„Rotz und Wasser“

Vor einer Woche traf ich Ulli, einen Anwohner meines Arbeitgebers, mitsamt seiner weißen Schäferhündin Luna einmal mehr, als ich zum Parkplatz ging. Ich parke seit der Brandstiftung am Auto meines Kollegen Olli auf einem anderen Parkplatz, der auch meinem Arbeitgeber gehört. (Das hat ungeahnte Vorteile: der Weg zur Arbeit nicht mehr so lang, wenn man vorne- statt hintenherum fährt – nur stehen dort viele Bäume, und der Spruch: „Parke niemals unter Bäumen!“ stellt hier seine Berechtigung unter Beweis, denn auf dem anderen Parkplatz war mein Auto nie so zugesch…en.)

Ulli und Luna waren gerade auf ihrem Abendspaziergang, und Ulli winkte mir fröhlich zu, als er mich an Monty herumwischen sah, und Luna bellte freudig und wedelte heftig mit dem Schwanz. Ich ging zu den beiden hinüber, wurde zunächst einmal heftig begrüßt – von Luna – und war kurz darauf in ein lebhaftes Gespräch verwickelt.

Nachbar Ulli wurde lange Zeit von mir skeptisch betrachtet, denn irgendjemand hatte mal erzählt, dass der unfreundlich sei. Immerhin geht er schon seit Jahren mit Luna auf dem Gelände meines Arbeitgebers spazieren, und offenbar gab es da mal eine Auseinandersetzung mit einem Kollegen, wie ich vermute. Ich begegnete Ulli – von dem ich damals gar nicht wusste, dass er so heißt – immer höflich, aber vorsichtig, grüßte, wurde zurückgegrüßt. Schon seit Jahren, auch, als Luna noch ein Welpe war, total süß und wie eine Schneeflocke aussehend. Eher ein Schneeflöckchen in ihrer Welpenzeit. 🙂

Seit etwa zwei Jahren weiß ich, dass der Spruch: „Der Typ ist total unfreundlich!“ falsch ist. Der stimmt ganz und gar nicht. (Ganz im Gegensatz zu: „Parke niemals unter Bäumen!“ 😉 ) Zumindest unterhalten Janine und ich uns immer nett mit Ulli, der wirklich freundlich ist und schon ganz oft – ich berichtete – Warengutscheine seines und seiner Frau Arbeitgebers nicht nur persönlich überreichte, sondern bisweilen auch an unsere Autos klemmte. Anfangs irritierte mich das, aber dann war mir klar: Es war nett gemeint. 🙂 Und ich habe zwischenzeitlich einige Gutscheine eingelöst. 🙂

Letzte Woche verwickelte er mich in ein lebhaftes Gespräch, das bei Hölzken anfing und bei Stöcksken kaum endete. Irgendwann erzählte er: „Neulich habbich wieda wat gemacht, wattich bis heute nich verstehe. Als wär‘ man doof und wüsstet nich besser! Da kam ma wieda so’n Film im Fääaahnsehn, den ich ja eigentlich schonn kannte. Und ich wusste doch schonn, datt der nich schön ausgeht! Und wat mach ich? Kuck miiaa den Film trotzdem an!“ – „Wat für’n Film war dat denn?“ – „Ach, weiße – dat is im Grunde so’n ganz kitschiger Film. Geht ummen Hund. Und – weiße – ich mach mir ja inzwischen so’n paar Sorgen um Luna. Iss ja nich mehr die Jüngste. Und man hängt ja an sonnem Tier.“ – „Ja, ich weiß. Aber sie sieht doch noch ziemlich fit aus! Hey, Luna – komma her!“

Luna preschte auf mich zu, heftig wedelnd, freute sich einen Ast, und ich knuddelte sie. „Siehsse!“ rief ich Ulli zu, aber der blickte etwas sorgenvoll drein. „Naja, sicher, dat machtse ja, aber iiiaagendwie isse doch älter geworden. Und da mach ich mir schonn Gedanken. Iss ja nich mein erster Hund, und et iss immer so schlimm, wennse gehen. Ja, und da habbich Idiot miiia neulich aunoch diesen Film da angekuckt. Da gehtet ummen Hund, so’n Labrador, der sich nich erziehen lässt, aber total sympathisch iss. Issen amerikanischer Film.“

