Nein, ich gehöre nicht dazu – ich habe keine Flugangst. Vielmehr fliege ich für mein Leben gern, was in meiner Familie weitverbreitet ist. Mein leider verstorbener Onkel Hans-Jörg war darin so fortgeschritten, dass er selber flog. Unvergessen die Wochenenden bei ihm und Tante Henrike, genauer: die jeweiligen Frühstücke. Denn keines verging, ohne dass Onkel Hans-Jörg mehrfach aufsprang, wenn er Motorengeräusche aus der Luft vernahm, ans Fenster rannte und begeistert schrie: „Da! Das ist eine Cessna 205!“ oder: „Hol mich der Teufel, wenn das keine Piper PA-32 ist! Eine Cherokee Six!“
Der Teufel hat ihn nicht geholt, und Fachleute bestätigten, dass Onkel Hans-Jörg sich so gut wie nie irrte. Er hörte es wohl am Motorengeräusch, und sobald die Maschine in Sichtweite auftauchte, bestätigte sich der erste Eindruck. Sein Traum: selber fliegen. Und den hat er auch wahrgemacht und erwies sich obendrein als sehr guter und vorausschauender Flieger mit Nerven aus Stahl. Es lag ihm wohl am Herzen, und er war mit Begeisterung Flieger. Ich war sehr stolz auf meinen Onkel.
Irgendwie scheint das Gerne-Fliegen in der Tat in meiner Familie verwurzelt zu sein – weiß der Himmel (!), woher es kommt.
Flugangst? Nö. Nur einmal habe ich echte Beklemmungen auf einem Flug gehabt, die ihren Ursprung allerdings noch auf dem Boden hatten. Drückende Situation im Flieger, in dem wir weit über die Abflugzeit hinaus am Gate angedockt standen, quasi ein Wärmestau, obwohl die Klimaanlage an war, deren monotones Dröhnen jedoch ziemlich an die Nerven ging und nur noch durch ein schreiendes Baby in der Reihe hinter Stephanie und mir getoppt wurde. (Ich bin leider ein Geräuschsensibelchen und kann Wärmestaus nicht gut vertragen … 😉 ) Es war ein noch sehr kleines Baby, ein Säugling, und eigentlich war der Säugling auch gar nicht so schlimm. Man hätte ihn einfach schreien lassen sollen, den kleinen Kerl, der sich wohl in dem stickigen Gedröhn auch einfach nicht wohlfühlte. Seine Eltern aber – er war wohl ihr allererstes Kind und neu noch dazu – versuchten, das winzige Ding abzulenken, indem sie mit lärmenden Rasseln und Spieluhren Abhilfe schaffen wollten, worauf der kleine Kerl nur noch lauter schrie. (Ich konnte ihn gut verstehen – wir waren wohl quasi ähnlich geartet. 🙂 ) Als wir schließlich vom Gate geschoben wurden und auf dem Taxiway dahingondelten, kam uns auch noch ein ebenfalls dahinrollendes Flugzeug in die Quere, und unser Pilot musste abrupt bremsen. Das Flugzeug, ein Airbus 321, war hervorragend und weich gefedert, und es schwankte und pendelte vor- und rückwärts, dass mir so richtig schlecht wurde. Gekoppelt mit der Wärme, dem Dröhnen, dem Schreien des Winzlings und den Rasseln und Spieluhren, fühlte ich mich, als sei ich in einem schwankenden Irrenhaus gelandet. Und da muss man sich doch anpassen – oder? 😉
Mir war speiübel, mein Herz raste, kalter Schweiß stand auf meiner Stirn, und am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte eine der Flugbegleiterinnen gezwungen, die Tür sofort zu öffnen und mich hinauszulassen! (Man sagt von Seekranken, dass man sie bisweilen festbinden müsse, weil sie in ihrer Panik sogar lieber freiwillig über Bord gehen und ertrinken würden, um ihrem Martyrium zu entfliehen … Mir ging es ähnlich, auch ohne See …) Aber das ging nicht mehr, denn inzwischen rollten wir Richtung Startbahn. Zum Glück flogen wir nur nach Nürnberg, aber es waren die schlimmsten 40 Minuten meines Lebens. Stephanie meinte es gut und wollte mich ablenken, indem sie mich ständig fragte: „Du musst aber doch nicht brechen! Oder? Hier, trink einen Schluck Wein – und sieh aus dem Fenster, dann geht es dir besser!