Rück-Sicht

Ein langes Wochenende war es, an dem ich mal wieder nicht das geschafft habe, was ich mir vorgenommen hatte. Zugegeben, es ist etwas schwieriger, die Wohnung mal wieder von Grund auf zu putzen, wenn man dies nur einhändig machen kann, da die andere Hand permanent ein Papiertaschentuch unter die Nase pressen muss, da die Erkältung sich zu einem Fließschnupfen der besonderen Art ausgewachsen hat. 😉 So muss nun das nächste Wochenende dran glauben …

Dafür lag ich – ohne mir verschwenderisch vorzukommen, da ja aus medizinischen Gründen ausgesprochen notwendig – zweimal wunderbar lange in meiner Eckbadewanne, umgeben vom Duft von Wacholder-Badezusatz zum einen, zum anderen von einem eher weihnachtlichen Duft. Es gibt wirklich tolle Badezusätze (Wacholder gehört jetzt nicht unbedingt dazu – zu medizinisch), die nach Vanille, Mandeln, Orange und Nelke duften, und ich bin ja bekennender Weihnachtsfan. 😉 Schon als Kind. Der erste Dezember seit jeher ein besonderes Datum für mich – da durfte man das erste Türchen des Adventskalenders öffnen. 🙂 Am zweiten hatte meine Schulfreundin Evelyn Geburtstag, am neunten meine langjährige Schulfreundin Bea – der Dezember war immer toll, und ich weiß noch, dass ich es oft bedauerte, nicht in diesem Monat Geburtstag zu haben.

Aber was wäre ein langes Bad ohne Tee und ein Buch! Nur halb so schön. Und so stellte und legte ich alles zurecht, bevor ich mich in die Fluten stürzte.

Eines meiner Lieblingsbücher hatte ich mir ausgesucht. Schon -zigmal gelesen, seit ich es noch in den Neunzigern von einer Bekannten geschenkt bekam. Von einer meiner Lieblingsautorinnen, einer Kanadierin. Katzenauge heißt der Roman, und würde man mich nach meinem Lieblingsroman aus der Kategorie Moderne fragen, würde sicherlich wie aus der Pistole geschossen dieser Titel genannt werden, den ich auf Deutsch wie im Original gelesen habe, immer wieder fasziniert, wie die Autorin es schafft, winzige Kleinigkeiten in knappe, passende Worte, Vergleiche und Bilder zu fassen.

Es geht um die Freundschaft zweier Mädchen, kleiner Schulmädchen. Da hat ja jeder ein Bild vor Augen. Süß, manchmal zickig oder schüchtern, Prinzessinnentum zum einen. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere wird im Allgemeinen ausgeblendet, da sie nicht zum Bild des niedlichen Mädchens passt. Denn das nervige Prinzesschengehabe und auch die Zickigkeit werden verziehen. Wird ja – fälschlicherweise – als typisch weiblich angesehen. Grausamkeit hingegen nicht – das passt nicht ins Bild, und wenn man sie doch sieht, ist nicht selten ihr Opfer die Schuldige für den Betrachter: hat doch sicherlich Anlass gegeben! Ansonsten vermeidet man den Blick auf die Fiesheiten von Mädchenfreundschaften lieber. Und doch geht es in diesem Roman, der viel mit Retrospektiven arbeitet, genau darum: Um eine Freundschaft, die man wohl am besten als Hassliebe bezeichnen sollte.

Ich kenne nicht eine einzige Frau, die solche Szenarien nicht kennt: Beste Freundinnen, man macht alles zusammen, geht natürlich auch gemeinsam zur Toilette – tolles Klischee, leider oft wahr. 😉 Und doch gibt es da öfter Zäsuren und Einbrüche. Kleine Gemeinheiten. Die aber offenbar so klein oft nicht sind, da sie einen unter Umständen noch Jahre später verfolgen, so klein sie auch scheinen mögen. Vertrauensbrüche bis hin zum Verrat. Das machen auch schon kleine Mädchen, und manchmal wandelt sich eine dicke Freundschaft in Feindschaft – vermeintlich über Nacht. Plötzlich ist alles falsch, was man macht, was vorher richtig und lustig war.

