Underdogs, Spinner und sonstige Minderheiten

Was macht man, wenn man zu Hause vor sich hin kränkelt? Nun ja, man hofft auf „besser‘ Wetter“, kuschelt sich auf der Couch in eine Decke, eine Wärmflasche dabei, und sieht sich Filme an. Nimmt irgendwann ein heißes Bad, um die beiden Eisklumpen aufzutauen, in die sich das, was man bis dato gemeinhin als Füße wahrgenommen hatte, verwandelt hat. Am besten als Badezusatz geeignet: irgendetwas mit Eukalyptus-Menthol. Hatte ich nicht im Hause. Ich lehne es ab, allzu viele krankheitsbezogene Mittelchen im Haus zu haben – man muss es ja nicht heraufbeschwören. 😉 Also ein 08/15-Badezusatz, aber dafür eine Riesentasse Tee dazu. Mir war schließlich so heiß, dass ich fürchtete, der Schlag werde mich gleich treffen, und so verließ ich die Eckbadewanne lieber wieder. Aber schön warm war mir, und ich hatte auch wieder normale Füße. 😉

Dann verfolgte ich die Begegnung Schalke-Gladbach, zumindest am Rande. Man will schließlich darüber informiert sein, ob diese Stadt hier demnächst Trauer tragen werde oder nicht. Und wie man sich dem schalkebegeisterten Nachbarn gegenüber benehmen müsse: gratulieren oder kondolieren. Auch hatte ich in den letzten Wochen immer ein bisschen Sorge um Monty, der da schutzlos an der Straße geparkt steht, einer dichtbesiedelten Straße, in deren Umgebung so viele Schalke-Wahnsin…, äääh, -fans leben, deren Leben aus Schalke zu bestehen scheint. Wusste der Henker, wie die reagieren würden, wenn Schalke weiterhin so spielte wie bisher … Irgendwann würde sicherlich einer oder mehrere ausrasten und marodierend durch die Straßen ziehen.

Ich kenne das noch so aus Aachen. Hatte die Alemannia – wie nicht selten der Fall – so richtig besch… eiden gespielt, zog sich eine Schneise der Verwüstung vom Tivoli quer durch die Umgebung und die halbe Stadt, und in meiner Straße gab es wieder und wieder massive Schäden an geparkten Autos: abgeknickte Antennen, abgetretene Außenspiegel, vor Wut hineingetretene oder  -geschlagene Dellen. Wie froh ich damals war, kein Auto zu haben, denn ich glaube, wäre mir das passiert, hätte ich mich in Rumpelstilzchen verwandelt. Nein, ich hätte meine Wut nicht am Nachbarauto ausgelassen, aber sicherlich hätte ich medienwirksam geflucht. Fan sein, gut und schön, aber bitte nicht zu Lasten unbeteiligter Dritter. Ich war ohnehin nie ein Fan von Alemannia. Ob es an den Vereinsfarben lag, die mich sehr an einen anderen Verein erinnern, den ich nicht mag? 😉

Immerhin – Schalke hat heute gewonnen. Leider gegen einen der Vereine, die mir durchaus sympathisch sind, und soeben wurde die Gladbach-Fahne gegenüber meinem Esszimmerfenster auf Halbmast geflaggt. Ich fand das etwas übertrieben, aber ich verspürte Mitgefühl: Wer verliert schon gern?

Ich bin nicht selten auf der Seite der Verlierer. Heute war ich deswegen ein bisschen ambivalent, was das Fußballthema anbelangte. Hätte Schalke gegen den HSV oder den BVB gespielt, wäre die Sache klar gewesen, aber hier war ich in der Tat zwiegespalten. Ich bin kein Schalke-Fan, aber irgendwie doch meist auf Seite der Underdogs. Nur: Was tut man, wenn es eine Begegnung mit einem Verein ist, den man mag?