“ Ich trank mühsam einen Schluck Wein (es ist mühsam, zu trinken, wenn man nicht ganz sicher ist, ob die Flüssigkeit auch bei einem bleiben möchte …) und starrte aus dem Fenster, als zwinge man mich mit einer Knarre an der Schläfe dazu. Da flogen wir gerade eine steile Linkskurve über Düsseldorf, und ich starrte annähernd frontal auf die Hausdächer weit unter mir, aber doch gut als solche erkennbar. Keine gute Idee, obwohl das ansonsten perfekt hilft, wenn man einfach nur einen Bezugspunkt benötigt – wie bei Übelkeit auf Schiffen der Blick auf den Horizont allmählich Besserung eintreten lässt. Einfach stur starren. Half hier aber nicht – im Gegenteil! Mehr tot als lebendig kam ich in Nürnberg an. Ich habe es nie vergessen und weiß bis heute nicht, warum das passiert ist. Ich vermute, es lag an den Umständen: Wärme, penetrante Baby-Aufscheuchungsmittel – das Babygeschrei selbst empfand ich gar nicht als so störend -, Dröhnen und diffuses Stimmengewirr. Dazu noch dieser wenig magenschonende Bremsvorgang – ich hasse zu weiche Matratzen, und offenbar hasse ich auch zu weiche Federung bei Luft- und sonstigen Fahrzeugen. 😉
Zum Glück ein einmaliger Vorfall, auch wenn ich seitdem immer daran denken muss, wenn ich mal wieder im Flieger sitze und mich wie Bolle freue, mal wieder zu fliegen. Irre, aber wahr. Man sollte auch nicht lange darüber nachdenken, aber zumindest weiß ich, wie man sich als Aviatophobiker wohl fühlen muss. Daher hier nun ein kleiner Ratgeber, angelehnt an meinen heutigen Flug von Nürnberg nach Düsseldorf …
(Nur für die Regie: Ich bin heute um 06:00 h in Bamberg im Hotel aufgestanden, weil ich einen Zug um kurz vor 8 nach Nürnberg Hbf erreichen musste, um dann die nächste U2 zu bekommen, eine jener führerlosen Nämbercher U-Bahnen, die zum Albrecht Dürer Airport Nürnberg fährt. Mein Flieger sollte um 11:05 h starten und gegen 12:10 h in Düsseldorf landen. Zu Hause war ich dann – und alle Züge waren pünktlich – um 16:45 h … Ein paar kleine Verzögerungen gab es, während derer ich dachte: „Hättest du Flugangst, wäre das hier ein Alptraum!“)
Und da kam mir die Idee mit dem kleinen Ratgeber … 😉
Ein kleiner Leitfaden für Flugängstliche
Wir alle kennen wohl das Gefühl, hilflos einer höheren Macht oder dem Finanzamt ausgeliefert zu sein – was im Grunde aufs Selbe herauskommt.
So geht es auch einigen beim Fliegen. Da ich einmal zu spüren bekommen habe, was das bedeutet, hier nun einige wirklich wahnsinnig hilfreiche Hinweise … 😉
1. Bereiten Sie sich gründlich auf das Abenteuer vor. Nein, das bedeutet keineswegs, dass Sie sich Mut antrinken sollen – Rotwein färbt Erbrochenes so unnatürlich, dass es aussieht, als handle es sich um Heringssalat mit Roter Bete. Nicht machen! Ihre Sitznachbarn werden es Ihnen danken.
Sagen Sie sich einfach: „Ich fliege heute von Paris nach Rom!“ Oder so etwas in der Art. Ganz so, als sei das etwas völlig Alltägliches – was es für manche Leute ja auch ist. Warum also nicht für Sie? 😉 Denken Sie in Zweifelsfällen an das Oberhaupt der Regierung und den klugen Spruch, dass Angst ein schlechter Ratgeber sei. 😉 Denken Sie aber nicht allzu oft und zu lange daran. Nicht, dass noch Widersprüche auftauchen, die Sie messerscharf erkennen. 😉 Nein, nein! Alles ist in bester Ordnung! 😉
2. Grübeln Sie nicht darüber, dass der Mensch nicht fürs Fliegen geschaffen sei. Das ist Unsinn. Hummeln fliegen ja auch und scheinen fröhlich brummend stets die Botschaft zu übermitteln: „Fliegen macht Spaß!“ 🙂 Zumindest ist ein Ende – wie auch immer – absehbar. Nichts dauert ewig. Wenn man denn mal in der Luft ist … (Das kann sich manchmal hinziehen, aber denken Sie gar nicht darüber nach … Denken Sie am besten gar nicht! Ein heutzutage ohnehin bisweilen recht kluger Ratschlag. 😉 )
3. Wenn Sie am Flughafen ankommen, checken Sie sofort und unverzüglich ein. Geben Sie Gepäck stets auf, und packen Sie Dinge, an denen Ihr Herz wirklich hängt, in den Koffer! So verhindern Sie, dass Sie in blinder Panik vom Gate wegrennen und am Ende noch von der Polizei in Gewahrsam genommen werden, weil Sie laut und unartikuliert schreiend und sich an den Haaren reißend durch die Gegend springen.
