Ja, is denn heit scho‘ Weihnachdn? Alis Gerry-Weber-Kostüm …

Bis dato lief ich eigentlich nur mit präsentablen Plastik-, Papier- oder nobleren Tragebehältern von Gerry Weber herum, da meine Mutter seit geraumer Zeit offenbar Fan dieses westfälischen Modeunternehmens ist.

Nun hat man nicht unbedingt Mode im Sinn, wenn es um Westfalen geht, aber es gibt auch durchaus pfiffige Sachen dieser Marke, mit der ich meist mehr Konservatives verbinde, die mir heute das Leben gerettet hat. Zumindest optisch. Und das, obwohl ich keineswegs eines der pfiffigen Produkte trug, sondern ein nobles Kostüm. Eher traditionell-konservativ, da ich nicht wusste, wie mein Gegenüber aussehen würde. Denn ich hatte … ein Bewerbungsgespräch.

Seit einigen Wochen kreisten meine Gedanken um dieses Gespräch. Ich bereitete mich vor, und die Vorbereitung gemahnte bisweilen an Selbstkasteiung. Oder an das Verhalten, das – zumindest zu meiner Schulzeit – Fünftklässler an den Tag legen. Im Sinne von: „Huch, ich habe ja noch gar nicht meine Vokabeln und die Grammatik gepaukt!“ Ist heute auch alles anders. In mancher Hinsicht gut, in anderer wiederum nicht ganz so. 😉 Aber davon will ich hier gar nicht berichten.

Auch meine Garderobe hatte ich genau inspiziert und getestet. Eigentlich war alles okay. Und Marine- oder ein eher gen Preußischblau tendierender Farbton ist immer gut, wenn man sich in eher grundständigen Bereichen bewirbt.

Das einzige Problem: Was für eine Hose sollte ich anziehen? Mein Lieblingsblazer ist im Grunde eine Kostümjacke. Die Jacke sitzt super, allein der Rock ist inzwischen eine Nummer zu klein. (Ich beabsichtige, diesen Rock alsbald wieder tragen zu können. Daher habe ich die Kalorienzufuhr seit vorgestern stark eingeschränkt, was jedoch auch mit der Nervosität wegen meines Bewerbungsgesprächs verbunden sein könnte. Aber ich habe den Fehler erkannt und werde nun – das ist so meine Art – dagegen angehen. Haben auch alle Bestes-Bewerbungsgespräch-ever-Videos, die ich mir in den vergangenen Tagen und Wochen ansah, hervorgehoben: Schwächen dürfen sein, aber es müssen Selbsterkenntnis und ein Fortschritt zu erkennen sein. Ein Lernprozess, der den ehemals falsch Handelnden dann aufs richtige Gleis schubse. 😉 )

Mein Problem nur: In der kurzen Zeit würde ich wohl kaum einschlägige Erfolge erzielen können, und mein vorhandenes Outfit gefiel mir nicht. Zumindest nicht das, was man in früheren Zeiten als „Beinkleid“ bezeichnete.

Man mag es nun als Glück im Unglück bezeichnen, aber ich habe mein heutiges Outfit in einer Art Mausoleum gekauft, denn ein namhaftes Textilhaus schließt seine Pforten für immer in dieser Stadt. Der „Herrenbereich“ hat schon vor geraumer Zeit geschlossen. Nun auch der Damenbereich, denn es waren seit jeher zwei unterschiedliche Häuser, die einander gegenüber lagen und stets unter demselben Namen firmierten.

Man mag mir nun auch Kurzsichtigkeit unterstellen, aber ich war ja schon seit Tagen nicht ganz überzeugt von meinem Outfit. Sicherlich – ich hätte eher etwas ändern können, aber bei mir dauern manche Dinge. Und letzten Endes ist doch alles gutgegangen. Wie immer bei mir. Zumindest im organisatorischen Part. 😉

Denn gestern machte ich mich hektisch auf, bei oben genanntem Unternehmen zumindest eine passende Hose zum farblich nicht ganz unheiklen Blazer – respektive: der Kostümjacke – zu ergattern. (Blau ist nicht gleich blau. Es sollte ja schon passen, und mein Lieblingsblazer, einst Kostümjacke, verfügt über ein kaum zu beschreibendes dunkles Blau. 😉 )

