Heute war einer jener Tage, an denen einen Kleinigkeiten auf die Palme bringen können. Mich zumindest. Dabei habe ich doch schon so gut gelernt, mich nicht über jeden Furz – sorry! – aufzuregen. Nein, nein, ich habe keine Impulsstörung, deren mein Ex-Kollege Chuck mich mal bezichtigte, als er sich – zu Recht – über mich geärgert hatte. Ich bin einfach etwas temperamentvoller, und manchmal – speziell, wenn verunsichert – bricht so manches aus mir heraus. Impulsiv bin ich, aber ohne Impulsstörung, bitte schön! 😉
Ich glaube, es war heute einfach zu warm für mich. Ich bin zwar im Sommer zur Welt gekommen, aber meine Ursprünge liegen damit wohl eher im Herbst, der auch meine Lieblingsjahreszeit ist. 😉
Hinzu kommt, dass mein Büro nach Süden geht und über keinerlei Klimatisierung verfügt. Das heißt, dass an Tagen wie dem heutigen spätestens um 11 Uhr die Jalousien geschlossen werden müssen, ebenso die Fenster, denn alles andere wäre wirklich absolut nicht tragbar. Ich sitze also in Dunkelhaft. Wer könnte mir verdenken, dass ich da vielleicht nicht immer ganz so euphorisch … Lassen wir das. Auf meine mehrmaligen Hinweise an meinen Chef, wir hätten ja gar keine Klimatisierung, grinste er nur und meinte … nichts.
Ich schleppte mich durch den Bürotag. Da derzeit Urlaub an allen Fronten zu herrschen scheint, kamen kaum Dienstmails, und ich war ratz-fatz mit dem Tagesgeschäft fertig. Zum Glück gab es vereinzelte Anrufe, und ich konnte sogar denen weiterhelfen, die eigentlich Janine hatten sprechen wollen, die aber derzeit Urlaub hat. Die Glückliche!
Der einzige Lichtblick an diesem Tag war das Telefonat mit meiner Kollegin und künftigen Vorgesetzten Eun-Mi von der Uni der Nachbarstadt, in der ich so lange gearbeitet hatte, in Nebentätigkeit. Sie stammt aus Südkorea und ist einer der reizendsten Menschen, die ich je kennengelernt habe. Sehr lustig und – ich weiß nicht, wie sie es macht! – sogar freundlich, wenn sie genervt ist. Ich telefonierte mit ihr, weil ich ab dem kommenden Wintersemester zumindest zwei Kurse wieder an der Uni mache. Zusätzlich zu meiner Vollzeitstelle, anders als vorher, da ich nur in Teilzeit hauptamtlich arbeitete.
Das Gespräch mit Eun-Mi verbesserte meine Stimmung erheblich. Vor allem, weil ich endlich mal wieder über längere Zeit am Stück englisch sprechen durfte. Klingt bescheuert, fehlt mir aber sehr, seit ich wieder Vollzeit an meinem hauptamtlichen Arbeitsplatz sitze. Wir plauderten, lachten, und sie erzählte mir von ihren Anfangsschwierigkeiten als Fachbereichsleiterin. Vor allem mit Brunhild, einer Kollegin, die ich auch nur zu gut kenne. Nicht sonderlich angenehm, und ganz schrecklich war sie bei einem „working dinner“ anno 2013 gewesen, als sie uns allen mit Macht klarmachen wollte, dass sie besser sei als wir alle zusammen. Eun-Mi hatte dazu nur gelacht, ich hatte Brunhild ebenfalls angelächelt, sie aber ab einem gewissen Punkt einfach ignoriert, zumindest dann, wenn sie wieder herumpesten wollte.
Eun-Mi erwähnte sie im Telefonat, lachte und meinte: „Du kennst sie ja auch!“ Und ich gab Eun-Mi dann einen Rat: „Sie ist Feministin. Und sie ist im Grunde nicht verkehrt, ist sehr belesen.“ – „Och, Ali, sind wir das nicht?“ – „Ja, doch, aber hör mir zu: Gleichberechtigung ist wichtig, aber übertriebener Feminismus ist zum Abgewöhnen. Brunhild steht darauf. Also nutze das! Ich mag es auch nicht, herumschwindeln zu müssen, aber wenn du ein Problem mit ihr bekommen solltest und sie dich vielleicht nicht akzeptieren will: Nutze das Wissen um ihre ‚Schwäche‘!“ Daraufhin meinte Eun-Mi: „Ali – du könntest glatt Asiatin sein! So diplomatisch!“ Diplomatisch! Ich! Das bin ich gewiss nicht, aber ich bin auch noch im Lernprozess, und Brunhild ist eine sehr rigide Lehrerin. Ich hatte einmal ein total einvernehmliches Gespräch mit ihr! Es war auch sehr interessant, was sie erzählte, und streckenweise gab es sogar Überschneidungen, aber sie machte dann alles zunichte, indem sie vertrauensvoll meinen Arm ergriff und meinte: „Ali – Männer sind alle bescheuert! Man sollte Frauen die Weltherrschaft übertragen!“ Ich lächelte zierlich, entriss ihr auch nicht meinen Arm, aber ich dachte mir meinen Teil. Weltherrschaft – ach, du Scheiße!
