Eigentlich hätte mich vor allzu großer Leichtfertigkeit schon die Tatsache warnen müssen, dass heute Freitag ist. Denn – so meine langjährige Erfahrung an meinem Arbeitsplatz – der Freitag ist nicht ohne und hält bisweilen so manche Überraschung bereit, während man in Gedanken schon im Wochenende ist.
Dabei hatte ich den heutigen Terminplan meines Chefs bereits zum Bersten vollgepackt. Wer in ähnlicher Situation wie ich arbeitet, weiß, dass das immer gut ist, da der Chef so beschäftigt ist und nicht auf irgendwelche abstrusen und revolutionären Ideen kommt. Leerlauf ist immer Mist, und so zahlt es sich aus, den Terminplan – nach Möglichkeit ohne Pausen – bündig zu bestücken. 😉
Das Dumme ist, dass sich Chefs nicht immer an zeitliche Vorgaben halten. Das ist ihr Privileg als Chef. Andere dürfen es ausbaden. Das ist das Geheimnis an der ganzen Sache. Der Chef tritt immer souverän und großmütig auf, die Untergebenen raufen sich die Haare … Ich denke, das ist euch nicht unbedingt fremd.
Heute war es besonders schlimm, denn irgendwann geriet der gesamte Plan in Schieflage bzw. in Verzug, und ich bin wild entschlossen, gleich am Montag einen neuen Spruch an meine Pinnwand bzw. die Region neben der vollbestückten Pinnwand zu tackern: „Alles lief nach Plan. Nur der Plan war Scheiße.“
Wer mich kennt, weiß, dass ich niemals grundlos Dinge an die Wand tackere. Da hängen viele Fotos zum einen. Von Tieren, die ich zum Teil sogar höchstpersönlich kenne, liebe und schätze, aber auch von mir persönlich unbekannten Tieren, die einfach nur nett aussehen und zur Situation passten, in denen sie Eingang in das fanden, was im Grunde eine Dokumentation meines Gefühlslebens während der Arbeit ist. Und das seit etwa 12 Jahren. Dabei sind die Fotos – auch mich zeigen einige – noch die harmlosere Variante passiven Widerstandes. Denn da hängen auch Zitate berühmter Literaten, Politiker, Schauspieler, Humoristen oder Kabarettisten, die nicht ohne Grund den Weg an diese, meine Bürowand gefunden haben.
Als ich noch mit Birger, meinem Ex-Kollegen, in diesem Büro saß, fanden Sinnsprüche und Zitate ihren Weg an diese Wand, die mit: „So mancher glaubt, ein gutes Herz zu haben – und hat nur schwache Nerven“ von Marie von Ebner-Eschenbach anfingen und mit: „Und allen Plänen gegenüber begleitet mich die Frage: Was soll der Unsinn? Eine Frage, die überhaupt ganz und gar Besitz von mir zu nehmen droht” von Theodor Fontane nicht aufhörten.
By the way: Ich war überrascht, dass just Herr Fontane ein mir derart aus dem Herzen sprechendes Zitat geprägt hat, war er doch derjenige, der mir den Deutsch-Grundkurs in der Oberstufe lange Zeit beinahe vergällt hätte, als wir uns – viel zu lange – mit seinem Werk Irrungen, Wirrungen herumschlagen mussten, mir die weiblichen Kurznamen Lene und Käthe seither unangenehm in den Ohren klingen und ich auch kein Fan von Effi Briest war. Seit ich das genannte Zitat von Herrn Fontane las, war ich ausgesöhnt, und es hängt liebevoll auf blauem Grund ausgedruckt schon sehr lange an meiner Pinnwand. Trotz seiner Realismus-Tiraden, ewig langen Beschreibungen von Räumen und vermeintlichen Marginalien, habe ich in Theodor Fontane eine offenbar verwandte Seele erkannt und mich mit seinem Werk fast ausgesöhnt. (Mal abgesehen von einigen etwas machomäßigen Aussagen.) 😉
Doch zurück. Heute war der Arbeitstag wirklich grauenhaft, und mehrfach blickte ich auf manch sinnstiftenden Spruch an meiner Wand, der zur jeweiligen Situation passte. Mehrfach musste ich: „Wo das Dach niedrig ist, geht ein Weiser nicht anders als gebeugten Hauptes“ ansehen … (Nein, ich bin nicht arrogant. Diejenigen, die dazu führten, diesen Spruch anzusehen, sind es eher … 😉 )
Und dann brachte mein Chef den gesamten Plan durcheinander. Nicht, dass er keinen Einblick in seinen Kalender hätte, beileibe nicht. Aber er bestellt gerne mal eben noch andere Leute ein, da das – wie er gern sagt – ja schnell gehe. Da ich ihn inzwischen zwei Jahre lang kenne und ein gewisses Augenmaß habe, weiß ich: „Das klappt niemals!“ Und so standen heute mehrere Leute Schlange, die „nur fünf Minuten“ warten sollten, obwohl sie einen festen Termin hatten … Ich bin diejenige, die dann stets um gut Wetter anhalten und die Leute bei Laune halten muss.
