Ich weiß nicht, wie ihr es haltet, wenn ihr einen neuen Job antretet. Bei mir liegt das recht lange zurück, aber ich erinnere mich gut daran, dass ich die Füße stillgehalten habe, jedoch zusah, dass ich – als Unterstützung engagiert – auch recht rasch als Unterstützung tätig wurde. Der Sprung ins kalte Wasser ist zwar nicht ganz so angenehm, aber hilfreich. Man muss eben sofort losschwimmen. 😉
Unsere neue Kollegin hat wohl zu Anfang erklärt, die Aufgabe, die sie bei uns erwartete, sei „kleine Fische“ oder „Peanuts“. Immerhin sei sie zuvor persönliche Assistentin des Chefs eines größeren Unternehmens gewesen! Da sei das, was mein Arbeitgeber zu bieten hätte, ja wohl Kinderkram. Ja, so macht man sich gleich Freunde …
Dann, an ihrem ersten Arbeitstag vor vier Wochen, sah sie meine Epicondylitis-Spange an meinem rechten Arm und meinte: „Das dauert jetzt aber schon ziemlich lange da mit Ihrem Arm. Als ich neulich zum Schnuppertag da war, haben Sie den Arm ja sogar in einer Bandage getragen. Finde ich schon ein wenig lange!“ Ich starrte sie an und meinte: „Bitte?“ Da sagte sie: „Ja, ich meine, das ist schon ziemlich lange, dass ein Arm nicht funktioniert!“ – „Äääh … Hatten Sie schon einmal eine Sehnenscheidenentzündung?“ – „Nein! Niemals!“ – „Ah. Naja, wollen wir hoffen, dass es dabei bleibe. Das dauert nämlich unter Umständen sehr lange und kann auch chronisch werden.“ Ich verkniff mir die Info, dass mein Arzt mich eigentlich hatte krankschreiben wollen. Wäre hier wohl eher suboptimal gewesen. Die neue Kollegin erklärte mir daraufhin wie aus dem Lehrplan einer Physiotherapeutin im ersten Lehrjahr, dass Sport die Dinge vereinfache. Ach! Das Gros der Menschen, die ich kenne und die eine Sehnenscheidenentzündung – chronisch – haben, hat sich diese erst durch Sport angeeignet. Gut, ich nicht, aber egal. Ich sagte lieber nichts. Es war ihr erster Tag – da ist man immer ein bisschen nervös.
Ich gebe zu, die neue Kollegin hatte bei mir schon da nicht gerade Pluspunkte ergattert. Was ging sie mein blessierter Arm an? Wozu diese Belehrungen, als sei ich gerade vom Mars gelandet und sie die Einzige mit Durchblick? Und wollte sie den Laden jetzt erst einmal aufmischen? Mich als Weichei hinstellen, das ich nicht bin? (Ich hätte mich in der Tat krankschreiben lassen können, war es nach dem Arztbesuch aber nicht, weil ich gesagt hatte, das wolle ich nicht. Inzwischen ist leise Reue aufgekommen …)
Wann immer ich ihr bisher begegnete, fragte sie mich entweder nach meinem Arm („Ist der etwa immer noch nicht besser?!?“), oder sie hatte einen Kalenderspruch auf den Lippen. Und wer hier ein bisschen liest, weiß, wie sehr ich Sinnsprüche liebe … 😉
Kürzlich fiel sie am Drucker über Janine her und zwängte ihr das eigentlich zu diesem Zeitpunkt ungewollte Du auf (ich berichtete). Seitdem mache ich mir Gedanken, wie man freundlich, schlimmstenfalls wenigstens höflich zum Ausdruck bringen könne, dass man das – zumindest derzeit – nicht wolle, und inzwischen habe ich nicht nur Plan A, sondern auch B. Ich weiß, ihr haltet mich für spießig, aber ich hasse es einfach, nicht selber bestimmen zu können, wen ich duzen oder mögen soll. Man muss den Leuten doch Zeit lassen, und außer dem Dialog über meinen frecher Weise erkrankten Arm habe ich noch keine Gelegenheit gehabt, die neue Kollegin im Gespräch zu erleben. Da ist doch das Sie eher angebracht, finde ich.
