Der Berg ruft

Nicht der Berg, an den ihr jetzt vielleicht denkt. Der „Berg“ oder „Bääaach“, der das, wo ich so vor mich hinlebe, einst großgemacht hat. Eher der Berg unter als über Tage. Wird hier halt „Berg“ genannt, obwohl wir in den südlichen Ausläufern der Norddeutschen Tiefebene leben, wo alles recht flach ist. 😉

Ich bekam gestern, als ich den letzten Beitrag schrieb, so etwas wie Heimweh. Wie das, werdet ihr denken, denn ich sitze ja mittendrin im Pott! Aber der ist nicht mehr das, was er mal war – in ganz verschiedener Hinsicht. 😉 Jedenfalls ist er nicht so, wie ich ihn kennenlernte. Obwohl: Kann man etwas erst kennenlernen, in das man hineingeboren wird? Man wird eher hineingeworfen, und man nimmt dann das, was da geboten wird, als ganz normal an und wächst hinein. 😉

So erging es mir auch, und als Kleinkind wollte mir partout nicht in den Kopf, warum meine Mutter, aus einer Mittelgebirgsregion stammend und stets unter Heimweh leidend, immer nur die Nase rümpfte, fuhren wir an ganz tollen Bergen mitten im Pott vorbei. Ich machte sie stets darauf aufmerksam, dass es hier auch Berge gebe, aber sie schnaubte nur und meinte: „Das sind keine Berge, Ali, das sind Bergehalden! Das sind keine echten Berge. Möge wer auch immer geben, dass du den Unterschied erkennst! Aber ich sehe schwarz: Du bist ein Pottkind!“

Ich fand es damals nicht schlimm, dass sie schwarz sah – wir alle taten das, blickten wir auf solch eine Bergehalde. Die war schwarz oder wenigstens ziemlich dunkel, zumindest zunächst.

Sternenhimmel bei Nacht? Sehr schön, zugegeben. Als Kleinkind war es für mich wunderschön, fuhren wir an Scholven und der Raffinerie vorbei. Mich faszinierte es, wenn abgefackelt wurde – Flammen schlugen aus kaminartigen Rohren in den Himmel, und am schönsten war es, wenn es draußen dunkel war. Weniger schön natürlich, dass es bisweilen ziemlich unangenehm roch. „Wer war das?“ pflegte ich zunächst bei derartigen Gegebenheiten speziell meinem Vater, hinter dem ich im Auto fast immer saß, in die Ohren zu plärren, aber er meinte geduldig: „Niemand hier war das – das kommt von draußen. Manchmal riecht es halt beim Abfackeln etwas streng.“ Nun, ich gewöhnte mich daran. Meine Mutter rümpfte weiterhin die Nase, und es war ihr deutlich anzusehen, dass sie dachte: „Ich bin im falschen Film. Ich bin im völlig falschen Film!“

Mein Vater, ein eingeborener „Ruhri“, der sein Studium damit finanziert hatte, dass er unter anderem im Bergbau tätig gewesen war und dies – zum Kummer meiner Mutter – auch nach dem Studium in anderer Position fortführte, schleppte meine Schwester und mich, kaum, dass wir laufen konnten, ins Bergbaumuseum in Bochum. Wir waren „unter Tage“, wo mein Vater uns erklärte, das sei alles nur für Besucher, und auf einem echten „Pütt“ sei alles noch ganz anders, vor allem viel tiefer, und man führe auch nicht mit einem Aufzug, sondern in einem Förderkorb, und das sei erheblich unbequemer. Noch tiefer? Ich fand es da, wo wir waren, schon ziemlich warm, und mein Vater meinte, so richtig „unter Tage“ sei es noch viel wärmer, stickiger und gar nicht mit den uns gegebenen Verhältnissen zu vergleichen! Und mit Verve beschrieb er uns, wie er durch total enge Strebe hätte kriechen müssen. (Was ein „Streb“ war, hatte er uns bereits zuvor wiederholt erklärt, ob wir wollten oder nicht … 😉 Er war der Ansicht, ein echtes „Pottkind“ müsse so etwas wissen. ;-))

Wir bekamen viel erklärt, was Bergbau oder Montanindustrie anbelangte, und nicht immer waren wir besonders lernwillig, Stephanie und ich. Aber ich bin mir ganz sicher, dass mein Vater heftig bereut hat, in meiner Gegenwart je über Tiere im Bergbau erzählt zu haben! Denn ich monierte heftig, dass Pferde dort anno dazumal hätten tätig werden müssen. Die armen Tiere! Wie konnte man nur! Mein Vater erklärte mir daraufhin, dass viele der tierischen „Kumpels“ nach ihrer Pensionierung auch wieder über Tage gebracht wurden. Ein bisschen hat mich das beruhigt, damals als Kind.

Hätte er nur nichts über die Kanarienvögel erzählt!

Mein Vater ist ein sehr gewissenhafter Mensch, ein sehr guter Lehrer, der möchte, dass seine Schüler etwas lernen – egal, ob Studenten oder die eigenen Töchter. Und offenbar hatte er mich, damals etwa vier Jahre alt, wohl überschätzt, was die Einsicht anbelangte, mit der man erkennt, dass zu Zeiten vor anderen Hilfsmitteln, die vor „mattem“ oder gar „schlagendem“ oder – auch ganz schlimm – „bösem“ „Wetter“ warnen, eben Kanarienvögel als Indikatoren herhalten mussten. Und so erklärte er mir ganz arglos, dass die Bergleute die Kanaris in kleinen Käfigen mit sich geführt hätten. Kippte solch ein Kanari von der Stange, war klar, dass in dem Abschnitt unter Umständen Grubengas austrat. Der kleine Vogel zeigte das durch seinen Tod an, und die Bergleute waren gewarnt und zogen sich zurück. Das erklärte mein Vater mir ganz sachlich.

Der Aufruhr, mit dem er nicht gerechnet hatte, war groß! Wie konnte man nur? Die armen, unschuldigen kleinen Vögelchen! Arglos missbraucht! Ich reagierte heftig, damals als kleines Kind. Mein Vater war schockiert, meine Mutter grinste. Immerhin schien das Kind, das einen natürlichen Berg von einer Bergehalde nicht unterscheiden konnte, zumindest ein gesundes Gespür für Ungerechtigkeiten und tierfeindliches Betragen an den Tag zu legen. 😉 (Meine Mutter kommt aus Franken, und da gibt es keinen Steinkohlebergbau. 😉 )

Es hat lange gedauert, bis ich verstand, dass die kleinen Vögel Lebensretter waren, mit denen man durchaus gut umging und deren – wenn auch unfreiwillig geschehenen – Einsatz man mehr als schätzte. Vielleicht hätte mein Vater mir das Ganze einfach nicht erzählen sollen, als „Karlchen“, der Kanarienvogel meiner Schwester, gerade Einzug in unsere Familie gehalten hatte. Der war doch so süß! 😉

Heute macht mir kaum einer etwas vor, wenn es um Bergbau geht. Ich kenne – fast – alle Gegebenheiten, zumindest die Begriffe. Keiner führt mich aufs Glatteis, wenn es um einen „Alten Mann“ geht, um das „Hangende“ oder „Liegende“ und so viele weitere Fachbegriffe. Meine Mutter sagt dazu nur: „Toll, Ali – aber schöner wird es hier deswegen noch immer nicht.“

Aber sie ist die Erste, die sofort alles hier verteidigt, wenn irgendjemand von außerhalb Kritik übt. Wir sind einander sehr ähnlich. 😉

Einen schönen Feiertag wünsche ich euch mitten „aussm Pott“! 🙂

„Mutta, hol mich vonne Zeche – ich kann dat Schwatte nich mehr sehn!“

Zwar habe ich gestern Nacht durchaus geschlafen, einige Stunden, aber irgendwann wachte ich auf und konnte nicht mehr schlafen. Draußen war es noch dunkel, ich tippte auf halb sieben, sieben Uhr. Und ich konnte nicht mehr schlafen. An einem Sonntag …

Dann aber sah ich am PC, es war erst Viertel vor sechs! Auch das noch! Doch dann fiel mir ein, dass ja gestern Nacht das stattgefunden hatte, was so viele Leute in Verwirrung stürzt: Die Uhren wurden umgestellt, und ich hatte mit „halb sieben, sieben Uhr“ gar nicht so falsch gelegen. Ich kochte mir erst einmal eine Kanne schwarzen Tees.

Zurück am PC, ging es erst einmal zur Online-Version der Zeitung, die ihr ja schon kennt. Nix Neues seit gestern. Aber was war das? „Wie gut kennen Sie das Ruhrgebiet?“ Ein Quiz … Na, also, das wollten wir doch einmal sehen, wie gut ich den Pott kenne! 😉 Und schon legte ich los, wobei ich – ich gebe es zu – allerdings dachte: „Du meine Güte – was man für einen Mist macht, wenn man nicht schlafen kann!“

Was waren denn das für einfache Fragen? „Welche der vier folgenden Städte wurde im Zuge der Gebietsreform 1975 NICHT eingemeindet? A) Rheinhausen zu Duisburg – B) Sterkrade zu Oberhausen – C) Gladbeck zu Bottrop – D) Kettwig zu Essen.“ Was war das für ein lahmer Zock? B natürlich. Hatte ich schon in der Grundschule gelernt. Fiel im selben Jahr zu Oberhausen wie mein Geburtsort zu Essen, anno 1929, daher leicht zu merken. 😉 Warum die Emscher kein unterirdischer Abwasserkanal sei? Auch einfach, lag am Bergbau und damit einhergehenden Bergschäden. Dass meine Heimatstadt die „Stadt der 1000 Feuer“ genannt wird, wusste ich auch. Wäre auch ziemlich blöd gewesen, wenn ausgerechnet das nicht. 😉 Bei zwei Fragen war ich ein wenig unsicher, tippte aber nach einigem Nachdenken zumindest richtig. 😉 Und es stellte sich heraus, dass ich die absolute Pott-Expertin sei – mit 10 von 10 möglichen Punkten. 😉 Ich grinste und dachte einmal mehr: „Was für Sachen man macht, wenn man nicht schlafen kann!“

Es wäre mir auch etwas peinlich gewesen, hätte ich diese einfachen Fragen nicht beantworten können, denn ich bin hier geboren und aufgewachsen. Und trotz der Tatsache, dass ich noch eine andere Region als „zweite Heimat“ habe, bin ich dem Pott doch sehr verbunden. Wehe dem, vor allem Auswärtigen, der das Ruhrgebiet verunglimpft, und ich stehe dabei! Meist wünscht derjenige sich schon nach einer Minute, er hätte nie etwas Derartiges gesagt. 😉 (Nicht, dass ich nicht selber bisweilen über den Pott motzte, nein! Ich darf das aber auch – ich lebe hier und kenne ihn. Und ich bin ja immer etwas zwiegespalten – meiner „Zweitheimat“ wegen – und kann mich nie entscheiden, welche Gegend mir nun die liebere ist …)

Viele Leute, die mit einer eher als lästerlich zu bezeichnenden Einstellung von auswärts hierherkommen, sind oft bass erstaunt, wenn sie das Ruhrgebiet erstmalig sehen. Ich frage mich immer, mit welcher Erwartung sie herkommen: Allenthalben Fabrikschornsteine, aus denen giftiger, schwarzer oder – noch besser – gelber Rauch quillt? Alle hundert Meter eine Zeche, die in Betrieb ist? Kohlenstaub überall, tieffliegende Briketts? Eisenhütten, Stahlwerke an jeder Ecke?

Stattdessen immer wieder erstaunte Ausrufe: „Hier ist es ja total grün! Und was für schöne Naherholungsgebiete ihr habt! Alles grün – damit hatten wir nicht gerechnet! Das ist ja grüner als bei uns!“ Ich habe schon öfter gefragt, womit denn gerechnet worden sei, und dann druckste man herum. Mich erstaunt das immer wieder, denn die alte Industrielandschaft, die es im Ruhrgebiet früher gab, gibt es doch so schon längere Zeit nicht mehr. Scheint sich noch nicht überall herumgesprochen zu haben – man klammert sich doch lieber an seine Vorurteile und die gängigen Klischees. 😉

Zugegeben, hier ist durchaus nicht alles im Lot, und es steht zu befürchten, dass die Region über kurz oder lang den Bach hinuntergehe. Aber sie ist nicht so schlecht, wie viele so gerne denken. Es gibt durchaus diverse Dinge, die mich sehr stören. Aber anderswo gibt es die in Ballungsräumen, die heute Metropolregionen heißen, auch.

Der „Ruhri“ wird gerne persifliert. Man stellt ihn sehr gern als etwas schlichten, ungebildeten, wenn auch gutmütig-treudoofen Klotz dar, der über Tag unter Tage schuftet, immer irgendwie schwarz vom Kohlenstaub ist und „naache Schicht“ sofort die nächste Kneipe stürmt – sofern er nicht den heimischen Schrebergarten und/oder Taubenschlag bevorzugt – und dort: „Tu mich ma ’n Pilsken!“ bölkt. Ein schlicht-gutmütiges Bölken, natürlich. Die Frauen heißen durch die Bank Uschi, haben eine blondierte Dauerwelle der Art, als sei ihr Friseur im vorherigen Leben Elektriker gewesen, und sie keifen tagein, tagaus ihren „Ollen“ und die „Blagen“ an. Auch sie so schlicht wie die Männer, natürlich, denn wie könnte es hier auch anders sein? 😉

Vor Ort sieht dann doch alles etwas anders aus, und die „Kumpels“ und „Uschis“ sind dann ganz offenbar doch nicht alle so doof, wie man es so gerne hätte. 😉 Außerdem wird der Schlag des ursprünglichen „Ruhris“ auch immer rarer. Das ist wohl der Lauf der Zeit – auch in anderen Regionen verschwinden alte, gewohnte und liebgewonnene Zustände mehr und mehr. Da machsse nix! 😉

Und so freute ich mich richtig, als ich vor einiger Zeit in der Straßenbahn folgenden Dialog zweier Frauen hörte, die mit einem kleinen Mädchen und einem Hund in meiner Nähe saßen: „Wat meinze, sollich mia dat Kleid da kaufen, wattich dia neulich gezeicht happ?“ – „Welchet Kleid?“ – „Na, dat da innem Kattalock von … ich happ den Namen vagessen. Scheiß der Hund drauf – so’n Kleid halt, so’n kleinet Schwattet!“ – „Musse mia ma zeigen, wennde den Kattalock ma zua Hand hass. Da, kuckma – wat is denn dat da anne Fenster?“ – „Wo?“ – „Na, dat da! Kuckma! Wat issen dat?“ – „Dat da? Dat is Windoh-Koloor. So heiß dat! Kannze Bilder mit machen und anne Fenster kleem. Schön, ne? Kuckma, Schaijenn [zum Kind gerichtet] – da issen Eiswagen!“ [Kind fängt zu quengeln an, will ein Eis.] – „Nee, Schaijenn! Getz gibtet kein Eis – iss noch zu früh! Tu dich ma hinsetzen! Ey, getz tu dich ma hinsetzen, sofooaat! Sonss hat dat Föttken gleich Kiiaames!“

Ich saß nur zwei Meter entfernt und hatte ein breites Grinsen im Gesicht. Nein, ich fand die Frauen nicht lächerlich, obwohl sie vielleicht dem gängigen Klischee etwas entsprachen. Ich fand das Ganze einfach nur sympathisch und liebenswert. Und ich freute mich, mal wieder einen Ausdruck wie „dat Föttken hat Kirmes“ zu hören – den hatte ich lange nicht gehört. Für Auswärtige: Das bedeutet, dass ein ungezogenes Kind in absehbarer Zeit den Hintern versohlt bekommt, wenn es sein Verhalten nicht ändere. 😉

Kurz vor der zentralen Haltestelle rief die jüngere der beiden Frauen, offenbar „Schaijenns“ Mutter, nach hinten in die Straßenbahn: „Andschelick! Los! Wia sind da!“ Ich sah, wie im hinteren Teil der Bahn ein dünnes Mädchen mit geflochtenen Zöpfen sich stumm erhob und zu seiner Verwandtschaft kam. Das war also „Andschelick“, die so still war, wie ihre Mutter redete: „Andschelick! Wie siehsse denn wieda aauus! Hasse denn nicht gemäaakt, datte dich mit die Limo bekleckert hass? Na, komm getz, wia müssen naachen Dokter.“

Ich fühlte mich wie in alte Zeiten versetzt und sah dem fünfköpfigen Gespann gerührt nach, als es sich „naachen Dokter“ aufmachte.

Ich gebe es zu, ich bin auch immer ein bisschen gerührt, wenn ich an der Gedenktafel für „Alex, das letzte Grubenpferd“ auf der nahegelegenen ehemaligen Zeche Hugo vorbeikomme – oder an anderen Relikten aus der Hochzeit des Bergbaus, zumal das Thema Bergbau – oder vornehm: „Montanindustrie“ – auch in meiner Familie eine wichtige Rolle spielte. 🙂

Und weil das so ist, gehe ich am neunten Dezember nun auch mit Lydia, Janine und Daniela in ein Restaurant, das im ehemaligen Markenhaus einer stillgelegten Zeche untergebracht ist. Wir mussten den Termin um einen Monat ändern. 😉 Nicht jedoch den Ort.

Auf gar keinen Fall. 🙂

Die berühmte „Jugend von heute“

Wie wusste schon Sokrates? Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ So sagte er zumindest. Er sagte es auf Altgriechisch, ich muss die Übersetzung bemühen, da ich des Altgriechischen nicht mächtig bin. Das gilt übrigens auch für das Neugriechische. 😉

Und so wie der weise Sokrates lamentieren seit Jahrhunderten viele ältere Menschen über „die Jugend von heute“. Das war daher auch in meiner Jugend gang und gäbe.

Ich bin derzeit eher geneigt, mich über Rentner aufzuregen. Nicht über alle, natürlich, aber über eine bestimmte Rentnerin, die mich heute echt auf die Palme gebracht hat. Doch dazu später.

Ich gebe zu, Teile der Jugend sind geeignet, auch mir derartige Aussagen zu entlocken, speziell seit meiner Zeit als Dozentin an einer noch recht jungen Fachhochschule einer Nachbarstadt, an der ich mich zwei Jahre lang als Lehrbeauftragte mit Studenten herumschlug, deren Gros dem entsprach, was man als „Geistesgrößen“ bezeichnet. Und zwar tatsächlich in Anführungszeichen, wohlgemerkt. Ich hatte immer Mitgefühl mit den Studis, die wirklich studieren wollten und den Hochschulbetrieb nicht als einzige Party oder rein spaßiges Event betrachteten. 2010 habe ich dort angefangen, 2012 wieder aufgehört. Denn die „Geistesgrößen“ unter den Studis stellten die höchsten Ansprüche, drohten bei schlechten Noten schon mal mit Brüdern oder Anwälten, obwohl die schlechte Note völlig zu Recht erfolgt war.

Am besten waren die Evaluationen, die die Damen und Herren „Studierenden“ am Ende jedes Semesters über Dozenten und Veranstaltungen abgeben durften. Die waren zwar nie schlecht, wenn denn evaluiert wurde, aber einmal wusste ich nicht, ob ich lachen oder mir mit der flachen Hand gegen die Stirn schlagen sollte, denn da stand: „Nisch auf Englisch anreden!!!!!!!!!! Isch kann kein Englisch, und das habe isch der Frau auch gesagt!!!!!!!!“ Mit der „Frau“ war wohl ich gemeint … Man muss dazusagen, dass ich dort fachsprachliche Englischseminare im Fachbereich BWL leitete. Ergo Seminare, die die Beherrschung allgemeinsprachlichen Englischs in gewissem Rahmen voraussetzten. Übrigens übertreibe ich mit den Ausrufezeichen in dem klassischen Zitat keineswegs, das ich damals abgespeichert habe, weil es einfach so denkwürdig war. 😉 Der junge Mann hat wirklich so viele verwendet, wohl, um seiner Empörung Ausdruck zu verleihen, dass ich mich in einem Englischseminar erdreistet hatte, ihn nicht auf Deutsch, Mandarin oder Französisch anzureden, denn heutzutage weiß doch jedes Kind, dass der inflationäre Gebrauch von Satzzeichen, speziell des Ausrufezeichens, ein probates (Stil-)Mittel ist, die Richtigkeit der getätigten Aussage zu unterstreichen. 😉

An dieser Hochschule habe ich auch mit meinem ehernen Vorsatz brechen müssen, nie, niemals Studis anzuschreien. Doch einmal, als mal wieder ein Drittel mit Smartphones beschäftigt war, ein weiteres Drittel lieber miteinander über alles Mögliche redete, und das letzte Drittel, das offenbar gewillt war, am Seminar aktiv teilzunehmen, sich nicht konzentrieren konnte und darob herumnölte, platzte mir der Kragen. Ich holte tief Luft, und dann habe ich die Studis angebrüllt und derart zusammengeschissen, dass auch der Hinterletzte stumm und mit aufgerissenen Augen dasaß und staunte. Das hatten sie nicht von mir erwartet. Ich – ehrlich gestanden – auch nicht. Aber das Ganze war mir schon länger auf die Nerven gefallen, freundliche Ansprachen hatten nicht gefruchtet, und so brach es dann eben aus mir heraus. Ich schnauzte: „Ich frage mich ernsthaft, was die Scheiße hier soll! Diejenigen von Ihnen, die nicht mitmachen wollen, können gerne draußen weiterreden oder ihr Smartphone malträtieren! Oder wir richten dort hinten eine Art Spielecke ein, denn ein Teil von Ihnen scheint noch nicht erwachsen genug zum Studieren! Wie stellen Sie sich das eigentlich vor?“ Und ich brüllte noch ein paar Wahrheiten.

Seitdem klappte es mit dem Kurs erstaunlicherweise prima. Offenbar brauchten die mal solch einen Anschiss, und ich sagte ihnen, das könne ich gerne jederzeit wiederholen. Einige meinten zu mir: „Sie haben uns echt einen Schrecken eingejagt, Frau B.! Wir hatten nicht damit gerechnet, dass Sie so laut brüllen können.“ – „Da haben Sie mich eindeutig unterschätzt. Ich brülle nicht gern, und ich musste auch noch nie Studis anbrüllen. Sie sind die ersten – aber darauf brauchen Sie sich nichts einzubilden, denn ich brülle nur dann, wenn eine Sache wirklich nicht auszuhalten ist.“

Dabei war dieser erste Kurs noch der netteste … 😉 So etwas war ich von der Uni, an der ich ebenfalls Dozentin war und wieder bin, nicht gewohnt, und zu jener Zeit entfleuchte mir auch manch unfreundlicher Satz über gewisse Teile der Jugend. Nicht über „die Jugend“ generell.