Eun-Mi hingegen erwies sich als ähnlich diplomatisch. Sie berichtete, sie habe zwischenzeitlich mehrere feministische Pamphlete an ihrer Büro-Pinnwand befestigt. Seitdem sei Brunhild viel netter. Und sie lachte und meinte: „Cool! Wir haben beide ähnliche Ideen!“ Ich lachte ebenfalls und meinte: „Es geht nichts über eine gute Strategie!“ Und das von mir. Ich bin eine ganz miserable Strategin.
Das Gespräch mit Eun-Mi baute mich sehr auf. Heiß war es aber immer noch im Büro, und so war ich froh, als ich gegen 17:15 h aufbrach. Zum kleinen Backofen, auch „Monty“ genannt, der geduldig auf dem Parkplatz meiner harrte. Als ich dort ankam, stand er im Schatten. Ich hatte ihn absichtlich so geparkt, dass er zumindest am Nachmittag im Schatten stehen würde. Aber als ich die Fahrertür öffnete, quoll mir heiße Luft entgegen. Gut – kein Unterschied zu dem, was ich tagsüber im Büro in manchen Fällen erlebt hatte. 😉 Zum Glück verfügt er über eine Klimaanlage …
Und nachdem es einigermaßen erträglich war, fuhr ich sehr dynamisch nach Hause. Als ich die Straße zu meinem Haus entlangfuhr, im zweiten Gang, da dort Tempo 30 herrscht und es um eine Kurve geht, dazu noch rechtsseitig viele Autos geparkt sind, musste ich knapp hinter der Kurve heftig bremsen! Ein Auto mit Neusser Kennzeichen war mir mit mindestens 40 oder 50 Stundenkilometern entgegengebrettert!
Der Fahrer hatte Vorfahrt, soviel war klar. Aber er stand auf gerader Strecke, ohne Hindernisse. Hinter mir war ein anderer Wagen, dessen Fahrer mit weniger Mühe zurücksetzen konnte und auch noch einen freien Ausweichplatz rechts am Bordstein fand. Ich hingegen musste um die Kurve zurücksetzen, hatte auch keinen ausreichend großen Platz zum Ausweichen.
Was hätte ich im umgekehrten Falle gemacht? Nun, das ist eigentlich ganz einfach: Ich hätte nicht auf Vorfahrt bestanden, sondern verzichtet und meinerseits auf freier und gerader Strecke zurückgesetzt. Wirklich – das wäre gar keine Frage gewesen. Aber der Herr aus Neuss bestand auf sein Recht! Und er gestikulierte noch so, als sei ich eine lästige Fliege. Und ich weiß, dass er dachte: „Typisch! Frau am Steuer!“ Nicht etwa, dass er in einer zu Recht bestehenden Tempo-30-Zone zu schnell gewesen sein könnte, nicht, dass es für mich ungleich schwieriger sein könnte, ihm zu seinem Recht zu verhelfen. Auch war er sich zu fein, über den – freien – Bürgersteig zur Rechten auszuweichen. Stattdessen hupte er, gestikulierte wild, und ich dachte: „Ja, du hast Vorfahrt, das weiß ich auch! Und ich setze auch gleich zurück. Aber am liebsten würde ich jetzt aussteigen, dich vorne am Kragen packen und dich fragen, wie man sich wohl fühle, so als Alphamännchen, das noch dazu zu schnell gefahren ist!“ Und ich setzte zurück, um die Kurve, wo ich dann auch eine kleine Lücke fand, in die ich hineinschlüpfen konnte. King Kong und die weiße Frau – die zu dem Alphamännchen gehörige Beifahrerin hatte leider in der Tat maximalblondierte Haare – bretterten mit aufheulendem Motor an mir vorbei, wobei King Kong noch immer wild gestikulierte. Wahrscheinlich hatte er einen Termin, zu dem er jetzt verspätet sein würde. Wahrscheinlich bei einem Psychotherapeuten oder so. Oder einem Seminar: „Kompromisse eingehen leichtgemacht“ bzw. „Im Recht auch mal zurückstehen können“. Ich hatte die Faxen endgültig dicke. Keine Frage, er hatte Vorfahrt gehabt, aber die Situation war nicht ganz so einfach gewesen – was ist so schwierig daran, auf ein Vorrecht zu verzichten, wenn man doch sieht, dessen Wiederherstellung ist für die andere Partei mit größerem Aufwand verbunden als für einen selber? Noch dazu, wenn man selber viel zu schnell unterwegs war? Eine Sache gesunden Menschenverstandes, nicht die des vermeintlich Stärkeren. Finde ich jedenfalls, ohne mich jetzt aus der Verantwortung stehlen zu wollen. Korrekt war es so, wie es gelaufen ist. Zumindest formal, ohne auf das einzugehen, was von Gegenseite falsch gelaufen war.
Mich nervt so etwas. Statt vielleicht mal nachzugeben, auch wenn man formal im Recht ist, muss immer alles ausgefochten werden. Das nervt mich auch, wenn ich gar nicht selber betroffen bin.
Nachdem ich endlich am Ende der Straße einen freien Parkplatz gefunden hatte, was irgendwie klar war, da ich ja schwerer wiegende Einkäufe getätigt hatte – offenbar ein Naturgesetz -, kam ich in meiner Wohnung an, wo ich dann meinen PC hochfuhr und alsbald erfuhr, dass ein allseits bekannter Staatsmann, demokratisch gewählt, wie es heißt, sich nun offenbar tatsächlich zur Todesstrafe hinsichtlich Andersdenkender durchgerungen habe. Das schockte mich wirklich sehr. Noch jemand, der kein Nachgeben kennt.
Und ich rege mich über einen anderen Autofahrer auf! Ich Naivling …