Nachdem mein Ex-Bürokollege Birger ja nun schon seit Anfang letzten Jahres eine andere Wirkungsstätte, wenn auch beim selben Arbeitgeber, gefunden hat, sehe ich ihn nur noch bei Betriebsfeiern. Oder wenn jemand von der „alten Garde“ seinen Ausstand gibt. Und so viel sachlicher ist die Umgebung geworden, seit er weg ist: keine esoterischen Traktate mehr – sogar über Quantenphysik wusste er zu fabulieren -, keine knallenden Türen, keine ewigen Diskussionen um des Kaisers Bart …
Ab und an habe ich ihn am Telefon, und manchmal ist das auch ganz lustig. So wie vorgestern, als ich ihn anrufen musste, um mitzuteilen, dass einer der Chefs sich zu einem Termin bei Birgers Chef verspäten werde … Ich wählte die Nummer im Nachbarort, wo Birger am dortigen Standort tätig ist, und es wurde auch abgenommen. Und schon hörte ich eine Stimme rufen: „Frau!“ Wie meinen? Ich meine, okay, ich bin eine Frau, aber ist das ein neuerliches esoterisches Spiel? Blind ans Telefon gehen und dann raten, ob ein Mann oder eine Frau dran sei? Und so fragte ich mit leichter Unsicherheit in der Stimme: „Hallo?“
Da hörte ich auch schon Birgers unverwechselbare Lache. Wenn man sie lange nicht gehört hat und vor allem nicht dauernd hören muss, wirkt sie eigentlich ganz lustig. Und schon rief er: „Ach, Ali – du bist das!“ – „Ja!“ rief ich freudig bewegt. – „Und ich hatte gedacht, es sei meine Frau! Ihr habt die gleichen drei Ziffern am Ende eurer Arbeitsdurchwahl!“
Da fiel es mir wieder ein! Birger hatte sich immer mit: „Frau!“ gemeldet, wenn er auf dem Display die Arbeitsrufnummer seiner Frau gesehen hatte! 😉 Und nun hatte er wohl nicht so genau hingesehen … Ich lachte auch. Wir plauderten ein wenig à la: „Wie geht es dir?“ – „Muss. Und selbst?“ – „Muss.“ Dann übermittelte ich meine wichtige Botschaft, und zum Abschied meinte er: „Wir sehen uns ja sicher am Donnerstag – bei Corinnas Ausstand.“ – „Ja, wahrscheinlich.“ – „Schön. Dann können wir ja ein bisschen schnacken.“ – „Ja.“
Und heute war es soweit: Corinna, eine sehr, sehr nette Kollegin, verlässt uns. Leider, und es ist wirklich bitter, denn sie ist seit über 20 Jahren dabei gewesen, war schon lange da, als ich dazustieß. Aber mit dem ganzen Umbruch hat sich eine gewisse Unzufriedenheit breitgemacht – sie ist nicht die erste Kollegin, die geht. Und sicherlich wird sie auch nicht die letzte sein. Und das mir mit meinem Abschiedsproblem … Aber ich wünsche ihr wirklich nur das Beste, auch wenn ich traurig bin, dass sie geht.
So viele Leute wie heute hatte ich noch nie bei einem Kollegenausstand gesehen! Corinna ist sehr beliebt, weil sie einfach ein sehr lieber Mensch ist. Jens, Janine, Daniela und ich trafen etwas verspätet ein – wir hatten vergessen, in welchem Raum der Ausstand stattfand, waren also hervorragend vorbereitet. 😉 Aber dann waren wir doch erfolgreich, und nachdem wir Corinna begrüßt hatten, schnappten wir uns erst einmal ein Glas Sekt und ein Brötchen.