In meiner Jugend war ich auch mit dem Lamento über „die Jugend von heute“ vertraut. Mich hat mal eine Rentnerin dergestalt angepöbelt, als ich am Kölner Hauptbahnhof zwei kleinen Kindern half, zu ihrem Vater zu gelangen, der bereits im Zug stand, in der Tür, und die beiden Kinder anfeuerte, zu ihm zu kommen, während die beiden kleinen Kerlchen, das Mädchen etwa fünf, der Junge etwa drei Jahre alt, in einer langen Schlange von Menschen standen, die alle in den Zug wollten. An jeder Zugtür solch eine Schlange, und in dieser hier, in der auch meine damals beste Freundin Sonja und ich standen, eben auch die beiden Kleinen, die ich sehr süß fand. Jedes von ihnen hatte eine Bratwurst in der Hand, und sie hielten sich an den Händen. Ich fragte mich, warum der Vater schon weit vorne in der Zugtür stand, aber dann wurde mir klar, dass er die beiden Kinder wohl zur Eigenständigkeit erziehen wollte. Im Grunde eine gute Idee, aber doch nicht bei solch einem Andrang, in dem von allen Seiten geschubst und gedrängelt wurde! Auch Sonja und ich wurden in der Menge der Drängelnden geschoben oder beiseite gedrängt, und ich sah plötzlich die kleinen Kinder nicht mehr, die schräg vor uns gewesen waren. Ich drehte mich um und sah sie ziemlich weit entfernt schräg hinter uns, soeben von drei wackeren Rentnerinnen noch weiter nach hinten gedrängt, denn es war eminent wichtig, dass die wackeren Rentnerinnen, die augenscheinlich gut zu Fuß waren, einen Sitzplatz im Zug bekamen …

Als ich das sah, platzte mir der Kragen. Auch ich war als Kind oft von Erwachsenen einfach weggedrängt worden, meist von Frauen, die im Geschäft meinten: „Kinder können warten.“ Und ich weiß noch, wie dankbar ich immer war, wenn dann ein anderer Erwachsener für mich Partei ergriff und half. Und so sagte ich zu Sonja: „Sieh dir das an! Diese älteren Frauen drängen die beiden Kleinen einfach ab! Nee, so nicht!“ Und ich löste mich aus der Schlange und drängte mich nach hinten zu den beiden Kindern durch. „Na, ihr zwei,“, sagte ich zu ihnen, „ihr braucht keine Angst vor mir zu haben. Ist das da vorne im Zug euer Papa?“ – „Ja,“, sagte das kleine Mädchen, das völlig aufgelöst war, weinte und offenbar Angst hatte, von seinem Vater getrennt zu werden. „Passt auf, ich bringe euch beide zu ihm. Es geht ja nicht, dass die Leute sich einfach vordrängeln.“ Und ich schob das kleine Mädchen vor mir her, dessen Bruder ich mir kurzerhand unter den Arm geklemmt hatte, mitsamt der Bratwurst. „Das wollen wir doch mal sehen!“

Und schon drängten wir von hinten vor, ich sagte zu den Damen, die die Kinder einfach abgedrängt hatten: „Entschuldigen Sie, bitte, lassen Sie mich durch. Ich muss diese Kinder zu ihrem Vater dort vorn bringen!“ – „Unverschämtheit – da kann ja jeder kommen! Was wollen die Kinder hier überhaupt?“ – „Zu ihrem Vater und mit dem Zug fahren, mit dem auch Sie fahren wollen! Das ist ihr gutes Recht!“ – „Frechheit! Die sollen gefälligst warten, bis sie dran sind! Kinder können warten!“ Da war er wieder, dieser Scheißsatz … Und so schnaubte ich: „Sie wären längst dran, wenn Sie und einige andere sich nicht vorgedrängelt hätten!“ – „Frechheit!“ – „Nein, ich habe es mit eigenen Augen gesehen, Sie brauchen gar nicht zu leugnen! Die Kinder waren ursprünglich vor Ihnen, und ich finde es ätzend, wenn Erwachsene Schwächere einfach wegdrängen.“ – „Unverschämtheit! Die Jugend von heute – unmöglich!“ – „Manche Rentner von heute sind offenbar viel schlimmer!“ Und ich schaffte die beiden Kinder zu ihrem Vater, der mir erklärte, es sei ein Kreuz, mit Kindern mit der Bahn unterwegs zu sein. „Ja, das glaube ich, wenn man sie im Stich lässt und nicht eingreift, wenn sie Hilfe brauchen!“ fauchte ich und stieg wieder aus, um den zürnenden Omas zu zeigen, dass ich keineswegs die Kinder als Vorwand benutzt hatte, vor ihnen in den Zug zu kommen. Einer der reizenden Damen habe ich sogar noch gesagt: „Bitte schön, extra für Sie nun der Vortritt, obwohl Sie vorhin ja auch noch hinter mir waren.“ Sie sah mich gar nicht mehr an, aber sie war nicht allzu erfreut. Sonja meinte zu mir: „Boah, Ali! Was war das denn? Das hätte ich mich nie getraut!“ – „Ich mich auch nicht,“, sagte ich, „aber mich hat der Zorn gepackt.“ Offenbar ist Zorn ein guter Motivationsspender, doch ich war hinterher selber total überwältigt. 😉

Ja, es wird viel geschimpft über die Jugend. Leider gar nicht einmal selten von denen, die ihrerseits gern den eigenen Vorteil suchen und sich gar nicht vorstellen können, dass man vielleicht – und das nicht selten zu Recht – auch über sie lamentieren könnte.

So wie ich heute, als ich zu einem Discounter in der Stadt fuhr. Eine selten blöde Idee, wie sich herausstellte, denn die Filiale an der Horster Straße verfügt über einen ziemlich ätzenden Parkplatz, sehr klein, sehr eng – und heute sehr bevölkert. 😉 Mit Mühe und Not fand ich eine Parklücke, kaufte mit gefühlt Hunderten von Leuten gemeinsam im Discounter ein und ging dann wieder zum Auto. Ausparken war gar nicht so einfach, denn hinter mir hatte sich eine Schlange gebildet, da der Parkplatz eine Ampel hat, denn auf der Hauptstraße fährt die Straßenbahn, und es wäre zu gefährlich, einfach vom Parkplatz auf die Straße zu fahren. Es gibt auch eine Fußgängerampel …

Endlich konnte ich aus der Parklücke herausfahren und stand dann hinter einem Honda und einem Opel Corsa an der Ampel, die eine sehr, sehr lange Rotphase hat. Endlich schaltete sie um, und Hondafahrer und Corsafahrerin fuhren los. Ich gab ebenfalls Gas, musste dann aber heftig bremsen, da eine ältere Frau, offenkundig Rentnerin, einfach bei roter Fußgängerampel weiterging. War ihr doch egal, ob sie Rot hatte und den Verkehr aufhielt … Ich hupte, sie blickte herüber, und ich zeigte auf die rote Fußgängerampel. Da lachte sie nur und zeigte mir einen Vogel. Ich ließ das Fenster herunter und fragte, was das denn, bitte, solle – sie sei im Unrecht und zeige mir noch einen Vogel? Ich konnte eh nicht weiterfahren, denn die Grünphase meiner Ampel war nur sehr, sehr kurz … 😉 Die alte Frau rief herüber: „Is mir doch egal, müssense ebend warten. Sind ja noch jung! Junge Leute können auch mal warten – ein bisschen mehr Rücksicht auf alte Leute, junge Frau!“ Na, wunderbar – verkehrte Welt …

Ich gestehe, ich war kurz davor, auszusteigen und mal so richtig Tacheles mit der Dame zu reden. Andererseits: Mit der Sorte Tacheles zu reden, hat meist eh keinen Nährwert. 😉 Kenne ich schon. Rief mir auch die Frau im Opel hinter mir zu, die ebenfalls das Fenster heruntergelassen hatte: „Lassense ma – dat hat keinen Sinn, Frollein! Auch wennse im Recht sind!“ Und so biss ich vor Wut ins Lenkrad, zumindest fast. Mir war jedenfalls sehr danach. Und als die Ampel nach gefühlten drei Stunden wieder auf Grün schaltete, gab ich so viel Gas, dass ich mit gefährlich quietschenden Reifen anfuhr. Und ich fuhr dann auch ziemlich dynamisch. Hoffentlich war da nirgendwo ein Blitzer … 😉

Es gibt in jeder Bevölkerungsgruppe nette Menschen – und andere. 😉

Aber wenn sie selber Hilfe brauchen …

Wie inzwischen allgemein bekannt, lese ich tagtäglich die Online-Version der Zeitung mit den drei Buchstaben. Nicht mit den vier Buchstaben, wohlgemerkt, der, die auch völlig Fehl-, in diesem Falle Kurzsichtige aus weiter Entfernung mitlesen können.

Aber ich lese diese Zeitung täglich, weil man ja doch irgendwie wissen möchte, was hier und anderswo so passiert. Erfreulich die Tage, an denen die Meldungen überwiegen, die so oder ähnlich lauten: „Hobbygärtner erntet Riesenkürbis“. Da weiß man, dass wohl zumindest am Tage davor nichts allzu Dramatisches passiert ist. Oder dass der Eindruck aufrechterhalten werden soll, dass nichts Dramatisches passiert sei. 😉

Heute war einer der Tage, da ich mir wünschte, niemals diese Seite besucht zu haben. Denn am späten Nachmittag las ich da folgende Überschrift: „Bankkunden lassen sterbenden Mann liegen – und heben Geld ab“.

Ich klickte die Meldung an und las. Innerhalb der ersten drei Zeilen dachte ich noch, es handle sich um einen dieser Tests, die TV-Sender bisweilen vornehmen, um ihrer pädagogischen Aufgabe nachzukommen, indem sie Un- oder Notfälle vortäuschen und die Reaktion der Mitmenschen aufzeichnen, um dann den Zuschauern klarzumachen, dass es so nicht weitergehen könne, wenn niemand helfe, nur weil da jemand in abgerissener Kleidung hilflos herumliege, während anderweitig dem in einen Armani-Anzug Gewandeten sofort Hilfe zuteil würde …

Nach den ersten drei Zeilen wusste ich, dass das kein Test war, sondern die grausame Realität. Da war ein alter Herr Anfang Oktober an einem Feiertag in seine Bankfiliale gegangen, um eine Überweisung am Kundenterminal vorzunehmen. Dabei war ihm wohl schlecht geworden, und er brach zusammen und blieb hilflos vor dem Terminal am Boden liegen.

Vier andere Kunden, die kurz darauf Bankgeschäfte vornehmen wollten, ignorierten den alten Herrn komplett, der da vor dem Terminal lag, um ihren eigenen Geschäften nachzugehen, Geld abzuheben, eine Überweisung zu tätigen. Keiner dieser vier half – es kam nicht einmal einer auf die Idee, den Herrn anzusprechen, ob denn alles in Ordnung sei. Er lag wohl hilflos da mitten im Weg, und die vier Kunden stiegen einfach über ihn hinweg, wie man über eine liegengelassene PET-Flasche hinwegsteigt, es sei denn, man hebt sie auf und entsorgt sie. Er habe sich noch bewegt, wie es seitens der Polizei hieß, die die Aufnahmen aus den Überwachungskameras auswertet. Bilder auch in der Zeitung.

Sehr dicht am Wasser gebaut, kamen mir die Tränen. Ich musste an meinen Vater denken, der bisweilen Herz-Kreislaufprobleme hat, auch schon das eine oder andere Mal umgekippt ist. Ich möchte gar nicht wissen, was ich empfinden würde, wäre er an Stelle des alten Herrn da in Essen in der Bankfiliale gewesen, wären Menschen, denen er egal wäre, einfach über ihn hinweggestiegen …

Ein Kunde, der später in die Bank kam, hat dann den Rettungsdienst gerufen, aber da war es wohl leider schon zu spät, und der alte Herr ist kurz darauf im Krankenhaus gestorben. Aber wenigstens einer hatte richtig reagiert. Dennoch möchte ich mir nicht ausmalen, was ich denken und empfinden würde, wäre das Papa passiert, und vier blöde Ignoranten hätten ihn da einfach liegenlassen, hätten nur einen großen Schritt gemacht, um über ihn hinwegzusteigen, möglicherweise noch sauer, dass da so ein blödes Hindernis im Weg liege!

Was geht in den Köppen solcher Menschen nur vor sich?

Das Schlimmste waren diverse Kommentare unter dem Artikel. Da schwadronierten Menschen, dass man ja nie wissen könne, wer da vor einem liege! Und erst letzten Sonntag hätte man doch im „Tatort“ gesehen, dass Hilfe bisweilen das eigene Leben kosten könne! Und es hätte ja auch ein Penner sein können, uringetränkt und stinkend! Da müsse man doch Verständnis haben, wenn man da … Ja, was? Wenn man da was? Nicht helfen würde? Warum? Sind sogenannte Penner weniger wert? Weil sie Penner und immer beduselt sind – weniger wert? Wer sagt das? Ihr? Wer seid ihr denn?

Immer mehr Kommentare taten sich auf, die immer mehr Ausflüchte zu Tage brachten. Und einige der Kommentatoren wollten schon mehrfach für sogenannte Penner, die sie geschönt als „hilflose Personen“ tarnten, wie sie das wohl irgendwann aus dem offiziellen Polizeijargon mitbekommen hatten, den Rettungsdienst gerufen haben und dann von selbigem „übelst beschimpft“ worden sein, weil die „hilflose Person“ dann keine Hilfe wollte. Nee, ist klar – dann beschließt man eben, dass man besser gar nicht mehr helfe, wenn man zu Unrecht angeblafft wurde, denn das geht ja gar nicht in so manches „Kleinhirn“ hinein! „Ich wurde angeblafft! ICH! Das geht ja gar nicht! Dann helfe ich eben nicht mehr – ätsch! Das habt ihr jetzt davon, und mir ist auch völlig wurscht, wenn dabei jemand über die Wupper geht! Es sei denn, ich! Denn das geht ja gar nicht, dass man mich hilflos irgendwo liegenlässt!“

Denn genauso sieht es doch aus. Man will sich selber nicht die vermeintlich elitären Fingerchen schmutzig machen, aber selber im Falle eines Falles bestmögliche und sofortige Hilfe bekommen. Wie mich das ankotzt!

Ich habe selber Fehler und Macken, aber sollte ich jemals so Scheiße drauf sein, hoffe ich, dass ich dann irgendwie dement oder sonstwas Umnachtetes sein möge!

Mir ist das selber schon passiert. Silvester in Aachen. Irgendwann gegen vier Uhr nachts am Neujahrsmorgen auf dem Heimweg, sah ich, wie ein sturztrunkener junger Mann mitten auf der Trichtergasse lang hinschlug und benommen auf dem Boden liegenblieb. Ich rannte hin, sprach ihn an, um zu testen, ob er bei Bewusstsein sei, denn er war richtig übel hingeknallt. Er konnte sich mehr oder minder klar äußern, wusste, wo er war, wie er hieß, und als ich fragte, ob ich den Rettungsdienst rufen solle, weil er eine stark blutende Platzwunde am Kopf hatte, pöbelte er mich an, rappelte sich hoch und verschwand schwankend mit den Worten: „Ich gehe jetzt nach Hause.“ Ich rief hinterher, ob er sich sicher sei, dass er keinen Arzt brauche, und er nannte mich etwas, das ich hier nicht wiedergeben möchte, und er drohte mir Prügel an. Da kann man nichts machen, und ich fand es auch total daneben. Aber trotzdem würde ich heute jederzeit wieder so handeln wie damals. Scheint manchem Geist aber nicht zuzumuten zu sein. Zurückweisung von Helfern seitens der Opfer geht bei manchen wohl gar nicht.

Ich hoffe, dass die ignoranten Bankkunden richtig eins vor den Latz bekommen. Zumindest dürften sie leicht zu finden sein, nachdem sie ihre Daten mittels Bankterminal so großzügig preisgaben.

Manchmal denke ich wirklich, in einem Paralleluniversum oder in einem dystopischen Roman gelandet zu sein.

Euch ein besinnliches Wochenende!

Dominosteine

Kürzlich berichtete mein Kollege Volker, er müsse zu einem Kongress nach Aachen. Ob ich ihm vielleicht ein paar Tipps geben könne, falls die Zeit reiche, die Stadt zu besichtigen. Ich gab Tipps en masse, und dann meinte er: „Ich liebe ja Printen! Kannst du mir sagen, wo man welche bekommt?“

Ich lachte mich scheckig. Man kann die Aachener Innenstadt nicht betreten, ohne andauernd über Läden zu stolpern, die das ganze Jahr über Printen verkaufen! Den meisten Leuten sind Printen und vergleichbare Süßigkeiten nur von Weihnachten her bekannt, aber in Aachen begegnet man ihnen ganzjährig und unübersehbar. 😉 Das ist ein echter Öcher Wirtschaftszweig. Die gibt es da immer, wie es auch weiter südlich in Nürnberg ganzjährig Lebkuchen zu kaufen gibt, und immer gibt es auch Leute, teilweise aus fernen Ländern, die mit vollen Händen Geld für diese Spezialität ausgeben, deren Fan ich gar nicht bin. (Im Gegensatz zu Lebkuchen.) Okay, bei Mandelprinten mit Vollmilchüberzug lasse ich fünfe gerade sein. 😉 Und ansonsten gehen so gerade noch die Aachener Originalprinten. Keineswegs aber die Kräuterprinten, zumal ich mir vor vielen Jahren mal einen Zahn abgebrochen habe, als ich ahnungslos eine solche essen wollte und nicht wusste, dass Kräuterprinten meist steinhart sind. Die muss man eintunken, in Kaffee oder Tee, bis sie genießbar sind.

Kaum war Volker abgereist, überfiel mich leise Wehmut. Aachen! Im Herbst! Irgendwie scheine ich immer noch dort zu leben, zumindest ein Teil von mir, und Aachen im Herbst und Winter fand ich immer am schönsten. Frühling, Sommer – da ist Aachen wunderschön. Alles blüht, viele Menschen aus verschiedenen Ländern bevölkern die Stadt. Wunderbar.

Aber im Herbst und Winter, wenn die Stadt den Mantelkragen hochschlägt, finde ich es da am schönsten. So heimelig. Vielleicht liegt es daran, dass Aachen so eine alte Stadt ist, mit einem alten Rathaus mittendrin, dem Dom, der speziell bei tiefstehender Sonne so verwunschen aussieht. Irgendwie vermisse ich das alles.

Wenn ich bedenke, wie ich mit fliegenden Fahnen nach 13 Jahren Aachen – erst Studentin, dann dort berufstätig – die Stadt gen Niederbergisches Land und später gen Ruhrgebiet verließ, frage ich mich jetzt noch, woher die Freude rührte. Wann immer ich jetzt nach Aachen komme, überfällt mich diese leise Wehmut, und ich sehe mich um, finde dies und das zwar nicht so toll, aber alles in allem doch wunderschön.

Als ich Volker die Tipps gab, war es wehmuttechnisch besonders schlimm. Ich sah all die Orte vor mir und dachte: „Wärest du mal dort geblieben! Du hattest einen guten Job, im Grunde war doch alles tutti – aber du wolltest ja mehr! Und das hast du jetzt davon!“ Dann musste ich aber daran denken, dass ich, wäre ich in Aachen geblieben, so viele Leute nicht kennengelernt hätte, an denen mir sehr viel liegt. Okay, vielleicht wäre mir auch mancher Kummer erspart geblieben, aber man muss das immer relativ sehen. Und da waren die aufsteigenden Tränen auch schon wieder weg.

Und recht forsch sagte ich zu Volker: „Fahr zum Werksverkauf der allerersten Printenfabrik am Platze! Und tu mir einen Gefallen: Bring mir eine große Tüte Dominosteine mit – Bruchware, denn da bekommt man wirklich sehr gute Ware! Nicht dieses Gezopp aus den Supermärkten.“ Volker schüttelte sich und meinte: „Iih! Dominosteine! Die fand ich als Kind besonders eklig!“ – „Du musst sie ja nicht essen! Tust du mir den Gefallen? Natürlich bekommst du das Geld zurück!“

Volker versprach, sein Möglichstes zu tun, und ich mailte ihm sogar noch verschiedene Busverbindungen zur Roermonder Straße.

Heute kam er von der Tagung zurück und überreichte Janine und mir je eine Packung … Kräuterprinten! Ich stutzte, bedankte mich aber höflich, und da meinte er: „Die sind ein Geschenk. Ali, deine Dominosteine sind auf der Rückfahrt mit dem Zug zu einem großen Klumpen zusammengewachsen – es war so warm im Zug! Die wollte ich dir nicht mitbringen. Sie liegen bei mir zu Hause. Wenn du sie haben möchtest, gern, aber das wollte ich dir nicht zumuten.“

Ich rief: „Nein, natürlich nehme ich die, auch wenn sie zusammenpappen! Und vielen Dank für die Kräuterprinten! Aber bring die Dominos doch bitte mit – aber nur, wenn ich dir das Geld dafür zurückgebe!“ – „Ach, das traue ich mich ja kaum, anzunehmen …“ – „Ich hatte dich darum gebeten, und das unter Erstattung der Kosten. Wieso sollst du darauf sitzenbleiben? Wenn ich dich recht verstanden habe, hasst du Dominosteine. Und mein Traum war immer, einen Kuchen zu haben, der wie ein Dominostein aufgebaut ist. Und wenn ich dich recht verstanden habe, sieht das Ergebnis ja jetzt fast so aus, nach der Zugfahrt.“

Volker staunte. „Du bist echt … besonders, Ali.“ – „Was soll das heißen? Besonders bekloppt?“ – „Nee. Du hast aber offenbar ein besonderes Gemüt. Ich hatte Angst, was du sagen würdest, wenn ich dir mitteilen müsste, dass deine Dominosteine den Bach hinuntergegangen seien – und da kommst du an und erklärst, ein großes Konglomerat sei dir am liebsten! Klar bringe ich dir das Ganze mit.“ – „Und du bekommst das Geld wieder.“ – „Darüber sprechen wir noch.“

Nein. Werden wir nicht. Er bekommt sein Geld und ich die zusammengepappten Dominosteine. 😉 Bei Bedarf schneide ich mir dann immer ein Stück davon ab. Man muss das Ganze pragmatisch sehen. 😉 Wann immer mich das „Heimweh“ überfällt, schneide ich ein Stück Aachen ab, statt mir gleich einen ganzen Dominostein in den Mund zu stopfen. (Seit ich als Sechzehnjährige erstmalig in der ersten Printenbäckerei am Platze im Werksverkauf eine Riesentüte Bruch-Dominos gekauft habe, weiß ich, wie schnell man deren überdrüssig werden kann, und deswegen sind kleine Dosen einfach besser, wenn einen das Heimweh überfällt. 😉 )

Am besten ist übrigens die Marzipanschicht. Und am allerbesten, wenn die Ware direkt aus dem Werksverkauf kommt. Ein Unterschied wie Tag und Nacht zur Ware aus den Supermärkten. 😉

Dennoch – ich sollte bald mal wieder selber nach Aachen fahren …

„Hallo Mädels!“ Oder: Der Ton macht die Musik

Ich weiß nicht, wie ihr es haltet, wenn ihr einen neuen Job antretet. Bei mir liegt das recht lange zurück, aber ich erinnere mich gut daran, dass ich die Füße stillgehalten habe, jedoch zusah, dass ich – als Unterstützung engagiert – auch recht rasch als Unterstützung tätig wurde. Der Sprung ins kalte Wasser ist zwar nicht ganz so angenehm, aber hilfreich. Man muss eben sofort losschwimmen. 😉

Unsere neue Kollegin hat wohl zu Anfang erklärt, die Aufgabe, die sie bei uns erwartete, sei „kleine Fische“ oder „Peanuts“. Immerhin sei sie zuvor persönliche Assistentin des Chefs eines größeren Unternehmens gewesen! Da sei das, was mein Arbeitgeber zu bieten hätte, ja wohl Kinderkram. Ja, so macht man sich gleich Freunde …

Dann, an ihrem ersten Arbeitstag vor vier Wochen, sah sie meine Epicondylitis-Spange an meinem rechten Arm und meinte: „Das dauert jetzt aber schon ziemlich lange da mit Ihrem Arm. Als ich neulich zum Schnuppertag da war, haben Sie den Arm ja sogar in einer Bandage getragen. Finde ich schon ein wenig lange!“ Ich starrte sie an und meinte: „Bitte?“ Da sagte sie: „Ja, ich meine, das ist schon ziemlich lange, dass ein Arm nicht funktioniert!“ – „Äääh … Hatten Sie schon einmal eine Sehnenscheidenentzündung?“ – „Nein! Niemals!“ – „Ah. Naja, wollen wir hoffen, dass es dabei bleibe. Das dauert nämlich unter Umständen sehr lange und kann auch chronisch werden.“ Ich verkniff mir die Info, dass mein Arzt mich eigentlich hatte krankschreiben wollen. Wäre hier wohl eher suboptimal gewesen. Die neue Kollegin erklärte mir daraufhin wie aus dem Lehrplan einer Physiotherapeutin im ersten Lehrjahr, dass Sport die Dinge vereinfache. Ach! Das Gros der Menschen, die ich kenne und die eine Sehnenscheidenentzündung – chronisch – haben, hat sich diese erst durch Sport angeeignet. Gut, ich nicht, aber egal. Ich sagte lieber nichts. Es war ihr erster Tag – da ist man immer ein bisschen nervös.