Gestern sprach ich mit Kollegin Daniela, die die neue Kollegin einarbeiten soll. Die meinte: „Ach … Frau Z. war auch schon ganz irritiert, dass du ihr nicht gleich das Du angeboten hast, und sie meinte, als sie dich darauf ansprechen wollte, habest du gerade telefoniert.“ – „Findest du es nicht etwas komisch, dass sie darauf dringt, unbedingt geduzt zu werden, obwohl sie als Letzte dazugekommen ist? Ich kenne das nicht so, und irgendetwas sträubt sich in mir auch.“ – „Aber mir hast du das Du doch schnell angeboten, Ali! Was ist anders?“ – „Die Wellenlänge.“ – „Ja, okay. Ich hoffe, du bereust nicht inzwischen, mich zu duzen.“
Daniela ist manchmal etwas unsicher, und sie meinte es nett. Ich rief: „Ja, bist du denn bekloppt?!? Komm mal her!“ Und ich nahm sie in den Arm und meinte: „Wieso sollte ich das, bitte, bereuen? Bei dir habe ich ziemlich schnell gemerkt, dass das passe, und ich mag dich sehr gern!“ Sie drückte mich auch ganz fest und meinte: „Ich dich auch! Du bist immer so erfreulich offen, und ich unterhalte mich so gern mit dir!“ – „Dito! Alles ist gut. Das kann man gar nicht vergleichen!“
Sie sah mich dann etwas besorgt an und meinte: „Im Grunde sehe ich es ähnlich. So richtig passt das nicht.“ Ich sagte schnell: „Ich denke, es braucht einfach ein wenig Zeit. Die sollte man uns aber auch lassen und nicht einfach vorpreschen. Ich kann nur für mich sprechen, aber ich weiß, dass ich darauf ziemlich nickelig reagiere. Vielleicht warnst du sie ein bisschen vor.“ – „O Gott! Da bin ich ja gerade die Richtige!“ – „Sag ihr nichts davon, dass mich diese Zwangsverbrüderung störe – gib ihr nur einen leisen Tipp, dass sie das etwas langsamer angehen solle, weil nicht alle das so mögen.“
Daniela arbeitet halbtags und vormittags. Nachmittags war die neue Kollegin erstmals gestern ganz allein da. Und irgendwann schickte sie dann eine Mail. „Für euch liegt Post beim Pförtner“ lautete der Betreff der Mail, die sowohl an Janine, als auch an mich gegangen war. Ich entdeckte sie als Erste, und ich öffnete sie und prallte fast zurück, denn da prangte: „Hallo Mädels!“ als Anrede. Ich fing zu lachen an, und Janine fragte, was los sei. Ich informierte sie über „Hallo Mädels!“, und ihr fielen fast die Klüsen aus dem Kopf! „Wie bitte? ‚Hallo Mädels‘? Ja, haben wir schon einmal zusammen Schweine gehütet? Einen Mädelsabend gehabt und mehrere Flaschen Rotweins zusammen geleert? Mir stinkt ja schon, dass sie mich so mit dem Du überfallen hat – und jetzt das noch als Krönung? Wofür hält die uns? Und wofür hält sie sich? Für unsere Chefin, die mit uns so reden kann? Ich meine, sie betont ja immer wieder, dass sie bis vor kurzem Chefassistentin in einem großen Unternehmen gewesen sei, aber ich meine, gerade Chefassistentinnen sollten wissen, wie man mit Mitarbeitern umgehe, vor allem solchen, die man noch gar nicht kennt! Aaah!“ Ich lachte immer noch, und Janine wurde immer zorniger: „Ich gehe jetzt gleich hin und sage ihr, dass ich sie künftig wieder sieze!“ – „Nein! Nicht!“ – „Ja, möchtest du mit ‚Hallo Mädels‘ angeredet werden, obwohl du hier die Dienstälteste bist?“ – „Nein.“ – „Also!“ – „Ja, aber … Am Ende erinnerst du sie daran, dass sie mich ja auch noch unbedingt duzen will!“ – „Ja, super! Danke! Fall mir auch noch in den Rücken!“ – „Ich falle dir nicht in den Rücken! Aber wir wollen doch hier keine Grabenkämpfe, oder?“ – „Hrrrmpf!“ – „Zumindest fürs Erste nicht.“ – „Na gut. Mir stinkt halt nur, dass ich ihretwegen nun eine Aufgabe aufs Auge gedrückt bekommen habe, der sie sich versperrte, weil sie ja ‚erst so kurz hier‘ sei. Aber uns duzen wollen und ‚Hallo Mädels‘ schreiben: das kann sie schon! Ich befürchte einfach, dass sie ihres höheren Alters wegen glaubt, sie sei hier die Chefin!“ – „Das befürchte ich zwar auch, aber wir sollten ihr den Zahn behutsam ziehen.“ – „Naja, okay.“