Ich überlegte. Das Szenario kam mir bekannt vor. Und dann fiel der Groschen, und ich rief: „‘Marley und ich‘ – meinst du den Film?“ – „Ja, genau – so hieß der Hund! Issen total kitschiger Film, aber iss auch nett!“ – „Den kenne ich. Den habe ich als DVD. War mal ein Werbegeschenk. Ich habe ihn auch nur einmal gesehen, weil das Ende mich so mitgenommen hat, als der Hund eingeschläfert werden musste. Mit Jennifer Aniston und Owen Wilson!“ – „Kann sein. Und ich happ miiiaa den Film angekuckt und happ miiiaa iiiaagendwann gesacht: ‚Nee, Ulli, denn kucksse nich zu Ende. Nur noch’n Stücksken. Abba nich zu Ende.‘ Und dann habbich doch weitergekuckt, und dann waa dat Ende da …“ – „Und dann?“ – „Dann habbich wieda geweint. Dat is so traurich!“

Ich schmunzelte, war aber gleichermaßen gerührt. Wie sympathisch! Da erzählt ein ansonsten ziemlich tougher Typ, der jahrzehntelang au’m Pütt gearbeitet hat, dass er wieder (!) habe weinen müssen, als in einer Filmhandlung ein Hund eingeschläfert wurde, und das mit sorgenvollem Blick auf die eigene weiße Schäferhündin, die gerade voller Freude mit einem Ast spielt. Ich fand es rührend und wirklich sympathisch. 🙂

Zu Hause habe ich gleich Marley und ich in Betrieb genommen …

Heute begegnete ich Ulli und Luna wieder. Luna sah ein bisschen matt aus, obwohl sie mich sehr temperamentvoll begrüßte und sich – wie sie das immer tut – volle Breitseite gegen meine Schienbeine warf und mich beinahe zu Fall brachte. Aber sie wirkte doch etwas anders als sonst, und ich sah sie mir etwas genauer an, wie ich mir Lebewesen, die ich besonders mag, immer genau ansehe, was die im Zweifel aber nicht immer mitbekommen.

Zu Ulli sagte ich: „Danke für den Hinweis von neulich. Ich habe mir den Film mit dem Labrador auch angesehen …“ – „Und?“ – „Rotz und Wasser habbich geheult und wieder gewusst, warum ich den Film vor drei Jahren ganz nach hinten ins Regal gestellt habe!“ – „Ja, ne? Iss schlimm. Abba waa klaa, datte auch heulen wüüaadess. Ich seh ja, wie de mit Luna umgehss – du maachss Tiere auch! Sonn Film vastehn nur Leute, die schomma ’n Tier valooaan ham, auch wenner kitschig iss.“ – „Wahrscheinlich.“ – „Finze nich, dattie Luna schlecht aussieht? Wiiaa waan mit ihr beim Tieraazt. Et sollte nur Zahnstein entfääaant werden, aber die hat so geweint! Getz will der Tieraazt dat mit Vollnaakose machen. Abba da habbich etwas Angst, dat se nich mehr aufwacht. Iss ja nich mehr die Jüngste! Und im Moment will se auch nich immer fressen. Finze nich, dat se schlecht aussieht?“

Ich betrachtete Luna und meinte: „Sie hat wieder diese dunklen Stellen unter den Augen, und sie wischt sich oft über die Nase. Hatte sie das nicht aber letztes Jahr auch schon und fraß nicht so gut? Da hat der Tierarzt doch herausgefunden, dass sie eine Allergie hat – Heuschnupfen! Und es fliegen im Moment so viele Pollen! Kuckma – da wischt se sich schon wieder über die Nase und niest! Dat iss nur die Allergie!“ – „Meinze?“ – „Ja. Kuck doch – wischt schon wieder und niest!“ – „Getz ächt? Oder saachse dat nur so?“ – „Nee. Ich hab selber Heuschnupfen, und ich glaube, dat iss ziemlich eindeutich.“ – „Danke! Wahrscheinlich hasse recht! Ich kenn mich ja aunich wieda, dattich miiiaa solche Sorgen mach, abba … man hängt doch sehr an sonnem Tier!“ – „Ich weiß – aber es ist bestimmt nur die Allergie.“

Das ist es auch ganz sicher. Nicht auszudenken, wenn die liebe Luna nicht mehr wäre – ich „kenne“ sie immerhin seit neun Jahren. Anfangs nur vom Sehen, inzwischen von vielem Knuddeln. Eine ganz freundliche Seele. Ähnlich wie der Hund in Marley und ich. Ein wahrhaft kitschiger, aber ebenso rührender Film. Ich sage nur: Rotz und Wasser …

Die DVD steht seit letzter Woche wieder in der allerhinterletzten Ecke im DVD-Regal … 😉

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