Ich gebe zu, die neue Kollegin hatte bei mir schon da nicht gerade Pluspunkte ergattert. Was ging sie mein blessierter Arm an? Wozu diese Belehrungen, als sei ich gerade vom Mars gelandet und sie die Einzige mit Durchblick? Und wollte sie den Laden jetzt erst einmal aufmischen? Mich als Weichei hinstellen, das ich nicht bin? (Ich hätte mich in der Tat krankschreiben lassen können, war es nach dem Arztbesuch aber nicht, weil ich gesagt hatte, das wolle ich nicht. Inzwischen ist leise Reue aufgekommen …)

Wann immer ich ihr bisher begegnete, fragte sie mich entweder nach meinem Arm („Ist der etwa immer noch nicht besser?!?“), oder sie hatte einen Kalenderspruch auf den Lippen. Und wer hier ein bisschen liest, weiß, wie sehr ich Sinnsprüche liebe … 😉

Kürzlich fiel sie am Drucker über Janine her und zwängte ihr das eigentlich zu diesem Zeitpunkt ungewollte Du auf (ich berichtete). Seitdem mache ich mir Gedanken, wie man freundlich, schlimmstenfalls wenigstens höflich zum Ausdruck bringen könne, dass man das – zumindest derzeit – nicht wolle, und inzwischen habe ich nicht nur Plan A, sondern auch B. Ich weiß, ihr haltet mich für spießig, aber ich hasse es einfach, nicht selber bestimmen zu können, wen ich duzen oder mögen soll. Man muss den Leuten doch Zeit lassen, und außer dem Dialog über meinen frecher Weise erkrankten Arm habe ich noch keine Gelegenheit gehabt, die neue Kollegin im Gespräch zu erleben. Da ist doch das Sie eher angebracht, finde ich.

Gestern sprach ich mit Kollegin Daniela, die die neue Kollegin einarbeiten soll. Die meinte: „Ach … Frau Z. war auch schon ganz irritiert, dass du ihr nicht gleich das Du angeboten hast, und sie meinte, als sie dich darauf ansprechen wollte, habest du gerade telefoniert.“ – „Findest du es nicht etwas komisch, dass sie darauf dringt, unbedingt geduzt zu werden, obwohl sie als Letzte dazugekommen ist? Ich kenne das nicht so, und irgendetwas sträubt sich in mir auch.“ – „Aber mir hast du das Du doch schnell angeboten, Ali! Was ist anders?“ – „Die Wellenlänge.“ – „Ja, okay. Ich hoffe, du bereust nicht inzwischen, mich zu duzen.“

Daniela ist manchmal etwas unsicher, und sie meinte es nett. Ich rief: „Ja, bist du denn bekloppt?!? Komm mal her!“ Und ich nahm sie in den Arm und meinte: „Wieso sollte ich das, bitte, bereuen? Bei dir habe ich ziemlich schnell gemerkt, dass das passe, und ich mag dich sehr gern!“ Sie drückte mich auch ganz fest und meinte: „Ich dich auch! Du bist immer so erfreulich offen, und ich unterhalte mich so gern mit dir!“ – „Dito! Alles ist gut. Das kann man gar nicht vergleichen!“

Sie sah mich dann etwas besorgt an und meinte: „Im Grunde sehe ich es ähnlich. So richtig passt das nicht.“ Ich sagte schnell: „Ich denke, es braucht einfach ein wenig Zeit. Die sollte man uns aber auch lassen und nicht einfach vorpreschen. Ich kann nur für mich sprechen, aber ich weiß, dass ich darauf ziemlich nickelig reagiere. Vielleicht warnst du sie ein bisschen vor.“ – „O Gott! Da bin ich ja gerade die Richtige!“ – „Sag ihr nichts davon, dass mich diese Zwangsverbrüderung störe – gib ihr nur einen leisen Tipp, dass sie das etwas langsamer angehen solle, weil nicht alle das so mögen.“

Daniela arbeitet halbtags und vormittags. Nachmittags war die neue Kollegin erstmals gestern ganz allein da. Und irgendwann schickte sie dann eine Mail. „Für euch liegt Post beim Pförtner“ lautete der Betreff der Mail, die sowohl an Janine, als auch an mich gegangen war. Ich entdeckte sie als Erste, und ich öffnete sie und prallte fast zurück, denn da prangte: „Hallo Mädels!“ als Anrede. Ich fing zu lachen an, und Janine fragte, was los sei. Ich informierte sie über „Hallo Mädels!“, und ihr fielen fast die Klüsen aus dem Kopf! „Wie bitte? ‚Hallo Mädels‘? Ja, haben wir schon einmal zusammen Schweine gehütet? Einen Mädelsabend gehabt und mehrere Flaschen Rotweins zusammen geleert? Mir stinkt ja schon, dass sie mich so mit dem Du überfallen hat – und jetzt das noch als Krönung? Wofür hält die uns? Und wofür hält sie sich? Für unsere Chefin, die mit uns so reden kann? Ich meine, sie betont ja immer wieder, dass sie bis vor kurzem Chefassistentin in einem großen Unternehmen gewesen sei, aber ich meine, gerade Chefassistentinnen sollten wissen, wie man mit Mitarbeitern umgehe, vor allem solchen, die man noch gar nicht kennt! Aaah!“ Ich lachte immer noch, und Janine wurde immer zorniger: „Ich gehe jetzt gleich hin und sage ihr, dass ich sie künftig wieder sieze!“ – „Nein! Nicht!“ – „Ja, möchtest du mit ‚Hallo Mädels‘ angeredet werden, obwohl du hier die Dienstälteste bist?“ – „Nein.“ – „Also!“ – „Ja, aber … Am Ende erinnerst du sie daran, dass sie mich ja auch noch unbedingt duzen will!“ – „Ja, super! Danke! Fall mir auch noch in den Rücken!“ – „Ich falle dir nicht in den Rücken! Aber wir wollen doch hier keine Grabenkämpfe, oder?“ – „Hrrrmpf!“ – „Zumindest fürs Erste nicht.“ – „Na gut. Mir stinkt halt nur, dass ich ihretwegen nun eine Aufgabe aufs Auge gedrückt bekommen habe, der sie sich versperrte, weil sie ja ‚erst so kurz hier‘ sei. Aber uns duzen wollen und ‚Hallo Mädels‘ schreiben: das kann sie schon! Ich befürchte einfach, dass sie ihres höheren Alters wegen glaubt, sie sei hier die Chefin!“ – „Das befürchte ich zwar auch, aber wir sollten ihr den Zahn behutsam ziehen.“ – „Naja, okay.“

Heute früh traf ich Daniela einmal mehr in der Küche. Ich begrüßte sie fröhlich, und sie meinte nur: „Sag nichts, Ali! Ich habe die Mail von Gudula gestern gesehen, als ich von zu Hause kurz in die Dienstmails sah …“ (Bin ich eigentlich die Einzige, die zu Hause nie in die Dienstmails guckt? Habe ich mir schon lange abgewöhnt – aber ich bin ja auch die Dienstälteste … 😉 ) Ich grinste und meinte: „Hallo Mädels?“ – „Genau die! Ich dachte nur: ‚Ach, hat sie Ali nun auch das Du aufgenötigt?‘ Aber dann dachte ich mir: ‚Niemals! Ali wollte das partout nicht!‘ Und dann wurde mir die volle Tragweite des Grauens klar … Ich hoffe, sie ist nur ein bisschen unsicher und wusste nicht, wie sie das händeln sollte, aber wenn ich ganz ehrlich bin, klang ihre Mail eigentlich sehr selbstsicher und von oben herab. O Gott – ich hoffe, wir haben uns nicht etwas eingehandelt!“ – „Ganz ruhig – wir kriegen das schon hin. Eigentlich wollte ich auch nur fragen, ob du nicht mit Lydia, eventuell Janine und mir am Elften abends ein wenig ausgehen möchtest. Wir wollen essen gehen.“ Daniela machte ganz große Augen, dann meinte sie: „Bist du sicher, dass Lydia mich dabeihaben will? Ich bin doch ihre Nachfolgerin, und sie ist immer so etwas … naja, zurückhaltend mir gegenüber …“ Ich lachte, kniff Daniela sachte in den Arm und meinte: „Sei dir sicher, sie will dich dabeihaben. Alles geklärt. Und Lydia ist anfangs immer sehr zurückhaltend. Das bedeutet nichts Böses. Sie ist anfangs so, wie ich es im Grunde auch bin. Sie ist nur ruhiger als ich, aber du siehst ja: Beim Thema Duzen unter Zwang reagiere ich ähnlich.“ – „Gib es zu: Es war deine Idee, mich mitnehmen zu wollen!“ – „Ja, weil ich denke, das sei eine schöne Sache – immerhin haben wir vier hier ja auch zusammengearbeitet und verstehen einander. Und Lydia fand die Idee auch gut, also sei beruhigt.“ – „Und was ist mit Janine?“ – „Die mag dich auch sehr und freut sich. Frau Z. kommt künftig, wenn alles gut geht, dann auch mit.“ Daniela grinste und meinte: „Wollen wir das Beste hoffen.“ Und sie freute sich sichtlich.

Bis sie eine halbe Stunde später mit resignierter Miene zu uns ins Büro kam und meinte: „Frau Z. war auf so gutem Wege und arbeitete partiell schon selbstständig. Aber heute rennt sie wieder wie eine kleine Ente hinter mir her und fragt dauernd: ‚Wie macht man dies? Wie macht man das?‘ Und dabei erzählt sie jedem, der es mehr oder minder wissen will, sie sei immerhin Chefassistentin …“ – „Stop!“ schrie ich. „Bitte nicht wieder! Ich hege allmählich Zweifel an der Geschichte!“ – „Ich auch,“, sagte Daniela matt. „Wir gehen bald essen und haben einen total lustigen Abend!“ rief ich, und da grinste sie schon wieder.

Nein, wir sind nicht fies zu neuen Kolleginnen! Aber diese hier ist extraordinär. Und zum Glück stellt sich gerade heraus, dass ich offenbar beileibe nicht die Einzige bin, die damit ein Problem hat … Warten wir ab, wie es weitergeht – vielleicht platzt ja der Knoten. 🙂 Wir werden es beim italienischen Essen mit viel Wein besprechen. 😉

Euch einen schönen Abend! 🙂

Monday mood

Heute war so ein richtiger Montag. Morgens regnete es bereits, und es regnete den ganzen Tag und wurde nicht richtig hell. Ich musste mit Straßenbahn und Bus fahren, da ich nachmittags einen Termin beim Arzt hatte, und um dessen Praxis herum ist die Parkplatzsituation einfach nur grauenhaft. Also lieber mit dem ÖPNV fahren. Leider fing aber heute auch die Schule nach den Herbstferien wieder an, und in der Straßenbahn herrschte um 7:15 Uhr ein Geräuschpegel wie im Primatenhaus kurz vor der Fütterung. Da liebt man den Montag doch gleich noch viel mehr …

Chef heute nach dem Urlaub den ersten Tag wieder da. Höfliches Geplänkel, dann sein erster Termin. Aaah – sehr gut, erst einmal richtig wach werden.

Gegen 9 kam Janine dann an, und ab da wurde es zumindest etwas lebhafter. Rasch die inzwischen angefallenen Arbeiten erledigt, dazu Kaffee. Irgendwann dann druckte Janine etwas auf dem Farbdrucker aus, der im Flur steht, und es war auch noch für mich bzw. meinen Chef. Auf dem Flur hörte ich sie mit der neuen Kollegin sprechen, die – ich glaube es zumindest oder habe so ein unbestimmtes Gefühl – nicht so ganz mein Fall ist. Sie ist der Typ „ältere Kindergärtnerin, sehr energisch“ bzw. „Erzieherin alter Schule“ oder „besonders energische Krankenschwester, die keinen Widerspruch duldet“. Schon, als ich sie die ersten zwei Male erlebte, meinte ich zu Janine: „Die hat uns binnen kürzester Zeit im Griff und so eingenordet, wie sie es will.“ Janine meinte nur: „Nee, nicht mit mir.“

„Nee, nicht mit mir“ kam vom Flur zurück, die neue Kollegin im Schlepptau, die sagte, sie müsse mich gleich unbedingt sprechen. Da telefonierte ich gerade, und sie meinte, sie käme dann später noch einmal vorbei. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass irgendetwas im Busch sei, das mir vielleicht nicht so gefallen würde, und so nickte ich nur freundlich.

Kaum hatte sie den Raum verlassen, schloss Janine auch schon mit Nachdruck die Tür zum Flur und meinte: „Du wirst es nicht glauben, aber ich bin gerade überrumpelt worden!“ – „Was ist passiert?“ – „Nun, ich duze mich jetzt mit der neuen Kollegin. Aber – das wollte ich gar nicht. Jedenfalls nicht so schnell! Die ist doch erst zwei Wochen hier, und ich habe so das Gefühl, dass sie nicht so mein Typ ist.“ – „Oh.“ – „Ja. Ich wollte es dir nur sagen, denn möglich, dass sie dir das auch noch aufdrücken will.“

Nicht falsch verstehen, bitte. Ich habe rein gar nichts dagegen, mich mit Kollegen zu duzen, aber ich mag es ganz und gar nicht, wenn ich überfahren werde. Ich habe so etwas schon öfter erlebt, und das endete dann nicht selten damit, dass es hieß: „Ach, Ali, könntest du mal …?“ Auch dagegen habe ich gar nichts. Nur dann, wenn es sich um Aufgaben handelt, die der andere eigentlich machen sollte, aber lieber einen Tag weniger arbeitet und ich dann die Doofe bin, die Aufgaben machen muss, die eigentlich nicht meine sind.

Kurz: Ich bin da sehr vorsichtig, und ich sehe mir Leute erst genau an, bevor ich mich mit ihnen duze. Und ich sieze mich lieber etwas länger, wenn ich neu dazugekommen bin, als als Neuling anderen das Du aufzunötigen. Nennt mich spießig – das bin ich in der Hinsicht eigentlich nicht. Ich mag diese Zwangsverbrüderungen nur nicht so gerne, wenn man sie (noch) gar nicht will.

Als 2013 Kollegin Sybille anfing, war ich diejenige, die sie am längsten gesiezt hat. Nicht etwa, weil ich sie nicht mochte, nur, weil ich etwas zurückhaltender bin. Ich habe auch den Kollegen Frederik ganz lange gesiezt. Ebenso Ex-Kollegen Chuck, obwohl ich beide wirklich mag. Ich brauche eine gewisse Zeit zum Beobachten und Auftauen. Ich muss mir Leute erst eine Weile ansehen. Stelle ich fest, dass sie nett sind, würde ich sie allerdings dann auch bis aufs Knochenmark verteidigen. Den einen vielleicht ein bisschen weniger, den anderen mehr. In der Hinsicht könnte ich glatt ein echter Münsterländer sein. 😉 Denen sagt man auch nach, dass man nicht leicht an sie herankomme. Aber wenn, habe man Freunde fürs Leben.

Janine war auch nicht glücklich mit dieser Zwangsbeduzung, und sie räsonierte: „Ich sage es dir, das wird kein gutes Ende nehmen. Neulich meinte sie ja schon, als sie etwas machen sollte, sie sei ja erst kurz hier – das sollten doch lieber andere machen! Und nun, da ich mich – wenn auch unfreiwillig – mit ihr duze, wird sie sicherlich öfter kommen und sagen: ‚Janine, kannst du mal …? Ich bin ja noch neu und nur vier Tage die Woche hier …‘“

„Hat sie das wirklich gesagt?“ – „Was?“ – „Sie sei ja erst kurz hier.“ – „Ja.“ – „Ach, aber Dienstälteren dann das Du aufnötigen, das kann sie, wenn sie auch ihre originären Aufgaben wegen erst kurzer Tätigkeit nicht ausüben kann! Dabei ist der Sprung ins kalte Wasser doch das Beste, was passieren kann, wenn man Kollegen kennenlernen will! War bei mir jedenfalls bisher immer so.“ – „Ja, sehe ich genauso.“ – „Super. Ich denke aber nicht, dass sie mir das Du anbieten wird. Ich bin ihr gegenüber noch sehr distanziert.“ – „Wollen wir wetten?“

Heute kam ich darum herum. Aber was ist morgen? Nein, ich habe nichts gegen Duzen oder Geduztwerden, ich finde nur etwas verfehlt, wenn die Dienstjüngste es einem aufdrängt, die schon zuvor nicht so positiv aufgefallen ist. Ich weiß gar nicht, wie ich darauf reagieren soll. Oder doch? Ach, ich werde einfach ganz ali-like reagieren, auf ihre mögliche Ansprache erstaunt blicken, zögern und dann sagen: „Ach … Naja, gut. Können wir machen.“ Ja. Ich bin ein Arsch. 😉 Aber ich lasse mich nicht gern überrollen. 😉

Zum Glück musste ich heute früh los, da meine Laser-Kontrolluntersuchung anstand. Im strömenden Regen sauste ich gen Bus, der mich pünktlich an der zentralen Straßenbahn-Haltestelle absetzte. Ich konnte dann auch gleich umsteigen und war pünktlich beim Arzt, bei dem ich dann allerdings noch lange warten musste.

Immerhin gibt es „Wartezimmer-TV“. Und das kann wirklich einlullend wirken, wenn man lange warten muss, denn ich ertappte mich dabei, dass ich später meine Ärztin, Frau Dr. te Haaren, fragte: „Gibt es eigentlich ein Leistungsverzeichnis mit Preisen für selbst zu bezahlende Behandlungen?“ – „Was möchten Sie denn gerne wissen, Frau B.?“ Und es brach aus mir heraus: „Fruchtsäure-Peeling!“ Sie lachte und meinte, ich sollte mal an der Anmeldung fragen …

Ich ahnte es ja schon immer: Ich bin für Werbung sehr empfänglich … 😉 35,- Euro kostet die Behandlung, und ich habe das unbestimmte Gefühl, dass ich in absehbarer Zeit … Aber lassen wir das. Werdet ihr mal älter! Ihr werdet euch noch umgucken! 😉

Frau Dr. te Haaren sah sich die gelaserte Stelle unter meinem Auge an, und sie meinte: „Da sind wohl weiter unten liegende Gefäße zum Vorschein gekommen.“ Hätte ich es nicht selber jeden Tag mehrfach im Spiegel gesehen, hätte ich wohl gesagt: „Geldschneiderei – vielen Dank für die Behandlung.“ Aber ich hatte es ja selber gesehen, und so meinte ich nur auf ihre Frage, ob wir da noch einmal nachlasern sollten: „Ja, bitte.“ Ich klang sehr abgeklärt, wenn ich bedenke, wie sissymäßig ich mich beim ersten Lasern angestellt hatte. Und heute ging es auch schneller, tat aber trotzdem weh. Aber immerhin kostete es nur die Hälfte, da es eine „Korrekturbehandlung“ war. Allerdings fühlte ich mich zunächst auf dem linken Auge ein wenig geblendet, trotz Schutzvorrichtung …

Wenn ich bedenke, dass mehrere Leute meinten, der Stein des Anstoßes sei für sie aus gewisser Entfernung nicht zu sehen, frage ich mich schon, warum ich so viel Geld ausgegeben habe für Schmerzen unter dem Auge … 😉 Aber des Menschen Wille ist sein Himmelreich – so heißt es zumindest.

Auf dem Rückweg vom Arzt kaufte ich ein, holte danach endlich meine neuen Kontaktlinsen ab, die ich immer im Internet bestelle und die in einem GLS-Shop auf mich warteten – ich sollte dringend mal wieder einen Augenarzttermin machen -, und dann ging ich nach Hause. Endlich Ruhe!

Und da fiel mir auch wieder ein, dass meine Oma Margareta heute Geburtstag gehabt hätte. Und sentimental, wie ich bin, habe ich erst einmal eine Kerze angezündet. Fünf Jahre ist es jetzt her, aber mir kommen noch heute die Tränen, wenn ich daran denke, wie sie gestorben ist. Einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Sie war dement, als sie starb, lange zuvor schon gewesen, und als meine Mutter mir erzählte, sie habe seit neuestem ein Faible für Stofftiere, habe ich ihr eines gekauft. Ein kleines, weißes Lamm, und meine Mutter hat ihr erzählt, das sei von mir. Das lag wohl bei ihr, als sie starb.

Ich hoffe, der morgige Dienstag werde etwas „fluffiger“. Es kann nur besser werden. 😉

Trends, Hypes und Neurosen

Das Leben, es scheint nicht ohne Trends zu funktionieren. Klar, man braucht ja auch irgendwie einen Leitfaden, der einem durch das oft dichte und unwegsame Gestrüpp hilft. Ich weiß, wovon ich spreche. Als bloßer, lockerer Faden ist das ja auch gar nicht so verkehrt.

Mir gehen Trends trotzdem bisweilen auf den Geist. Ganz zu schweigen von den sogenannten „Hypes“. Ich denke mir oft: „Hype und Hysterie haben einiges gemeinsam – nicht nur die ersten beiden Laute.“ Ein Hype ist noch viel krasser als ein bloßer Trend. Und manchmal gleitet das Ganze sogar ins Absurde ab, wie ich schon als Kleinkind feststellen durfte.

Irgendwann, als ich noch sehr klein war, breitete sich – einer Viruserkrankung nicht unähnlich – eine gewisse Unruhe in der Wohnsiedlung aus, in der mein Elternhaus steht. Es waren damals alles Neubauten, erst kurze Zeit zuvor wirklich und definitiv fertiggestellt, und schon schwappte die erste Umbauwelle über die Siedlung. Nachbarn bekamen Holz geliefert oder karrten es in ihren Autos selber heran. Nur meine Familie war völlig out, wie sich herausstellte, als unser direkter Nachbar eines Tages meinen Vater fragte: „Habt ihr auch schon Holz unter der Decke?“ Eindeutig nicht im Trend, denn mein Vater sagte: „Nein. Wozu?“ Der Nachbar starrte ihn völlig irritiert an und meinte: „Ja, äh, das ist doch total in! Und sieht richtig gut aus – viel gemütlicher.“ Mein Vater, ein eher konservativer Mensch, meinte, ihm würden klassisch verputzte, weiße Decken besser gefallen, zumal diese die Räume optisch vergrößerten. Der Nachbar war sprachlos ob dieser absoluten Trendverweigerung, und in der Zeit darauf musste mein Vater sich von anderen Nachbarn öfter anhören, dass er da ja völlig aus der Zeit gefallen sei. Das war meinem Vater egal, und meine Mutter meinte nur, in die Wohnräume käme ihr kein Holz – sie wolle sich nicht wie in einem skandinavischen Sommerhaus fühlen. Wenn sie skandinavisches Sommerhaus wolle, würde sie im Sommer nach Skandinavien fahren. Holzverkleidung gibt es in meinem Elternhaus nur im Partykeller. 😉 Der Partykeller war damals ganz wichtig – davor haben auch meine Eltern sich nicht verschlossen. 😉

Drei Jahre später war zu beobachten, wie viele Nachbarn Holzabfälle, genauer: demontierte Holzverkleidungen abtransportieren ließen. Muss ich mehr sagen? Unser Nachbar meinte dazu: „Wir haben das Holz wieder herausgerissen – die Decken wirkten so niedrig, und man fühlte sich wie in einer Blockhütte. Hat ja auch keiner mehr.“ Meine Mutter meinte nur: „Meine Worte“, und auf dem Gesicht meines Vaters erschien ein leises, sarkastisches Grinsen.