Heute früh traf ich Daniela einmal mehr in der Küche. Ich begrüßte sie fröhlich, und sie meinte nur: „Sag nichts, Ali! Ich habe die Mail von Gudula gestern gesehen, als ich von zu Hause kurz in die Dienstmails sah …“ (Bin ich eigentlich die Einzige, die zu Hause nie in die Dienstmails guckt? Habe ich mir schon lange abgewöhnt – aber ich bin ja auch die Dienstälteste … 😉 ) Ich grinste und meinte: „Hallo Mädels?“ – „Genau die! Ich dachte nur: ‚Ach, hat sie Ali nun auch das Du aufgenötigt?‘ Aber dann dachte ich mir: ‚Niemals! Ali wollte das partout nicht!‘ Und dann wurde mir die volle Tragweite des Grauens klar … Ich hoffe, sie ist nur ein bisschen unsicher und wusste nicht, wie sie das händeln sollte, aber wenn ich ganz ehrlich bin, klang ihre Mail eigentlich sehr selbstsicher und von oben herab. O Gott – ich hoffe, wir haben uns nicht etwas eingehandelt!“ – „Ganz ruhig – wir kriegen das schon hin. Eigentlich wollte ich auch nur fragen, ob du nicht mit Lydia, eventuell Janine und mir am Elften abends ein wenig ausgehen möchtest. Wir wollen essen gehen.“ Daniela machte ganz große Augen, dann meinte sie: „Bist du sicher, dass Lydia mich dabeihaben will? Ich bin doch ihre Nachfolgerin, und sie ist immer so etwas … naja, zurückhaltend mir gegenüber …“ Ich lachte, kniff Daniela sachte in den Arm und meinte: „Sei dir sicher, sie will dich dabeihaben. Alles geklärt. Und Lydia ist anfangs immer sehr zurückhaltend. Das bedeutet nichts Böses. Sie ist anfangs so, wie ich es im Grunde auch bin. Sie ist nur ruhiger als ich, aber du siehst ja: Beim Thema Duzen unter Zwang reagiere ich ähnlich.“ – „Gib es zu: Es war deine Idee, mich mitnehmen zu wollen!“ – „Ja, weil ich denke, das sei eine schöne Sache – immerhin haben wir vier hier ja auch zusammengearbeitet und verstehen einander. Und Lydia fand die Idee auch gut, also sei beruhigt.“ – „Und was ist mit Janine?“ – „Die mag dich auch sehr und freut sich. Frau Z. kommt künftig, wenn alles gut geht, dann auch mit.“ Daniela grinste und meinte: „Wollen wir das Beste hoffen.“ Und sie freute sich sichtlich.
Bis sie eine halbe Stunde später mit resignierter Miene zu uns ins Büro kam und meinte: „Frau Z. war auf so gutem Wege und arbeitete partiell schon selbstständig. Aber heute rennt sie wieder wie eine kleine Ente hinter mir her und fragt dauernd: ‚Wie macht man dies? Wie macht man das?‘ Und dabei erzählt sie jedem, der es mehr oder minder wissen will, sie sei immerhin Chefassistentin …“ – „Stop!“ schrie ich. „Bitte nicht wieder! Ich hege allmählich Zweifel an der Geschichte!“ – „Ich auch,“, sagte Daniela matt. „Wir gehen bald essen und haben einen total lustigen Abend!“ rief ich, und da grinste sie schon wieder.
Nein, wir sind nicht fies zu neuen Kolleginnen! Aber diese hier ist extraordinär. Und zum Glück stellt sich gerade heraus, dass ich offenbar beileibe nicht die Einzige bin, die damit ein Problem hat … Warten wir ab, wie es weitergeht – vielleicht platzt ja der Knoten. 🙂 Wir werden es beim italienischen Essen mit viel Wein besprechen. 😉
Euch einen schönen Abend! 🙂