Und dann kam Kollegin Brigitte! Irgendwann am frühen Nachmittag. An einem Freitag. Und sie stand da, wie sie immer dasteht, wenn sie auf ihre Bedeutung zu pochen beabsichtigt: Wie ein noch kleines Mädchen, mit einem Zettel in beiden Händen und einem vermeintlich liebreizenden Lächeln. Obwohl sie sah und die ganze Zeit mitbekommen hatte, dass bei meinem Chef der Papst im Kettenhemd boxte, sprich: Zeitdruck herrschte.
Und sie meinte mit kleinmädchenhaft-harmloser Stimme: „Ich brauche dringend die und die Zahlen. Ich habe schon im zuständigen Dezernat angerufen, auch im zugehörigen Sekretariat. Da geht keiner dran!“ – „Brigitte, es ist Freitagnachmittag. Im Gegensatz zu uns hier haben die meisten Leute bereits Wochenende, und das seit Mittag.“ – „Ja, aber ich muss das wissen!“ – „Hat das nicht Zeit bis Montag?“
Geziert-vorwurfsvoller Blick, und dann: „Am Montag muss ich das Ganze dann ganz neu anfangen. Kann dein Chef mir nicht eine Person benennen, die mir da weiterhelfen kann?“
Spontan sprang ich auf die Füße, weil ich zumindest dieses Problem vom Halse haben wollte, klopfte bei meinem Chef an, der in einer spontanen Besprechung saß, und leicht genervt wies ich ihn auf den Umstand hin, dass hier schon einige Leute warteten, obwohl sie einen festen Termin … Und dann sei da noch Frau L. ganz spontan erschienen … (Obwohl Spontaneität nicht gerade zu ihren Stärken zählt. 😉 )
Ich habe mich hinterher geärgert. Denn Frau L. kommt gerne mal auf Ideen an Freitagnachmittagen, wenn die Zuständigen bereits Wochenende haben, obwohl sie um diesen Umstand weiß. Aber ich hatte heftige Kopfschmerzen – das Wetter, wie ich hoffe, und keine dräuende Migräne -, und somit war mir auch der Logikmangel zunächst nicht bewusst gewesen: Immerhin hatte sie schon vergeblich diejenigen zu erreichen versucht, die per Stellenbeschreibung mit den gewünschten Auskünften als Einzige dienen konnten. Wen sollte da mein Chef anderweitig benennen, wenn doch die Zuständigen bereits im Wochenende weilten und außer uns Anwesenden das Gelände bereits verwaist war? Wahrscheinlich mal wieder mit voller Absicht von ihr initiiert, um auf die Bedeutung ihrer Arbeit hinzuweisen … Ich ärgerte mich schwarz, ihr das nicht gleich mitgeteilt zu haben, aber ich war in der Tat aufgrund der Kopfschmerzen durch den Wind. Es wäre mir sonst eher aufgefallen.
Zum Zuge gekommen ist sie übrigens nicht. Wird wohl bis Montag warten müssen. Und dazu all dieser Aufruhr …
Um 17 Uhr machte ich mich vom Acker, fuhr noch zum Hermes-Shop, wo eine im Internet bestellte Übergangsjacke meiner harrte, die alles übertrifft, was sie im Internet versprach und dabei noch drastisch heruntergesetzt war (ich habe diese Jacke schon seit Wochen beobachtet … 😉 ). Und dann wartete noch eine Überraschung in der Packstation auf mich: ein Päckchen von einem ehemalig alleinigen Bücher-Versandhandel, der inzwischen aber auch alles andere Mögliche feilbietet: Drei Bestellungen hatte ich in der letzten Zeit getätigt, eine derselben eine Vorbestellung, da der Artikel derzeit nicht verfügbar sei, wie es hieß. Und es würde Wochen, wenn nicht gar Monate dauern, bis der Artikel eintreffe!
Zwei Sendungen hatte ich bereits abgeholt – was enthielt die dritte?
Wie ein Kind am Heiligen Abend holte ich die Überraschungssendung aus dem Fach in der Packstation, schüttelte das Päckchen und staunte: Es raschelte darin! Und etwas bewegte sich. Was mochte das sein? Ich hatte doch immer den Überblick über meine Bestellungen gehabt!
Die Überraschung ist gelungen – der Tag gerettet! 😉 Es sind die wundervollen, wenn auch nicht allzu hochwertigen Liqueur-Fills-Pralinen aus Finnland, die laut Versender erst in Wochen oder Monaten ankommen sollten! 775 Gramm davon in einer großen Schachtel! Und viel, viel günstiger als das, was mir die nette Frau neulich im Discounter vor der Nase weggeschnappt hatte! Ha! 😉
Und sie schmecken genauso, wie ich sie in Erinnerung hatte. Genauso gut. 🙂
Was soll der ganze Ärger? Eine schöne, neue Jacke, Liqueur Fills – ein schöner Tag! 🙂 Sicherlich besser als Brigittes – aber dafür kann ich nun wirklich nichts. 😉
Wollen wir hoffen, dass ich nicht noch viel mehr gestresst werde – Frustkäufe sind zwar für die Seele gut, weit weniger jedoch fürs Portemonnaie … 😉