Ich bekam die Auswirkungen diverser „Schöner wohnen“-Trends mit. Auch, wie sie wieder entfernt wurden. In den ausgehenden Achtzigern dann ein Trend, den auch meine Mutter unbedingt mitmachen wollte: der Gartenteich-Trend. 😉 Es gab kaum einen Garten, in dem nicht die Besitzer schwitzend mehr oder minder große Löcher ausgehoben hätten, dann stöhnend Teichfolie und Filter installierten, schließlich Wasser in den Teich ließen und verschiedene Sorten und Arten von Fischen hineinsetzten. Und das unermüdlich, denn plötzlich besuchten völlig ungewohnte Vögel die Gärten, darunter ein sehr hartnäckiger Graureiher, der sich offenkundig freute, einen so verschwenderisch gedeckten Tisch in den Gärten vorzufinden. Auch meine Mutter fuhr wiederholt ins Zoogeschäft, um Goldorfen, Moderlieschen und Goldfische im Wechsel nach Hause zu bringen. Die Moderlieschen hatten das meiste Glück, denn sie sahen so unscheinbar aus, dass der Reiher sie wohl nicht so gut sah wie die orangefarbenen Goldfische und -orfen. Letztere stürzten sich bisweilen auch von selber in den Tod, indem sie aus dem Teich sprangen, wohl auf der Nahrungsjagd, und dann selber unfreiwillig zur Nahrung wurden.

Der Teich ist nach wie vor vorhanden, zumindest bei meinen Eltern. Und er ist wirklich sehr, sehr schön, die Umrahmung schön bepflanzt. Andere Nachbarn haben ihre Teiche wieder zugeschüttet. Zu viel Arbeit, zu viel Ärger mit dem räuberischen Reiher, Schlaflosigkeit wegen der Konzerte der ebenfalls zugewanderten Frösche, Enten im Garten – was weiß ich.

Als ich zur Schule ging und noch jünger war, war ich auch anfällig für Trends. Es durften nicht irgendwelche Schuhe sein, nein! Die, die gerade angesagt waren, bitte schön! Meine Eltern gaben manchmal nach, aber ich musste auch öfter mein Taschengeld opfern. Ich finde diese Einstellung gut und bin dadurch keineswegs traumatisiert worden. 😉

Später waren Trends weniger wichtig für mich. Klar, manche Sachen finde ich auch schön, und ich kaufe mir auch manches Mal etwas, das gerade im Trend ist, aber mir ist es nicht so wichtig, „trendy“ zu sein. Mir gefallen die Sachen – das ist für mich ausschlaggebend. Die Sache an sich, nicht die Hülle.

Bei Hypes bin ich gar extrem skeptisch. Um manche Dinge wird ein Brimborium gemacht, allenthalben und an jeder Ecke wird davon berichtet, als seien diese Dinge langersehnte Heilsbringer. Nicht einmal Bücher sind davor gefeit. Ich erinnere mich noch daran, wie ich in den ausgehenden Neunzigern mal gefragt wurde: „Wie? Du hast noch nie ‚Harry Potter‘ gelesen?!?“ In einem Ton, als hätte ich zugegeben, noch Jungfrau zu sein. Ich ließ mir von „Harry Potter“ berichten und meinte: „Ich glaube, das ist nicht so mein Genre.“ – „Was?!? Aber das lesen alle jetzt!“ Als wäre das ein Qualitätsmerkmal. Nichts gegen „Harry Potter“, denn inzwischen habe ich zumindest ein Buch gelesen und fand es nett. Aber es ist nicht mein Genre, und ich fand diese Hysterie einfach irritierend.

„Das machen alle“ und „Das ist aber total angesagt“ sind Sätze, keineswegs Argumente, die mich nicht überzeugen können. Ich mache mir gern selber ein Bild. Und somit können Hypes bei mir auch nicht als „Leitfaden“ dienen. (Vor allem dann nicht, wenn ich betrachte, was manchmal zum Hype wird. Im Moment sind es die bereits erwähnten Grusel-Clowns, und das finde ich einfach nur schwachsinnig, vor allem, wenn einige Leute dümmlich das, was zunächst ein Scherz sein sollte, komplett aus dem Ruder laufen lassen.)

Man sollte es mit diesen Fäden aber auch nicht übertreiben. Eine Bekannte von mir, die recht viele Schuhe ihr eigen nennt, hat diese nach Farben sortiert im Schrank, jedes Paar in seinem Originalkarton, und im jeweils linken Schuh liegt ein handgeschriebenes Zettelchen, wann gekauft, wann zum letzten Mal beim Schuster, wann zuletzt getragen. Als ich sie fragte, wozu dies diene, erklärte sie mir: „Um die Abnutzung der Sohlen zu dokumentieren.“ Ah, ja.

Geht sie essen, nimmt sie stets eine Kalorientabelle mit. Nichts darf dem Zufall überlassen werden, alles muss reglementiert, zementiert, betoniert sein. Es ist irritierend, zumindest für mich, die ich so etwas bedrückend einengend finde, was ich gar nicht haben kann, und ich würde es begrüßen, wenn sie nicht noch andere hineinziehen würde. Ich will nicht auch an Krücken durchs Leben gehen. Nicht, wenn es nicht nötig ist. Ich mag die Bekannte durchaus, aber manchmal muss ich schwer an mich halten. Bis jetzt ist es gelungen, aber es ist nicht einfach, denn ich finde, das ist kein Leitfaden mehr, sondern eine ausgewachsene Neurose. Gut, ich bin zwar der Meinung, dass das Gros der Menschen, die ich so kenne, geringfügige neurotische Züge aufweise, eben mehr oder weniger, und ich nehme mich ganz gewiss nicht aus. 😉 Aber das hier ist schon ein bisschen stärker. Ich sage meist gar nichts dazu, denn es ist ihre Sache, und wenn sie sich so wohlfühlt, ist es prima. Nur bitte andere Leute da heraushalten. 😉

Kommt mir nicht mit Trends oder Hypes – ich mache Dinge am liebsten so, wie sie mir gefallen und ich niemanden dabei verletze.

Einen schönen Wochenstart und einen schönen Montag wünsche ich im ruhigen Gefühl, dass der Montag sicherlich nie zum Hype werden wird … 😉

Manchmal glaube ich, ich sei in einem Irrenhaus …

Das sage ich öfter, wenn ich bei der Arbeit bin. Ich denke, das werden auch viele andere Arbeitnehmer sagen, und ich bin gewiss nicht die Einzige. 😉 Aber um die Arbeit soll es hier mal nicht gehen. Arbeit habe ich von montags bis freitags genug um die Ohren. 😉

Es ist nur so, dass ich mich kaum noch traue, in die Zeitung zu gucken oder den Fernseher einzuschalten. Allenthalben scheint der Irrsinn zu grassieren – zumindest kommt es mir so vor. Oder bilde ich mir das nur ein? Manche Menschen proklamieren ja, es sei alles nur Einbildung, aber mein Gefühl trügt mich nur selten …

Vorhin musste ich noch einmal in den Supermarkt – ich hatte gestern vergessen, Kaffee zu kaufen, und das geht gar nicht! Auch, wenn ich am Wochenende öfter Tee trinke. Manchmal überfällt mich dann doch der Wunsch nach einer Tasse Kaffee – und dann ist keiner da! Nicht auszudenken.

Es war bereits dunkel, als ich das Haus verließ. Ich bin normalerweise kein ängstlicher Mensch, nicht in dieser Hinsicht. Aber heute fühlte ich mich ein wenig anders, denn in den letzten Tagen wurde in der Zeitung mit den drei Buchstaben wiederholt von „Grusel-Clowns“ berichtet – offenbar derzeit unter Zeitgenossen, die nicht die hellsten Kerzen auf der Torte sind, der letzte Schrei -, die harm- und arglose Passanten quasi zu Tode erschrecken. Mehrere Attacken speziell hier in meiner Stadt, wobei bei einem Angriff zwei dieser Geistesgrößen sogar ihr Opfer mit einem Messer verletzten. Nicht nur hier in meiner Stadt, sondern hier in meinem Stadtteil, nur wenige Straßen von meiner Wohnung entfernt. Und es gibt ja immer wieder Zeitgenossen, die das alles so toll finden, dass sie es gleich nachmachen müssen. Ich sagte ja: nicht die hellsten Kerzen auf der Torte.

Und so ging ich vorhin durch die trotz Beleuchtung recht finstere Straße, in der ich lebe, meine geringe Körpergröße dadurch aufwertend, dass ich die Schultern zurückdrückte und sehr aufrecht ging, um größer zu wirken. Gut, das wirkt bei mir nicht so, denn auch voll aufgerichtet bin ich einfach nur … ziemlich klein. 😉 Aber wehe dem Grusel-Clown, der mich erschrecken würde! Falls denn einer käme, versteht sich. Ich halte das Risiko allerdings für gar nicht so gering, denn das Thema ist derzeit total en vogue, und jeden Tag steht leider nicht nur ein Dummer auf … Und manchmal habe ich den Eindruck, speziell hier in dieser Stadt gebe es einen Überhang davon. Aber das bilde ich mir sicherlich nur ein. 😉

Mir kam aber zum Glück nur ein Pulk prolliger Jugendlicher entgegen, die unflätige Dinge riefen, aber nicht mich, sondern einen anderen Jugendlichen meinten, der vor mir herging. Es ist so schön hier – speziell abends. Richtig kuschelig. 😉

Kein Grusel-Clown, auch auf dem Rückweg begegneten mir nur andere Gruselgestalten. 😉 Aber das ist ja hier annähernd normal.

Bei Lektüre der Zeitung kann einem wirklich manchmal angst und bange werden. Die vergangene Woche war da besonders speziell. Ein Mann in Moers von der Polizei erschossen. Die Meldung erschreckte mich ein wenig, dann aber dachte ich: „Naja, das ist ein Einzelfall und kommt nicht täglich vor.“

Als ich am nächsten Tag in die Zeitung blickte, stand dort: „Polizei erschießt Mann in Hagen nach Macheten-Angriff“. Ah, ja. Das zum Thema Einzelfall. Gut, dachte ich mir, Hagen ist ja ständig irgendwie in dieser Zeitung vertreten. Sei es durch blindwütig-blöde Raser, die bei illegalen Rennen Menschen zu Tode fahren, sei es durch andere kriminelle Machenschaften. Schade um Hagen. Da wollte ich auch nicht tot überm Zaun hängen, zumal das Risiko, dort tatsächlich irgendwann tot überm Zaun zu hängen, höher scheint als in manch anderer Stadt. Aber das ist sicherlich auch Einbildung. Wahrscheinlich haben die Schreiberlinge von der Zeitung einfach etwas gegen Hagen … 😉

Ich fragte mich allerdings, warum man in letzter Zeit öfter von Angriffen mit Macheten liest. Habe ich irgendetwas verpasst? Ist es derzeit in, eine Machete zu besitzen, und habe ich diesen Trend wieder einmal verpennt? Sollte ich mir vielleicht auch eine Machete bestellen, oder ist der Trend schon wieder auf dem absteigenden Ast? Fragen über Fragen, und ich bin offenbar mal wieder hoffnungslos altmodisch …

Ganz großartig unter dem Artikel über den in Notwehr getöteten Machetenmann in Hagen einmal mehr die Kommentare der Allesbesserwisser: Ja, hätte man den Typen, der auch auf die Polizisten mit der Machete zurannte und sie bedrohte, denn nicht ins Bein schießen und kampfuntauglich machen können? „Fragen!“ („Fragen!“ ist ein Zitat einer grünen Politikerin, die allen Ernstes dergestalt twitterte, als kürzlich im beschaulichen Franken ein Gewalttäter mit einer Axt in einem Zug gleich vier Leute fast massakrierte, später noch eine arglose Frau, die nur mit ihrem Hund spazierengehen wollte. Sie wollte genau wissen, ob man den jungen Mann nicht durch einen Schuss ins Bein kampfunfähig hätte machen können …) „Fragen!“ scheint bei einigen Menschen echt total gut angekommen zu sein, und so las ich dieses „klassische“ Zitat auch gleich mehrfach bei denen, die das Hätte-man-den-denn-nicht-ins-Bein-schießen-können-Mantra treudoof wiederholten, die Ausbildung der Polizei, die für uns alle den Kopp hinhalten muss, in Frage stellten, selber aber wohl noch nie eine Waffe in der Hand gehalten haben und hübsch vom rosa Sofa aus Urteile fällen. Solche Leute liebe ich ganz besonders. Ich habe vor vielen Jahren mal mit lediglich einer Luftpistole auf unbewegte und unbelebte Ziele geschossen und war froh, dass ich tatsächlich mehrfach traf. Aber wohl mit mehr Glück als Können und mit entsprechender Konzentration und viel Zeit. Zeit, die die Polizistin, die den Gewalttäter mit der Machete in Notwehr erschoss, gewiss nicht hatte, zumal ihr Ziel unberechenbar war und auf sie zurannte. Und dann kommen da die, die sicherlich auch die besten Fußballspieler sind und bei Bundesliga- und anderen Spielen mit Chips und Bier auf der Couch sitzen und: „Lauf, du faule Sau!“ gen Fernseher brüllen, um dann festzustellen, sie selber würden das viiiel besser hinbekommen.

Und dann noch diese Meldungen über Wahnsinnige, die Deutschland für eine GmbH halten, das Grundgesetz nicht anerkennen und von denen neulich einer einen jungen Polizisten erschossen hat. Mir tat das in der Seele weh – ein noch junger Mann von einem Irren getötet! Und erschreckender Weise scheint es davon nicht wenige zu geben. Einer bezeichnet sich gar als „König von Deutschland“ – da wird einem echt angst und bange. Das ist schlimmer, als „König von Mallorca“ zu sein, was schon peinlich genug ist – das ist richtig schlimm.

Ist es da ein Wunder, dass ich den Eindruck habe, in einem Irrenhaus zu leben? Oder bilde ich mir das nur ein? War das schon immer so, und habe ich es einfach nicht bemerkt?

Fragen!

😉

Si tacuisses …

Ich stehe ja unglaublich auf schlaue Redensarten und Sprichwörter – vor allem lateinische. Ich berichtete bereits. Speziell dann stehe ich darauf, wenn sie einem als mahnender Sinnspruch mit auf den Weg gegeben werden, wenn man unbeabsichtigt Mist gemacht hat. Heute allerdings schoss mir selber ein solches Sprichwort durch den Kopf, und das gleich morgens um halb acht: „Si tacuisses, philosophus mansisses.“ Das klingt komisch und ist Latein. Auf Deutsch heißt es: „Wenn du geschwiegen hättest, wärest du ein Philosoph geblieben.“ Will heißen: Dann hätte man dich weiterhin für einen solchen, ergo klugen, Menschen gehalten.

Es muss weit kommen, wenn ich selber mir solche Sinnsprüche vorbete. 😉

Ganz so schlimm war es eigentlich auch wieder nicht, aber typisch Ali. Ich fuhr heute früh, begeistert, dass ich es endlich mal ein wenig eher geschafft hatte, auf den Mitarbeiterparkplatz, nachdem ich die Schranke erneut beim dritten Versuch dazu gebracht hatte, sich zu öffnen. Fuhr mit noch geöffnetem Seitenfenster die Rampe hoch und bog direkt dahinter links ab, um mir dort, ganz vorn, einen Parkplatz zu suchen. Etwas weiter hinten fuhr mir ein Wagen entgegen. Mit Fernlicht. Sehr angebracht – ich war geblendet. Welcher Idiot fährt in solch einer Situation mit Fernlicht? Und so motzte ich stinksauer, weil ich geblendet war: „Ja! Blende mich doch noch weiter, Arschgeige!“ Leider habe ich, wenn ich motze, eine etwas lautere Stimme. Und erst, als ich links von mir jemanden neben seinem Auto stehen sah, der zusammenzuckte, fiel mir auf, dass ich ja das Fenster noch sperrangelweit offen hatte … Wie peinlich! Den Typen hatte ich doch gar nicht gemeint! Im linken Außenspiegel sah ich, dass er mir irritiert hinterherstarrte, als ich lieber schnell weiterfuhr. Zum Glück niemand, den ich kannte … Aber ich dachte mir: „Typisch! Warum konntest du nicht einfach den Mund halten? Oder zumindest vorher das Fenster schließen!“ Und ich ärgerte mich über mich selber, während ich kleinlaut neben dem kleinen, knallroten VW up! einparkte.

Der Arbeitstag zog sich wie Kaugummi. Meine Kollegin Heide kam immerhin vorbei, und das ist dann meist lustig. Als ich ihr von meiner „Arschgeigen“-Geschichte erzählte, lachte sie sich schlapp und meinte: „Es geht schlimmer, Ali! Weißt du, wie oft ich schon mit offenem Fenster gefahren bin, weil ich vergessen hatte, es wieder zuzumachen?“ – „Was ist daran schlimm?“ – „Nun ja, eigentlich nichts. Es sei denn, man fährt an Leuten vorbei, während man gerade inbrünstig irgendein Lied aus dem Radio mitsingt. Die gucken dann immer, als wäre man geisteskrank. Das passiert mir dauernd.“ O Gott! Das fehlt noch auf meiner Liste. Aber ich bin mir sicher, dass mir das auch in absehbarer Zeit passieren wird. 😉

Für 18 Uhr war ich mit Stephanie verabredet, die gerade bei meinen Eltern zu Besuch ist. Sie wollte mich zum Essen einladen. Ein chinesisches Buffet stand mir bevor. Ich liebe ja chinesisches Essen, und so freute ich mich. Sie hatte mir von dem Lokal erzählt und lachend gesagt: „Ist eher so eine Massenabfertigung, aber nicht schlecht.“ Und sie beschrieb mir, etwas ungenau, wo das Lokal sich befinde. Ich meinte, ich wisse, wo das sei.

Wie gut, dass sie dann noch einmal anrief, um mir den Namen des Lokals mitzuteilen. Denn ansonsten hätte ich im „Shi Mei“ gesessen und irgendwann mit den Fingern auf den Tisch getrommelt und geflucht: „Verdammt, wo bleibt die denn?“ Während sie bei „Xiao“ gesessen und mit den Fingern auf den Tisch getrommelt und geflucht hätte: „Verdammt, wo bleibt die denn?“

Gegen 16:15 Uhr hielt mich nichts mehr an meinem Arbeitsplatz, und ich fuhr los. Ich wollte sowieso noch einkaufen, und in der Nähe des Lokals gibt es „Real“. Dahin fuhr ich. Allzu viel Zeit hatte ich nicht, denn ich war mitten in den Feierabendverkehr geraten. Zum Glück wusste ich aber, was ich wollte, und so schleuderte ich die Dinge schnell in meinen Einkaufswagen und eilte zur Kasse. Genauer: zu der Kasse, an der die kürzeste Schlange stand. Nur wenige Leute, in deren Einkaufswagen sich nur relativ wenige Artikel befanden. Eigentlich hätte das schon ein Grund sein sollen, mich woanders anzustellen – das verheißt nämlich nichts Gutes. Aber ich war mit den Gedanken woanders, und vor mir ging auch alles recht zügig.

Bis ein ziemlich junger Mann, der mit einem ebenfalls ziemlich jungen Mädchen hinter mir stand und nur zwei Artikel hatte, mich ansprach: „Entschuldigen Sie, bitte – wir haben nur die zwei Sachen. Dürften wir vielleicht vor?“ Ich blickte auf die beiden Artikel und grinste: „Nun ja, gut. Es scheint ja zu eilen.“ Und ich ließ die beiden vor, die eine Großpackung „durex“-Kondome und eine Flasche „Waldgeist“ auf das Band legten.

Die Frau vor mir ließ angesichts der beiden Artikel die beiden auch noch vor. Und dann, als sie dran waren, geschah es: Irgendetwas stimmte mit dem Preis des etwas größeren Gebindes nicht. 😉 Der Scanner vermeldete einen höheren Preis, als angenommen. Der junge Mann wurde nervös. „Aber die sollten nur neun Euro soundsoviel kosten – die sind im Angebot!“ Das junge Mädchen stand mit rotem Kopf daneben und tat so, als gehörte es nicht dazu und drehte sich schließlich sogar weg. Die Kassiererin guckte sich suchend nach einer Kollegin um, und ich dachte zunächst, sie würde quer durch den Laden brüllen: „Tiiinaaaa! Wat kosten die Kondome?“ Sie tat es nicht, telefonierte dann nur, um einen Kollegen zu finden, der Kenntnis von dem genauen Preis des nützlichen Latexproduktes hatte. Sie musste mehrere Versuche starten – keiner der Kollegen kannte sich aus, und der, der sich auskannte, war gerade in der Pause … Das junge Mädchen sah inzwischen so aus, als wollte es sich am liebsten in Luft auflösen.

Ich musste ein wenig grinsen. Kondome und „Waldgeist“. Die Version mit Sahne. Ein grüner Likör, den ich einmal probiert habe und mir dann vornahm, das sei gleichzeitig das erste und letzte Mal gewesen. Überhaupt Likör! Mit Wodka. Und hier obendrein mit Sahne! Bah! Aber die Kombination der beiden Artikel wirkte interessant, noch dazu in Verbindung mit der Reaktion des Mädels. Die ältere Frau vor mir drehte sich ebenfalls grinsend um und meinte leise: „Kondome und eine Flasche Alkohol. Ist wohl das erste Mal, und der Alkohol soll enthemmend wirken.“ Ich grinste zurück und meinte: „Oder betäubend. Dann empfähle ich aber eher Whisky.“ – „Sehen Sie sich die Kleene doch mal an – zwei Gläser von dem Likör, und die weiß nix mehr.“ – „Psst. Leise! Nicht, dass sie es hören! Es ist doch irgendwie ganz süß.“ Die Frau nickte und grinste.

Die beiden wurden dann zum Informationsschalter geschickt. Den Likör hatten sie bereits bezahlt. Nun ja – ein offenbar nicht ganz unwichtiger Teil zum Erreichen des Ziels zumindest schon einmal vorhanden. Fehlte nur noch der zweite, wichtigere Teil. 😉

Leider konnte ich aber nicht verfolgen, ob sie diesen dann tatsächlich noch bekommen haben, zumindest zu dem Preis, den sie sich vorgestellt hatten. 😉

Ich weiß nicht, was die beiden noch gemacht haben. Ich habe jedenfalls schön mit meiner Schwester gegessen. 😉

Frau am Steuer? So gerade eben noch erträglich … Frau unter der Motorhaube? Die muss in Not sein!

Heute war ein recht langer Tag, und ich habe es erneut nicht geschafft, um 7 Uhr bei der Arbeit zu sein, um ein paar Minusstunden mehr auszugleichen. Aber immerhin habe ich mich um Punkt 8 Uhr 3 eingestempelt, nachdem ich heute erstmalig auf dem Mitarbeiterplatz geparkt hatte, statt auf dem für Besucher. Im Grunde sind beide Parkplätze zu klein, die Parkboxen sehr eng, aber der Mitarbeiterparkplatz ist zumindest ein bisschen besser. Wenigstens gefühlt. 😉 Immerhin war ich eine Stunde früher da, als ich sonst dort aufschlage … 😉

Stolz war ich auf die Rampe gefahren, hatte das Fenster heruntergelassen, meinen Transponder in der Hand, mit dem ich die Schranke zu öffnen trachtete. Beim dritten Versuch gelang es, und die Schranke öffnete sich. Als ich gerade anfuhr, tauchte Angelika Fux auf, eine extrem unsympathische Kollegin, die sich als etwas Besseres fühlt, und sie verließ den Parkplatz so, dass sie mich noch behinderte, indem sie extra dicht an der Schranke und vor meinem Kühler vorbeiging. Gut, dass ich eine recht zügige Reaktionsgeschwindigkeit mein eigen nenne und ebenso zügig bremste, sonst hätte Angelika Fux unter meinem kleinen Monty gehangen, und das will nun wirklich keiner. Auch dann nicht, wenn man Angelika Fux auf den Tod nicht ausstehen kann.