Da steuerte auch schon Birger auf uns zu, und ganz gegen seine Gewohnheit riss er mich begeistert in die Arme! Huch! 😉 Aber es war nett gemeint, und so habe ich das auch angenommen. 🙂
Und sogleich steckten wir mitten in einem angeregten Gespräch. Denn Birger erklärte uns, er habe etwas Neues entdeckt: das Keltische Baumhoroskop! Wann wir denn alle Geburtstag hätten? „Ali, wann du hast, weiß ich ja!“ Und er zückte eine Tabelle, die er in der Tasche gehabt hatte. Und verkündete mir, ich sei eine Zypresse, aber haarscharf an der Pappel vorbeigeschrammt. Einen Tag später Geburtstag, und ich wäre eine Pappel gewesen! „Da hast du ja nochmal Glück gehabt!“ rief er. Warum nur? Ich mag Pappeln, speziell die Sorte Italica, auch Säulenpappel genannt. Das sagte ich auch gleich, und Birger drohte mir scherzhaft mit dem Finger und meinte: „Ah, ein Phallussymbol!“ Und dazu lachte er. Ich meinte rasch, bevor das Lachen sich intensivieren konnte: „Was ist an der Pappel denn so schlimm?“ – „Sie steht für die Ungewissheit.“
Nun, wenn es danach ginge, würde die verdammte Pappel hervorragend zu mir passen. Und ich bin ja auch sehr spät am Abend zur Welt gekommen, nicht allzu lange vor Mitternacht. Quasi schon in Pappelnähe … 😉
Aber Birger sprach schon weiter: „Du bist also eine Zypresse. Das ist sehr gut, denn die Zypresse steht für die Treue.“ Na, fein, bassd scho. „Und hier steht, du bleibest lange jung.“ Och, ja. „Und du strebst nach Klarheit und Freiheit, Gleichberechtigung und hast eine wache Intelligenz! So, wie ich dich kenne, stimmt das.“ – „Danke,“, sagte ich überwältigt – so etwas hatte Birger nie zuvor zu mir gesagt! Auch wenn das hier schon wieder ein wenig verschrobener Aberglaube war, war es doch ein nettes Kompliment, und da ich keineswegs unversöhnlich bin, kniff ich Birger ein Auge zu und knuffte ihn gegen den Arm. Er zwinkerte zurück und meinte: „Und hier steht, die Zypresse stehe für die Auferstehung und dass das auch passend sei, da du viele Krisen durchstehen müsstest. Manche Zypresse-Menschen reagierten darauf mit Spott und Ironie …“ Ich lachte schallend, und Birger lachte ebenfalls und meinte: „Ali, mir scheint, du bist wirklich die geborene Zypresse – Spott und Ironie in Zeiten von Krisen! So kenne ich dich!“ – „Ja, wie soll man sonst darauf reagieren? Weinen? Ist doch auch doof!“ – „Alles in allem ein sehr guter Baum, Ali – das ist doch toll.“ O ja.
„Was bist du eigentlich?“ fragte ich Birger. Er sei ein Feigenbaum, gab er mir zur Antwort, und dieser stehe für Empfindsamkeit. Und schon machte er sich daran, Daniela als Apfelbaum und Jens als Pappel zu deklarieren. Der meinte nur: „Wieso denn ich eine Pappel? Wofür stand das noch?“ – „Ungewissheit.“ – „Was für ein Humbug! Andererseits: Es macht mich ein wenig unruhig, nicht zu wissen, ob und wann ich befördert werde. Genaugenommen macht mich einiges unruhig, was ungewiss ist …“ – „Na, siehst du.“ Es ist ja nicht so, dass ungewisse Dinge nicht generell verunsichern würden … 😉
Ich bin also eine Zypresse. Wer hätte das gedacht? Heute früh stand ich noch völlig ahnungslos auf, und gegen Mittag war ich schon eine Zypresse …
Der empfindsame Feigenbaum verabschiedete sich und ließ dann eine nette Baumgruppe aus Pappel, Apfelbaum, zwei Eschen, einem Nussbaum und einer Zypresse zurück.
Nun ja, nun weiß ich, dass ich gar nichts für etwaige Krisen kann – mein Freund, der Baum, ist schuld! Aber zum Glück weiß ich als Zypresse ja mit Ironie durch solche Krisen zu kommen und bin obendrein auch noch treu! Und gespannt. Denn sicherlich wird beim nächsten Ausstand ein ganz neues Horoskop von Birger mitgebracht. Wenn es auch ein bisschen verschroben wirkt: Es ist lustig, und es war tatsächlich nett, den alten Kollegen mal wiederzusehen. Sage ich als Zypresse, obwohl ich als solche auch manchmal als etwas impulsiv gelte. (Auch dafür kann ich offenbar nichts – der Baum ist schuld … 😉 )
Immerhin habe ich Glück gehabt: Zehn Tage später zur Welt gekommen, und ich wäre ein Zürgelbaum gewesen! Und da wüsste ich nicht einmal, wie das blöde Ding aussieht … 😉
Schönen Abend! 🙂
Großartiger Beitrag!
Es bleibt nur eine Frage: Was bin ich für ein Baum? Vielleicht kann ich ja auch gar nix ‚dafür‘ …
Liebe Nora,
google einfach: „Keltisches Baumhoroskop“ – Du wirst seitenweise Aufschluss finden. 😉
Viele Grüße! 🙂