Soeben – es ist inzwischen späterer Nachmittag – bin ich mitsamt Auto nach Hause zurückgekehrt, das ich um kurz vor 10 Uhr verlassen hatte. Früher als geplant. Später als sonst, wenn ich zur Arbeit muss.
Gestern hatte ich einen ziemlich miesen Tag gehabt, denn am schon ziemlich späten Montagabend hatte mich meine beste Freundin – zumindest die, die offenbar am meisten an mir hängt – heimgesucht: Sie heißt Migräne, und ich fürchte sie sehr. Eigentlich hatte ich mit ihr gar nicht gerechnet, denn ich hatte am Montag den ganzen Tag ganz normale Kopfschmerzen gehabt, um die ich für gewöhnlich nicht viel Aufhebens mache, da ich eine weit schlimmere Variante kenne – eben meine „gute“ Freundin Migräne. Und normalerweise habe ich, wenn ich Kopfschmerzen habe, entweder ganz ordinäre Kopfschmerzen oder aber Migräne. Nicht jedoch beides an einem Tag. Wieder eine neue Erfahrung vom Stamme: „Nichts ist unmöglich“.
Gestern ging daher gar nichts, und an eine Fahrt ins Büro war gar nicht zu denken. Ich wäre gar nicht bis dorthin gekommen. Und so tippte ich mit großen Mühen und – wie ich erst später sah – einigen frevelhaften Fehlern eine Nachricht für Kollegin Janine, die ich ihr per WhatsApp schickte. Ich denke, sie wird sich sehr gefreut haben … 😉 Aber was sollte ich tun? Schlimmer war der Anruf bei meinem Zahnarzt, um den Termin, den ich – natürlich – auch gestern hatte, zu verschieben. Kein Mensch, der Migräne nicht kennt, kann sich vorstellen, wie mühsam es ist, ein sinnstiftendes Telefonat zu führen, wenn man gerade eine Migräneattacke hat und nicht klar denken kann. Aber es glückte dann, und nun sehe ich meinen Zahnarzt und der meinen behandlungswürdigen Zahn erst am kommenden Dienstag um kurz nach 8.
Nachdem ich in der Lage gewesen war, eine Schmerztablette zu nehmen, ging es bergauf – zum Glück war es kein über Gebühr heftiger Anfall gewesen. Abends überstand ich sogar ein Telefonat mit meiner Schwester, obwohl sie viel redete, was mich gestern ein wenig nervös machte. Aber wir haben dann sogar noch gelacht. 😉
Heute hatte ich einen Tag Urlaub. Dennoch war geplant, dass ich zu meinem Arbeitgeber fahren würde, denn dort fand ein „Zeitzeugen“-Termin mit Presse und allem Zipp und Zapp statt, an dem mein Vater, der jahrzehntelang an dieser Institution als Professor tätig gewesen war, teilnehmen sollte. Papa ist nun auch schon ein bisschen älter, und manchmal ist er ein bisschen unkonzentriert, zumal er ohnehin ein Mensch ist, der oft in Gedanken ist. Kurz: Sowohl Stephanie als auch ich machen uns immer Sorgen, wenn er allein mit dem Auto unterwegs ist.
Es war geplant, dass meine Mutter ihn hinfahren sollte. Ich wollte ihn dann mit Scotty gegen Mittag abholen und die etwa 20 Kilometer lange Strecke zu meinem Elternhaus fahren. Papa wollte es erst gar nicht annehmen, freute sich aber riesig, dass seine „Jüngste“, wie er mich gern nennt, als hätte er ein ganzes Mädchenpensionat und nicht „nur“ zwei bisweilen widerspenstige und unterschiedliche Schwestern großgezogen, ihn nach Hause fahren wollte. Noch dazu, da die „Jüngste“ sich jahrelang aus Angst gegen das Autofahren gesperrt hatte.