Eigentlich hatte ich etwas weiter hinten parken wollen, aber da waren die attraktivsten Parkplätze erstaunlicherweise schon besetzt. Von den Leuten, die es geschafft hatten, bereits um 7 einzutreffen. Und so parkte ich ganz vorn, mit der Schnauze zur Straße. Einige Plätze links von mir sah ich den BMW meines Kollegen Frederik, und der stand reichlich schief in der Parkbox. Wie einige andere Autos auch, die sich nicht an die Begrenzungen gehalten hatten. Aha! So machte man das hier, wenn man nicht wollte, dass sich jemand so dicht neben einen klemmte, dass er einem die Tür in die Seite haute! Und so parkte ich ebenso großzügig – ganz gegen meine Gewohnheit – neben einem knallroten VW up! ein. Der stand auch mit den linken „Hufen“ weit über die Begrenzungslinie hinweg. Das kann ich auch! 😉 Wie gesagt: So etwas mache ich normalerweise nicht, aber wenn der Arbeitgeber nicht in der Lage zu sein scheint, trotz hinreichend großen Geländes hinreichend große Parkflächen zu bieten, muss man sich zu helfen wissen. 😉

Der Arbeitstag verlief zäh. Janine und ich waren mehrfach rauchen, und da kein Chef da war, der etwas hätte sagen können, gingen wir – wie früher – meist gemeinsam. Es war eh nicht viel los.

Gegen halb 6 machte ich mich vom Acker. In meiner Tasche hatte ich eine umfunktionierte, ehemalige Tonic-Water-Flasche, in der ein Liter Scheibenwaschflüssigkeit giftig blau vor sich hin schäumte. Selber angemischt, nachdem ich ja kürzlich von meinem letzten Gutschein, den Ulli, der Nachbar und Halter von Luna, der weißen Schäferhündin, spendiert hatte, Scheibenwasch-Konzentrat mit Frostschutzmittel gekauft hatte. Der allererste Gutschein, den ich überhaupt eingelöst habe! 😉

Selbstsicher betrat ich den Parkplatz – seht her, hier kommt die Frau, die gleich Scheibenwaschflüssigkeit nachfüllt! Wenn man bedenkt, dass ich das so viele Jahre nicht machen musste, war das schon etwas Besonderes. 😉 Eine Premiere, gewissermaßen.

Ich schloss den Wagen auf, warf meine beiden Taschen hinein. Ich würde noch ein Stück zurücksetzen müssen. Aber erst einmal den Griff zum Entriegeln der Motorhaube suchen – nicht, dass ich völlig hilflos erschiene! Und auf dem Fahrersitz sitzend, wurschtelte ich vornübergebeugt im Auto herum, tastete unter dem Armaturenbrett links die gesamte Gegend ab. Wo war das verdammte Ding noch?

„Kann ich Ihnen helfen?“ kam da schon eine Frage, und ein jüngerer Mann beugte sich durch die geöffnete Fahrertür. „Haben Sie etwas verloren?“ – „Nein, danke!“ schmetterte ich selbstbewusst, denn soeben hatten meine suchenden Finger den Griff für die Motorhaube ertastet. Ich fragte mich, ob ich so hilflos ausgesehen hatte. Eigentlich eher nicht. Aber ich bedankte mich freundlich, und der junge Mann zog von dannen.

Ein weiterer junger Mann, der ein Stück hinter mir geparkt hatte, stand neben seinem Auto und begutachtete seine Fahrertür mit Argusaugen. Ich habe ungern Zeugen, wenn ich Dinge zum ersten Mal mache, und so wurschtelte ich weiter im Auto herum, in der Hoffnung, er werde gleich fahren. Endlich setzte er sich ins Auto! Aber er fuhr nicht … Stattdessen zückte er sein Handy und las offenbar irgendwelche WhatsApp-Nachrichten oder sonst etwas. So lange wollte ich nicht warten, startete den Motor, legte den Rückwärtsgang ein und parkte zügig aus. Dann fuhr ich ein kleines Stück, stellte mich quer über zwei Parkboxen und machte den Motor aus.

Gekonnt zog ich an dem Griff für die Motorhaube, es machte „Plong!“, und die Motorhaube ging ein Stück auf. Na also – ging doch alles wunderbar! Und schon stieg ich aus, die Flasche mit der giftig blauen, leicht schäumenden Flüssigkeit in der Hand, und trat vor Monty. Schnell die Flasche abstellen und die Motorhaube öffnen und fixieren.

Igitt! Als erstes quoll mir ein ekliges Insekt entgegen, das sich unbemerkt am hinteren Teil der Motorhaube und dicht vor der Frontscheibe, wo sich auch erstaunlich viel Laub befand, wohl verschanzt und wohlgefühlt hatte, bis ich die Motorhaube öffnete. Fast hätte ich diese mit einem lauten Schrei fallengelassen! Aber doch nicht coram publico! „Pull yourself together now – don’t get in a state!“ Diese Worte, eine Liedzeile aus einem Achtziger-Song, schossen mir durch den Kopf. Nicht wie ein Mädchen benehmen, Ali – du weißt genau, was du tust! Im Grunde öffnest du tagtäglich Motorhauben und bist eine echte Expertin, nicht wahr? 😉 Also – reiß dich zusammen, auch wenn dieses hässliche Vieh von Libelle dich gerade anfliegt! Aaaaaaah!

So dachte ich nur und verkniff mir jegliche Schreie, wie ich sie zu Hause loslasse, wenn ein furchterregendes, großes Insekt oder eine fette Spinne mir in meiner (!) Wohnung begegnen oder mich gar anfliegen. (Nicht die Spinne, nur die flugfähigen Insekten. By the way: Wusstet ihr, dass Baumwanzen fliegen können? Habe ich auch erst vorgestern gelernt, als solch ein ekelerregendes Viech mir um den Kopp flog, als ich meiner Palme Wasser gab. Es war wohl von draußen hereingekommen, als ich lüftete – hui, habe ich geschrien! Dumm von der Wanze, auf dem Fußboden zu landen. Ihre letzte Aktion, ich muss es leider zugeben … 😉 R.I.P., hässliche Wanze – wärste mal draußen geblieben, wohin du gehörst! 😉 )

Die Libelle flog davon, als sie merkte, dass ich total cool war und mich gar nicht aufregte. (Mein Herz schlug bis zum Hals.) Ich klappte die Motorhaube lieber ganz auf, zerrte den Halter aus seiner Halterung und fixierte die Motorhaube.

In dem Moment fiel mir der junge Mann im Auto auf. Er hatte von seinem Handy abgelassen und starrte zu mir herüber, sichtlich unruhig. Und unentschlossen. Bereit, sofort aus dem Auto zu hechten und herüberzueilen. Als ich mich über den Motorraum beugte, hörte ich dann auch eine Autotür zuklappen. Und schon stand der junge Mann neben mir: „Kann ich Ihnen helfen?“ – „Nö, eigentlich nicht. Warum?“ – „Naja, wenn eine Frau mal unter eine Motorhaube guckt – dann kann doch was nicht stimmen! Haben Sie einen Motorschaden?“ – „Ich nicht,“, gab ich grinsend zurück. „Ja, aber – warum machen Sie als Frau dann die Motorhaube auf?“ – „Warum ich als Frau die Motorhaube öffne?“ – „Ja! Dann kann doch etwas nicht stimmen! Frauen gucken nie unter die Motorhaube! Wie kann ich Ihnen helfen?“ – „Das ist echt sehr nett, dass Sie fragen. Würden Sie mir bitte mal die Flasche da anreichen?“ – „Flasche?“ – „Ja, die, die da auf der Erde steht. Neben Ihrem linken Fuß. Ich hatte sie da abgestellt, als ich die Motorhaube öffnen wollte. Dazu braucht man ja beide Hände. Ich denke, das würden auch Männer nicht einhändig schaffen.“

Der junge Mann starrte mich irritiert an. Ich grinste und meinte: „Ich will nur Scheibenwaschflüssigkeit nachfüllen – der Tank ist so gut wie leer.“ – „Cool!“ – „Was ist daran cool? Das muss man doch von Zeit zu Zeit machen.“ – „Ja, aber – ich habe noch nie eine Frau so etwas machen sehen! Meine Freundin fragt immer mich, wenn das an ihrem Auto gemacht werden muss. Ich wette, sie weiß nicht einmal, wo der Griff für die Motorhaube ist!“ – „So etwas sollte man doch aber wissen,“, gab ich dreist von mir und wundere mich noch jetzt, dass ich für meine Dreistigkeit nicht monty-python-mäßig direkt von einem Blitz niedergestreckt wurde. Oder vom 16 tons weight erschlagen. 😉

Der junge Mann reichte mir offenen Mundes die Flasche mit dem blauen Gebräu an, und ich öffnete den Verschluss des Scheibenwasch-Tanks und schüttete gekonnt (woher?) den gesamten Inhalt der Flasche hinein, die ich anschließend wieder zuschraubte. Dann kontrollierte ich noch „gekonnt“ den Behälter mit der Bremsflüssigkeit, nickte zufrieden. „Alles in Ordnung,“, sagte ich zu dem jungen Mann, „wenn ich schon mal dabei bin, schaue ich auch noch nach der Bremsflüssigkeit.“ Der junge Mann stand völlig stupéfait da und stammelte: „So etwas ist mir persönlich noch nie passiert! Eine Frau, die unter die Motorhaube guckt und weiß, was was ist! Sie sind ja mal wirklich cool!“ – „Danke schön. Sie leider gar nicht, aber das meine ich nicht böse,“, sagte ich. Da grinste er und meinte: „Das sagen Sie, weil ich immer glaube, es müsse ein schwerer Motorschaden vorliegen, wenn frau tatsächlich mal unter die Motorhaube guckt! Sie finden mich altmodisch, weil ich Frauen das nicht zutraue. Oder zugetraut habe, bis ich Sie hier kennenlernte. Tut mir leid, wenn ich Sie gekränkt haben sollte – ich kenne wirklich keine einzige Frau, die sowas selber macht. Aber ich habe heute etwas gelernt.“

Ich grinste auch und meinte: „Wenn ich ganz ehrlich bin: Ich habe das heute zum ersten Mal gemacht. Und ich wollte eigentlich keine Zeugen, falls ich mich blöd anstellen würde.“ – „Echt? Zum ersten Mal? Sie sahen eigentlich von Anfang an ziemlich selbstbewusst aus, als wüssten Sie genau, was Sie tun! Wussten Sie ja auch. Nur sitzt das bei mir so drin, dass Frauen generell mit solchen Dingen nix am Hut haben, und da wollte ich Ihnen helfen, was dann nicht nötig war.“ – „Doch! Sie haben mir geholfen. Sie haben mir die Flasche mit der Flüssigkeit angereicht, und Sie haben mich unterhalten. Das fand ich sehr nett. Vielen Dank.“ – „Ihnen auch. Meine Freundin soll das beim nächsten Mal gefälligst selber machen, und meine Mutter auch! Immer haben die mich gefragt!“ Ich lachte. Hoffentlich habe ich nicht zu einem „Ehekrach“ beigetragen. Und ich erklärte dem jungen Mann: „Wissen Sie, ich muss das selber machen. Ich lebe derzeit allein und kann mich nicht auf andere verlassen, was, zugegeben, erheblich bequemer wäre. Also seien Sie nett zu Ihrer Freundin.“ Da lachte er. Wir lachten beide, ich bedankte mich bei ihm für seine Hilfsbereitschaft, und wir wünschten einander einen schönen Abend.

Und jetzt warte ich immer noch auf den Monty-Python-Blitz für meine Überheblichkeit, obwohl ich ja erst selber nach dem verdammten Griff für die Motorhaube suchen musste … 😉

In diesem Sinne: Gebt euch immer so, als wüsstet ihr genau, was ihr tut! 😉

Prokrastination überwinden …

Einer meiner anhänglichsten Wegbegleiter, neben meinem Freund „Murphy“, ist die Prokrastination. Was das ist, wollt ihr wissen? Nun, manche Menschen nennen sie auch „Aufschieberitis“, „Aufschieb-Syndrom“ oder so ähnlich. Klingt alles bescheiden, wenn ihr mich fragt, aber „Prokrastination“ toppt all diese Begriffe, hat jedoch den Vorteil, dass man unter Umständen nicht sofort weiß, was gemeint ist. Und aufgrund der Vorsilbe „Pro-“ könnte man auch glauben, es verberge sich etwas Positives dahinter. 😉

Tut es aber nicht. Ganz im Gegenteil.

Einkommensteuererklärung? Böses Wort! Es erschreckt mich jedes Jahr von neuem so sehr, dass ich – ich berichtete – jedes Jahr kurz vor dem 31. Mai einen lieblich klingenden Brief ans Finanzamt schicke, in dem ich um Aufschub der Abgabefrist bitte. Mit liebreizenden Worten, die keineswegs das widerspiegeln, was ich beim Gedanken ans Finanzamt empfinde. Bei mir gilt sowieso: Wenn ich im allgemeinen Umgang besonders liebreizend klinge, ist Vorsicht geboten. Mag ich jemanden, kann es dagegen passieren, dass ich eher ruppig und frotzelnd erscheine. Je mehr ich jemanden mag, desto frotzelnder. (Reine Verlegenheit – lieber nicht mit der Tür ins Haus fallen.) Also: Vorsicht, wenn ich mit jemandem besonders „niedlich“ spreche, möglichst mit gehobener Stimme. Das bedeutet nicht selten gar nichts Gutes. 😉

Während meines Studiums musste ich diverse Studienarbeiten schreiben. Anfangs war ich – je nach Thema – Feuer und Flamme. Kaum hatte ich das Thema bekommen, war ich auch schon in meinem „zweiten Wohnzimmer“, der Bibliothek im Anglistischen Institut. Suchte Bücher heraus, lieh diese aus. Oder ich stürmte die ZB, die Zentralbibliothek. Oder die Lehrbuchsammlung, wenn es sich um ein sprachwissenschaftliches Thema handelte. Total engagiert war ich, und die Bücher stapelten sich bei mir zu Hause.

Nach der ersten Euphorie, zu der ich eigentlich gar nicht so tendiere, folgte oft die Ernüchterung: Irgendwie hatte das Thema besser ausgesehen, als es sich nach näherer Betrachtung herausstellte … Aber gut, da musste man durch. Und zum Glück war ja noch viel Zeit bis zum Abgabetermin. So sagte ich mir Tag für Tag, an dem ich um die Bücherstapel herumschlich, die wie ein Mahnmal auf und neben meinem Schreibtisch lagen. Aus den Tagen wurden Wochen. Und ihr glaubt gar nicht, was ein selektiver Blick alles bewirken kann! Die Bücherstapel nahm ich kaum noch wahr! Sie waren quasi ins normale Inventar meiner Wohnung diffundiert. Hatten die nicht schon immer da gelegen? 😉

Spätestens zwei Wochen vor Abgabetermin aber machte sich ein Gefühl in der Magengegend breit, das man nur als unangenehm beschreiben kann. Und da bemerkte man auch die gestapelten Bücher wieder, die von Minute zu Minute bedrohlicher aussahen und stets an Ausmaß zuzunehmen schienen, blickte man hin. Hier musste gehandelt werden – das war klar. Aber irgendwie war die Hemmschwelle doch sehr, sehr hoch. Und es kostete unglaubliche Kraft, sie zu überwinden. Man wusste, nun war wirklich Rabotti angesagt, und das intensiv, wenn man eine gute Arbeit abliefern wollte. Es war furchtbar, tagtäglich viele Stunden an der Fron zu sitzen. Hätte man sich in dieser stressigen Form ersparen können. Nur wie, wenn doch der innere Schweinehund derart dominant ist?

Auch bei Referaten, von denen ich im Studium viele halten musste, war dieses Szenario bei mir ein ganz gewöhnliches, und in den Nächten vor Referaten habe ich eigentlich nie viel geschlafen.

Erst bei der Magisterarbeit war mir klar: So konnte ich da nicht drangehen! Und tatsächlich schaffte ich es, täglich daran zu arbeiten. Es musste auch sein, denn solch eine Examensarbeit ist etwas anderes als eine Studienarbeit. Und ich arbeitete mit wahrem Feuereifer. Völlig untypisch. 😉

Leider war die Überwindung der Prokrastination nur temporär und nicht von Dauer, denn die Vorbereitung der drei Examensklausuren und die Lernphase für die drei mündlichen Examensprüfungen waren wieder ein echter Kampf gegen mich selber. Um mich möglichst wenig abzulenken, lernte ich stets in der Küche. Aber kaum hatte ich eine halbe Stunde gepaukt, fielen mir Dinge ein, die unaufschiebbar wirkten. Ich musste ja noch einkaufen! Und das Geschirr spülen! Und eine Ladung Wäsche in die Maschine packen. Den Keller hatte ich auch noch nicht geputzt – was würde Frau Stelzmann sagen?

Ich muss gestehen, es ist schon erschreckend, wenn man plötzlich fröhlich pfeifend am Spülbecken steht und voller Begeisterung Geschirr spült – was man sonst gar nicht gern macht, nur, weil man es eben machen muss. Und hier nun diese Begeisterung an der Spüle, während hinter dem Rücken auf dem Küchentisch die Lernutensilien nach einem schreien … Es ist noch erschreckender, wenn man darüber nachdenkt, was Frau Stelzmann, die selbsternannte Hausmeisterin, die jüngere Leute per se nicht mag, wohl denke, weil man den Keller noch nicht geputzt hat! Und nahezu apokalyptisch ist es, wenn man dann den Putzeimer mit heißem Wasser und Putzmittel füllt und nebst Schrubber und Feudel in den Keller eilt, den man mit derartig außergewöhnlicher Hingabe und Sorgfalt putzt, dass man glatt vom Boden essen könnte … All das sind beunruhigende Auswirkungen eines ausgeprägten Hangs zur Prokrastination. Quasi ein akuter Anfall. 😉

Weitere Nachteile solcher Anfälle sind: spontane Blutdrucksteigerung bis hin zum – gefühlten – Herzinfarkt, wenn man feststellt, man hat die aufgeschobene Arbeit irgendwie unterschätzt, und nun ist die Zeit knapp, Schweißausbrüche, Alpträume und Zweifel am eigenen Verstand. 😉 Nun ja, mit Verstand hat Prokrastination wohl auch nicht so viel zu tun. Ich glaube, sie spielt sich mehr auf der emotionalen Ebene ab.

Ich habe mein Examen dann mit guten Noten abgelegt. Aber unter unglaublichem Druck. Und ich konnte nicht einmal jemandem Vorwürfe machen. Außer mir selber. 😉

Prokrastination überwinden? Nie! Nicht in diesem Leben, fürchte ich. Aber das Gefühl, etwas Wunderbares vollbracht zu haben, ist hierbei umso größer, denn es grenzt bisweilen an ein Wunder, dass man es dann doch noch rechtzeitig schafft. Und wenn das Ergebnis auch noch gut ist, umso besser.

Während ich dies hier schreibe, sollte ich eigentlich eine Klausur vorbereiten. Am Sonntag läuft die Frist aus. Aber es ist ja noch viel Zeit bis dahin. Und Nachtschichten sind gar nicht so schlimm, wie die meisten Leute denken … 😉

In diesem Sinne: Immer cool bleiben, auch wenn’s pressiert. 😉

Von Wiedereinstiegen und Neurasthenie …

Vor Jahren sah ich mal eine Doku, in der es um die Technisierung im ausgehenden 19. und einsetzenden 20. Jahrhundert ging. Ich sehe gerne Dokus, und diese interessierte mich. Man sah alte Bilder und Filmaufnahmen, unter anderem aus Berlin. Die Straßen waren zwar nicht leer, aber man hätte dort Rad schlagen und Flickflacks machen können, ohne jemandem im Weg zu sein. Vereinzelt sah man Automobile, aber auch noch Pferde-Omnibusse, jedoch auch einige erste „Elektrische“.

Fasziniert starrte ich auf den Bildschirm: Wie ruhig und gelassen doch alles aussah! Ein wundervolles Idyll! Am liebsten hätte ich mich hinbeamen lassen, als der Sprecher aus dem Off zu einer Erklärung anhob. Vielen Menschen damals sei die Hektik auf den Straßen nicht bekommen. (Welche verdammte Hektik? Im Vergleich zu heute sah alles wunderbar ruhig aus, so ruhig, dass ich von Neid angefallen wurde!) Und viele Leute hätte die fortschreitende Technisierung, mit der wachsender Stress einhergegangen sei, krankgemacht – sie litten an Neurasthenie! Der Begriff wird heute kaum noch verwendet, aber es handelt sich um ein Nervenleiden, das auch mit „reizbarer Schwäche“ umschrieben wird. Alles aufgrund des übergroßen Stresses durch die viele Technik und die vielen, vielen Menschen und klingelnden Straßenbahnen, wiehernden Pferde, kurz: durch die fortschreitende Industrialisierung.

Zwar war mir klar, dass man alles in Relation sehen muss, aber ich lachte heftig. Die armen Menschen! Wenn das damals mit erheblich mehr Raum aufgrund geringerer Bevölkerung schon so stressig war: Was nur würden sie sagen, würde man sie in die heutige Zeit beamen? Wenn das ginge, versteht sich …

Ich hatte heute einen etwas hektischen Tag: Kaum geschlafen, bin ich schon recht früh zur Arbeit gefahren, und das nicht mit dem Auto, sondern mit dem ÖPNV. Warum? Nun, heute war mein Wiedereinstieg an der Uni einer der Nachbarstädte, wo ich nach einem Jahr Pause wieder ein Seminar leite. Der Unterschied zu vorher besteht darin, dass ich meine Haupttätigkeit nicht wieder zur Teilzeittätigkeit reduziert habe, sondern das Seminar nun zusätzlich zur Vollzeittätigkeit mache. Ich muss verrückt sein, denn auch wenn es nur ein Seminar ist, bedeutet es doch sehr viel Arbeit, da ich das Material selber recherchieren und zusammenstellen, vor- und nacharbeiten, eine Klausur vorbereiten und nachher korrigieren muss. Klingt harmlos, wenn auch Lehrer an Regelschulen immer gewaltig krakeelen – speziell die mit den sogenannten „Korrekturfächern“. Ich bin keine Lehrerin, ich mache das nebenberuflich und zusätzlich zu meinem „Hauptamt“. Da sitzt man dann abends nach Feierabend noch sehr lange am PC, entwirft und erstellt neue Aufgaben. Ich zumindest, weil ich den Studis nicht immer dasselbe Zeug vorsetzen will. Ich verwende nur selten alte, abgenudelte Aufgabenstellungen und bin also selber schuld. 😉 Aber es macht Spaß, und man muss auch immer aktuell sein, wenn ich auch manchmal wegen der Zusatzarbeit fluche, die ich mir selber ausgesucht habe und die man hinterher gar nicht mehr so sieht, wenn die Aufgaben dann erheblich schneller, als sie erstellt wurden, von den Studis gelöst werden.