Es gab wahlweise 50 oder 30 Prozent Rabatt. (Mir war schon vor Betreten des Hauses klar, dass die von mir bevorzugten Dinge nicht in den 50%-Rabattbereich fallen würden … Nicht etwa, weil ich so ein Snob sei – nein! Weil ich weiß, dass meist nur die Dinge derart ausgepreist sind, die sich nicht unbedingt für ein Vorstellungsgespräch eignen. 😉 )

Endlich angekommen, rannte ich mit meiner Kostümjacke oder meinem Blazer von Hü nach Hott und von Pontius zu Pilatus. Da gab es (zufälligerweise auch vom Hersteller, – Verzeihung! – Couturier meines Blazers, vulgo: Kostümjacke) ganz ähnliche Hosen! Begeistert stürmte ich auf diese zu! Es stellte sich heraus, sie passten farblich annähernd perfekt, waren aber alle in mir nicht konvenablen Größen. Die meisten einfach zu groß. Ähnlich verhielt es sich mit den vorhandenen Röcken.

Großer Mist! Aber nur nicht aufgeben – ich würde schon noch an das passende „Unterkleid“ geraten! 😉 Je mehr ich suchte, desto frustrierter war ich. Nicht nur, weil ich nichts fand, das zu meinem Blazer, wie auch immer man diesen nennen mag, passte, sondern auch, weil mir immer mehr bewusst wurde, dass dieses alteingesessene Geschäft bald schließen werde. Allzu geplündert sah es dort schon aus. Das Geschäft, das ich – unter wechselnder Führung und Namen – kenne, seit ich bewusst Dinge wahrnehme!

Irgendwann – im Geschäft herrschte eine Art Weltuntergangsstimmung, und das nicht zu Unrecht – beschloss ich: „Nicht kleckern! Klotzen!“ Da stand ich gerade im Gerry-Weber-Areal. Und da gab es einen Blazer, den ich sicherlich niemals zu meinem Lieblingsstück erwählen werde, aber: Er war und ist total souverän, ihn haut nichts um, denn: Er ist schwarz. (Als ich ihn prüfend in die Hand nahm, erscholl wie von Geisterhand gesteuert der Satz: „Schwarz steht dir nicht!“ in meinem Ohr – wahrscheinlich in meinem geistigen solchen. Denn diesen Satz habe ich verinnerlicht wie keinen anderen zuvor oder danach, der je von meiner Mutter geäußert wurde … 😉 ) Und somit blickte ich zweifelnd auf den Blazer. Dann aber bahnten sich Gedanken den Weg durch meinen Kopf, die mit: „Schwarz ist die Farbe, mit der man nie etwas falsch machen kann“ begannen und mit: „Kann man auch gut zu Beerdigungen tragen!“ endeten. (Ich gebe zu, dass ich da erschrocken bin.)

Schwarzer Blazer, schwarzer Rock – ich hasse Röcke für gewöhnlich, da ich meine Beine hässlich finde, aber es pressierte, und da durften Beine nicht interessieren -, alles gefunden. Was aber war mit dem Oberteil? Ich rief um Hilfe, als die von mir ausgesuchte Bluse nur eines tat: doof aussehen, und schon eilte eine Verkäuferin herbei. Ich riss mich zusammen, wagte mich in Rock und Blazer aus der Kabine und fragte: „Geht zumindest das Kostüm, oder sehe ich aus wie jemand, den man gleich mit Schimpf und Schande aus dem Dorf jagt?“

Die Verkäuferin lachte sich scheckig und meinte: „Nein, im Gegenteil.“ – „Es fehlt nur noch ein passendes Oberteil. Könnten Sie hier weiterhelfen? Die Bluse hier sah auf dem Bügel gut aus. Aber an mir … nun ja, lassen wir das.“ Die Verkäuferin lachte wieder und meinte: „Ist Ihnen wohl eine Nummer zu groß. Warten Sie, ich hole Ihnen etwas.“ Und schon verschwand sie in den geplünderten und aufgrunddessen unübersichtlichen Tiefen dieser Etage des mehrgeschossigen Geschäfts.

