Wie ihr ja alle wisst, lese ich gern in der Zeitung mit den drei Buchstaben, die in der Region hier verbreitet und mir von Kleinkindzeiten an vertraut ist. Zumindest in der Online-Version, denn die Printversion würde ich gewiss nicht abonnieren. Online muss man sich wenigstens nicht ärgern, Geld dafür zu bezahlen. 😉
Nachdem ich vor wenigen Tagen gelesen hatte, dass eine kleine Stadt im Sauerland beschlossen habe, alle Birken zu fällen, weil es ja so viele bedauernswerte Birkenpollen-Allergiker gebe, musste ich gestern und heute einen Artikel lesen, in dem geschrieben stand, der Wolf, auch Canis lupus genannt, kehre wohl nach NRW zurück. Die Überschrift stellte die Frage, ob man das Raubtier vielleicht besser gleich erschießen solle, setze es auch nur eine Pfote über die Landesgrenze. Zumindest las sie sich so.
Doch zunächst zu den Birken im Sauerland, die mich bereits heftig amüsierten. Da will die Stadt M. sämtliche Birken fällen – wegen Birkenpollen-Allergikern! Nichts gegen Allergiker an sich – ich reagiere selber auf so einiges allergisch, zum einen physisch, zum anderen seelisch, und ich weiß um die wohltuende Wirkung des Vermeidungsverhaltens, wie es in der Psychologie so genannt wird. 😉 (Obwohl das ganz gewiss nicht wohltuend ist – es reißt einen nur tiefer in die Scheiße, da sich der eigene Bewegungsradius mehr und mehr verkleinert, je mehr man vermeidet … 😉 )
Mal im Ernst: Ich reagiere allergisch auf Gräserpollen. Zumindest auf manche Gräserpollen. Ich käme nie auf die Idee, dass wegen meiner Person nun alle wilden Wiesen abrasiert werden müssten! Ich kenne darüber hinaus einige andere Gräserpollen-Allergiker und weiß, dass keiner von denen auf die meines Erachtens vollkommen irre Idee käme … Lassen wir das und stellen lieber fest, dass es Dinge gebe, die nicht angenehm sind. Eigentlich ist das gesamte Leben so aufgebaut. Allergien, Heuschnupfen – das ist wirklich fies, und ich weiß, wovon ich spreche. Bei mir schlägt es immer auf die Augen, und ich kann dann bisweilen ein, zwei Wochen keine Kontaktlinsen tragen. Aber niemals würde ich darauf kommen, dass man nun – nur, weil einige Leute allergisch auf Gräser während der Blüte reagieren – alle Wiesen abmähen müsse! Warum man nun in der kleinen Provinzstadt M. im Sauerland alle Birken vernichten möchte, erschließt sich mir nicht. Zumal Birkenpollen ziemlich weit fliegen können und sicherlich nicht nur Birken aus M. den armen Allergikern zur Folter gereichen … 😉
Ja, und dann noch das mit den Wölfen, die offenbar schon eifrig auf dem Wege sind, hier nach NRW einzuwandern! Nachdem ich den entsprechenden Artikel in der Zeitung mit den drei Buchstaben nebst Kommentaren las, würde ich mich am liebsten an die Landesgrenze zumindest von Niedersachsen aus stellen. Mit einem Transparent und diversen Umleitungsschildern: „Macht einen Bogen um NRW! Wandert nach Bayern, und macht, bitte, dabei einen großen Bogen um NRW!“
Nein, ich bin keine militante Tierschützerin. Ich bin überhaupt nicht militant. Und ich weiß von einer Freundin aus Niedersachsen, dass nicht alles immer so tutti mit den Wölfen ist. Deswegen bin ich auch für kontrollierten Abschuss, wenn es Probleme gibt – zum Beispiel mit verhaltensgestörten Tieren.
Aber mich nervt, dass sogleich, obwohl offenbar noch kein einziger Wolf die Landesgrenzen überschritten hat, gleich manche „Naturfreunde“ hingehen und nach Abschuss schreien. „Naturfreunde“! Extra in Anführungszeichen, da sich die Freundschaft zur Natur bei diesen Herrschaften – zumindest den Kommentaren zum Zeitungsartikel zu entnehmen – auf „gesittete Waldspaziergänge“, „traute Stelldicheins mit der Freundin“ (warum schreiben sie nicht gleich: „Ich will gefälligst ungestört mitten im Wald ’ne Nummer mit meiner Ische schieben“? Sorry … 😉 ) und „Joggen ohne blöde Störung durch blöde Tiere“ zu beschränken scheint! Da frage ich mich doch, wofür solche Menschen die Natur halten? Bibel zu wörtlich genommen? Hallo – das ist keine Erweiterung eures Vorgartens!