Ich fuhr mit dem ÖPNV, da ich ungern Autobahn fahre. Nein, eigentlich verhält es sich bis dato so, dass ich mich mit Händen und Füßen dagegen wehre. 😉 Dabei bin ich früher – vor meiner elfjährigen freiwilligen Fahrpause – durchaus Autobahn gefahren. Zugegeben, auch da schon nicht gern. Aber es wäre auch keine Zeitersparnis, denn die Autobahnen hier im Pott sind, für meine Begriffe, nicht sonderlich angenehm und obendrein derzeit mit besonders vielen Baustellen bewehrt. Mit dem ÖPNV würde ich – und das ist der Hohn bei all den Verspätungen – schneller vor Ort sein.

Gegen 14:15 h „raste“ ich los, bekam alle Anschlüsse und stand gegen 16:15 h vor „Pavillon 08/15“, einem Seminarraumgebäude. Man hatte mir dort Seminarraum 16 zugewiesen, den ich besonders mag, da er zwei Fensterfronten hat. Ein Eckraum.

Ich war vorgewarnt, denn nachdem ich letzten Sommer meine Dozententätigkeit an den Nagel gehängt habe, weil mir ein Mensch vom Fach erklärt hatte, ich müsse rententechnisch Vollzeit arbeiten, da ich mit Teilzeit sicherlich irgendwann ganz gewiss an der Armutsgrenze vegetieren würde, war mein fachsprachliches Seminar, das ich von der Pike an aufgebaut hatte, verwaist. Ein Kollege hatte es übernommen, und seitdem waren die Teilnehmerzahlen eingebrochen. Ich bilde mir nicht ein, dass es an mir liegen könnte, aber meine beiden Seminare in diesem Fach waren immer überbelegt, und ich hatte oft über 30 Leute in einem Kurs. Bei meinem Kollegen saßen acht Leute … Ich glaube nicht, dass es an ihm lag – möglich, dass es bei den Studis einen Paradigmenwechsel gegeben hat. 😉 Und so rechnete ich eigentlich nur mit sieben Leuten, denn so viele hatten auf der Anmeldeliste gestanden.

Es kamen zehn. Cool! Und wir verstanden einander auf Anhieb, obwohl ich – ich gebe es ungern zu – jedes Mal von neuem total nervös bin und ein bisschen Lampenfieber habe, wenn ich ein neues Seminar mache, mit ganz neuen Leuten. Man darf es sich nur nicht anmerken lassen, und so lief es prima, und die Jungs und das eine Mädel – völlig ungewöhnlich, nur ein Mädel in diesem Fach! – tauten schnell auf und lachten. Bei mir wird immer viel gelacht, und als ich es einmal tat, rief ein Studi: „Wow, Frau B.! Sie haben ja ’ne geile Lache! Total dreckig! So habe ich noch nie eine Frau lachen hören! Cool!“ Ich nahm es als Kompliment. 😉

Ratz-fatz waren die neunzig Minuten vorbei, und ich machte mich auf den Heimweg. Aber ach! Natürlich hatte mal wieder die S-Bahn in meine Richtung Verspätung, die auf der anderen Seite des Uni-S-Bahnhofs war pünktlich. (Hätte ich dort gestanden, wäre es garantiert umgekehrt gewesen …)

Am Hauptbahnhof, an dem ich ganz unvoreingenommen sein wollte, obwohl wieder und wieder ganz miese Dinge über ihn in der Zeitung stehen, wurde ich eines Besseren belehrt: Dort liefen in der Tat sehr viele sinistre Gestalten herum, und ich versuche immer, die Dinge positiv zu sehen. Oft bleibt es beim Versuch. Es war nicht einmal 19 Uhr, und schon liefen Menschen herum, denen ich nicht einmal im Hellen begegnen wollte! Sorry, falls das böse klingt, aber es war leider wirklich so. Ich begab mich an mein Gleis, aber wesentlich besser war es dort auch nicht. Im Raucherbereich sprach mich eine Hochschwangere an und bat um Feuer. Die Zigarette hatte sie bereits im Mundwinkel. Ich sagte: „Nö.“ – „Ey, wieso nich?“ – „Weil Sie schwanger sind. Von mir bekommen Sie kein Feuer.“ – „Ey, du rauchs‘ doch selbst!“ – „Ich bin auch nicht schwanger!“ Und schon wurde ich mit wüsten Verwünschungen bedacht, aber sie ging dann und bekam von jemand anderem Feuer, nachdem zwei weitere Leute sie ebenfalls abgewiesen hatten, weil sie das nicht unterstützen wollten. Ich bin normalerweise nicht wirklich kleinlich, aber da streike ich.

Im Zug in meine Heimatstadt war es auch ganz kuschelig. Mehrere Sturztrunkene nervten herum, und der Höhepunkt war, als einer mitten in den Gang kotzte. Super! Die Krönung des Tages! Dazu noch einige schreiende Kinder, und ich war froh, als der Zug in meinen Heimatbahnhof einfuhr.

Die nächste Straßenbahn fuhr erst etwas später, aber ich musste ohnehin noch einkaufen. Auch im Supermarkt herrschte eine latent aggressive Stimmung, und ich sah zu, dass ich Land gewann. Noch immer viel Zeit bis zur nächsten Straßenbahn, die dort unterirdisch abfährt, und ich blieb erst einmal oben und rauchte eine Zigarette. Gleich wurde ich angeschnorrt: „Ey, hasse ma ’ne Kippe?“ – „Nein.“ – „Wieso nich?“ – „Weil ich mein Geld auch nicht vom Baum pflücke.“ – „Ey, blöde […]! Ey, pass auf, sonst mach ich …“ Er bekam gleich zwei Zigaretten, und ich hasste mich dafür. Aber die Gegend am Hauptbahnhof hier ist auch nicht gerade vertrauenerweckend, und ehe ich wegen einer blöden Zigarette die Fresse poliert oder Schlimmeres kriege, gebe ich doch lieber meine vermeintlich zwei letzten Zigaretten mitsamt Schachtel ab. Meine Hoffnung war groß, dass der junge Mann nicht die zwei flammneuen und unangebrochenen Schachteln in meiner Einkaufstüte sähe … Er sah sie nicht. Er meinte nur: „Na, siehße – geht doch!“ Ich sagte nichts und dachte mir meinen Teil: „Es wird immer besser hier …“

Endlich kam die Straßenbahn, und es stiegen erfreulich wenig Leute ein. Leider darunter ein stark alkoholisiertes Pärchen, das sich lautstark in der Bahn anschrie. Die Frau – möge wer auch immer geben, dass ich nie so aussehen werde! – drohte „Männe“ sogar Prügel an, woraufhin der wütend ausstieg und meinte: „Nee, d-d-daa g-g-geh ich doch lieber na Hause!“

Endlich Ruhe, mal abgesehen von einem Handysignal, das mir schon immer auf die Nerven gefallen ist – es klingt, als pfiffe ein Papagei eine Abfolge von fünf scheußlichen Tönen. Aber was sollte es …

Bis dann das Handy der drastischen Dame zu klingeln begann. Immer wieder. Sie ging nicht dran. Erst vier Haltestellen vor meiner Heimathaltestelle. Und wie ich es erwartet hatte: große Versöhnung am Telefon. „Näää, Franz-Jupp, dat tut miiaa leid! Abba du hättes nich sagen düüaafen, dattich ’ne abgetakelte Fregatte bin! Ey, klaa binnich gleich zu Hause! Kommße vooaabei? Ja, aber zieh gleich ma deine Jacke aus und kuck, ob de nich wat drunter hass! Ich glaub, ich happ dich vooaahiiin voll vääaaletz, als ich dich eine reingehauen happ!“

Halleluja! Ich musste grinsen. Wie absurd war das denn, bitte? Absurdes Theater mitten in der Straßenbahn! Mein Grinsen verschwand jedoch, als die Dame noch sechsmal wiederholte, Franz-Jupp möge doch die Jacke ausziehen! „Ey, zieh abba die Jacke aus, hörße?“ Immer wieder in derselben Intonation, denselben Worten – es klang wie ein Mantra. Wie ein fieses, Wahnsinn erzeugendes Mantra! 😉

Zum Glück stieg sie vor mir aus. Eine Haltestelle. Ich schleppte mich an der Post dann völlig erledigt ebenfalls heim. Und musste an die Doku von damals denken. Neurasthenie! Ha! Würde man diese Leute in die heutige Zeit versetzen, würden sie wahrscheinlich erst einmal ungläubig schweigen. Dann unartikuliert schreien. Und dann tot umfallen. Ganz sicher.

Das ist meine Erstheimat. Im 21. Jahrhundert. 😉

Ich wünsche euch einen schönen, entspannten Abend. 😉

Rück-Sicht

Ein langes Wochenende war es, an dem ich mal wieder nicht das geschafft habe, was ich mir vorgenommen hatte. Zugegeben, es ist etwas schwieriger, die Wohnung mal wieder von Grund auf zu putzen, wenn man dies nur einhändig machen kann, da die andere Hand permanent ein Papiertaschentuch unter die Nase pressen muss, da die Erkältung sich zu einem Fließschnupfen der besonderen Art ausgewachsen hat. 😉 So muss nun das nächste Wochenende dran glauben …

Dafür lag ich – ohne mir verschwenderisch vorzukommen, da ja aus medizinischen Gründen ausgesprochen notwendig – zweimal wunderbar lange in meiner Eckbadewanne, umgeben vom Duft von Wacholder-Badezusatz zum einen, zum anderen von einem eher weihnachtlichen Duft. Es gibt wirklich tolle Badezusätze (Wacholder gehört jetzt nicht unbedingt dazu – zu medizinisch), die nach Vanille, Mandeln, Orange und Nelke duften, und ich bin ja bekennender Weihnachtsfan. 😉 Schon als Kind. Der erste Dezember seit jeher ein besonderes Datum für mich – da durfte man das erste Türchen des Adventskalenders öffnen. 🙂 Am zweiten hatte meine Schulfreundin Evelyn Geburtstag, am neunten meine langjährige Schulfreundin Bea – der Dezember war immer toll, und ich weiß noch, dass ich es oft bedauerte, nicht in diesem Monat Geburtstag zu haben.

Aber was wäre ein langes Bad ohne Tee und ein Buch! Nur halb so schön. Und so stellte und legte ich alles zurecht, bevor ich mich in die Fluten stürzte.

Eines meiner Lieblingsbücher hatte ich mir ausgesucht. Schon -zigmal gelesen, seit ich es noch in den Neunzigern von einer Bekannten geschenkt bekam. Von einer meiner Lieblingsautorinnen, einer Kanadierin. Katzenauge heißt der Roman, und würde man mich nach meinem Lieblingsroman aus der Kategorie Moderne fragen, würde sicherlich wie aus der Pistole geschossen dieser Titel genannt werden, den ich auf Deutsch wie im Original gelesen habe, immer wieder fasziniert, wie die Autorin es schafft, winzige Kleinigkeiten in knappe, passende Worte, Vergleiche und Bilder zu fassen.

Es geht um die Freundschaft zweier Mädchen, kleiner Schulmädchen. Da hat ja jeder ein Bild vor Augen. Süß, manchmal zickig oder schüchtern, Prinzessinnentum zum einen. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere wird im Allgemeinen ausgeblendet, da sie nicht zum Bild des niedlichen Mädchens passt. Denn das nervige Prinzesschengehabe und auch die Zickigkeit werden verziehen. Wird ja – fälschlicherweise – als typisch weiblich angesehen. Grausamkeit hingegen nicht – das passt nicht ins Bild, und wenn man sie doch sieht, ist nicht selten ihr Opfer die Schuldige für den Betrachter: hat doch sicherlich Anlass gegeben! Ansonsten vermeidet man den Blick auf die Fiesheiten von Mädchenfreundschaften lieber. Und doch geht es in diesem Roman, der viel mit Retrospektiven arbeitet, genau darum: Um eine Freundschaft, die man wohl am besten als Hassliebe bezeichnen sollte.

Ich kenne nicht eine einzige Frau, die solche Szenarien nicht kennt: Beste Freundinnen, man macht alles zusammen, geht natürlich auch gemeinsam zur Toilette – tolles Klischee, leider oft wahr. 😉 Und doch gibt es da öfter Zäsuren und Einbrüche. Kleine Gemeinheiten. Die aber offenbar so klein oft nicht sind, da sie einen unter Umständen noch Jahre später verfolgen, so klein sie auch scheinen mögen. Vertrauensbrüche bis hin zum Verrat. Das machen auch schon kleine Mädchen, und manchmal wandelt sich eine dicke Freundschaft in Feindschaft – vermeintlich über Nacht. Plötzlich ist alles falsch, was man macht, was vorher richtig und lustig war.

Das ist mir auch schon passiert. Zum Glück ging es gut aus, aber es hat Spuren hinterlassen. Winzige Spuren. Ich denke, kleine Mädchen sind sich der Auswirkungen ihrer Taten gar nicht bewusst. Ich zum Beispiel kriege die Krise, wenn ich -zig Frauen auf einem Haufen sehe, die begeistert tratschen. Wie ein Hühnerhaufen. Davon halte ich mich meist fern, denn das Gegacker erzeugt Abwehr in mir. Ich vermute, es erinnert mich einfach an die Zeit, da meine damals beste Freundin sich mit zwei anderen Mädels zusammentat, ich zwar geduldet war, aber diejenige, an der dauernd herumgenölt wurde, weil das, was ich tat, angeblich falsch sei, obwohl ich nichts anderes tat als die anderen drei. Es ging so weit, dass sich eine echte Feindschaft entwickelte und ich schon Bauchschmerzen bekam, wenn ich am Sonntagabend daran dachte, dass ich montags wieder in die Schule müsse. Ich glaube, seitdem mag ich Sonntage generell nicht mehr so gern – auch das eine Folge.

Aber irgendwann hatte ich die Nase voll, und ich stellte die drei Grazien, deren Anfeindungen ich bis dahin hilflos gegenübergestanden hatte, zur Rede, und das so energisch, dass sie mich künftig in Ruhe ließen. Damit hatten sie wohl nicht gerechnet. Und fortan lebten wir nebeneinander her, aber es gab wenigstens keine Herabsetzungen mehr. Höchstens für Gudrun, meine damals ehemals beste Freundin, denn als ein weiteres Mädchen sich dem Dreierclub anschloss, war sie plötzlich das Opfer. Sie trug die Haare falsch, hatte die falschen Klamotten an, war zu gut in der Schule. Ich registrierte das, aber ich ging nicht hin und nahm sie in Gnaden wieder auf. Zu früh. Außerdem hatte ich mich mit einem anderen Mädchen angefreundet – das genaue Gegenteil von mir. Damals. Denn sie war laut und energisch, und wir verstanden einander großartig, und das sogar auf Augenhöhe. Zumindest eine Zeitlang – dann ging die enge Freundschaft auseinander, aber wir gingen weiterhin freundschaftlich miteinander um. Zu der Zeit befreundete ich mich mit Bea, und diese Freundschaft blieb lange über die Schulzeit hinweg erhalten.

Mit Gudrun verstand ich mich hinterher auch wieder gut, zumal sie bei einer Geburtstagsparty plötzlich auf mich zukam und fragte, ob sie mal mit mir reden dürfe. Ich war etwas misstrauisch, sagte aber ja. Und da hat sie sich bei mir entschuldigt, und das fiel ihr gar nicht so leicht. Aber ihre Entschuldigung war aufrichtig. Und so blieben nur die winzigen Spuren, die das, was man heute wohl Mobbing nennt, bei mir hinterlassen hat, kein Groll. Im Gegenteil – wir unternahmen recht viel miteinander, hatten sogar als Fünfzehnjährige unseren ersten gemeinsamen Job: auf einer Hühnerfarm, wo wir die Eier aus der Legebatterie einsammelten und anschließend verpackten. Grausamer Job, und ich verstehe bis heute nicht, wie ich das machen konnte. Aber Reitstunden sind teuer, und die musste ich selber finanzieren …

Wenn auch sämtliche Misshelligkeiten ad acta gelegt wurden, sind die besagten Spuren doch geblieben. Ich habe erheblich mehr männliche Freunde als weibliche. Sicherlich gibt es bei Jungs und Männern auch ähnliche Probleme, aber diese besonderen Gemeinheiten habe ich – zumindest vordergründig – nie so mitbekommen. Ich fand’s immer klasse: Zwei Jungs oder Männer stritten sich, hauten sich im Extremfall gegenseitig eins auf die Zwölf, und danach war alles wieder im Lack, und sie tranken gemeinsam ein Bierchen. Oder zwei oder drei. Bei Mädels ist das Ganze oft viel subtiler, und man hat öfter das Gefühl, dass man, drehe man den Rücken, gleich ein Messer in selbigem stecken habe.

Natürlich kann man all das nicht verallgemeinern, aber die Tendenz ist doch recht stark gegeben, wenn ich mal so meine Erfahrungen betrachte. 😉

Und dennoch ist die Lektüre von Katzenauge keineswegs mit Schmerz oder Kummer verbunden. Eher mit wissendem Nicken und Selbsterkenntnis. Man selber ist ja nun auch nicht immer ein Unschuldsengel. 😉 Und es beruhigt immer so schön das Gemüt, wenn man sieht: All das, was einem selber Kummer bereitete, scheint völlig normal zu sein, und man ist kein Einzelfall. 😉 Nicht, dass es die Sache besser machen würde, aber manche Phänomene, die auf das ganze Leben Auswirkungen haben, scheinen zutiefst menschlich. Nur sollte man sich immer vor Augen führen, dass auch die Menschlichkeit eine Medaille mit zwei Seiten ist. 😉 Rücksichtnahme oft Fehlanzeige.

Und ich weiß wieder, warum ich mich im Allgemeinen mit Männern viel besser verstehe … 🙂

„Herr, gib mir Geduld … Aber sofort!“

Nachdem ich gestern eigentlich zum Friseur hatte gehen wollen, aber wegen erneuter Erkältungsbeschwerden leider ausfiel, wagte ich es heute, nachdem die gestrigen Erkältungs-Abwehrmaßnahmen so hervorragend gewirkt hatten, dass ich mich heute früh wie neugeboren fühlte. Naja – fast. Aber immerhin so gut, dass ich dachte: „Wer weiß, ob du es nächste Woche schaffst. Geh lieber heute – du siehst inzwischen echt verboten ummen Kopp rum aus!“

Ein Fehler, wie sich gerade herausstellt, denn seit etwa einer Stunde muss ich dauernd niesen und mich räuspern. Ein Zeichen dafür, dass da etwas durchaus nicht im Abzug begriffen ist, zumal ich ein ganz dezentes, aber hartnäckiges Frösteln verspüre, das partout nicht weichen will. Hätte ich mich neulich mal besser auskuriert! Aber nein! Wie üblich …

Es war allerdings auch in anderer Hinsicht ein Fehler, heute zum Friseur zu gehen. Denn obwohl ich mich an die Zeiten gehalten hatte, die meine Friseurin mir für samstags genannt hatte, da es zu diesen meist relativ leer sei – man arbeitet ohne Terminvergabe, und wer zuerst kommt, mahlt zuerst -, war die Bude brechend voll, als ich sie betrat. Sogar vorne im Wartebereich saß schon eine Kundin und blickte leicht genervt auf die Uhr. Und das bei nur zwei Friseurinnen – es würde sicherlich dauern.

Eigentlich hätte mir das ein Zeichen sein sollen: „Ali – geh wieder nach Hause, oder fahr wie geplant zum Einkaufen. Du bist eh nicht ganz fit.“ Andererseits sprach meine sogenannte Frisur, ein inzwischen ins Kraut schießender und herausgewachsener Bob, eine andere, ebenso deutliche Sprache, und es bestand die Gefahr, dass ich, würde man hier und heute nicht tätig werden, selber Hand an ihn legen würde. Und der Himmel weiß, wie ich dann aussähe! 😉

Ich rief ein fröhliches Hallo, und die beiden Friseurinnen grüßten fröhlich zurück. Vorsichtshalber rief ich: „Ich komme nur zum Schneiden!“ Strähnchen gibt es erst beim nächsten Besuch. Man signalisierte mir, es sei kein Problem, könne aber eine ganze Weile dauern. Nun gut, ich setzte mich zu der anderen Kundin in den Wartebereich, die wieder und wieder auf ihre Armbanduhr und dann mich anstarrte, als wollte sie sagen: „Gehen Sie lieber wieder – ich sitze schon seit zwei Stunden hier …“ Sie sagte aber nichts.

Nach einer halben Stunde war noch immer keine der anderen fünf Kundinnen fertig, und ich scharrte ein wenig mit den Füßen. Ich bin kein besonders geduldiger Mensch. Nur dann, wenn ich Leuten etwas beibringen soll, oder wenn ich mit Kindern und Tieren arbeite. Ansonsten hasse ich Warten wie die Pest, und nur der Gedanke daran, dass ich, ginge ich wieder, weiterhin wie eine Windsbraut aussehen würde, hielt mich auf der etwas abgesessenen schwarzen Ledercouch, die eigentlich „Sammy“ gehört, einem kleinen Mischlingshund, den meine Friseurin häufiger für ihren Nachbarn betreut. Zumindest glaubt Sammy, dass die Couch ihm gehöre, ist aber so nett, einen darauf sitzen oder etwas abstellen zu lassen. Er steht dann eben nur da und blickt streng, als wolle er sagen: „Ausnahmsweise darfst du da sitzen/deine Sachen abstellen. Nur, weil ich so ein netter Hund bin, denn diese Couch gehört mir!“ Und ich sage in solchen Fällen immer: „Na, Sammy, du bist wirklich ein sehr netter und großzügiger Hund!“ Dann freut er sich, wedelt und muss umgehend gestreichelt werden. Einen etwas psychopathischen Blick hat er bisweilen drauf, was aber wohl an seinem Besitzer liegt, der seinerseits ein wenig „schräg“ wirkt. Sowas kann auch auf Hunde abfärben. 😉 Dabei ist Sammylein ein sehr nettes Tier.

Gesprächsfetzen drangen an mein Ohr, und drei der fünf Kundinnen erzählten von ihren Enkeln und ihrem Rentnerdasein. Das machte mich ein bisschen – ich muss es zugeben – sauer. Warum mussten sie denn ausgerechnet an einem Samstag zum Friseur gehen, wenn sie doch Rentnerinnen waren? Ich habe unter der Woche erheblich weniger Zeit, noch einen Friseurbesuch zu organisieren. Aber ich zwang mich zur Geduld und dachte: „Ali, du bist nicht allein auf der Welt.“ Nur sagte die andere Wartende just in diesem Moment leise zu mir: „Zum Auswachsen ist das! Da ist man berufstätig und kann nicht so, wie man möchte, zum Friseur gehen. Ich würde samstags auch lieber ganz lange ausschlafen, aber ich muss, wenn ich muss, eben samstags zum Friseur, wo dann lauter Rentnerinnen sitzen und über ihre hochbegabten Enkelchen schwadronieren! Ich sitze hier schon seit einer Stunde!“ Ich sagte beschwichtigend: „Ach, ja, vielleicht sind sie früher immer samstags zum Friseur gegangen, und das hat sich halt so eingebrannt.“ Dabei kochte ich innerlich auch ein wenig, ich muss es zugeben. Aber ich kniff der anderen Wartenden ein Auge zu. Die grinste und meinte: „Sehr diplomatisch. Ist auch nicht jedem gegeben.“ Wem sagte sie das? 😉

Ich konnte den Ärger verstehen. Ich bin auch schon dienstags, mittwochs, donnerstags, freitags am Nachmittag etwas früher von der Arbeit verschwunden, um noch Strähnchen machen und/oder schneiden zu lassen, kam dann an, und in den Haarwaschbecken sah man nur weißhaarige Köpfe. Kamen sie nass wieder zum Vorschein und verlangten nach einer Dauerwelle, fragte man sich angesichts dessen schon, was da jetzt eigentlich noch groß in Wellen gelegt werden sollte … Ich weiß, es klingt boshaft, aber irgendwie ist es schon ärgerlich. Warum gehen diese Leute denn nicht wochentags am Morgen oder Vormittag zum Friseur? Nun ja, immerhin verstanden die andere wartende Frau und ich einander, und wir unterhielten uns dann ein wenig. Bis dann endlich eine der anderen Kundinnen fertig war und man die ebenfalls Ungeduldige wegholte.

