Heute war es dann soweit … Morgen ist mein letzter Arbeitstag am alten Platz, aber heute war mein Ausstand dort, der gleichzeitig Annas Einstand war. Wir sind da beide wohl recht pragmatisch veranlagt und haben vor Jahren schon einmal eine sehr schwungvoll-schöne gemeinsame Geburtstagsfeier abgehalten. Die sollte eigentlich viel früher stattfinden, aber ich musste spontan ins Krankenhaus, und so mussten wir alles ein wenig verschieben. Kein Problem mit Anna, mit der ich immer sehr gern gearbeitet habe. Und arbeite, und das offenbar auch gar nicht schlecht, denn ich werde nie den etwas sadistisch wirkenden Ausbilder bei meinem zweiten Ersthelfertraining vergessen (klingt ein wenig komisch: zweites Ersthelfertraining …), der Anna und mir, die wir zusammen den obligatorischen Dummy zu zweit im Wechsel herzdruckmassieren und beatmen mussten, sagte: „Das klappt ja wunderbar – wie aufeinander abgestimmt. Und so energisch – dabei sind Sie ja beide gar nicht so groß! Aber beide voll bei der Sache – um Sie mache ich mir keine Sorgen.“
Anna und ich richteten uns zu unserer jeweiligen und offenbar wenig respektgebietenden Körpergröße auf. Anna sagte: „Ha! Da hatten Sie uns wohl unterschätzt!“ Und ich ergänzte: „Wir haben früher Seite an Seite in ein und demselben Büro gearbeitet – und das unter schweren Bedingungen. Das hat offenbar nachhaltige Konsequenzen.“ – „Und wir sind beide Sternzeichen Löwe!“ rief Anna noch, und der Ausbilder lachte und meinte: „Offenbar sehr durchsetzungsfähig, lassen sich kein X für ein U vormachen, alle beide. Sehr schön.“
Heute hatten wir beide einmal mehr eine gemeinsame Feier – und es war sehr schön. Obwohl die von mir bestellte Pizza etwa eine halbe Stunde auf sich warten ließ, obwohl ich doch so präzise bestellt hatte … 😉
Doch zuvor hatte eine andere Kollegin ihr 25-jähriges Dienstjubiläum, und ich hatte Blumen bestellt. Die kamen auch später, als erwartet, aber rechtzeitig. Ich war gerade in der Küche und kochte Kaffee, als die in derartigen Fällen stets von uns gedungene Floristin ankam. Ich bekam es aus dem Augenwinkel mit, und, wie es bisweilen meine Art ist, ich rief laut und fröhlich: „Frau Schmidtke! Das ist aber schön!“ Frau Schmidtke zuckte zusammen und drehte sich zu mir um. Ich begrüßte sie fröhlich. Frau Schmidtke und ich sind zwar keine alten Freundinnen, aber quasi alte Bekannte, und offenbar mögen wir einander, denn als ich ihr gestern am Telefon bei meiner Bestellung erzählte, dass ich die Stelle wechseln würde, rief sie: „Och! Frau B.! Das ist aber traurig – wir kennen einander so lange!“ Das fand ich nett, und da ich Frau Schmidtke auch mag, wollte ich heute ebenso nett sein. Aber da meinte sie zu mir: „Frau B. – ich wollte nur sagen, dass ich künftig die Blumen selber ausliefere – oder meine Mutter macht das.“ Bis dato hatte das nicht selten Frau Schmidtkes Vater gemacht, ein sehr lieber, alter Herr, der immer mit dem Fahrrad angefahren kam und ganz stolz die jeweiligen sehr schönen Werke seiner Tochter auslieferte. Er war krank, wie ich wusste, weil Frau Schmidtke mir das einmal erzählt hatte, und ich bot daher an, die Blumen selber abzuholen. Da meinte sie: „Nein, nein – bitte nicht. Mein Vater freut sich, wenn er das machen darf!“ Und so kam er wieder und wieder an, brachte die Blumen – obwohl ich immer gesagt hatte, er solle doch an der Pforte Bescheid geben, ich würde sie dort abholen – bis zu uns ins Büro. Ein wirklich lieber, alter Herr, bisweilen ganz außer Atem, und ich sagte dann immer: „Warum haben Sie denn nicht unten Bescheid gegeben? Ich hätte die Blumen doch an der Pforte abgeholt!“ – „Nein, ich mache das sehr gern – da fühle ich mich doch gleich viel fitter!“ Er wollte nicht einmal ein Glas Wasser annehmen, das Janine und ich ihm immer anboten. Wir mochten den alten Herrn, der so nett und bescheiden war, den wir gar nicht belasten wollten, der aber selber darauf bestand, alles bis zu uns zu liefern.