Doch alles kam anders. Denn gegen 9 Uhr rief Stephanie mich an und berichtete, Muttern sei krank und könne Papa nicht fahren, wie sie soeben erfahren hätte, als sie mit ihm telefoniert hatte. Der wolle nun selber fahren. Wie gesagt: Wir machen uns da inzwischen manchmal etwas Sorgen, und so musste sie gar nicht mehr sagen. Ich meinte: „Ich mache mich schnell fertig, dann fahre ich los und hole ihn in D. ab.“ – „Ach, danke – das beruhigt mich.“ Wir beendeten das Gespräch, und ich rief Papa an, dem ich in knappen Worten verklickerte: „Ich gehe jetzt schnell unter die Dusche, mache mich fertig, und dann komme ich und hole dich ab.“ – „Aber das musst du doch nicht! Ich kann gut selber …“ – „Ich mache mich jetzt fertig und hole dich ab.“ Punkt. Keine langen Diskussionen. Die Zeit drängte.
Ich saß um 10 vor 10 im Auto und fuhr los. War ja alles gar kein Problem. Dachte ich. Aber es fing quasi schon vor der Haustür an … Ich gebe zu, ich bin bisweilen ein wenig ungeduldig, aber es kann einen auch nerven, wenn man aufgrund der Gemächlichkeit anderer Leute Rot sieht, die, ganz vorne an der Ampel, noch von den letzten Resten deren Grünphase profitieren, nachdem sie verzweifelt und lange das Gaspedal gesucht zu haben scheinen, das – wie üblich – rechts ist, weil sie sich vorher lieber angeregt und weltvergessen mit dem Beifahrer unterhalten haben und man selber dann nur wenige Meter fahren kann, bis die Ampel wieder auf Rot schaltet. Sowas macht mich wirklich ärgerlich. Denn die Fahrer dahinter sehen darauf erst gelb, dann wieder rot, und der Durchsatz an einer Ampel ist aufgrund der besonders „Gelassenen“ dann relativ gering. Besonders schön, wenn man dahinter ist und nicht gemütlich durch die Gegend tuckern kann, sondern tatsächlich einen Termin hat. (Ich gebe zu, nach meiner sehr langen Fahrabstinenz klinge ich wie ein Großmaul – aber allmählich wird mir wieder klar, warum ich so ungern gefahren bin. Und ich halte mich nun wirklich selber für ziemlich fehlbar, aber wenigstens sehe ich zu, dass ich möglichst nicht zu einem Verkehrshindernis werde.)
Es wurde leider nicht besser, sondern schlimmer. Auf einer der Hauptstraßen hier, auf die ich dann endlich abbog, dröselte – es tut mir wirklich leid, das sagen zu müssen – ein Rentnerehepaar in seinem Opel Corsa vor mir her. Mit einer Geschwindigkeit, die zwischen 35 und 40 Stundenkilometern rangierte und changierte. Da, wo man 50 fahren darf – und weithin alles frei nach vorn! Warum? Irgendwann dann fuhr „Vattern“ endlich 50, ich desgleichen. Aber er muss über die eigene überschallähnliche Geschwindigkeit so erschrocken gewesen sein, dass er kurz darauf eine Vollbremsung machte. Ich desgleichen – mir blieb nichts anderes übrig. Immerhin konnte ich so mal wieder meine Hupe betätigen. Die hat Vattern dann wohl so erschreckt, dass er erst einmal zur Gänze stehenblieb. Ich beschloss, nie wieder zu hupen …
Als er dann wieder weiterfuhr, schlichen wir erneut mit knapp 40, und inzwischen hatte sich hinter dem Corsa bereits ein eklatanter Rückstau gebildet. Ich hielt ständig Ausschau nach Möglichkeiten, zu überholen. Als endlich eine da war und ich schon links blinkend hinter ihm ausscheren wollte, bog er plötzlich – ohne Blinker – links ab. Danke für den Adrenalinschub, guter Mann! Und ich mache mir Sorgen um meinen Vater, der trotz seines Alters um Klassen besser fährt!