Diese Gelegenheit ergriff ich beim Schopf – passendes Bild für einen Friseurbesuch – und fragte, ob ich nicht vielleicht doch lieber gehen und ein anderes Mal wiederkommen sollte. „Aber nein, es dauert nur noch ein wenig,“, rief die Saloninhaberin, die ich nun schon seit Jahren kenne. Und dann warf sie mir einen treuherzigen Blick zu und meinte: „Ach, Frau B. – ich weiß, das ist unverschämt, aber … Würden Sie mir vielleicht einen Gefallen tun?“ – „Ja, sicher.“ – „Würden Sie netterweise zu ‚Esser‘ gehen und mir ein Pfund Gehacktes halb und halb holen? Ich komme wohl heute nicht mehr zum Einkaufen, wie es aussieht.“ – „Ja, klar, kein Problem!“ „Esser“ ist eine Metzgerei ein paar Häuser weiter – mir brach doch kein Zacken aus der Krone. Und so drückte mir Frau Schulz einen Fünf-Euro-Schein in die Hand, und ich holte ein Pfund gemischtes Hackfleisch von „Esser“.

Frau Schulz bedankte sich überschwenglich, als ich ihr das Gewünschte nebst Wechselgeld aushändigte, und nachdem ich dann noch einer der Rentnerinnen, die soeben fertig geworden war, einen Cent aufhob, den sie fallengelassen hatte, und ihr in den Mantel half, meinte sie zu mir: „Wenn Sie wollen, können Sie hier gerne anfangen, Frau B.! Das Haareschneiden bringen wir Ihnen auch noch bei!“ – „Sehr schön! Sollte ich überraschend arbeitslos werden, melde ich mich umgehend.“

Danach habe ich noch weit über eine Stunde gewartet … Und alles nur, weil zwei Damen, die morgen – und das nicht überraschend – in den Urlaub fliegen, gestern auf die unglaublich tolle Idee kamen, eine Rundum-Behandlung machen lassen zu wollen: Dauerwelle, Färben, Strähnen, Schneiden, Augenbrauen- und Wimpernfärben. Wahrscheinlich habe ich sogar noch etwas vergessen. Am Tag mit den kürzesten Öffnungszeiten. An dem Tag, an dem endlich auch Berufstätige sich die Haare schneiden lassen können, die sonst nicht ganz so flexibel sind … Und sie blockierten den ganz normalen Betrieb an einem Samstag …

Die beiden wurden nicht müde, zu berichten, wie toll die vergangene Woche gewesen sei, zumal sie ja nicht (mehr) arbeiten müssten. Fast jeden Tag Käffchentrinken und Shopping. Urlaubsvorbereitungen wohl. Auf den Friseurtermin war man gestern bei einem Gläschen Sekt gekommen … Ganz spontan! Und zum Glück habe dieser tolle Salon ja auch samstags geöffnet … Ja. Wenn eine das weiß, dann ich … 😉

Irgendwann kam ich auch dran. Da war ich schon fast eingeschlafen, aber die schrillen Stimmen der beiden Urlaubssirenen weckten mich: „Ach, da sitzt ja noch eine Kundin! Du meine Güte, Frau Schulz! Sie Ärmste! Müssen Sie deswegen heute länger bleiben?“ Und zu mir: „Können Sie denn nicht an einem anderen Tag wiederkommen?“ Mit Vorwurf in den Stimmen.

Ich schnappte nach Luft, und das war gut so, denn so schnell konnte ich gar nicht sprechen, wie Frau Schulz auch schon meinte: „Frau B. ist hier Stammkundin, ist berufstätig und hat heute eine extrem lange Wartezeit auf sich genommen, damit Sie beide noch schöner aussehen, als ohnehin schon!“ Die beiden ältlichen Grazien lächelten geschmeichelt. Da! Das ist Diplomatie! 😉

Und trotzdem meinte eine von ihnen zu mir: „Sie sollten sich in der Tat die Haare schneiden und machen lassen!“ – „Sie mich auch,“, gab ich so leise zurück, dass nur Frau Schulz es hörte. Und sie grinste mich an und kniff mir ein Auge zu.

Und als Entschädigung habe ich heute drei Euro weniger bezahlt. 🙂

Dennoch: Diesen Fehler mache ich nicht noch einmal. Für den nächsten Friseurbesuch nehme ich mir Urlaub. Ganz sicher! 😉

Von Familienfeiern und -treffen

Zu Familienfeiern hat ja manch einer ein etwas gespaltenes Verhältnis. Ich nehme mich da gar nicht aus. Denn auch wenn man doch einer Familie angehört, ist solch eine Feier nicht selten ein Hort des Hauens und Stechens. Wohlgemerkt: im übertragenen Sinne, obwohl manchmal orts- und situationsabhängig auch schon mal im wörtlichen Sinne zu verstehen. Zum Glück aber nicht an der Tagesordnung. Obwohl sich trotz des traurigen Hintergrundes leider recht amüsant las, was ich vor einiger Zeit aus der Zeitung mit den drei Buchstaben erfuhr: Bei einer Trauerfeier am Niederrhein, vulgo: Leichenschmaus, trauerten die Hinterbliebenen wohl so heftig, dass man sich nur durch den Konsum großer Mengen Alkohols zu helfen wusste. Man wollte die Trauer wohl kurzerhand ersäufen.

Nur leider hat Alkohol bisweilen ganz unschöne Nebenwirkungen, von denen eine unter Umständen herabgesetzte Reizschwelle, emotionale Ausbrüche verschiedenster Art, aber auch ausgelebte Aggressionen besonders auffallen. Und leider traten alle diese Nebenwirkungen in der Trauergemeinde auf, und es endete im Chaos, als die Restfamilie sich zu prügeln begann, da es um die Verteilung der irdischen Güter des lieben Dahingeschiedenen ging. Einer der Angehörigen, ein junger Mann, soll sich sogar partiell die Kleider vom Leib gerissen und mit zumindest nacktem Oberkörper versucht haben, das Lokal in eine Achterbahn zu verwandeln, als er sich mit seinen Geschwistern – jeder gegen jeden – prügelte. Dann kam die Polizei, und als diese eingriff und einen der beiden Brüder in einen Streifenwagen verfrachtete, kam es zu einem interessanten Phänomen, das ich bei Streitigkeiten unter Geschwistern, in die sich unbeteiligte Dritte einmischen, schon öfter beobachten konnte: Die Geschwister verbrüderten sich unversehens, und schon ging es gegen den, der schlichten wollte … So auch hier, denn die Schwester des im Streifenwagen Sitzenden stürzte sich auf die Polizisten und versuchte unter Anwendung dessen, was man Gewalt nennt, ihren Bruder zu befreien, während der andere Bruder noch immer im Inneren des Lokals halbbekleidet das Inventar beschädigte …

Im Grunde ist das gar nicht lustig. Aber der Artikel war so verfasst, dass man sich das Grauen und diese Familie lebhaft vorstellen konnte, die sich wohl weniger harmonisch und auch weniger klug aufgeführt hatte – um es mal so auszudrücken. Er las sich einfach so, dass man lachen musste, wenn man zu den Leuten zählt, die zum Lachen nicht in den Keller gehen und einen Sinn für komische Situationen und Schilderungen haben. 😉

Aber auch wenn so etwas gar nicht vorkommt, können Familienfeiern bisweilen wirklich Zündstoff bieten und manchmal eher einem Tanz auf dem Vulkan ähneln. Alte Aversionen und Misshelligkeiten brechen plötzlich – im Kreise derer, die man lange nicht gesehen hat, weswegen aus der Distanz auch alles so harmonisch schien – wieder aus, alte Verhaltensmuster sorgen für ganz alte Gefühle, die in manchem Teilnehmer wieder aufsteigen, und ich spreche hier nicht von irgendwelchen amourösen Gefühlen. 😉 Eher von solchen der negativen Sorte, wenn Cousine Nicole mal wieder spitze Bemerkungen loslässt, so à la: „Hey, hast du etwa abgenommen?“, nachdem sie das Opfer als Kind stets gequält hatte, weil es ein bisschen moppeliger war als sie. (Nein, das ist mir zum Glück nie passiert, aber ich kenne solche Fälle …) Oder Cousine Uschi sagt: „Tolle Haarfarbe hast du! Deckt auch die grauen Haare prima ab! Ich hätte dich fast nicht wiedererkannt!“ (Nein, auch das ist mir zum Glück nie widerfahren, aber ich wurde auf einem solchen Treffen mal Zeugin einer derartigen Unverschämtheit, wobei Cousine Uschi sich mal besser bedeckt gehalten hätte … 😉 ) Dabei sind solche Dinge noch vergleichsweise harmlos in ihrer Unverschämtheit. Schlimmer geht immer. Siehe oben. 😉

Aus solchen Gründen bin ich auch immer ein wenig zwiegespalten, wenn es um Familienfeiern geht. Man muss so oft das Messer in der Tasche zumachen – natürlich auch im übertragenen Sinne. Vielleicht besser: die Faust in der Tasche machen. 😉 Und nein: Meine Familie ist sehr, sehr nett, aber eben eine ganz normale Familie. 😉

Aber es geht auch ganz anders und sehr schön, wie ich kürzlich erfahren konnte. Denn da hatte meine Schwester Stephanie Geburtstag, und den feierten wir mit einem Essen in einem Lokal. Eltern, eine Tante, Stephanie und ich. Aber sie hatte auch noch eine alte Freundin eingeladen, die ebenfalls Stefanie heißt, nur eben mit F. Und Stefanie hatte ihre beiden jüngeren Töchter mitgebracht, die eine 15, die andere 17. Ich war erstaunt, dass die beiden Mädels tatsächlich mitkamen – immerhin waren alle anderen um einiges älter als sie. Aber Nina und Mona waren sehr lebhaft und unterhielten sich prima mit den ganzen „alten Säcken und Säckinnen“. 😉

Stefanie und ich, die einander auch schon von klein auf kennen, obwohl sie eher Stephanies Freundin ist, stellten wiederholt voller Überraschung fest, dass wir offenbar ähnlich denken, ähnlich reden und im selben Moment exakt die gleiche sarkastische Bemerkung abzusondern in der Lage sind. Aber völlig unabhängig voneinander. Und wir bestellten – ebenso unabhängig voneinander – sogar das gleiche Gericht von der durchaus umfangreichen Karte und waren die Einzigen, die nach dem Essen statt eines Digestifs einen Espresso bestellten – im selben Atemzug. Das ging so weit, dass Stefanie irgendwann rief: „Ali, was würdest du dazu sagen?“, als jemand ihr eine Frage gestellt hatte. Ich gab eine Antwort, und Stefanie meinte: „Irre! Das Gleiche hätte ich gesagt! Und es ist ja nun nicht so etwas Einfaches gewesen, das man mit Ja oder Nein beantworten kann. Sag mal – sind wir irgendwie verwandt?“ Ich grinste und meinte: „Nee, glaube ich nicht. Sonst würden wir vielleicht nicht so harmonieren. Du weißt doch: Selbst, wenn man noch so an der Familie hängt – irgendwas ist immer, das manchmal stört.“ (Ich hatte leider völlig außer Acht gelassen, dass meine Mutter neben mir saß … Erst, als sie mir – scherzhaft! – die Dessertkarte übers Haupt zog, fiel es mir wieder ein. 😉 ) Dabei ist es durchaus, wenn auch selten, schon vorgekommen, dass mir eine Person sehr vertraut vorkam, auch wenn ich sie nur wenig kannte. Stefanie kenne ich allerdings schon ziemlich lange, aber solche Übereinstimmungen hatte ich in dem Ausmaß noch nie bemerkt. 🙂

Ein richtig nettes Familientreffen war es! Ob es wohl daran lag, dass drei Personen strenggenommen ja gar nicht zur Familie gehörten? 😉

Darum mein Tipp: Ladet zu Familienfesten und -treffen immer gute Freunde ein! 😉

Das Elend mit den Passwörtern

Der Tag, an dem ich mich aus der eigenen Wohnung oder meinem Auto ausschließe, ist sicherlich nicht fern. Zumindest dachte ich das neulich, als ich mich aus meinem eigenen Mailaccount ausgesperrt hatte.

Es war vor meinem Urlaub, und ich war wohl wirklich völlig durch den Wind, denn die zahlreichen Benachrichtigungen meines Providers hatte ich irgendwie nicht so ganz ernstgenommen. Ich überflog die ersten drei oder vier, aber der Ernst der Lage war mir wohl nicht so ganz klar – es las sich so, als gelte das alles gar nicht für mich. Ich war wohl wirklich ziemlich durch den Wind … Denn alle folgenden Benachrichtigungen ignorierte ich komplett – ich war mit den Gedanken ganz woanders.

Eines Abends wollte ich mich einloggen, aber ich konnte nicht. Verschiedene Versuche folgten. Verdammt, was war das? Ausgesperrt aus dem eigenen Account? Ich fluchte vor mich hin, verfluchte mich selber, nicht den Provider, denn der hatte ja frühzeitig gewarnt und aufmerksam gemacht. Oder vielmehr zu machen versucht, in meinem speziellen Falle … 😉

Aber es gab ja das „Master-Passwort“, das sicherlich Abhilfe schaffen würde! Welch ein Segen! Doch als ich es eingeben wollte, fragte ich mich rasch: Verdammt, wie lautete das blöde Ding?

Ja, ihr dürft gern über mich lachen, ich tue es in speziell diesem Falle auch. 😉 So blöd kann man doch gar nicht sein, und so blöd bin ich normalerweise auch nicht. Nur eben manchmal ein bisschen wurschtig. Das alles bestimmende Passwort zu verbaseln, ist in der Tat ziemlich … ungeschickt.

Merkwürdigerweise rief just an diesem Abend der Pein mein Ex Giacomo an. Dabei telefonieren wir eher sehr selten. Ehemals als Programmierer tätig, sind sein spezielles Medium Rechner. Und da er so spezialisiert und ein Nerd reinsten Weihwassers ist, fern der Welt, hat er normalerweise auch so gut wie kein Verständnis für „Schafe“, wie er ganz normale Nutzer wie mich nennt. Und ich bin offenbar ein ganz besonderes Schaf. 😉

Er rief mich an und fragte: „Sag mal, warum antwortest du eigentlich nicht mehr auf Mails? Ich habe dir heute drei Stück geschickt, und normalerweise antwortest du doch sehr schnell!“ Scheiße! Was nun? Würde ich zugeben, was passiert sei, würde ich mir einen ellenlangen italienischen Sermon, gespickt mit vielen wilden Flüchen, Verwünschungen und Schreien, anhören, die allesamt dem Tenor folgten: „Ali! Wie konnte das passieren! Du bist doch sonst nicht so … dumm!“ Und diese Flüche, Verwünschungen und Schreie würden darin münden, dass er mich des Schlimmsten bezichtigte, dessen er mich nur bezichtigen kann: „Ah! Ali! Sei una principessa! Ma una principessa pazza!“

Das kann ich gar nicht leiden! Ich bin a) keine Prinzessin! B) Ich mag vielleicht manchmal etwas „schräg“ sein, aber ich bin nicht verrückt, was, c), völlig ausschließt, dass ich eine „verrückte Prinzessin“ sei! 😉 „Principessa pazza“ hat er mich früher schon immer genannt, und die meisten Leute fanden das total süß – aber sie hörten auch nur „principessa“. Was „pazzo“ oder – feminin – „pazza“ bedeutet, wussten sie ja nicht. Die meisten zumindest. Nur einer hat mich mal von der Seite angesehen und vorsichtig gefragt: „Warum lässt du es dir gefallen, dass er dich eine verrückte Prinzessin nennt?“ Meine Antwort bestand aus einem Grinsen und der lapidaren Aussage: „Ach, da höre ich schon gar nicht mehr hin. Im Übrigen nenne ich ihn einen ‚pavone‘ und für mich ganz insgeheim einen ‚pavone matto‘.“ Mein Gesprächspartner lachte, sah Giacomo an und meinte: „Passt perfekt. Er ist ein Pfau.“ – „Ja, und nicht selten in der Tat ein wahnsinniger solcher.“

Nur höre ich die „principessa pazza“ nun doch nicht so gerne, und so faselte ich am Telefon etwas von „wahnsinnig beschäftigt“, „wenig Zeit“ und „just in diesem Moment extrem in Eile, lass uns doch die Tage mal telefonieren, wenn ich mehr Zeit habe“. Doof war: Es war mitten in der Woche, und es war halb neun abends, und noch dümmer war, dass ich kurz zuvor gesagt hatte, ich sei so froh, nach diesem Arbeitstag endlich zu Hause zu sein! Von „extrem in Eile“ also weit entfernt. 😉

Giacomo hat eine denkwürdige Eigenschaft neben anderen denkwürdigen Eigenschaften: Er merkt immer, wenn man ihm ausweicht, auch wenn man noch so natürlich plaudert, und er lässt dann nicht locker. Irgendwann hatte er mich soweit, dass ich zugeben musste, dass ich mich aus meinem eigenen Account ausgesperrt hatte …

Ich bereute sofort, es zugegeben zu haben, als sein wildes Fluchen fast mein linkes Trommelfell zum Bersten brachte (ich telefoniere immer mit links, wie ich auch meist mit links rauche)! „Ah! Ali! Sei una principessa pazza! Una pecora ignorante! Perché? Come mai? Aaaaaaah!” Und der Rest des explizit Artikulierten verlor sich in wilden toskanischen Flüchen, mundartlich, die ich nicht verstand. Wahrscheinlich zum Glück. Mir reichte schon das unwissende Schaf … 😉

Und so gab ich in gezierter Attitüde zurück: „Ist dir eigentlich schon einmal aufgefallen, wie ordinär Italienisch klingen kann?“ – „Ah! Du willst nur ablenken! Aber nicht mit mir! Nun! Gehen wir das Ganze konstruktiv an! Du hast doch dein Master-Passwort – das haben wir damals gemeinsam angelegt!“

Ach! Du! Scheiße! Ich überlegte, ob ich einen akuten Schwächeanfall vorschützen sollte. Würde ich jetzt auch noch zugeben, dass ich das verdammte wichtigste Passwort, die Lösung allen Ungemachs, verbaselt hatte, würde ich sicherlich fernmündlich gekillt. Zumindest würde mein Trommelfell wirklich platzen. Und so versuchte ich es mit Ausflüchten: „Du, ich muss gerade mal ganz dringend …“

Doch darauf schien Giacomo nur gewartet zu haben. Und er schrie ohne Rücksicht auf Verluste: „Ah! Sage mir jetzt nicht, dass du dein Master-Passwort vergessen hast! Aaaaah! È incredibile! Pazzo! Ignorante! Tonto!“ – „Jetzt halt mal die Luft an! Hast du noch nie etwas verbaselt?!?“ – „Nie, niemals! Und schon gar nicht ein Passwort! Was habe ich dir immer gesagt?!?“ – „Muss ich es im Einzelnen wiederholen?“ – „Aaaaaaah! Du hast nie auf mich gehört! Ha! Aber da siehst du, dass das falsch war!“ – „Nun ja … In diesem Falle vielleicht schon …“ – „Ah! Auch in anderen Fällen!“ – „Naja …“ meinte ich vieldeutig.

Wir einigten uns schließlich darauf, dass wir besser ein anderes Mal telefonieren würden und dass ich nun sofort bei der Hotline meines Providers anrufen würde. Das tat ich dann auch, und wie gut war es, eine nette Mitarbeiterin an der Strippe zu haben, die mein linkes Trommelfell schonte, das noch immer in massiver Schwingung begriffen war – und diese Schwingung war eindeutig negativ. 😉 Ich erklärte ihr etwas kleinlaut, sie habe den einzig wahren „DAU“ am Telefon, den dümmsten anzunehmenden User. Sie lachte sich halb schlapp und meinte, so schlimm könne es nicht sein – zumindest hätte ich offenbar Humor, und wer sich selber als „DAU“ bezeichne, sei das ganz sicher nicht. Als ich ihr mein Problem schilderte, lachte sie noch mehr und meinte: „Sie sind nicht der DAU, ganz im Gegenteil – da kenne ich ganz anderes!“ Und dank ihrer Hilfe zur Selbsthilfe kam ich dann auch wieder in meinen Account. 😉 Und das ganz in Ruhe und ohne wildes Geschrei und Fluchen. 😉

Wenn ihr mich fragt, muss man sich viel zu viele Passwörter merken. Es wäre natürlich hilfreich, würde man sich das Haupt-Passwort einfach merken … 😉 Vielleicht sollte ich es der Einfachheit halber einfach „Giacomo!Pavone!Matto!XYZ%08/15?“ nennen. Was meint ihr? 😉

Nein, ich habe natürlich ein bisschen übertrieben, und mein Passwort kenne ich natürlich. Wieder. Seitdem ich ein neues Mail-Passwort habe. Keine Ahnung, wie mir das entfallen konnte … 😉

Kleine Grammatiklektion – heute: Aktiv vs. Passiv: „Ali lasert“ vs. „Ali wird gelasert“ …

Da bin ich wieder, und ich lebe noch! 😉 Unter meinem linken Auge ist nun eine größere rote Stelle, wo vorher eine kleinere rote Stelle war, die eigentlich so gut wie niemand wahrnahm, es sei denn, er kam ganz nahe an mich heran. Aus einer Entfernung von mehr als zehn Zentimetern war das Ding so gut wie nicht zu sehen. Nur ich sah es natürlich, und es störte mich sehr. Die Stelle ist nun ein wenig erhaben und in größerem Umfang gerötet, aber man versprach, das gehe wieder weg.

