„Hardcore-Biker“, Vorstellungsgespräche und redundante Diskussionen

Gestern war ein echt stressiger Tag. Ich hatte neben der Arbeit auch noch ein Vorstellungsgespräch. Vorstellungsgespräche erzeugen nicht selten große Nervosität und Pein bei mir. Und so war ich recht „verhuscht“ und fühlte mich gar nicht wohl.

Hinzu kam, dass mir auf dem Weg auch noch ein offenbar suizidal eingestellter Radfahrer fast in die rechte Seite meines Autos fuhr, als ich auf der schmalen Hauptstraße meines Stadtteils unterwegs war, auf der die Linie 1 fährt, eine Straßenbahn in zwei Richtungen. Die und eben Autos. Die Straße ist dafür sehr, sehr schmal, und links und rechts der Autos und Straßenbahn hat nichts Platz. Radfahrer sind daher auf der Straße nicht zugelassen oder vorgesehen. Extra für diese gibt es einen an dieser Stelle gut ausgebauten Radweg neben dem Fußgängerweg oben auf dem Bürgersteig. Gekennzeichnet durch das allseits bekannte blaue Schild, das – an dieser Stelle – zur Linken ein Fahrradsymbol hat, zur Rechten ein Fußgängersymbol, getrennt durch einen vertikalen weißen Strich. (Für all diejenigen, die das nicht wissen: Es bedeutet, dass Radfahrer auf dem Radweg fahren müssen, neben dem ein Fußgängerweg verläuft, zumeist farblich getrennt, nicht auf der Straße fahren dürfen. Ich schicke das lieber mal voraus. Mit Gründen. Und ich füge hinzu, dass das gelte, sofern der Radweg befahrbar und nicht mit Sperrgut, Autos, Unkraut oder sonstigen Dingen besetzt sei … War er gestern nicht. War er noch nie. Immer gut befahrbar, und gestern, als mir der Radfahrer völlig idiotisch und ohne Zeichen, dass er abbiegen oder sonstwas wolle, fast in die Karre fuhr, nicht einmal von anderen Radfahrern oder Fußgängern genutzt – meterweit freie Fläche. Er hatte auch nicht ausweichen müssen. Hätte die Notwendigkeit bestanden, wäre er eindeutig zu schnell auf dem Radweg unterwegs gewesen.)

Ich musste heftig bremsen. Der Radfahrer beschimpfte mich, die ich nicht einmal die zulässigen 50 Stundenkilometer gefahren war. Ich hätte mir gern gegen die Stirn getippt, aber ich hielt mich zurück. Daraufhin stürmte er auf das Auto des Fahrers los, der hinter mir ebenfalls heftig hatte bremsen müssen und schlug dem mit der Faust aufs Dach, wild schimpfend. Warum keiner von uns beiden die Polizei rief? Wir hätten es tun sollen, aber offenbar waren wir beide zu geschockt. Denn als der Radfahrer schimpfend und uns den Mittelfinger zeigend weiterfuhr, fuhren auch wir weiter. Mit etwa 20, 25 Stundenkilometern, obwohl auf dieser aufgrund ihrer Enge radfahrerfreien Straße – extra deswegen ja der Radweg auf dem niveautechnisch höhergelegenen Bürgersteig – 50 gefahren werden darf. Aber der schlaue Radfahrer fuhr vor uns, und den konnten wir aufgrund der Enge nicht überholen … Zumal wir ja auch die uns bekannte 1,5-Meter-Regel beachten mussten. Und mit der entgegenkommenden Straßenbahn wollten wir nicht kollidieren, beim Versuch, den Radler, der dort absolut nichts verloren hatte, zu überholen …

Immerhin war ich spätestens da hellstwach, obwohl ich vorher schon hellwach gewesen war und mich jetzt noch etwas ärgere, der Idiotie noch Freiraum gewährt zu haben. Ich weiß, dass bei etwaiger Unbefahrbarkeit Radfahrer den ausgezeichneten Radweg, der ihnen vorschreibt, auch exakt dort und nirgendwo anders fahren zu müssen, verlassen dürfen. Aber es gab kein Hindernis, der Radweg war durchgängig befahrbar. Und selbst, wenn er das nicht gewesen wäre: Welcher Idiot fährt blöd-blindlings mit dem Fahrrad einfach auf die Straße, ohne Zeichen zu geben? Nur größtmögliche Idioten, die offenbar nicht allzu sehr an ihrem Leben hängen und dann gegebenenfalls noch anderen, die sich regelgerecht verhalten haben, zu Unrecht den Schwarzen Peter unterjubeln.