Nein, ich fände es auch nicht lustig, hätte ich einen Hund, mit dem ich im Wald spazieren ginge, der dann möglicherweise einen Wurf Wolfswelpen aufstöberte und dann mit Mama oder Papa Wolf aneinandergeriete, dabei wahrscheinlich den Kürzeren zöge. Gar nicht lustig. Revierkämpfe von Tieren mitansehen zu müssen, ist im Allgemeinen nicht lustig, zumal wenn beide Seiten gar nicht einsehen können, dass ein Einlenken besser wäre. Beide wüssten es nicht besser. Ich aber doch schon, wenn ich mit einem Hund in den Wald ginge, in dem – wie grauenhaft! – wilde Tiere leben! Und seien es nur Füchse! Die können auch richtig eklig werden.
Vor vielen Jahren ist einmal ein Bekannter von mir, der mit seiner Freundin am Waldrand spazieren ging, von einem erbosten Eichelhäherpaar attackiert worden. Es war zur Brutzeit. Die beiden waren wohl richtig erschrocken, als die beiden nicht gerade kleinen Vögel Jörg attackierten. Aber es ist nichts Schlimmes passiert, Jörg und Tanja rannten weg und erzählten hinterher: „Die Vögel wollten wohl ihre Jungen schützen. War nicht schön, aber nachvollziehbar. Hätten wir genauso gemacht. Wir haben die Vögel abgewehrt und sind dann gerannt.“
Ein Jogger, der ebenfalls am Waldrand joggte, mitten zur Brunftzeit des Rehwildes, wurde von einem Rehbock attackiert, der durchs Gebüsch brach und sogleich zum Angriff überging. Zum Glück war der Jogger nicht nur Jogger, sondern Kampfsportler, trainierte Taekwondo, und mit einigen gezielten Tritten schlug er den zunächst aufsässigen, dann sehr überraschten Rehbock in die Flucht. Ganz sicher hatte er Glück, aber Glück ist im Leben unerlässlich. Nicht nur im Wald – da aber offenbar ganz besonders. Und das scheinen viele Leute einfach nicht mehr zu wissen. Die sehen den Wald oder die Natur wohl als etwas an, das allein ihnen zum Vergnügen bestehe. Nicht etwa als Lebensraum für andere Arten. Obwohl nicht wenige Leute jubeln, wenn ihre Kinder – natürlich in abgesperrtem, sicherem Gelände wie zum Beispiel einem Zoo, einem Bauernhof oder Wildpark mit Zäunen – mit „wilden“ Tieren in Kontakt kommen. Damit die Kinder auch kapieren, dass Kühe durchaus nicht lila seien, es tatsächlich Hirsche gebe und liebliche „Bambis“ existieren.
Kürzlich stand in der oben genannten Zeitung, ein Kleinkind sei in einem solchen Wildpark von einem in Gefangenschaft lebenden Wolf in den Finger gebissen worden. Die Großeltern hatten wohl eine Sperre geöffnet, um das Enkelchen näher an den Zaun zu bringen, der den Wolf von den Besuchern trennte. Leider hatten sie vergessen, dem Enkelchen mitzuteilen, dass das Tier jenseits des Zaunes nicht der liebe „Fiffi“ von nebenan sei … Und so streckte der kleine Junge vertrauensselig sein Händchen durch den Zaun, um den Wolf zu streicheln, der das wohl nicht so toll fand und zuschnappte. Denn auch wenn er in einem Wildpark lebt, ist er doch ein wildes und kein Schmusetier. Wie übrigens auch jeder Haushund, jede Katze, jeder noch so kleine Hamster kein Teddybär ist. Großes Geschrei allenthalben, dabei hatten nur zwei Leute Schuld, und damit meine ich nicht den kleinen Jungen und auch nicht den Wolf. Die beiden wussten es nicht besser, und keiner meinte es wohl böse. Der eine hatte in Unwissenheit eine Reviergrenze überschritten, was der andere seinem Instinkt gemäß nicht akzeptieren konnte.
