Esst ihr gern Fisch? Nein? Macht nix – ihr dürft trotzdem weiterlesen. 😉
Seid ihr unerschrocken, und haut euch nichts so schnell vom Stuhl? Oder seid ihr zickig? Zimperlich? Könnt ihr kein Blut sehen? Dann ist das, wovon ich hier erzähle, nichts für euch. 😉 Ihr dürft aber trotzdem weiterlesen und sehen, was für bekloppte Sachen man manchmal so mitmacht. Ich zumindest. Vielleicht hättet ihr es ja nicht gemacht. 😉
Ich bin schon als kleines Kind sehr gern mit meinem Onkel zum Angeln gegangen – das war immer klasse. Mein Onkel war Grund- und Volksschullehrer, aber von der lockeren Sorte, und er konnte prima mit Kindern umgehen. Zugegeben, das erleichtert diesen Beruf ungemein, ist aber gar nicht selbstverständlich. Brauche ich euch sicherlich nicht zu erklären, da ihr wohl alle selber zur Schule gegangen seid und wisst, was ich meine.
Mein Onkel war recht lässig, aber man lernte immer etwas, wenn man mit ihm unterwegs war. Zum Beispiel, wie man seine zwei Nichten aus dem „Pott“ mit einer bayerischen Schulklasse, die zum Sonderpreis hineinkommt, umsonst mit ins Kino schmuggelt, obwohl eines davon (ich) erheblich kleiner und jünger als die anderen ist und unmöglich schon Bestandteil dieser Klasse sein kann. („Geh her, do mischst dich fei a weng unner die annern, dess mer dich ned sso ssiehd, gell, Ali?“ So die Vorbereitung zu dieser Unternehmung. Und zu diversen anderen, zu denen ich dann kostenlosen Eintritt hatte.)
Und zum Angeln nahm er uns auch immer mit. Stephanie fand das alles wohl nicht so toll, ich fand es klasse. Vielleicht lag es daran, dass ich erheblich lieber Fisch esse als sie. Wir bekamen auch immer Aufgaben: Stephanie durfte nach Würmern graben, ich den Kescher halten, wenn denn ein Fisch angebissen hatte. Später, als ich größer war, „durfte“ ich sogar Fische schuppen. Nicht meine Lieblingstätigkeit übrigens. Und mein Onkel brachte mir bei, dass man immer nur so viele Fische fangen dürfe, wie man auch brauche. Und er behauptete, meine Anwesenheit sei ein Garant dafür, mindestens einen Karpfen zu fangen, denn er kam nicht immer mit Karpfen, der in meiner Familie mütterlicherseits eine große Rolle als Speisefisch spielt, nach Hause. War ich dabei, komischerweise immer. Keine Ahnung, woran das lag.
Derart vorgebildet, ging ich dann auch als Studentin mehrfach mit einem Bekannten und meinem damaligen Freund Freddy angeln. Einmal waren wir in Holland, genauer, an der Maas, wo wir Aale angeln wollten. Dort habe ich erstmalig in meinem Leben wirklich selber geangelt – ein Riesenfortschritt.
George, unser Bekannter, der ein begeisterter Angler war, wies mich kurz ein, zeigte mir, was zu tun sei: „Und so wirfst du dann die Angel aus. In einem großen Bogen. Mach mal!“ Ich machte, holte die Schnur wieder ein und warf noch ein paarmal. George meinte: „Mir scheint, du bist ein Naturtalent.“ Kunststück, ich hatte es ja von klein auf oft genug gesehen und gezeigt bekommen. 😉 Und so meinte George: „Noch ein letztes Mal zum Üben, los, Ali! Auf die Gruppe Bäume da am anderen Ufer zielen!“
Und ich warf. Richtung Baumgruppe, mitten auf die Maas, auf der ein paar Schwäne herumdümpelten. Der Haken flog noch durch die Luft, als einer der Schwäne sich von der Gruppe löste und energisch in die Richtung schwamm, in die man den Angelhaken fliegen sehen konnte. Mir schwante – im wahrsten Sinne – nichts Gutes, aber ändern konnte ich nun nichts mehr, und so musste ich hilflos zusehen und anhören, wie der Schwan mit einem deutlichen „Pling!“ vom Haken am Schnabel getroffen wurde! Nicht, dass er verletzt worden wäre, nein, aber man weiß ja, wie reizbar Schwäne sein können … Und dieser fing auch sogleich böse zu fauchen an und wandte sich … in unsere Richtung. O Gott!
„Los, Ali! Hol die Schnur ein! Schnell! Schneller!“ schrie George, denn nun fing auch der Rest der Schwanengruppe an, verärgert zu fauchen, als hätte ich sie alle getroffen! Ich kurbelte, und das mit links, was das Zeug hielt, die Schnur auf, während die gesamte Schwanengruppe fauchend und mit gesträubtem Gefieder in beachtlicher Geschwindigkeit auf uns zugeschwommen kam. Sie kamen näher. Und näher.
