im Jahr den Augenhintergrund untersuchen lassen. Besser zweimal. Aber machen Sie sich keine Sorgen! Im Moment ist alles okay!“

Wie hatte ich nur jahrelang abends beruhigt ins Bett gehen und schlafen können, nachdem ich diese Untersuchung so lange hatte schleifen lassen … ?

Große Augen sind nicht immer von Vorteil. Vor allem dann nicht, wenn der gesamte Korpus gemeint ist, nicht nur die Frontalansicht … 😉

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