Warum ich ein solches Faible für Underdogs habe, weiß ich nicht. Ich kann mich nicht erinnern, dass es je anders gewesen wäre. Meine Sympathie immer auf der Seite derer, die es schwerer hatten als andere, obwohl sie sich mindestens genauso ins Zeug legten. Manchmal sogar qualifizierter waren (sehen wir das bitte losgelöst von Schalke … 😉 ), aber der andere Bewerber oder Aspirant hatte mehr Charisma, lächelte mehr und wusste seine durchaus vorhandenen Schwächen gut zu kaschieren, die erst dann zutage traten, wenn die Entscheidung schon auf ihn gefallen war. Menschen, die zwar einen total geradlinigen und spektakulären Lebenslauf vorweisen konnten, schon in der Debattier-AG ihrer Schule brilliert hatten, weil sie gut reden und sich gut verkaufen konnten und niemand mal hinter die Fassade blickte. Gut, nicht alle sind so, aber ich habe leider schon oft die Erfahrung gemacht, dass die besonders schneidig-geradlinig Wirkenden oft nur aalglatt und Nutznießer von „Vitamin B“ gewesen waren, was sie auf die richtigen Stellen hievte, aber nicht selten menschlich viel missen ließen. Und auch bildungstechnisch, und damit meine ich nicht nur die Kopf-, sondern auch die Herzensbildung. Hat jemand nur die erstere, ist es nicht selten enttäuschend. Wichtiger ist letztere, zumal man sich die andere aneignen kann. Mangelt es an beiden, sieht es nicht so gut aus. Solche Leute habe ich im Laufe meines bisherigen Berufslebens leider schon öfter in Leitungspositionen erlebt, und man fragt sich: „Wie sind die dahingekommen?“ Andererseits … man kann es sich irgendwie schon vorstellen.

„Spinner“ gehören bekanntermaßen auch zu den Menschen, die meine Sympathie haben. Damit meine ich keine Psychopathen, wohlgemerkt. Vielmehr Menschen, die sympathische Schwächen haben, deren sie sich aber keineswegs genieren. Ein starker Hang zum Idealismus ist meist mit diesen Menschen verbunden, und nicht selten sind diese „Spinner“ auch Underdogs, weil sie mit ihrer meist menschenfreundlich-charmanten Einstellung nicht weit kommen. Nicht im Kampf gegen allzu harte und spitze Ellbogen.

Ich kenne einige Spinner, und Unterhaltungen mit ihnen sind erheblich spannender und wertvoller als solche mit dem Gros der „Superleister“ und „Alphatiere“. Denn sie kennen Rück- und Tiefschläge, und – so doof das klingen mag – daraus lernt man eine ganze Menge und wird weiser, manchmal auch gelassener. Es sei denn, man resigniert. Aber einige der „Spinner“, die ich kenne, haben sich trotz aller Tiefschläge einen Charme bewahrt, den ich einfach nur reizend finde. Wie könnte ich solche Menschen nicht mögen? 🙂

Ich gehöre selber meist zu irgendwelchen Minderheiten, und es hat eine Weile gedauert, bis mir restlos klar war, dass das, was die Mehrheit sagt, nicht unbedingt sinnstiftend sein muss. Nein, wenn ich ehrlich bin, habe ich das eigentlich schon recht früh gelernt, da es meinem Wesen und meiner Einstellung wohl eher entspricht, auch unpopuläre Meinungen zu vertreten, wenn sie mehr in die Tiefe gehen, differenzieren und jegliche Thematik nicht nur an der Oberfläche ankratzen. Was mir jedoch nie so klar war, ist die Tatsache, dass mehr und mehr diejenigen Recht bekommen, die der Mehrheit zujubeln, und sei es noch so dämlich. Irgendwie scheint der Spruch: „Qualität vor Quantität“ immer mehr an Bedeutung zu verlieren. Ich glaube, seitdem hat sich meine Zuneigung Underdogs und Spinnern gegenüber noch vergrößert. 😉 Diejenigen dieser Spezies, die ich kenne, sind meist überlegen: an Sensibilität und Empathie.

Schön wäre es, würde man diese Leute auch mal ans Ruder lassen. Ich glaube, das gäbe einige Überraschungen. Im positiven Sinne. Aber das ist wohl nicht gewollt. 😉

Ich habe sogar einmal einen echten „Underdog“ in des Wortes reiner Bedeutung kennengelernt. Da lebte ich noch im Rheinland, in der Nähe von Düsseldorf. Und da war ich eines Abends am Wochenende mit Giacomo in unserer Stammkneipe. Mir fiel sogleich ein Gast auf, der einen kleinen Hund mit sich führte. Ich liebe ja Hunde, und als ich diesen kleinen Kerl sah, wurde ich sofort von Mitgefühl angefallen. Denn er hatte kein Fell, und ich hielt ihn zunächst für einen Nackthund – es gibt ja solch merkwürdige Züchtungen, die sommers wie winters besonders geschützt werden müssen, weil sie kein Fell haben.