Alsbald kehrte sie mit fünf Oberteilen über dem Arm zurück. Drei davon sahen bereits auf dem Bügel so aus, dass ich am liebsten ein Spendenkonto ins Leben gerufen hätte, um ihnen ein bisschen zum Glück zu verhelfen, und so meinte ich: „Hatte ich erwähnt, dass ich das Ganze für ein Bewerbungsgespräch brauche?“ – „Aber ja – die sind hier alle toll dafür!“ Ich nahm zwei und verzog mich in die relative Abgeschiedenheit der Anprobekabine, vor der die Verkäuferin mit den ausgemusterten Oberteilen lauerte. Immerhin – vielleicht brauchte ich doch eines davon?

Nummer 1 war völlig indiskutabel. Hing an mir wie ein Sack Kartoffeln ohne Kartoffeln, hatte Ärmel, die ich bei jeglichem Tragen sicherlich verflucht hätte. Danke, aber nein, danke. Nummer 2, das ich auch schon argwöhnisch betrachtet hatte, war es dann. Nicht zu streng, sondern weich fallend, und – der größte Vorteil! – es musste nicht gebügelt werden. Ich hasse Bügeln! Hatte ich das schon einmal erwähnt? 😉

Ich nahm sowohl Kostüm als auch Oberteil. Im unteren Geschoss erwarb ich dann noch – zur Sicherheit – zwei Highclass-Strumpfhosen für insgesamt 24,- €. Die dortige Verkäuferin pries sie mir mit den Worten an: „Wenn Sie die tragen, denkt jeder, Sie hätten gar keine Strumpfhose an!“ Ich stutzte. Heißt es nicht immer in puncto Bewerbungsgespräch, dass frau auch im heißesten Sommer in Verbindung mit einem Rock immer eine Strumpfhose tragen solle? Keineswegs mit nackten oder nackt aussehenden Beinen auftreten solle? Nun ja – ich kaufte die Strumpfhosen dennoch, denn bei den derzeit herrschenden Temperaturen würde kein Personaler ernsthaft glauben, ich ginge ohne Strumpfhose aus dem Haus. Wenn doch, würde dies Rückschlüsse auf das Unternehmen zulassen, das sich einen derartigen Personalchef leistet … 😉

Ich bezahlte für den ganzen Segen 160 Euro. Normalerweise hätte mein Herz geblutet, aber mal im Ernst: Wo bekommt man ein Gerry-Weber-Kostüm und weitere Teile für den Preis? Ein absolutes Schnäppchen hatte ich getätigt!

Aber das Schnäppchen hatte auch seine Schattenseiten, und so konnte ich mich gar nicht so recht darüber freuen: Wie schon erwähnt, schließt dieses alteingesessene Geschäft bald seine Pforten für immer. Die Verkäuferin im oberen Stock, die mein Kostüm so liebevoll wieder auf die Kleiderbügel verfügt hatte, die ich auf den Schließungsumstand ansprach, reagierte mit Tränen in den Augen und dem Hinweis, dass sie nun seit vierzig Jahren in diesem Unternehmen beschäftigt gewesen sei. Dann drückte sie mir die Bügel mit Kostüm und Oberteil in die Hand, sagte: „Entschuldigen Sie, bitte“ und verschwand in der Anprobekabine. Ich hörte sie leise schluchzen und war bestürzt: Hätte ich doch meinen Mund gehalten! Obwohl ich auf ihrer Seite war, hatte ich sie zum Weinen gebracht! Etwas schüchtern fragte ich durch den Vorhang: „Kann ich Ihnen helfen?“ – „Nein, danke, das ist sehr nett, aber mir kann keiner helfen.“ – „Es tut mir leid – ich wollte Sie nicht traurig machen. Ich hätte das gar nicht ansprechen dürfen. Ich habe es aber nicht aus böser Absicht gemacht – ich bin auf Ihrer Seite!“ – „Danke, das weiß ich. Entschuldigen Sie, bitte. Ich weiß, dass Sie es nicht böse meinten, aber mich macht das wirklich fertig. Das hat nichts mit Ihnen zu tun, und ich weiß, Sie meinten das nett. Entschuldigen Sie, bitte.“ – „Es gibt nichts, das ich entschuldigen müsste. Ich verstehe Sie, und ich wünsche Ihnen alles Gute.“ – „Danke schön,“, kam es schniefend aus der Kabine. Ich ging lieber schnell weg und fuhr per Rolltreppe ins Erdgeschoss.

