„Hallelujah“

Als ich heute sehr früh aufstand, warf ich einen Blick ins Internet, um zu sehen, ob und – falls ja – was schon wieder Unglaubliches in der Welt passiert sei. Ich hoffte auf Nachrichten des Tenors: „Hobbygärtner erntet Riesenkürbis“. Doch davon nichts. Stattdessen ein schwarz eingefasstes Foto und die Überschrift: „Leonard Cohen ist tot.“ Der Tag fing „gut“ an … „Halleluja!“ sagte ich grimmig-bekümmert, als ich mich ins Bad aufmachte.

Leonard Cohen ist eigentlich nie jemand gewesen, dessen Musik ich konsequent, gar regelmäßig hörte. Ich war nie ein Fan. Aber ich schätzte seine Musik, wenn ich auch manche Lieder nur hören kann, wenn ich wirklich absolut gute Laune habe.

Ich kam schon früh mit seinen Songs in Berührung, da meine Mutter die Musik mochte, und den Refrain von „So long, Marianne“ konnte ich schon recht früh mitsingen, ohne bis dato ein Wort Englisch zu beherrschen, geschweige denn, zu wissen, wie der Sänger, der Musiker hieß, der dieses Lied komponiert und getextet hatte. Ich mochte „So long, Marianne“, zumindest erheblich lieber als „Suzanne“, das mir immer arg schwermütig erschien, und Kinder mögen Schwermut nicht. 😉 „So long, Marianne“ klang im Vergleich dazu erheblich fröhlicher. Bis ich dann den Text verstand – aber bis dahin vergingen einige Jahre. 😉

Ganz schlimm für mich war immer „The Partisan“ – das fand ich total grauenhaft. Mit Krieg wollte ich nichts zu tun haben, da der – bis dato – letzte Weltkrieg auch auf meine Familie schreckliche Auswirkungen gehabt hatte. Bloß nix mit Krieg, und ich verließ stets das Zimmer, wenn dieses Lied lief. Zwar war mir damals noch nicht so ganz klar, was ein Partisan sei, aber ich war immerhin schon so weit, dass ich die Textzeile „Then the soldiers came / She died without a whisper“ begriff.

Jahre später – ich hatte, hörte ich den Namen „Leonard Cohen“ immer dieses Partisanenlied im Kopf und darauf ein nicht so gutes Gefühl – erwähnte mein damaliger Freund den Namen. Er meinte: „Man nennt ihn auch den ‚Master of Suicide‘. Aber er macht seit Jahrzehnten wirklich gute Musik.“ Mein damaliger Partner war ein echter Zyniker, so sehr, dass sogar ich bisweilen überfordert war. Sarkasmus, okay, aber Zynismus, und das so oft, ist eine ganz andere Hausnummer.

„Master of Suicide“! Das klang nicht gut, war irgendwie gemein und wurde dem Werk Leonard Cohens gewiss nicht gerecht, aber ich musste dennoch schallend lachen. Ich erinnerte mich an meine Schwester Stephanie, die bei Liebeskummer immer Leonard Cohen hörte, mit schmerzverklärtem Gesicht, bisweilen inbrünstig mitsingend, bis meine Mutter dann rief, es sei nun genug, und ob sie nicht einmal etwas anderes hören könne! 😉

Im Gedächtnis blieb mir der „Master of Suicide“. Bis ich irgendwann anno 2008 oder so in einem Krimi das Lied von ihm hörte, das ich am liebsten mag. Das hymnische Hallelujah ist wunderschön, aber es ist – wie so viele Songs von Cohen – sehr melancholisch, und die Handlung des Krimis war so schlimm, dass mir irgendwann die Tränen übers Gesicht liefen, als Leonard Cohen die Handlung untermalte. Wenn ich es recht bedenke, war es einen winzigen Tick kitschig. Nicht das Lied. Der Zusammenhang. Die Handlung war schlimm, und dann diese Hymne! Sogleich brach ich in Tränen aus …

Nachdem ich heute bei der Arbeit war, recht früh, schloss ich die Bürotür zum Flur, als mein Arbeits-PC bereit war, und dann hörte ich Hallelujah. Warum? Weil Leonard Cohen mein ganzes bisheriges Leben begleitet hat. Nicht kontinuierlich, aber er tauchte immer wieder auf, und ich mag seine Lieder. Auf eine bestimmte Weise. Und beileibe nicht die schlechteste. Da wollte ich doch eine Art Tribut zollen.

Nur wurde dann meine Tür aufgerissen, und Kollegin Brigitte stand darin und rief: „Die Spülmaschine ist schon wieder voll mit dreckigem Geschirr!“ – „Dann mach sie halt an!“ rief ich zurück, woraufhin mich ein erstaunter Blick traf. „Unter der Spüle stehen die Tabs. Einen in das Fach mit der Klappe geben, Klappe zu, Spülmaschine zu, auf 55 Grad stellen und einschalten. Danke.“ Brigitte zog den Kopf aus dem Türspalt und schloss diese. Die Spülmaschine musste ich hinterher selber in Betrieb nehmen.

Aber immerhin konnte ich ganz allein von Leonard Cohen und meinem bisherigen Leben Abschied nehmen. 🙂

Und daher: „So long, Leonard.“ Eine wunderbare Stimme weniger.

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