4. Nach dem Check-in sofort durch den Security Check – dann ist das Zurück noch schwieriger. Nein, falsche Formulierung … Damit festigen Sie Ihren löblichen Entschluss, Ihre Angst zu überwinden!
Und denken Sie niemals darüber nach! 😉 Denken Sie an den schönen, großen Duty-free-Shop, in dem es so viele wundervolle Sachen gibt, legen Sie brav Ihr Handgepäck nebst Bordkarte und Smartphone(s) in eine Plastikwanne auf dem rollenden System zur Durchleuchtung. Denken Sie an den Gürtel an Ihrer Hose, den Sie in eine weitere Plastikwanne legen, zusammen mit Ihrer Armbanduhr, Ihrem Schal und Mantel oder Jacke. Ihr Laptop, Tablet sowie Portemonnaie (überprüfen Sie Ihre Hosentaschen auf Münzgeld!) dann in eine dritte Wanne, und in die vierte kommen dann Ihre Schuhe. Denken Sie – anders als ich heute – daran, keine niedlichen Ringelsöckchen zu tragen, wenn Sie dauerhaft ernstgenommen werden wollen. 😉
5. Dann werden Sie in den Bodyscanner gebeten. Stellen Sie Ihre ringelbesockten Füße auf die beiden gelben Fußabdrücke auf dem Boden. Heben Sie Ihre Arme, als wären Sie soeben der Meisterklasse der Eleven einer renommierten Ballettschule entronnen, über Ihren Kopf. Am besten lächeln Sie dabei. Lächeln wirkt ohnehin so entspannend. 😉
6. Denken Sie nicht, dass Sie gleich verhaftet werden, wenn man Sie aus dem Bodyscanner bittet und Sie dann abtastet, als seien Sie ein Schwerstkrimineller mit Waffen im BH, während sinister aussehende Gestalten am Nebenschalter fröhlich und ungehindert einfach durchgewinkt werden. Es geht nicht gegen Sie! Es geht um unser aller Sicherheit. Zu Land, zu Wasser – aber speziell in der Luft.
7. Sollten Sie nach der Abtastung vom Sicherheitspersonal an die Seite gerufen werden, das einen Gegenstand aus einer Ihrer vier Plastikwannen anklagend in der Hand hält, bleiben Sie ruhig! Sagen Sie, dass Ihnen völlig durchgegangen sei, dass Ihr Lieblingsparfum noch blank und bloß in seinem Flakon in der Handtasche steckte, obwohl es doch in einem vergleichsweise kleinen Plastikbeutelchen in einer fünften Plastikwanne in der Kolonne hätte liegen müssen – zusammen mit Shampoo, Kochsalz- und Aufbewahrungslösung für Ihre Kontaktlinsen, Deo, Haarspray, Nagellack und -entferner nebst weiteren Flüssigkeiten. Mein Tipp daher noch einmal: Packen Sie alle Flüssigkeiten in einen Trolley, den Sie dann einfach aufgeben, während Ihre Handtasche nur feste Stoffe enthält. (Obwohl ich es irgendwie unfair fand, als man es bei meinem vorletzten Security-Check einer ökologisch abbaubaren Dame durchgehen ließ, dass sie eine Flasche Apfelessig im Handgepäck hatte, während ich gedemütigt gerade meine sehr engen Stiefeletten wieder anzog, in denen man offenbar Handgranaten vermutet hatte … Nachdem ich meinen Lieblingsnagellack hatte entsorgen müssen – dieses wunderschöne Rot habe ich nie wieder gefunden, und ich glaube fast, ich hatte Tränen in den Augen …)
8. Besuchen Sie zum Trost den Duty-free-Shop. Sie werden dort gewiss das eine oder andere finden, das Sie über das Grauen zuvor hinwegtrösten wird. So gehen Sie schon viel gelassener ans Gate!
