Was wir Sensibilität nennen, heißt auf Englisch sensitivity. Sensibility gibt es zwar auch, bedeutet aber zumindest in Nuancen etwas anderes. Ganz schlimm für mich immer wieder, wenn einer der Romane Jane Austens, Sense and Sensibility, als Sinn und Sinnlichkeit übersetzt Erfolge feiert. Richtig übersetzt heißt das Ganze: „Vernunft und Gefühl“, und wenn auch viel Gefühl in das hineinspielt, was man gemeinhin als Sinnlichkeit bezeichnet, so gibt es hier doch feine Bedeutungsnuancen. Sensible ist mit dem im Deutschen gebräuchlichen sensibel keineswegs identisch.
Heute stolperte ich in unerwartetem Kontext über den Begriff der Kultursensibilität. Den kannte ich zwar schon, aber eher in der Bedeutung der interkulturellen Kompetenz. In diesem Fach habe ich bis vor einiger Zeit selber Seminare geleitet. Meine Zielgruppe waren Studenten, die darauf hinarbeiteten, nach ihrem Examen viele Dienstreisen in andere Kulturkreise anzutreten, und so war das Seminar Interkulturelle Kompetenz und Kommunikation sicherlich hilfreich.
Doch wusstet ihr schon, dass es kultursensible Toiletten gibt? Hier, mitten in Deutschland? In einem Kulturzentrum einer als besonders bunt geltenden Großstadt?
Ich war angefixt, als ich den Titel des Artikels las, denn eine kultursensible Toilette – die hat schon was!
Es stellte sich heraus, dass es sich um ein Steh- oder Hockklo handelte, das ich bereits aus Frankreich kannte. Beliebt in etwas älteren Autobahn-Raststätten und der Schrecken eines jeden Sitz-WC-Nutzers, der mit einem Stehklo nicht vertraut ist. Ich weiß, wovon ich spreche …
Ich habe in meinem bisherigen Leben dreimal eine solche Toilette benutzt. Ich gebe zu, es pressierte wirklich, und es waren keine Büsche in der Nähe, in die ich mich lieber geschlagen hätte. Die drei Exemplare, die ich schließlich in meiner Verzweiflung nutzte, waren … nicht schön. Ich wünschte, ich hätte Gummistiefel dabei gehabt, denn die vorherigen Nutzer waren offenbar nicht so ziel- und treffsicher gewesen und/oder hatten zuvor etwas Falsches gegessen. Wie schnell fängt man sich eine Diarrhöe ein! Und davon hat bei einem solchen Klo dann auch noch die Um- bzw. Nachwelt etwas. Meist unter den Schuhen oder – als Ungeübter – auch noch an der Hose. (Kleiner Tipp: „Chemische Reinigung“ heißt auf Französisch: „le pressing“ …)
Von daher erschien mir diese Art Toilette immer wie eine Art Alp. Sogar ein Plumpsklo – der Schrecken meiner Kindheit – wäre von mir dankbar wie ein alter Bekannter begrüßt und bevorzugt worden. Selbst ein Donnerbalken. Da steht man wenigstens nicht in dem, was andere zuvor gegessen, getrunken, verdaut und ausgeschieden haben … Lassen wir das.
Ich habe gar nichts dagegen, wenn jeder seinen Geschäften so nachkommt, wie es ihm am angenehmsten ist – es sei denn, Parkanlagen oder sonstige öffentliche Flächen sind betroffen. Oder sonstige Einrichtungen, da andere beeinträchtigt werden. Und ich habe auch gar nichts gegen das besondere Klo in diesem Kulturzentrum. Aber warum um alles in der Welt gehen Leute in vorauseilendem Gehorsam hin und preisen das Ganze als revolutionäre Errungenschaft? (Sogar die alten Römer hatten Sitztoiletten, und deren Zeit liegt nun wirklich weit zurück …)
Da wurden die abstrusesten Argumente dargebracht: Der Darm entfalte sich viel mehr, und generell sei es viel entspannender, im Hocken zu … Man möge nur das nobelpreisverdächtige Buch: „Der Darm schlägt Alarm“ lesen! Da stünde alles drin! Und es sei so viel hygienischer, denn man komme ja gar nicht mit dem stets – so die Argumente – volldefäkierten und -urinierten WC-Sitz der verabscheuungswürdigen Sitztoiletten im öffentlichen Raum in direkten Kontakt! Da könne man sich ja gar nicht auf den Sitz setzen! (Mal im Ernst: Wer tut das, ohne etwas unterzulegen? Wohl nur Masochisten mit einem Hang zur Todessehnsucht …) Und – mein Favorit in der Argumentationslinie der Befürworter – es würde der Rettungsdienst ganz oft zu Fällen gerufen, da Menschen aufgrund der ungünstigen Defäkationsposition auf dem Sitzklo dahingeschieden seien! Auf einem Hockklo wäre das nie passiert – da würden dieselben Menschen sich nach Benutzung noch bester Gesundheit erfreuen! (Es stimmt zwar, dass Menschen schon auf der Toilette dahingeschieden sind, weil ihnen aufgrund des großen Drucks ein Gefäß im Kopf platzte, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dies so oft vorkomme, wie hier glauben gemacht werden sollte …)
Nachdem ich diese Argumente gelesen hatte, starrte ich blicklos auf den Monitor meines Rechners und überlegte, was wohl auf dem Grabstein eines auf dem gefährlichen Sitzklo Dahingeschiedenen stehe. Er gab sein Letztes für uns. Oder: Endlich befreit. Vielleicht auch: Nach all dem Druck nun Frieden.
Mir stellte sich die Frage, ob all diese Befürworter je in die Verlegenheit gekommen seien, die von ihnen vorgeblich präferierte Toilettenform auch höchstselbst zu benutzen. Je mehr ich an meine Erlebnisse dachte, desto unwahrscheinlicher erschien mir dies. Ebenso fragte ich mich, warum ein solches Klo hygienischer sein solle als ein Sitzklo. Denn im Grunde ist der Grad der Hygiene doch immer abhängig von den Personen, die eine solche Einrichtung nutzen. Oder irre ich mich? Und dann dachte ich wieder an den Diarrhöe-Aspekt … So habe ich mir heute zumindest das Abendessen gespart. Ein Toilettengang weniger. Wer weiß: Vielleicht hätte just der mich mein Leben gekostet … 😉
Auf alle Fälle bin ich wieder etwas schlauer. Es gibt also kultursensible Toiletten, an denen sich die Geister scheiden. Und ich habe schon beim Plumpsklo in Finnland die Krise bekommen! Zunächst zumindest.
Sensibilität hat also ganz verschiedene Gesichter. Das hier wollte ich mir gar nicht so genau vorstellen, zumal es unliebsame Erinnerungen weckte. En tout finde ich, sollte jeder seine Geschäfte machen können, wie er möchte – aber bitte keine Wissenschaft daraus. 😉
Ich bitte, das schlüpfrige Thema zu entschuldigen. Aber ich war heute wirklich immens überrascht, welche Wellen das schlug – es hat mich daher kaum losgelassen … 😉