Das ist mir auch schon passiert. Zum Glück ging es gut aus, aber es hat Spuren hinterlassen. Winzige Spuren. Ich denke, kleine Mädchen sind sich der Auswirkungen ihrer Taten gar nicht bewusst. Ich zum Beispiel kriege die Krise, wenn ich -zig Frauen auf einem Haufen sehe, die begeistert tratschen. Wie ein Hühnerhaufen. Davon halte ich mich meist fern, denn das Gegacker erzeugt Abwehr in mir. Ich vermute, es erinnert mich einfach an die Zeit, da meine damals beste Freundin sich mit zwei anderen Mädels zusammentat, ich zwar geduldet war, aber diejenige, an der dauernd herumgenölt wurde, weil das, was ich tat, angeblich falsch sei, obwohl ich nichts anderes tat als die anderen drei. Es ging so weit, dass sich eine echte Feindschaft entwickelte und ich schon Bauchschmerzen bekam, wenn ich am Sonntagabend daran dachte, dass ich montags wieder in die Schule müsse. Ich glaube, seitdem mag ich Sonntage generell nicht mehr so gern – auch das eine Folge.

Aber irgendwann hatte ich die Nase voll, und ich stellte die drei Grazien, deren Anfeindungen ich bis dahin hilflos gegenübergestanden hatte, zur Rede, und das so energisch, dass sie mich künftig in Ruhe ließen. Damit hatten sie wohl nicht gerechnet. Und fortan lebten wir nebeneinander her, aber es gab wenigstens keine Herabsetzungen mehr. Höchstens für Gudrun, meine damals ehemals beste Freundin, denn als ein weiteres Mädchen sich dem Dreierclub anschloss, war sie plötzlich das Opfer. Sie trug die Haare falsch, hatte die falschen Klamotten an, war zu gut in der Schule. Ich registrierte das, aber ich ging nicht hin und nahm sie in Gnaden wieder auf. Zu früh. Außerdem hatte ich mich mit einem anderen Mädchen angefreundet – das genaue Gegenteil von mir. Damals. Denn sie war laut und energisch, und wir verstanden einander großartig, und das sogar auf Augenhöhe. Zumindest eine Zeitlang – dann ging die enge Freundschaft auseinander, aber wir gingen weiterhin freundschaftlich miteinander um. Zu der Zeit befreundete ich mich mit Bea, und diese Freundschaft blieb lange über die Schulzeit hinweg erhalten.

Mit Gudrun verstand ich mich hinterher auch wieder gut, zumal sie bei einer Geburtstagsparty plötzlich auf mich zukam und fragte, ob sie mal mit mir reden dürfe. Ich war etwas misstrauisch, sagte aber ja. Und da hat sie sich bei mir entschuldigt, und das fiel ihr gar nicht so leicht. Aber ihre Entschuldigung war aufrichtig. Und so blieben nur die winzigen Spuren, die das, was man heute wohl Mobbing nennt, bei mir hinterlassen hat, kein Groll. Im Gegenteil – wir unternahmen recht viel miteinander, hatten sogar als Fünfzehnjährige unseren ersten gemeinsamen Job: auf einer Hühnerfarm, wo wir die Eier aus der Legebatterie einsammelten und anschließend verpackten. Grausamer Job, und ich verstehe bis heute nicht, wie ich das machen konnte. Aber Reitstunden sind teuer, und die musste ich selber finanzieren …

Wenn auch sämtliche Misshelligkeiten ad acta gelegt wurden, sind die besagten Spuren doch geblieben. Ich habe erheblich mehr männliche Freunde als weibliche. Sicherlich gibt es bei Jungs und Männern auch ähnliche Probleme, aber diese besonderen Gemeinheiten habe ich – zumindest vordergründig – nie so mitbekommen. Ich fand’s immer klasse: Zwei Jungs oder Männer stritten sich, hauten sich im Extremfall gegenseitig eins auf die Zwölf, und danach war alles wieder im Lack, und sie tranken gemeinsam ein Bierchen. Oder zwei oder drei. Bei Mädels ist das Ganze oft viel subtiler, und man hat öfter das Gefühl, dass man, drehe man den Rücken, gleich ein Messer in selbigem stecken habe.

Natürlich kann man all das nicht verallgemeinern, aber die Tendenz ist doch recht stark gegeben, wenn ich mal so meine Erfahrungen betrachte. 😉

Und dennoch ist die Lektüre von Katzenauge keineswegs mit Schmerz oder Kummer verbunden. Eher mit wissendem Nicken und Selbsterkenntnis. Man selber ist ja nun auch nicht immer ein Unschuldsengel. 😉 Und es beruhigt immer so schön das Gemüt, wenn man sieht: All das, was einem selber Kummer bereitete, scheint völlig normal zu sein, und man ist kein Einzelfall. 😉 Nicht, dass es die Sache besser machen würde, aber manche Phänomene, die auf das ganze Leben Auswirkungen haben, scheinen zutiefst menschlich. Nur sollte man sich immer vor Augen führen, dass auch die Menschlichkeit eine Medaille mit zwei Seiten ist. 😉 Rücksichtnahme oft Fehlanzeige.

Und ich weiß wieder, warum ich mich im Allgemeinen mit Männern viel besser verstehe … 🙂

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