9. Sehen Sie sich dort die Mitpassagiere nicht allzu genau an. Ein wirklich guter Rat. Manche wirken ein wenig … strange. Einfach nicht hinsehen. Oder sich fröhlich lachend denken, dass die anderen Sie unter Umständen auch für einen Terroristen halten. Auch das hilft bisweilen. 😉
10. An Bord setzen Sie sich einfach nur hin, schnallen sich an und halten die Backen. Auch, wenn Sie etwas Brenzliges riechen. Wahrscheinlich wird gerade eines der überteuerten und in der Auslage gepriesenen „AirSchmeckt“-Baguettes in einer Galley aufgebacken! 😉 Einfach nicht darüber nachdenken – Sie können eh nichts ändern. 😉
11. Beim Start: Ja, da wird es bisweilen etwas lauter. Schreien Sie aber nicht: „Huch!“ oder etwa: „O Gott!“, wenn die Triebwerke gecheckt werden. Nicht alle Mitreisenden sind gläubig. Auch vorher sollten Sie nicht kundgeben, dass Flugzeuge eigentlich gar nicht rückwärts fahren können. Sie könnten andere Fluggäste irritieren. Obwohl Sie Recht haben: Flugzeuge haben keinen Rückwärtsgang und werden aus der Parkposition geschoben, wenn sie an einem Gate angedockt sind.
Vor der Startbahn kommt der „taxiway“, die Rollbahn, auf der Sie – und all die anderen Leute im Flugzeug – gen Startbahn rollen und nichts dagegen tun können. Lassen Sie es einfach zu, jammern Sie nicht, und auch Weinen könnte die anderen Fluggäste verängstigen. 😉
Richtig laut wird es dann, kurz bevor die Maschine startet, ergo richtig loslegt. Starren Sie niemals beunruhigt aus dem Fenster (Sie nehmen am besten ohnehin keinen Fensterplatz!), äußern Sie niemals Einwände. Lassen Sie sich fallen … Und in den Sitz drücken, wenn die Triebwerke volllastig sind und die Maschine losrast … Mal ehrlich: Ist das nicht einfach geil? 😉 Versuchen Sie, so zu denken, krallen Sie sich nicht am Vordersitz fest. 😉
12. Ja, es ist ein bisschen unangenehm, wenn die Maschine im Steigflug begriffen ist, und es fühlt sich an, als wollten beide Trommelfelle mindestens bis ins Innenohr, wenn nicht ins Gehirn hineinkriechen … Nehmen Sie Kaugummis mit, einen Beißring für Babys oder etwas Ähnliches. Alles wird gut!
13. Bleiben Sie stets angeschnallt, zumindest auf Kurzstrecken. Das ist kein Weicheitum. Ich weiß, wovon ich spreche …
14. Hören Sie immer auf das, was die Crew Ihnen sagt. Die wissen, warum sie das tun.
15. Nicht über unerwartete Geräusche erschrecken und laut schreien: „O Gott, wir stürzen ab!“ Wahrscheinlich wird gerade nur das Fahrwerk ausgefahren – oder slats und flaps, die dabei helfen und notwendig sind, gut zu landen.
Bei der Landung rummst es manchmal beim Aufsetzen etwas – je nach Wetterlage und Pilot -, aber auch das sollte Sie nicht schrecken. Und wenn Sie dann auf dem Boden sind, sollten Sie auch nicht in Panik verfallen, wenn die Maschine zunächst weiterrast – das muss so sein. Sie werden auch in Kürze bemerken – es wird dann recht laut, und es zieht Sie etwas aus Ihrem Sitz, aber Sie sind ja angeschnallt -, dass der Pilot Schubumkehr eingeleitet hat. Das ist nichts Schlimmes und gehört zum Bremsvorgang. Also nicht schreien: „O Gott – wir werden alle sterben!“ Das könnte zu einem Tumult in der Maschine führen. 😉
16. Am besten im Frühjahr oder Sommer den allerersten Flug wagen, nicht im Herbst und Winter. (Obwohl es da viel spannender ist … 😉 )
Und mein allerletzter Rat: Wenn sich ein hinterwärtiges Bedürfnis in Ihnen regt, das noch aufschiebbar ist: Schieben Sie es auf, bis Sie im Flieger sitzen! Denn das hilft über all Ihre anderen Sorgen hinweg. 😉 Man braucht einfach manchmal ganz reelle Sorgen. Die helfen über Ängste und andere Misshelligkeiten hinweg. 😉
Ich hoffe, ich konnte weiterhelfen, und das als Nicht-Aviatophobikerin, aber mit einem kleinen Eindruck dieser Not. 😉 Und natürlich eher augenzwinkernd. 😉 Ich kam heute kurz vor dem Dunkelwerden zu Hause an. Wir sind mit über zwei Stunden Verspätung in NUE losgeflogen, wurden insgesamt dreimal enteist, weil es so stark schneite. Aber all das habe ich – wenn auch zähneknirschend – auf mich genommen, denn: Ich fliege für mein Leben gern. Fliegen ist geil! 🙂 Und man muss immer mit Humor bei der Sache sein. 😉 Dann übersteht man auch heftigere Flüge, die ich stets besonders spannend fand. 😉
Euch alles Gute fürs Neue Jahr! 🙂