Das Geschrei war groß, und mich wundert, ehrlich gesagt, dass der Wolf noch lebt, der im Grunde nichts falsch gemacht hatte. Mir tat der kleine Junge leid, keine Frage. Ich bin als Kind von meinem eigenen Hund gebissen worden. Aber mir war auch klar, dass ich daran schuld gewesen war. Tiere sind keine Puppen und keine Schmusetücher. Ich hatte insofern Glück, als ich wusste, dass ich selber schuld gewesen war. Deswegen habe ich bis heute keine Angst vor Hunden, habe dazugelernt und weiß, wie man mit ihnen umgeht.
Der Artikel heute hat mir nur einmal mehr bewiesen: Nicht wenige Menschen glauben offenbar, dass alles nur für sie persönlich da sei. Ich gebe zu, ich würde mich wohl auch nicht allzu wohl fühlen, würde ich bei einem Waldspaziergang auf einen Wolf treffen. Aber ich denke auch nicht, dass der Wald nur für mich da sei. Ich gehe nicht präpotent durch die Natur, sondern im Bewusstsein, dass ich nicht allein sei und dass das auch nicht mein Lebensraum sei, sondern etwas, das ich netterweise auch nutzen darf. Allerdings mit Respekt vor denen, deren Lebensraum das ist. Und seien es Wölfe, die wieder einwandern. Oder auch nur ein kleiner Igel.
Ich glaube im Übrigen nicht, dass hier in NRW sonderlich viele Gefahr verbreitende Wölfe einwandern werden – wir sind viel zu dicht besiedelt. Obwohl ja in den Kommentaren zum Zeitungsartikel ganz viele besorgte „Der Wald gehört den Menschen“-Poster äußerten, dass sicherlich alsbald Kleinkinder von Wölfen gerissen werden und wir dann schon alle sehen würden, was wir von unserer „Back to the roots“-Einstellung hätten! (Ich vermute, die solcherart Argumentierenden haben etwas zu oft „Rotkäppchen“ und „Der Wolf und die sieben Geißlein“ gelesen und wörtlich genommen. Ähnlich wie manche Leute die Bibel … 😉 )
Dabei frage ich mich, wie das wohl vonstattengehen solle! Nicht wenige Kinder dürfen doch heutzutage auch im Teenageralter kaum allein vor die Tür gehen, ohne dass die Eltern dabei sind – um es mal überzogen darzustellen. Was da alles passieren kann! Da frage ich mich wirklich, welche Eltern ihre Kleinkinder (!) allein im Wald spazieren gehen lassen … Aber Hauptsache, ein „Argument“ gegen eine einem verhasste Sache gefunden, und wenn es ein Totschlagargument ist. 😉
Wie gesagt: Auch ich würde mich nicht wohlfühlen, stünde ich im Wald einem Wolf gegenüber. Ich gehe jedoch davon aus, dass das eher Seltenheitswert hätte. Und niemand hat sich gegen kontrollierte Abschüsse in Zweifelsfällen ausgesprochen. Nur wollen manche gleich jeden Wolf, der eine Pfote über die Landesgrenze setzt, abknallen lassen, lange bevor auch nur die Möglichkeit besteht, dass überhaupt etwas passieren kann. Das finde ich fragwürdig.
Vielleicht wäre es am besten, es würden nicht nur Birken gefällt und Wölfe erschossen, sondern man würde gleich die gesamte Natur betonieren und grün anstreichen. Oder? 😉
Kleiner, aber feiner Nachtrag: Ich möchte auch keine Wölfe vor der Haustür. Aber ich finde diese „Sofort abknallen!“-Mentalität mancher Menschen wirklich gruselig. Menschen, die alles, was sie in ihrem kleinen Kosmos stört, sofort abschaffen möchten. Klavierübende Nachbarn – verbrennt das Klavier! Hunde? Weg damit! Katzen? Fieses Viehzeug – unnötig, weg damit! Und nur, weil es ihnen gerade persönlich nicht passt.
Mehr als einwandernde Wölfe macht mir Gedanken, dass viele Menschen mit den größten Hunden umherspazieren, ohne Ahnung zu haben, wie man diese fachgerecht handhabe, was man nicht selten daran erkennt, dass diese Hunde weder ihren Namen, noch irgendein Kommando zu kennen scheinen. Und mir macht Gedanken, dass manche Menschen offenbar glauben, alles bestimmen zu können – auch die Natur. Ich nehme mich dabei gar nicht einmal aus – in diesem Sommer haben viele Nachtfalter in meiner Wohnung ihr Leben lassen müssen …