Das Vorstellungsgespräch habe ich danach auf sehr nette Weise hinter mich gebracht. Keine Ahnung, was daraus wird, aber es war das netteste Gespräch dieser Art, das ich jemals hatte. Alles vergessen, was ich hatte sagen wollen – aber spontan wirke ich ohnehin am besten. 😉

Danach war ich, wie ich nach solchen Situationen immer bin: aufgedreht, fröhlich, froh, die Last los zu sein.

Abends fuhr ich nach Hause. Und ich surfte noch etwas im Internet, traf auf einem Sozialen Medium auch noch einen guten Freund. Ich chattete mit ihm, fragte, wie es seiner Frau gehe, berichtete von dem netten Gespräch, und er gratulierte mir dazu, das Ganze so locker überstanden zu haben (nicht zuletzt aufgrund des Langmutes anderer, denen ich mit meiner vorherigen Hektik sicherlich auf die Nerven gefallen war – sorry! 😊).

Leider habe ich dann einen Fehler gemacht. Ich berichtete von dem Beinahe-Unfall mit dem Radfahrer … Ach! Das hätte ich besser nicht getan …

Denn mein guter alter Freund entpuppte sich als Hardcore-Biker, der Radfahren angesichts ebenfalls präsenter Autofahrer offenbar als Kraft- oder Machtprobe sieht. Er fährt beides, Auto und Fahrrad. Letzteres aber als Sport. Und – wie ich gestern lernte – das scheint zu Fundi-Verhalten führen zu können.

Denn wiewohl ich ihm die Situation wiederholt plastisch beschrieb, was beinhaltete, dass der Radfahrer sich widerrechtlich verhalten hatte, musste ich lesen, dass Autofahrer die Pest seien, speziell, wenn sie sich so verhielten wie der Fahrer hinter mir … Ich schickte ein Fragezeichen in den Chat, denn mein Hintermann hatte einfach nur das getan, was auch ich getan hatte: gebremst. Keiner möchte einen wildgewordenen Radfahrer, der sich aufgrund seines vorbildlichen Zyklistentums für den König der Welt hält, auf der Motorhaube! Schon gar nicht auf einer Straße, auf der er nichts zu suchen hat.

Auf das Fragezeichen erfolgte eine Belehrung über die allseits – auch mir – bekannte Regel, dass Autos zu Radfahrern einen Abstand von 1,5 Metern zu halten hätten. Das hätte der Fahrer hinter mir ja wohl nicht eingehalten! Ich warf – einmal mehr – in den Raum, dass es sich um eine sehr schmale Straße handle, auf die lediglich zwei Straßenbahnen in unterschiedliche Richtungen sowie Autos passten, weswegen – wie erwähnt – ja auch der breite Bürgersteig mit Rad- und Gehweg angelegt worden und Radfahren auf der Straße nicht vorgesehen, sondern allein auf dem Radweg erlaubt und vorgeschrieben sei … Ich dachte, damit sei die Diskussion beendet. Ich Naivling!

Was da für abstruse Argumente herangekarrt wurden, weswegen alle bremsgezwungenen Autofahrer potentielle Mörder seien, war nicht mehr feierlich. Es könnte doch Schmutz auf dem Radweg gelegen haben! (Ich bin früher als Jugendliche sehr viel Fahrrad gefahren, fahre auch jetzt bisweilen noch, aber Schmutz auf dem Fahrweg – normaler Schmutz – hat mich nie dazu gezwungen, einen vorgeschriebenen Radweg zu verlassen. Und ich war damals in recht ländlicher Gegend unterwegs, wo alles liegen konnte. Da hätte über Nacht schon ein Baum oder ein Dickicht gewachsen sein müssen … Und da hätte ich auch noch meine Augen offengehalten und wäre nicht einfach blind auf die Straße gebrettert … Und hier lag nichts.)