Auch ereilte mich Mitgefühl, weil der Hund – ich bin ehrlich – potthässlich war. Er hatte Fledermausohren und einen kupierten Schwanz, der aussah wie der einer Ratte, nur eben kürzer.

Das Hündchen schien meine Gefühle zu spüren, und es kam zu mir, wackelte etwas schüchtern mit seinem Stummelschwänzchen und lehnte sich dann etwas schüchtern an mein linkes Bein. Ich ging gleich in die Knie und sprach mit leiser Stimme auf das Hündchen ein: „Na, wer bist du denn?“ Das Hündchen wackelte verstärkt mit dem Stummelschwänzchen, und es gab kleine, alberne Laute von sich. Ich gestehe, ich hatte kleinere Berührungsängste, weil es wirklich nicht so ästhetisch aussah. Die Haut wie verbrannt. Aber ich fasste mir ein Herz – ich musste es nun streicheln, denn es freute sich doch so sehr. 🙂 Und behutsam, da ich ihm keine Schmerzen zufügen wollte, strich ich ihm über den Rücken, der nur einzelne, kleine Härchen aufwies. Es fühlte sich an wie Schleifpapier, irgendwie bröselig und nicht sehr angenehm, aber das Hündchen freute sich fast zu Tode, quietschte und leckte mir die Hand.

Da wurde der Halter des Hündchens aufmerksam, und er sagte zu dem Hündchen: „Na, Fips – da hast du aber jemanden gefunden, der nett ist.“ Und zu mir: „Da haben Sie eine echte Eroberung gemacht. Er ist sehr misstrauisch, vor allem, seit er krank ist.“ – „Was für ein Hund ist es?“ – „Ein Zwergschnauzer.“ – „Ach …“ – „Ja, er ist sehr krank und hat Krebs. Aber die Tierärztin meint, es sehe gut für ihn aus. Nur hat er unter der Behandlung sein ganzes Fell verloren. Und seitdem er so aussieht, ist er noch misstrauischer geworden – er war ja schon immer ein misstrauischer kleiner Geselle. Es wird oft über ihn gelästert, und das scheint er zu spüren. Aber ich kann ihn doch nicht einschläfern lassen, weil er so aussieht. Ich hänge sehr an dem Tier, und wenn er nicht eine Chance hätte, würde ich ihn sofort erlösen lassen. Aber die Tierärztin sagt, dass er eine Chance habe, und er wirkt auch recht fröhlich, zumindest mit Menschen, die ihn so akzeptieren, wie er jetzt aussieht. Das sind beileibe nicht viele, und ich glaube fast, er versteht, wenn über ihn gelästert wird. Daher freut es mich, dass er sich bei Ihnen so wohl fühlt – das gibt ihm auch Selbstvertrauen. Und Sie sind ganz offenbar ein netter Mensch – sonst wäre er nicht so vernarrt in Sie. Vielen Dank dafür.“

Ich sah den kleinen Wicht an, der sich gegen meine Beine drückte und quietschte. Und ich nahm ihn in den Arm und drückte ihn. „Du bist ein lieber, kleiner Fratz,“, sagte ich zu ihm, „und die Leute, die über dich lästern, sind strunzdoof und kapieren rein gar nichts.“ Der kleine Fips sah fast so aus, als grinste er, und er leckte mir über die Nase. Und er freute sich jedes Mal, wenn wir einander begegneten, und wich nicht von meiner Seite. Und hörte ich irgendwelche lästerlichen Bemerkungen, gab es darauf von mir entsprechende Antworten, zumal ich mich fragte, wie man sich über kranke Lebewesen, egal, ob Mensch oder Tier, lustigmachen könne.

Fips war ein echter Underdog – im wahrsten Sinne. Aber er hat noch zwei Jahre gelebt, und ich habe ihn stets fröhlich erlebt. Und geliebt. Weil er so ein liebes, reizendes Tier war – nicht seiner Krankheit wegen.

Also: Gebt Underdogs, Spinnern und Minderheiten eine Chance – ihr werdet euer blaues Wunder erleben. 🙂

Kleiner Nachtrag: Das hier Geschriebene ist auf keinen Fall politisch gemeint. Und noch etwas: Ich nehme mich von den „Spinnern“ selber nicht aus – sonst wären sie mir wohl niemals so sympathisch.  😉

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