Und da erzählte mir Frau Schmidtke heute, dass künftig sie oder ihre Mutter die Blumen liefern werde, „denn, Frau B., mein Vater ist vor vier Wochen gestorben.“ Ich starrte sie an, entsetzt, dann riss ich mich zusammen und meinte: „Frau Schmidtke, das tut mir sehr leid!“ Und ich reichte ihr die Hand und sagte: „Ganz herzliches Beileid – Ihr Vater war so ein netter Mensch!“ Und da sah ich die Tränen schon laufen. Und auch bei mir stieg der okulare Wasserstand, da mir das – obwohl ich den alten Herrn ja nur wenig kannte – furchtbar leidtat, und ich sagte: „Och, kommen Sie mal her!“ Und ich nahm Frau Schmidtke in den Arm. Sie drückte mich ganz fest. „Danke,“, sagte sie leise, als sie dann ging, und ich rief: „Alles Gute und bis bald!“ hinter ihr her. Denn auch, wenn ich da dienstlich nichts mehr bestellen werden muss, werde ich doch mal privat vorbeigehen und ein paar Blumen kaufen. Frau Schmidtke hat mir auch schon einmal sehr geholfen, als ich mit einem Todesfall gar nicht klarkam und bei ihr dieses kleine Gebinde aus Rosen kaufte, das man bei Beerdigungen als letzten Gruß ins Grab wirft.
Frau Schmidtkes Besuch beeinflusste mich dann so, dass ich selber die Tränen in den Augen stehen hatte, was mein Chef dann so interpretierte, dass ich wohl aufgrund meines Ausscheidens so nah am Wasser stünde … 😉 Aber das kommt sicherlich erst morgen – es wird nicht ausbleiben, ich kenne mich. 😉
Immerhin dann die Ablenkung durch die nicht rechtzeitig ankommende Pizza, was Anna und mich ein wenig nervös machte … Aber was sollte es! Wir tranken erst einmal alle ein Glas Sekt, nachdem Kollege Alexander, den wir inoffiziell immer „unseren Sektbeauftragten“ nennen – keiner kann Sektflaschen so gut öffnen wie er -, zur Tat geschritten war. Eigentlich hatten Anna und ich selber einige Worte an die versammelte Gemeinschaft richten wollen, kamen aber gar nicht dazu. 😊 Denn Kollege Michael hielt erst einmal eine Art Laudatio auf mich, Kollege Alexander dann eine auf Anna. Und wir bekamen auch noch Geschenke! Anna einen Gutschein für eher sportliche Ausstattung, ich einen Gutschein über einen unglaublichen Betrag von der Mayerschen – sehr schön, und wir haben uns sehr gefreut. 😊
Dann hielt auch noch mein Noch- und Annas künftiger Chef eine Ansprache auf mich und überreichte einen wunderschönen Blumenstrauß. Es freue ihn sehr, hob er an, und mir entfleuchte mal wieder etwas, und ich ergänzte: „[…] dass ich gehe.“ Die Kollegen, die mich kennen, lachten, mein Chef lachte auch und meinte: „An Frau B.s Humor habe ich mich inzwischen gewöhnt, und der wird mir auch fehlen.“ Danke, Chef! 😉 Er meinte, dass es ihn sehr freue, aber ihm auch sehr leidtue, dass ich weggehe. Das fand ich sehr nett.
Dann bekam Anna einen ebenso schönen Strauß und eine ebenso nette Ansprache, und ich bin hinterher noch zu meinem Chef gegangen und habe mich auch noch bedankt – für seine Geduld vor allem, weil ich doch bisweilen etwas vorlaut sei. Da lachte er und meinte: „Sie sind direkt, aber so mag ich Sie.“
Danach kam dann endlich auch die Pizza und schmeckte obendrein auch noch prima. Wir aßen und tranken Sekt dazu, und es war eine sehr schöne Feier.
Ich möchte nur nicht wissen, wie ich mich morgen fühle, wenn ich das letzte Mal an meinem Arbeitsplatz bin. Hoffentlich muss ich nicht weinen …
Es ist komisch: Da will ich seit langer Zeit weg, und dann ist mir so hundeelend zumute, wenn es soweit ist …