George schrie: „Los, alle Angeln aus dem Wasser! Und dann zum Auto!“ Ratz-fatz holten wir die Angeln ein, als die Schwäne auch schon Anstalten machten, aus dem Wasser zu steigen. „Rennt um euer Leben!“ schrie George, was ich ein bisschen übertrieben fand. Bis der erste Schwan an Land war …
Wir ließen alles fallen und rannten zum Auto, hechteten hinein und verrammelten die Türen. Das war auch gut so, denn die Schwäne waren inzwischen allesamt sehr zornig dem Wasser entstiegen und kamen zum Auto gerannt, das sie zischend belagerten, mit eindeutigen Drohgebärden. Zwei von ihnen klopften sogar wütend mit ihren Schnäbeln an die Karosserie. George drehte sich zu mir um und funkelte mich an: „Klasse, Ali! Hast du super gemacht! Was wollten wir angeln? Aal! Nicht Schwan! Und jetzt sitzen wir hier! Gefangen im Auto!“ – „Ich kann nix dafür! Ich habe genau das gemacht, was du gesagt hast! Kann ich ahnen, dass dieser Schwan so gierig ist?“ – „Hoffentlich hauen die schnell wieder ab!“
Als wir eine Dreiviertelstunde später vorsichtig wieder aussteigen konnten, war die Stimmung so gedämpft wie pochierter Kabeljau in Dillsauce. So lange hatten die Schwäne ausgeharrt. Wir auch. Zwangsläufig. Seitdem mag ich Aal nicht mehr so sehr. Ob ein Zusammenhang besteht?
Aber das Schärfste, was ich in puncto Angeln bisher erlebt habe, war eine denkwürdige Fahrt nach Oostende zum Makrelenfischen. Es war eine vom führenden Aachener Angelbedarfshändler organisierte Fahrt mit einem Bus. Einem Bus voll erwartungsfroher Angler. Eine Art Kaffeefahrt für ganze Kerle! Ich „liebe“ so etwas ja … Aber mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen.
Um 4:30 h früh trafen wir uns vor dem Angelbedarfsgeschäft in der Franzstraße, wo der Treffpunkt war und auch George schon auf uns wartete. Um diese Uhrzeit sind meine Augen, selbst wenn ich im Wachzustand bin, noch halbgeschlossen, aber Freddy war zum Glück zur Gänze wach. Er gehört zu den Menschen, die morgens die Augen aufmachen und zu reden anfangen, als gäbe es kein Morgen. Egal, wann er aufwacht. Ein Alptraum. 😉
George war Stammkunde bei „Angelbedarf Mommertz“, und er meinte, der Inhaber sei total nett. Entweder war ich wirklich noch nicht richtig wach, oder ich habe ein anderes Verständnis von „nett“. Der Typ war total von oben herab, und mich betrachtete er ganz besonders von dort, eben von oben herab. „Noch eine Frau … Oh Mann, das ist doch kein Kaffeekränzchen hier!“ Ausgerechnet mir! Ich hasse Kaffeekränzchen, ich hasse Tussigehabe, ich bin nicht zimperlich. Aber ich war noch zu müde, um mich zu ärgern, und so dachte ich nur: „Nicken, lächeln, ‚Arschloch‘ denken.“
Schließlich saßen wir im Bus. Außer mir waren noch drei andere Frauen an Bord. Eine fuhr den Bus – das gestattete der Angelbedarfs-Heini offenbar. Und zwei Frauen, die recht handfest wirkten und wohl auch angeln wollten.
Die Gespräche während der Fahrt waren besonders erbaulich. Da prahlten einige mit ihren Fängen, und unter der Erzählung wurden die Fische immer größer. Andere machten ihrem Unmut Luft, dass Frauen dabei waren. Ich fühlte mich total wohl …
Hinter Freddy und mir saß ein Opa mit seinem etwa zwölfjährigen Enkelsohn. Er verklickerte ihm gerade: „Tut mir leid, dass Frauen dabei sind. Ich wollte dich doch zu einer echten Angeltour mitnehmen! Da haben Frauen nichts verloren. Die fangen ohnehin nichts, weil Frauen nicht angeln können. Das ist nun einmal so. Das ist Männersache.“ Und der zwölfjährige Pimpf nickte überzeugt. Am liebsten hätte ich ihm eins vor die Glocke gegeben, auf dass er frühzeitig lernte, dass Frauen durchaus handfest sein können, aber ich kann mich zum Glück beherrschen. Obwohl mir durch den Kopf schoss, dass später unter dem aufgrund dieser Erziehung zum Macho mutierten Enkel mal wieder speziell wer zu leiden haben würde? Eine Frau. Oder mehrere. Eigentlich wäre es meine Pflicht gewesen, einzuschreiten. 😉
Ich bedauerte schnell, kein Ohropax mitgenommen zu haben. Als man mir gegen 5:15 h ein Bier anbot und ich ablehnte, hieß es erneut: „Typisch Frau! Zu fein, um Bier zu trinken!“ – „Keineswegs,“, gab ich zurück, „aber nicht um diese Uhrzeit. Obwohl es ja heißt: ‚Kein Bier vor 4‘, und wir haben nach 4. Ich dachte allerdings immer, damit sei 16 Uhr gemeint.“ Freddy raunte mir zu: „Halt den Mund – reiz die nicht noch!“ – „Ach! Ich darf die nicht reizen, die mich aber unentwegt?“ Ich befand mich offenbar in einem Käfig voller Narren – und das an einem freien Samstag …
Endlich waren wir an Bord des Schiffs, mit dem wir in See stechen sollten. George hatte mir netterweise eine Angel mitgebracht und diese sogar auf meine Bedürfnisse „umgebaut“, so dass ich mit rechts spulen konnte. Er meinte etwas herablassend: „Machen normalerweise nur die Amerikaner so – aber weil du es bist … Normale Rechtshänder spulen mit links.“ Leuchtete mir zwar nicht so ganz ein, weil ich das Aufspulen der Schnur für eine filigranere Tätigkeit halte als das Halten der Angel nebst etwaigem „Anreißen“, und mir war auch nicht klar, dass es da nationale Unterschiede gebe, aber ich bin keine Expertin. Wir strebten zum Bug des Schiffs. Die beiden anderen Anglerinnen gingen zum Heck, und so war ich allein unter Machos.