Die weitere Strecke war so gestaltet, dass ich mich alsbald fragte, ob mir irgendjemand etwas Böses wolle: ein Unfall, ein liegengebliebenes Auto, das die Straße zu großen Teilen versperrte, Leute, die mich schnitten, um die Spur zu wechseln und dann schlichen, so dass ich von einer Rotphase zur nächsten eierte. Als ich erneut an einer roten Ampel stehenbleiben musste, holte ich mein Handy aus der Tasche und rief Kollegin Sybille an, um mitzuteilen, dass ein Teilnehmer der „Zeitzeugen“-Veranstaltung, die sie mitorganisiert hatte, wohl einen Tick später käme, denn ich sei gerade auf dem Weg, meinen Vater abzuholen – es sei verkehrstechnisch grauenhaft. Als ich das sagte, fiel mein Blick in den Rückspiegel, und ich sah neongelb-blau: Hinter mir die Polizei … Und ich mit dem Handy am Ohr … Ich rief nur: „Sybille, ich muss Schluss machen!“ Und schnell warf ich das Mobiltelefon in meine Tasche und blickte ganz unschuldig drein (das kann ich gut). Zum Glück hatten die Polizisten wohl Tomaten auf den Augen oder beide Augen zugedrückt. Rückblickend muss ich jedoch sagen, es hätte mich gar nicht mehr gewundert, hätte ich rechts heranfahren müssen. 😉 (An dieser Stelle: Niemals mit dem Handy herumhantieren, wenn ihr fahrt! Ich mache das sonst nie – das war ein Notfall, und nachdem ich die Polizei hinter mir gesehen hatte, war mir noch klarer als ohnedies, dass das nie wieder passieren würde. Nur mit Freisprechanlage.)
Endlich durch Hassel hindurch und auf die 224 abgebogen. Endlich schneller fahren – es war ja auch Zeit. Doch was war das? Wieso fuhren der LKW und der PKW, auf dem „Pelzmanufaktur“ stand, vor mir plötzlich so langsam? Ach, da stand ein Schild: „50“! Und kurz dahinter dann „30“ und ein Baustellenschild. Und dann blieben wir alle stehen. An einer Baustellenampel. Und ihr wisst, was das bedeutet …
Gefühlte Stunden später ging es endlich weiter. Es durfte 70 gefahren werden, sowohl LKW, als auch „Pelzmanufaktur“-PKW, als auch mein PKW fuhren schneller. Hatten wohl alle Termine. Bis dann diese blöde, raumgreifende Landmaschine am Horizont auftauchte … Erneut eierten wir lahmarschig hinterdrein, doch zum Glück war der LKW vor uns, der uns, als kein Gegenverkehr kam, den Weg freimachte, indem er überholte. 😉 „Pelzmanufaktur“ und Scotty hinterher! (Schon immer fand ich, dass ein LKW vor einem nicht ausschließlich als Ärgernis fungiere, sondern auch Vorteile mit sich bringen könne … 😉 )
In D. gab es dann noch einen weiteren, vermeidbaren Rückstau, weil ein Bus vor uns war, der gerade an einer Haltestelle hielt, rechts blinkte und die nächsten Nachfolgenden sich nicht trauten, an ihm vorbeizufahren. Ich gebe zu, Geduld ist nicht meine stärkste Seite, aber die Zeit drängte nun wirklich sehr … Als der Rückstau bis auf die nächste Kreuzung reichte, fuhr der Bus endlich wieder los …
Ich kam quasi auf zwei Rädern vor meinem Elternhaus an. Hupte. Es tat sich nichts. Ich stieg aus und klingelte an der Tür. Ging zurück zum Auto. Wartete. Da ging schließlich die Tür auf, und meine Mutter erschien. Es tat mir leid, sie war extra aufgestanden und hatte doch relativ hohes Fieber. Sie teilte mir mit: „Papa ist schon weg.“ – „Wie: weg? Womit?“ – „Mit dem Auto.“ – „Nein!“ – „Ja, es ist doch viel zu spät!“ – „Ja, weiß ich auch. Ich bin um kurz vor 10 los!“ – „Kann ich mir nicht vorstellen – da hättest du ja längst hier sein müssen!