Die Kassiererin war handfester und fing selber mit dem Thema an: „Na, haben Sie noch ein schönes Schnäppchen machen können?“ – „Ja, aber nicht mit der größten Freude daran. Es freut einen nicht unbedingt, wenn das Schnäppchen aus einer ‚Alles muss raus‘-Aktion stammt, selbst wenn es da Rabatt gibt. Das schmälert die Freude doch gleich.“ Die Kassiererin meinte, auch sie könne sich die Stadt kaum ohne ihren Arbeitgeber vorstellen. Das Schlimmste aber, so verriet sie mir, sei, dass man allen Verkäuferinnen zugesagt hätte, sie würden auf andere Filialen verteilt. Und nun habe man ihnen gesagt, das werde nicht passieren, und sie würden alle arbeitslos werden. Sie, so die Kassiererin, könne dann demnächst mit diversen Kolleginnen, die schon älter seien, auf der Hochstraße spazieren gehen, denn eine Stelle bekämen sie alle wohl nicht mehr.

Ich starrte sie entgeistert an: „Wie bitte? Sie werden nicht übernommen, obwohl man Ihnen das zugesagt hat? Das ist eine Schweinerei sondergleichen!“ Ich rief es laut und empört, und eine Frau, die gerade nach Strümpfen suchte, blickte mich erstaunt an. Die Kassiererin lachte einigermaßen fröhlich und meinte: „Wissen Sie, was mich freut? Dass es Kunden wie Sie gibt, die laut und deutlich sagen, was das Ganze ist. Es sind leider nur wenige, die das tun, aber wenn dann jemand kommt, der es macht, freue ich mich, denn dann sehe ich, dass es doch noch einige Menschen auf der Welt gibt, die eine Schweinerei erkennen. Es gibt zu viele, die dann auch noch beschönigende Worte finden.“ – „Ich nicht – ich war auch schon einmal arbeitslos, weil mein damaliger Arbeitgeber aufgrund allzu großen Mutes, den andere auch Leichtsinn nennen, Insolvenz anmelden musste. Von mir kommen keine Beschönigungen, weil ich weiß, wie das ist. Und jetzt habe ich auch ein ganz schlechtes Gewissen, wenn ich dieses Kostüm hier kaufe. Es kommt mir vor wie Leichenfledderei – aber verstehen Sie das, bitte, nicht falsch!“ Die Kassiererin lachte und meinte: „Ich verstehe Sie nicht falsch, keine Sorge. Kaufen Sie das Kostüm – so günstig wird es nie wieder.“ – „Das macht mir ja Probleme. Ich bin wohl zu idealistisch. Aber ich brauche es auch ganz dringend, weil ich ein Vorstellungsgespr…“

Das Wort erstarb mir im Mund. Da erzähle ich einer Frau, die demnächst arbeitslos ist und vielleicht bleiben wird, etwas von einem Vorstellungsgespräch! Aber die Kassiererin lachte erneut und meinte: „Keine Sorge, ich komme klar – sprechen Sie das Wort ruhig aus. Das Leben geht weiter – sicher auch für mich. Irgendwie. Und wissen Sie, was? Ich drücke Ihnen ganz, ganz fest die Daumen für Ihr Gespräch – das kommt von Herzen! Und Sie kaufen das Kostüm – es wird Ihnen sicherlich Glück bringen!“ Ich sah das Kostüm an, dachte einmal mehr, hmmm, zumindest bin ich künftig für Beerdigungen gerüstet, erschrak über meine Gedanken, nahm sie zurück, und dann lachte ich und sagte: „Wenn Sie mir so nett Glück wünschen, kann nur alles gut werden! Und das Gleiche wünsche ich Ihnen.“ Und ich zahlte und entschwand mit einer großen Tüte, auf der stand: „Mir kommt nur Schönes in die Tüte“. Ganz ehrlich? Wäre ich Verkäuferin bei Flinn und Kleckers, würde ich platzen, müsste ich im Angesicht meines Schicksals dort dauernd Waren in Tüten mit dieser Aufschrift packen …

Wie mein Gespräch verlaufen ist? Hmmm … Vielleicht morgen. 😉

Jedenfalls habe ich nun ein Gerry-Weber-Kostüm. In schwarz. Passend zur Leichenfledderei …

Mein Fazit: Freie Wirtschaft ist auch nicht immer das Gelbe vom Ei.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.