Makrelen fängt man mit einem „Makrelenpaternoster“, einer Vorrichtung mit mehreren Seitenschnüren und Haken. Dazu hatte ich ein 90-Gramm-Bleigewicht – es versprach ein tolles Training für die Armmuskulatur zu werden. Andererseits – ich brauchte mir ja gar keine Sorgen zu machen, dass ich der Sache nicht Herr werden würde, denn Frauen fangen ja eh nichts, weil sie als Frauen nicht angeln können. Hatte ich kurz zuvor gelernt 😉
Zunächst aber hatte ich mit etwas anderem zu kämpfen. Mir wurde ganz mulmig, als wir den Hafen verließen – ich würde doch wohl nicht seekrank werden? Alles, nur das nicht – nicht in diesem Schwarm Machos! Und so riss ich mich zusammen, starrte auf den Horizont, als würde ich dafür bezahlt, und irgendwann fühlte ich mich nicht mehr so, als müsste ich mich jeden Moment über die Reling hängen und mir so einiges nochmal durch den Kopf gehen lassen. Und schon wurde der erste Makrelenschwarm gesichtet, und ich machte mich ans Werk …
Hinterher hieß es, es sei ein ziemlich mauer Ausflug gewesen. Ich sah das anders. Freddy und ich hatten 16 Makrelen gefangen, ich davon immerhin sieben. Die beiden anderen Frauen hatten auch Beute gemacht. Dafür gingen diverse Männer völlig leer aus. Darunter auch der Opa mit seinem Enkel. Und noch ein paar derer, die so vollmundig gemeint hatten, Frauen hätten beim Angeln nichts verloren, weil sie es einfach nicht könnten, da Männersache. Ich grinste. Ich hatte es sogar geschafft, all meine Makrelen selber kurz und hoffentlich schmerzlos in die ewigen Jagdgründe zu befördern. Das ist nicht schön, aber man muss es machen, wenn man Makrelen essen will, die man selbst gefangen hat. Ich hatte mir sogar einen Haken aus dem Finger manövriert, der sich beim Abnehmen einer Makrele hineingebohrt hatte, ohne mit der Wimper zu zucken. In meiner näheren Umgebung sagte keiner der Männer mehr etwas gegen Frauen beim Angeln.
Im Bus war es auf der Rückfahrt erheblich stiller als auf der Hinfahrt. Einzig der Enkel hinter mir meinte: „Was essen wir denn jetzt heute Abend? Du hattest Oma doch gesagt, wir kämen mit ganz vielen Makrelen zurück!“ Ich grinste, dann drehte ich mich um und meinte: „Möchten Sie vielleicht eine oder zwei von meinen haben? Ich habe so viele gefangen – ich weiß gar nicht, wohin damit!“ Das aber wollte Opa nicht. Dann lieber Käsebrote zum Abendessen. Ich grinste noch mehr.
Und am meisten habe ich gegrinst, als der angeberische Angelbedarfshändler Freddy vollprahlte, er habe kürzlich in Amerika gefischt. Dort habe man Hummer gegessen, „und sogar Lobster!“ So prahlte der Herr, und ich kicherte albern in mich hinein. Hummer! Und Lobster auch noch! Welche Steigerung! Mit dem Angeln schien der Mann sich auszukennen. Mit der englischen Sprache nicht.
Wir hatten dann jedenfalls einen Tag später einen schönen Abend mit vielen Freunden zum Makrelenessen. Makrelen mit vielen Kräutern im Ofen gegart – hervorragend.
Aber so eine alberne Macho-Kaffeefahrt habe ich lieber nicht mehr mitgemacht, denn Angeln macht eigentlich nur Spaß, wenn man die richtigen Leute dabei hat. Und keine Schwäne in der Nähe sind.