Das Leben, es scheint nicht ohne Trends zu funktionieren. Klar, man braucht ja auch irgendwie einen Leitfaden, der einem durch das oft dichte und unwegsame Gestrüpp hilft. Ich weiß, wovon ich spreche. Als bloßer, lockerer Faden ist das ja auch gar nicht so verkehrt.
Mir gehen Trends trotzdem bisweilen auf den Geist. Ganz zu schweigen von den sogenannten „Hypes“. Ich denke mir oft: „Hype und Hysterie haben einiges gemeinsam – nicht nur die ersten beiden Laute.“ Ein Hype ist noch viel krasser als ein bloßer Trend. Und manchmal gleitet das Ganze sogar ins Absurde ab, wie ich schon als Kleinkind feststellen durfte.
Irgendwann, als ich noch sehr klein war, breitete sich – einer Viruserkrankung nicht unähnlich – eine gewisse Unruhe in der Wohnsiedlung aus, in der mein Elternhaus steht. Es waren damals alles Neubauten, erst kurze Zeit zuvor wirklich und definitiv fertiggestellt, und schon schwappte die erste Umbauwelle über die Siedlung. Nachbarn bekamen Holz geliefert oder karrten es in ihren Autos selber heran. Nur meine Familie war völlig out, wie sich herausstellte, als unser direkter Nachbar eines Tages meinen Vater fragte: „Habt ihr auch schon Holz unter der Decke?“ Eindeutig nicht im Trend, denn mein Vater sagte: „Nein. Wozu?“ Der Nachbar starrte ihn völlig irritiert an und meinte: „Ja, äh, das ist doch total in! Und sieht richtig gut aus – viel gemütlicher.“ Mein Vater, ein eher konservativer Mensch, meinte, ihm würden klassisch verputzte, weiße Decken besser gefallen, zumal diese die Räume optisch vergrößerten. Der Nachbar war sprachlos ob dieser absoluten Trendverweigerung, und in der Zeit darauf musste mein Vater sich von anderen Nachbarn öfter anhören, dass er da ja völlig aus der Zeit gefallen sei. Das war meinem Vater egal, und meine Mutter meinte nur, in die Wohnräume käme ihr kein Holz – sie wolle sich nicht wie in einem skandinavischen Sommerhaus fühlen. Wenn sie skandinavisches Sommerhaus wolle, würde sie im Sommer nach Skandinavien fahren. Holzverkleidung gibt es in meinem Elternhaus nur im Partykeller. 😉 Der Partykeller war damals ganz wichtig – davor haben auch meine Eltern sich nicht verschlossen. 😉
Drei Jahre später war zu beobachten, wie viele Nachbarn Holzabfälle, genauer: demontierte Holzverkleidungen abtransportieren ließen. Muss ich mehr sagen? Unser Nachbar meinte dazu: „Wir haben das Holz wieder herausgerissen – die Decken wirkten so niedrig, und man fühlte sich wie in einer Blockhütte. Hat ja auch keiner mehr.“ Meine Mutter meinte nur: „Meine Worte“, und auf dem Gesicht meines Vaters erschien ein leises, sarkastisches Grinsen.
Ich bekam die Auswirkungen diverser „Schöner wohnen“-Trends mit. Auch, wie sie wieder entfernt wurden. In den ausgehenden Achtzigern dann ein Trend, den auch meine Mutter unbedingt mitmachen wollte: der Gartenteich-Trend. 😉 Es gab kaum einen Garten, in dem nicht die Besitzer schwitzend mehr oder minder große Löcher ausgehoben hätten, dann stöhnend Teichfolie und Filter installierten, schließlich Wasser in den Teich ließen und verschiedene Sorten und Arten von Fischen hineinsetzten. Und das unermüdlich, denn plötzlich besuchten völlig ungewohnte Vögel die Gärten, darunter ein sehr hartnäckiger Graureiher, der sich offenkundig freute, einen so verschwenderisch gedeckten Tisch in den Gärten vorzufinden. Auch meine Mutter fuhr wiederholt ins Zoogeschäft, um Goldorfen, Moderlieschen und Goldfische im Wechsel nach Hause zu bringen. Die Moderlieschen hatten das meiste Glück, denn sie sahen so unscheinbar aus, dass der Reiher sie wohl nicht so gut sah wie die orangefarbenen Goldfische und -orfen. Letztere stürzten sich bisweilen auch von selber in den Tod, indem sie aus dem Teich sprangen, wohl auf der Nahrungsjagd, und dann selber unfreiwillig zur Nahrung wurden.