Ich wurde allmählich zynisch und meinte: „O ja, ein Haufen Pferdeäppel wird auf dem Weg gelegen haben, weil so viele Pferde durch die Stadt gehen! Vielleicht ist auch über Nacht eine zehn Meter hohe Eiche gewachsen! Nein! Da war nichts! Es gab keinen nachvollziehbaren Anlass! Und selbst wenn: Dann gibt man doch den anderen ein eindeutiges Zeichen.“

Es hatte alles keinen Sinn, man glaubte mir nicht, nahm den idiotischen Radfahrer auch noch in Schutz und bezeichnete die Autofahrer, die – wie hätten sie das auch tun sollen? – die 1,5-Meter-Regel auf dieser sehr schmalen Straße, auf der Radfahrer nicht zugelassen sind, nicht hatten einhalten können, auch noch als potentielle Mörder!

Es war sehr ernüchternd gestern. Aber ich habe mich tapfer geschlagen, obwohl ich zweimal partiell schon in Großbuchstaben postete und einmal: „Nochmal zum Mitmeißeln!“ schrieb, mit einer leichten Aggression versehen. Aber wer kann es mir bei kompletter Ignoranz der Tatsachen seitens meines guten Freundes trotz Einhaltens der Verkehrsregeln meinerseits verdenken? 😉

Irgendwann meinte ich dann nur noch: „Lass es gut sein. Ich wünsche dir eine gute Nacht. Es ist mir zu blöd, um des Kaisers Bart zu streiten. Gerne können wir uns demnächst wieder unterhalten. Zu einem anderen Thema aber, bitte.“

Denn ich hatte den Eindruck, mein guter Freund sei zu einem Fahrrad-Fundi mutiert. Mehrfach erklärte er mir, einige seiner Radkollegen würden absichtlich Radwege ignorieren und so auf der Straße fahren, dass sie Autofahrer absichtlich behinderten. Da hatte ich noch zurückgefragt, worum es eigentlich gehe: ums gefahrlose Radfahren oder nicht eher darum, Macht ausüben zu wollen. Keine Antwort. Man fühlte sich wohl unweigerlich im Recht.

Ich mag meinen guten Freund dennoch. Er muss zwar immer Recht haben, auch wenn es völlig absurd wird, aber er ist ein lieber Kerl. Nur nicht beim Radfahren. Da ist er wohl Fundi. Ich werde das künftig berücksichtigen. 😉

Aber einen Punkt aus meinem Vorstellungsgespräch habe ich wirklich wahrgemacht. Denn man fragte mich: „Wie gehen Sie damit um, wenn Sie zu Unrecht bezichtigt werden, etwas falsch gemacht zu haben?“ Da hatte ich locker-flockig gesagt: „Ich werde das zur Sprache bringen, aber ruhig.“ – „Und wenn der Chef trotzdem noch bockig ist, weil er eine unruhige Situation hat?“ – „Dann werde ich mich zurückziehen und auf den Moment warten, da es besser passt. Wenn ich wirklich im Recht bin, werde ich es nicht auf sich beruhen lassen. Aber ich werde es auch nicht eskalieren lassen.“

Einmal mehr die berühmte Duplizität der Ereignisse … 😉 Am selben Abend musste ich exakt das, was ich im Gespräch an- und im Brustton der Überzeugung von mir gegeben hatte, unter Beweis stellen. Und das ganz unerwartet und unter einigen ziemlich schrägen und nicht absehbaren Querschlägern! 😉 Ich war zwar sauer, aber alles in allem habe ich das ziemlich ruhig gelöst.

In ein paar Wochen werde ich mich wieder bei meinem guten Freund melden … 😉 Wahrscheinlich eher. 😉

Einen schönen Abend – und merkt euch: Fundamentalismus kann schon bei kleinen Dingen beginnen: zum Beispiel beim Radfahren … 😉

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