Ich fuhr zeitig los – man will ja nicht zu spät kommen zu solch angenehmen Veranstaltungen, vor denen man ohnehin ein kleines bisschen Schiss hat, nicht wahr? 😉

An der Anmeldung händigte man mir gleich einen Schrieb aus, den ich unterschreiben musste. Die Helferin meinte: „Sie bekommen ja sicherlich eine örtliche Betäubung – daher.“ – „Eine örtliche Betäubung? An die Stelle?“ Ich sah sie entsetzt an und deutete zaghaften Zeigefingers unter mein linkes Auge. Sie sah daraufhin lieber noch einmal auf ihren PC und meinte: „Ach, nein, Sie bekommen ja ein Angiom gelasert – da gibt es keine Betäubung. Im Regelfall jedenfalls nicht.“

Der Nachsatz irritierte mich. Ich bin ein Mensch, der gern mal das Gras wachsen hört, und so fragte ich: „Wie, im Regelfall?“ – „Nur bei sehr schmerzempfindlichen Menschen, aber auch nicht unter dem Auge, und beim Lasern ist das auch nicht wirklich angebracht.“ – „Nur bei sehr schmerzempfindlichen Menschen – das heißt, es ist ziemlich unangenehm?“ – „Naja, also, es piekst schon ziemlich heftig. Angenehm ist ganz anders.“

Super! Diese Arzthelferin verstand ihr Handwerk … etwas anders. Wahrscheinlich stand ich mit schreckgeweiteten Augen vor ihr, denn sie meinte: „Aber das hält man aus!“

Wie ich diesen Satz liebe! Man hält so vieles aus – im Amerikanischen Bürgerkrieg und anderen Kriegen haben Leute ausgehalten, dass man ihnen Gliedmaßen ohne Betäubung amputierte, weil das Narkotikum wegen nachvollziehbarer Engpässe ausgegangen war! Man hält so vieles aus, vor allem, wenn es keine Alternative gibt. Hier gab es eine, und ich überlegte, ob ich wieder gehen sollte, aber seit wann war ich denn so ein Schisshase? Ich hasste mich fast dafür, und so hob ich selbstbewusst den Kopf und meinte: „Kein Problem, kriegen wir hin!“ (Einer meiner Standardsätze, wenn ich mir selber Mut mache, wenn ich unsicher bin. Hilft sogar! 😉 )

Und dann wartete ich im Wartezimmer … Irgendwann kam eine Frau in die Praxis, die ich zunächst für eine Patientin hielt. Sie warf einen Blick ins Wartezimmer, in dem außer mir nur eine ältere Dame saß, und sie lächelte mich freundlich an und nickte mir zu. Nette Patientin – nickte schon von draußen den Leuten im Wartezimmer freundlich zu! Komischerweise verschwand sie gleich im hinteren Praxisbereich. Wohl eine Privatpatientin …

Und dann wurde ich aufgerufen. Etwas zweifelnd schritt ich neben der Arzthelferin her, die mich aus dem Wartezimmer geholt hatte – zum Glück eine andere als die von der Anmeldung. 😉 Sie sah mir prüfend in die Augen und meinte: „Wie fühlen Sie sich, Frau B.? Alles in Ordnung?“ – „Äääh, ja. Noch!“ Sie lachte, meinte, ich solle mir keine Gedanken machen, denn diese Frage stelle sie vor solchen Behandlungen immer, und führte mich in einen OP-Raum, in dem eine schmale Liege und viele furchterregende Gerätschaften standen und lagen und hieß mich, mich auf die Liege zu legen. Ich folgte ihren Anweisungen, und da wurde ich doch ein wenig nervös. Ich merkte es an meinem Kreislauf, denn ich sah plötzlich so kleine Sternchen, was bei mir immer der Fall ist, wenn mein Blutdruck zu niedrig ist. Zum Glück lag ich ja schon. 😉 Und die Nervosität würde hoffentlich auch gleich nachlassen.

Zwar sehe ich nicht so aus, aber wäre ich ein Pferd, wäre ich sicherlich ein Vollblüter. Zumindest vom Gemüt her. Ein Sensibelchen, bisweilen zur Nervosität und zu überschäumendem Temperament neigend. Optisch wäre ich sicherlich eher ein Haflinger, aber das sind sehr sympathische Pferde, deren „leichterer“ Schlag übrigens durch Einkreuzung von Arabern, also Vollblütern, entstand. Da haben wir ja das Vollblut … 😉 Und so lag „Haflinger“ Ali nervös auf dieser recht schmalen Liege, obwohl sie am liebsten mit wehendem Schweif und unter hysterischem Wiehern aus der Praxis galoppiert wäre … 😉 Wenn man bedenkt, weswegen ich da war, konnte man sich nur an den Kopp packen … Und das tat ich in meinem tiefen Inneren auch. Aber ich hatte so etwas noch nie machen lassen, und da bin ich eben ein bisschen verunsichert. Dabei sitze ich sonst Wurzelbehandlungen beim Zahnarzt ziemlich unerschrocken ab … Fast wünschte ich mich in den Zahnarztstuhl, denn da wusste ich wenigstens, was auf mich zukäme. 😉

Die Arzthelferin legte eine Schutzbrille zurecht und sagte freundlich: „Die Ärztin kommt gleich.“ Und dann lag ich da, etwa fünf Minuten, zusammen mit dem Lasergerät, das die Helferin eingeschaltet hatte und das ein unheilschwangeres Geräusch absonderte. Zumindest klang es für meine nervösen Ohren unheilschwanger, denn neutral betrachtet, klang es einfach wie ein stinknormales technisches Gerät. 😉

Und dann kam die Ärztin. Ich grinste, denn es war niemand anders als die vermeintliche Privatpatientin, die mir so freundlich zugenickt hatte, als sie die Praxis betrat. Wahrscheinlich hatte man sie schon vorbereitet: „Vorsicht, nervöser Haflinger auf der Behandlungsliege.“

Sie begrüßte mich freundlich und fragte dann, ob man mich zum Thema Laser schon aufgeklärt hätte. Ich meinte, es sei sicherlich von Vorteil, wenn sie mir dazu noch eine kleine Einführung gebe, und als sie dann loslegte, wünschte ich mir, ich hätte nicht darum gebeten. Denn sie erzählte mir: „Die Anwendung von Laser auf ein Angiom bringt dieses Blutgefäß zum Platzen, und …“ Bah! Nicht, dass mir die Wirkungsweise nicht klar gewesen wäre, aber ich fand es sehr plastisch ausgedrückt für einen Menschen mit einem lebhaften Kopfkino wie dem meinen. 😉 Aber ich grinste, obwohl ich ganze Hundertschaften explodierender Blutgefäße vor Augen hatte. Die Ärztin grinste auch und meinte: „Es klingt nach Blutbad, nicht wahr? Ist aber alles ganz harmlos.“

Ich fragte – nicht zum ersten Mal: „Ist das sehr schmerzhaft?“ – „Nein. Etwa so wie ‚tausend Nadelstiche‘ – das kennen Sie sicherlich?“ O ja. Das kannte ich, und ich hasste es als Kind, denn je nachdem, wer das machte, tat das richtig fies weh. Aber ich sagte nur: „Ach …“ – „Sehen Sie, alles nicht so schlimm.“ – „Nee …“

Und dann ging es auch schon los. Man setzte mir die Schutzbrille auf, gab ein Kontaktgel auf die zu lasernde Stelle, und die sehr freundliche Ärztin meinte: „Frau B., ich erkläre alles, was ich mache. Sie werden sicherlich zusammenzucken, aber ich sage immer Bescheid, wenn ich etwas mache. Ich setze jetzt erst einmal das Handstück auf. So. Und jetzt nicht erschrecken – Sie werden jetzt einen Blitz wahrnehmen, einen roten Blitz. Nicht erschrecken, alles harmlos.“ Es machte „Fump!“, und da war der rote Blitz, und es tat ein bisschen weh, aber keineswegs so wie bei „tausend Nadelstiche“. Es war erheblich harmloser, als mir die Anmeldungs-Arzthelferin weisgemacht hatte. 😉 Es war nicht ganz so, dass ich gesagt hätte: „Au ja, bitte jeden Tag davon!“ Aber es war wirklich „Kinderkram“. Viermal insgesamt laserte die Ärztin, und, zugegeben, es war bei jedem Mal etwas weniger angenehm. Aber locker zu ertragen.

„Wie – schon fertig?“ rief ich daher auch, als sie meinte: „So, das war es.“ Sie lachte und meinte: „Ich kann auch gerne weitermachen, wenn Sie unbedingt wollen.“ Aber ich bedankte mich, nein, so dringend nötig sei das nun auch wieder nicht. 😉

In zwei Wochen muss ich zur Kontrolle hin, und falls tieferliegende störende Gefäße durch die heutige Behandlung ans Tageslicht getreten sein sollten, werde ich nochmal gelasert. Man gab mir noch ein Fluid mit, das ich gegen die bösen UV-Strahlen auf die Stelle auftragen soll, denn sonst habe ich statt des Angioms da bald dunklere Pigmentierung. 😉 „50+“ steht auf der Tube – na, herzlichen Dank! 😉

Und so war der heutige Tag mal wieder ein Lehrstück aus der Reihe: „Immer dieselben Fehler“ bzw. „Frag nie andere Menschen – mach deine eigenen Erfahrungen“. 😉

Wenn ich es nur endlich mal lernen würde! 😉

Fragen über Fragen

Ehrlich gestanden: Mir graut ein wenig vor morgen. Da habe ich einen Termin bei meinem Hautarzt – etwas „abgehoben“ auch Dermatologe genannt. Zum Lasern. Ich hatte das ja schon mal erwähnt, auch die Antwort auf meine Frage, ob das sehr wehtue: „Das hält man aus.“ Hmmm … Um 11:30 h geht es los … 😉

Am besten gar nicht drüber nachdenken. Lieber die Zeitung mit den drei Buchstaben lesen. Da steht immer so Spannendes drin. Nee, in echt! 😉 Heute las ich einen atemberaubenden Artikel über Einbrecher, die drei Dönerspieße aus einem Imbiss gestohlen hätten, dazu auch noch Getränke! Am spannendsten an diesem Zehn-Zeilen-Artikel waren Orthographie und Grammatik. Da hatten Menschen „drei schweren Dönerspiße“ gestohlen, nachdem sie sich „Zuträtt“ zu der Lokalität verschafft hatten. Das fand ich echt prickelnd. 😉 War der Lohnschreiber gerade von einer besonders rauschenden Party gekommen? (Mag sein, dass ich pingelig bin, aber mal ehrlich: Wie kann man so etwas veröffentlichen – liest da keiner Korrektur? Und wie kann man in einem Zehnzeiler so viele Fehler unterbringen, denn die genannten Beispiele waren nicht die einzigen …)

Aber das war nicht das einzige Ding, das mich ein wenig aufbrachte. Ich las einen Artikel über eine Kita, in der drei Erzieherinnen „freigestellt“ worden seien, nachdem eine gegen einen Stuhl eines Kindes getreten und dabei das Bein des Kindes gestreift habe. Ein anderes Kind sei von einer anderen Erzieherin mit einer Spielschürze an einen Stuhl gebunden worden. Gut, das geht wirklich nicht – keine Frage. Aber aus dem Artikel ging nicht hervor, dass die drei Erzieherinnen auch mal ihre Sicht der Dinge schildern durften, nachdem ein dreijähriges Kleinkind, an dessen Darstellung keinerlei Zweifel bestünden, wie es hieß, diese Vorkommnisse aus seiner Sicht beschrieben hatte.

Ich habe viel mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet und bin eine der Ersten, die die Ansicht vertreten, dass Kinder ernstgenommen werden müssen. Aber warum stand nichts davon im Artikel, dass man die Erzieherinnen angehört habe?

Stattdessen prügelten sich in der Kommentarfunktion viele Leute, die alles besser wussten. Eine Erzieherin oder ein Erzieher dürfe niemals so reagieren! Untermenschen! Wie kann man nur? Kinder seien per se sensible Wesen, die man hegen und pflegen müsse! Am besten nur leise sprechen, weil sonst die Kinder Schaden nehmen könnten. Einer zitierte sogar dieses Lied: „Sind so kleine Hände …“. Auch hier keine Frage: Man darf Kinder nicht körperlich angehen, man muss behutsam mit ihnen umgehen. Sehe ich auch so. Aber hier wurden Kinder zur Heiligen Kuh ausgerufen, und wenn ich diese ganzen Kommentare so verinnerliche und ernstnehme, kann ich nur jeden Menschen, der es als seine Berufung ansieht, pädagogisch tätig zu werden, warnen: „Vorsicht – das sind keine Kinder, die ihr da betreut. Das ist Nitroglyzerin!“

Wie gesagt: Keine Frage – man darf Kindern nicht mit physischer oder psychischer Gewalt begegnen. (Wie übrigens auch anderen Menschen nicht.) Aber hat jemand die Erzieherinnen gefragt, was dazu führte? Offenbar nicht – zumindest ging das aus dem Artikel nicht hervor. Und das finde ich einfach nur ungerecht. Drei Existenzen zerstört, denn wer stellt die Frauen denn noch als Erzieherinnen ein? Was mich besonders schockierte: Kinder scheinen alle Rechte für sich gepachtet zu haben und dürfen alles, den Kommentaren nach, aber Erzieher sollen gefälligst wie Maschinen funktionieren. Ist das nicht irgendwie ein kleiner Widerspruch? Ich glaube, die geifernden Kommentatoren haben noch nie mit Kindern gearbeitet …

Da gibt es wirklich nette Kinder, die auch Erziehung mitbringen, aber es gibt auch die kleinen Gesellen, die einfach nur verhätschelt, verwöhnt und Prinzen und Prinzessinnen sind. Unerträglich verwöhnte Prinzen und Prinzessinnen, die dann zwar der Betreuungsperson mit Schmackes gegen das Schienbein treten dürfen, wenn ihnen – wie nicht selten der Fall – etwas nicht passt, aber schon heulen und die Eltern alarmieren, wenn man sie ein bisschen direkter angesprochen – nicht -gefasst! – hat.

Ich habe früher gern mit Kindern gearbeitet, und es lief auch prima, aber ich glaube nicht, dass ich das heutzutage noch so uneingeschränkt machen wollte. Es ist schon mit manchen Studenten, die ja erwachsen sind, schlimm genug. Und als ich mich bereiterklärte, zum kommenden Wintersemester wieder an der Uni in der Nachbarstadt Seminare zu leiten, fragte mich mein früherer Vorgesetzter Andrew: „Hast du eigentlich eine Rechtsschutzversicherung, Ali?“ – „Nein.“ – „Vielleicht solltest du eine abschließen. Es wird immer krasser mit manchen Studenten. Wehe, du gibst denen – völlig zu Recht! – eine schlechte Note! Da stehen dann nicht selten die Eltern mit dem Anwalt auf der Matte.“ Na, bravo! Ob ich noch schnell eine Rechtsschutzversicherung abschließen sollte? Am 17. geht es immerhin los …

Ein weiterer Artikel war da, über den ich mich ärgerte. Da erzählte ein Stand-up-Comedian in epischer Breite über seine Krankheit: Er leidet an einer Depression. Versteht mich nicht falsch: Ich kenne selber diverse an Depressionen erkrankte Menschen bzw. habe sie gekannt, denn nicht alle von ihnen leben noch. Ich nehme diese Krankheit sehr ernst, aber ich fand den Artikel, der vorgeblich Mut machen sollte, einfach nur völlig daneben, denn der Comedian erzählte gleich, dass es ihn ankotze, dass viele Depressive wohl jammern und emotional erpressen würden. Mit Verlaub: Ich kenne keinen einzigen ernsthaft Depressiven, der je gejammert oder emotional erpresst hätte. Im Gegenteil – diese Leute zogen sich in sich zurück, wurden fremd und ganz fern. Jammern habe ich nie einen von ihnen gehört.

Noch besser dann der Ausspruch, dass es dem Comedian stets bessergehe, habe er einen Schub, wenn er sich der Komik vergangener Tage erinnere! Auch das bitte nicht falsch verstehen: Es freut mich, wenn jemand dazu in der Lage ist, der an einer Depression leidet. Aber das tun nicht alle, denn Depressionen scheinen wirklich heimtückisch zu sein und zu den Krankheiten zu gehören, die höchst individuell sind. Daher ärgerte mich dann auch der gutgemeinte Rat an ebenfalls Betroffene, es dem Stand-up-Comedian doch gleichzutun.

Der Artikel sollte vorgeblich wohl Mut machen und Verständnis erzeugen. Vorgeblich. Für meine Begriffe war er schädlich, denn nun würden all die, die ohnehin schon immer mit Unverständnis reagieren, erneut hingehen und Betroffenen sagen: „Aber erinnere dich doch an die Komik vergangener Tage! Der Comedian hat es doch auch gesagt!“  Für mich war der Artikel reines Marketing, denn eine Veranstaltung des Comedians stand ins Haus, und von daher fühlte ich mich abgestoßen.

Für manche Menschen scheint das Leben aber wirklich total einfach zu sein, und selbst die Graustufen einer Depression erscheinen noch in einem fröhlichen Licht, wenn nur ein Comedian hingeht und die Welt erklärt. Ich fand den Artikel höchst ärgerlich, aber ich habe auch schon mehrfach in meinem bisherigen Leben auf Friedhöfen gestanden und mich bei Beerdigungen von Menschen, die ich mochte, aber aufgrund ihrer Krankheit irgendwann nicht mehr „greifen“ konnte, verabschieden müssen. Ohne Groll, ohne Vorwürfe, denn ich konnte nicht beurteilen, was sie dazu gebracht hatte. Da war nur Kummer, dass sie offenbar vor einer aussichtslosen Lage gestanden hatten, aus der niemand – auch nicht die Komik vergangener Tage – sie herausholen konnte. Und da war Respekt, denn wer springt schon voller Freude von einer Autobahnbrücke, wenn das Leben doch so einfach sei? Fährt morgens um 3 h hin, hinterlässt einen Abschiedsbrief, in dem steht, sie sei so früh dorthin gefahren, weil dann so gut wie kein Verkehr sei? Respekt, weil ich ahnte, aber nicht in voller Härte begreifen konnte, wie grauenhaft das Leben für diese Person war, obwohl wir so oft miteinander gesprochen und Tee getrunken, trotz des unterschiedlichen Alters auch sehr ernsthaft und offen gesprochen hatten. Wahrscheinlich wusste sie einfach nicht von der Patentlösung hinsichtlich der Komik der vergangenen Tage. Vielleicht waren die Tage der Vergangenheit aber auch gar nicht so komisch gewesen …  Es ist eben alles ganz individuell, und es gibt kein Patentrezept.

Hui – was für ein furchtbarer Beitrag! Und all das nur, weil ich morgen zum Lasern muss? 😉 Nö, wahrscheinlich nicht deswegen, sondern weil mich einige Dinge, die für manche Menschen so easy sind, einfach nur ankotzen. Sorry. Ich bin sicher, der nächste Eintrag wird netter. Kommt sicher morgen, nach dem Lasern – das kann nur lustig werden … 😉

“Operator, number, please: it’s been so many years …”

Ich leihe mir mal eine Zeile aus meinem Lieblingslied von Tom Waits: „Martha“. Tom Waits ist sicherlich nicht jedermanns Geschmack, aber ich höre ihn gern, und „Martha“ ist mein Favorit – es ist ein so schön melancholisches Lied, dass mir – ich gebe es zu – bisweilen die Tränen in die Augen steigen. Ich erwähnte ja schon, dass ich sehr nahe am Wasser gebaut habe und dann bisweilen meine nicht selten völlig unschuldigen Kontaktlinsen herhalten müssen, um das Hochwasser zu begründen. Manchmal sind sie wirklich schuld. Aber nicht immer. 😉

Ich hörte dieses Lied heute nach langer Zeit einmal wieder, und prompt fiel mich das an, was so viele Leute am Herbst nicht mögen: leise Melancholie. Und ich dachte an so viele Dinge, die ich anders hätte machen können. An all die Was-wäre-wenns … Völlig unkonstruktiv, darüber zu grübeln, ob man vielleicht an mancher Stelle lieber links statt rechts abgebogen wäre – an diesen dämlichen Kreuzungen und Gabelungen des Lebens, an denen man sich entscheiden muss. Nicht umsonst ranken sich verschiedene Aberglauben und Mythen um Wegkreuzungen als „magische Orte“ mit besonderen „Energien“, Geistern und sonstigen Phänomenen dieser Art. Wirklich nicht konstruktiv. Lieber aktiv werden – manchmal kann man Dinge korrigieren, das Ruder herumreißen.

Als ich gerade besonders grüblerisch wurde, klingelte das Telefon. Meine Schwester war dran, und sie riss mich aus der übersteigert herbstlichen Stimmung. Das war gar nicht so schlecht, und wir plauderten über eine Stunde. Und das, ohne auch nur einmal verschiedener Meinung zu sein – eine Seltenheit. 😉 Zwar schwirrte mir danach ein bisschen der Kopf, was aber ganz normal ist, wenn Stephanie und ich uns unterhalten, und die Melancholie war einer gewissen Heiterkeit gewichen.

Dabei hatten wir durchaus auch über früher gesprochen. Auch über Dinge, die damals furchtbar erschienen, über die man heute aber amüsiert lachen kann, weil bekanntermaßen nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wurde.

Einige Anekdoten waren auch wirklich charmant. So zum Beispiel diejenige, die meine Vorliebe für Parfums geweckt hat. Es ist schon lange her, es war kurz vor meinem Achtzehnten, als meine Schwester, von ihrem damaligen Verlobten daran erinnert, dass ich doch bald Geburtstag hätte und sie doch endlich mal ein Geschenk besorgen solle, meinte: „Ja, mache ich noch – ich habe im Moment wenig Zeit.“ Aber die Zeit drängte, und so ging Michael auf eigene Faust los, weil er der Meinung war, dass das so nicht gehe.

Und er betrat eine Aachener Parfümerie, weil er der Ansicht war, dass mit 18 das erste Parfum durchaus nicht fehl am Platze sei. (War damals so – heute rennen ja schon Dreizehnjährige wild einparfümiert herum … 😉 )

Eine Verkäuferin sprach ihn an: „Kann ich Ihnen helfen?“ – „Äääh, ja. Nun, ich suche ein Parfum für eine junge Dame, die 18 wird.“ – „Für Ihre Freundin?“ – „Äääh, nein. Für ihre kleine Schwester, meine Schwägerin in spe.“ Die Verkäuferin starrte Michael grinsend an, und es war an ihrem Gesicht abzulesen, was sie wohl dachte: „Aha, interessant, für die Schwägerin … Spannende Verhältnisse …“ Nun, damit lag sie völlig falsch. Aber freundlich fragte sie weiter: „Es ist natürlich nicht ganz einfach, wenn man ein Parfum für eine Person aussucht, die nicht selber dabei ist. Daher: Was für ein Typ Frau ist denn Ihre Schwägerin in spe?“

Michael stand da und überlegte … Schwierige Kiste. Was für ein Typ Frau war Ali? Wie sollte man sie beschreiben? Sie war anders als Stephanie, völlig anders. Aber wie fasste man das jetzt am besten zusammen?

Doch da fiel ihm etwas ein, und er sagte: „Meine Schwägerin in spe ist ein besonderer Mensch.“ Die Verkäuferin unterbrach ihn und meinte: „Ja, nur – das hilft jetzt nicht so weiter. Können Sie sie vielleicht etwas präziser beschreiben? Eher lebhaft? Oder ruhiger? Sehr modebewusst? Solche Dinge sind wichtig.“

Und da wurde Michael von einem Geistesblitz angefallen: „Meine Schwägerin in spe ist eher ruhig. Anders als meine Freundin.“ Und schon wandte sich die Verkäuferin einem Regal zu, um ein Parfum für ruhige Schwägerinnen in spe herauszunehmen. Aber Michael rief hinterher: „Sie ist ruhig. Aber energisch!“ Das war ihm wichtig. Denn ein „ruhiges“ Parfum hätte nicht das volle Spektrum abgedeckt, fand er. 😉

Und so griff die Verkäuferin in ein anderes Regal und führte ihm ein „ruhiges, aber energisches“ Parfum vor, und das fand er so überzeugend, dass ich es an meinem Achtzehnten von ihm überreicht bekam. Und ich freute mich riesig darüber! Und lachte heftig, als er die Geschichte des Kaufs erzählte. 🙂

Das Parfum benutze ich heute noch – es ist einfach unschlagbar. Und das, obwohl ich auch diverse andere Düfte besitze und benutze. Dieses hier – das ruhige, aber energische „Aromatics Elixir“ – ist mein Favorit. Auch weil es mit dieser sympathischen Geschichte verbunden ist.

Mein damaliger Schwager in spe ist nie mein Schwager geworden. Aber das Parfum ist geblieben. Nicht dasselbe Gebinde von damals, natürlich. Ich habe schon diverse Flakons davon verbraucht, und es wird mich auch weiterhin begleiten. Es ist in der Tat recht eigen, nicht jeder mag es. Aber ich glaube, es passt zu mir, und ich mag es sehr. 🙂

Und so hat auch die Melancholie, wie alles im Leben, zwei Seiten. Auch eine heitere. 🙂

Ruhig, aber energisch wünsche ich nun ein schönes Wochenende.:-)