Der Teich ist nach wie vor vorhanden, zumindest bei meinen Eltern. Und er ist wirklich sehr, sehr schön, die Umrahmung schön bepflanzt. Andere Nachbarn haben ihre Teiche wieder zugeschüttet. Zu viel Arbeit, zu viel Ärger mit dem räuberischen Reiher, Schlaflosigkeit wegen der Konzerte der ebenfalls zugewanderten Frösche, Enten im Garten – was weiß ich.
Als ich zur Schule ging und noch jünger war, war ich auch anfällig für Trends. Es durften nicht irgendwelche Schuhe sein, nein! Die, die gerade angesagt waren, bitte schön! Meine Eltern gaben manchmal nach, aber ich musste auch öfter mein Taschengeld opfern. Ich finde diese Einstellung gut und bin dadurch keineswegs traumatisiert worden. 😉
Später waren Trends weniger wichtig für mich. Klar, manche Sachen finde ich auch schön, und ich kaufe mir auch manches Mal etwas, das gerade im Trend ist, aber mir ist es nicht so wichtig, „trendy“ zu sein. Mir gefallen die Sachen – das ist für mich ausschlaggebend. Die Sache an sich, nicht die Hülle.
Bei Hypes bin ich gar extrem skeptisch. Um manche Dinge wird ein Brimborium gemacht, allenthalben und an jeder Ecke wird davon berichtet, als seien diese Dinge langersehnte Heilsbringer. Nicht einmal Bücher sind davor gefeit. Ich erinnere mich noch daran, wie ich in den ausgehenden Neunzigern mal gefragt wurde: „Wie? Du hast noch nie ‚Harry Potter‘ gelesen?!?“ In einem Ton, als hätte ich zugegeben, noch Jungfrau zu sein. Ich ließ mir von „Harry Potter“ berichten und meinte: „Ich glaube, das ist nicht so mein Genre.“ – „Was?!? Aber das lesen alle jetzt!“ Als wäre das ein Qualitätsmerkmal. Nichts gegen „Harry Potter“, denn inzwischen habe ich zumindest ein Buch gelesen und fand es nett. Aber es ist nicht mein Genre, und ich fand diese Hysterie einfach irritierend.
„Das machen alle“ und „Das ist aber total angesagt“ sind Sätze, keineswegs Argumente, die mich nicht überzeugen können. Ich mache mir gern selber ein Bild. Und somit können Hypes bei mir auch nicht als „Leitfaden“ dienen. (Vor allem dann nicht, wenn ich betrachte, was manchmal zum Hype wird. Im Moment sind es die bereits erwähnten Grusel-Clowns, und das finde ich einfach nur schwachsinnig, vor allem, wenn einige Leute dümmlich das, was zunächst ein Scherz sein sollte, komplett aus dem Ruder laufen lassen.)
Man sollte es mit diesen Fäden aber auch nicht übertreiben. Eine Bekannte von mir, die recht viele Schuhe ihr eigen nennt, hat diese nach Farben sortiert im Schrank, jedes Paar in seinem Originalkarton, und im jeweils linken Schuh liegt ein handgeschriebenes Zettelchen, wann gekauft, wann zum letzten Mal beim Schuster, wann zuletzt getragen. Als ich sie fragte, wozu dies diene, erklärte sie mir: „Um die Abnutzung der Sohlen zu dokumentieren.“ Ah, ja.
Geht sie essen, nimmt sie stets eine Kalorientabelle mit. Nichts darf dem Zufall überlassen werden, alles muss reglementiert, zementiert, betoniert sein. Es ist irritierend, zumindest für mich, die ich so etwas bedrückend einengend finde, was ich gar nicht haben kann, und ich würde es begrüßen, wenn sie nicht noch andere hineinziehen würde. Ich will nicht auch an Krücken durchs Leben gehen. Nicht, wenn es nicht nötig ist. Ich mag die Bekannte durchaus, aber manchmal muss ich schwer an mich halten. Bis jetzt ist es gelungen, aber es ist nicht einfach, denn ich finde, das ist kein Leitfaden mehr, sondern eine ausgewachsene Neurose. Gut, ich bin zwar der Meinung, dass das Gros der Menschen, die ich so kenne, geringfügige neurotische Züge aufweise, eben mehr oder weniger, und ich nehme mich ganz gewiss nicht aus. 😉 Aber das hier ist schon ein bisschen stärker. Ich sage meist gar nichts dazu, denn es ist ihre Sache, und wenn sie sich so wohlfühlt, ist es prima. Nur bitte andere Leute da heraushalten. 😉
Kommt mir nicht mit Trends oder Hypes – ich mache Dinge am liebsten so, wie sie mir gefallen und ich niemanden dabei verletze.
Einen schönen Wochenstart und einen schönen Montag wünsche ich im ruhigen Gefühl, dass der Montag sicherlich nie zum Hype werden wird … 😉