“ Aaaaah! Ich kam gar nicht mehr dazu, ihr zu sagen, dass ich bereits hinsichtlich Verspätung Bescheid gegeben hätte. Vergaß sogar, ihr gute Besserung zu wünschen (habe ich später nachgeholt), denn ich war schon wieder unterwegs. Immerhin nun nicht mehr in ganz so großer Eile – sogar tanken konnte ich noch. Ich wollte auch meinen Vater nicht einholen. Aber zu meinem Arbeitgeber wollte ich doch. Wie gesagt: Nicht ohne Grund machen Stephanie und ich uns etwas Sorgen, wenn mein Vater allein mit dem Auto unterwegs ist – inzwischen. Denn er ist nicht mehr der Jüngste und leidet unter einer Form von Apnoe, die zwar behandelt wird, schläft bisweilen aber trotzdem im Sitzen ein. Und wir hängen sehr an Papa. 🙂
Ich nahm diesmal eine andere Strecke, kam auch zügig bei meinem Arbeitgeber an – der Parkplatz ziemlich voll. Ich parke aber ohnehin immer ziemlich weit hinten, und als ich nach einem Parkplatz suchte, sah ich da das Auto meiner Eltern stehen. Papa war gut angekommen! Immerhin. Ihr mögt nun denken, dass ich vielleicht übertriebe, aber wenn man – in schlechten Phasen – sieht, wie jemand sogar in unbequemer Sitzhaltung wieder und wieder einschläft, ist es besser zu verstehen. Es tut mir auch immer leid, ich komme mir manchmal vor wie ein Schwein, denn mein Vater ist immer ein umsichtiger Fahrer gewesen. Aber man wird nicht jünger, und dann noch diese Apnoe – da macht man sich dann tatsächlich Sorgen.
Ich ging in Janines und mein Büro, trank einen Kaffee, erklärte Sybille meinen kryptischen Anruf. Sie lachte und meinte: „Kein Problem – ich dachte mir schon so etwas.“ Na, denn. 😉
Und dann habe ich gewartet, bis diese Veranstaltung vorbei war, die bis 13 Uhr dauern sollte. Bis Sybille mir sagte: „Du, die eigentliche Veranstaltung ist schon vorbei – die sind jetzt alle in der Kantine essen.“ Da bin ich dann doch lieber losgestocht und habe auf dem Parkplatz auf meinen Vater gewartet. Denn ich dachte mir: „Er wird nach dem Interview und dem Essen müde sein. Da fahre ich vielleicht besser hinter ihm her.“ Ja, ich weiß – wirkt gluckenhaft. Aber – siehe oben.
Und als er dann endlich am Parkplatz ankam, war er sehr erstaunt, mich zu sehen. Erstaunt, aber sehr erfreut. 🙂 Und ich fuhr dann hinter ihm her. Hat ihm nicht gefallen. Ehrlich gestanden: Mir auch nicht. Denn ich fuhr zum zweiten Male an diesem – meinem freien! – Tag nach D.! 😉 Ich hätte zwar nicht eingreifen können, wäre etwas gewesen, aber wäre er eingenickt und Schlangenlinien gefahren, hätte ich wenigstens hupen können. Das kann ich ja par excellence! 😉 Mir war allerdings auch klar, dass er besonders aufmerksam sein würde, wenn er wusste, seine „Jüngste“ fuhr hinter ihm her. Die, die nie gern gefahren ist.
Und ich musste zu meiner Überraschung feststellen, dass nicht nur die weiblichen Mitglieder meiner Familie sehr dynamisch und bisweilen einen Tick zu schnell fahren: Papa Karl-Heinz fuhr mir mit seinen etwas über 80 Lenzen bisweilen fast davon! 😉 Ob Absicht dahintersteckte? 😉
Ich bin heute insgesamt viermal zwischen D. und G. hin- und hergefahren. Unterwegs getankt, was auch nötig war. Auf dem Heimweg über die 224 noch eingekauft und glücklich wieder daheim. Außer Fahren und Warten heute wenig gemacht. (Hätte man mir das vor etwa einem halben Jahr gesagt, hätte ich mir an die Stirn getippt.) So müssen sich Chauffeure und sonstige Berufskraftfahrer fühlen. Gut, wenn man das mal mitbekommt. Aber das gute Gefühl, dass alle gut zu Hause gelandet sind. Und, nein, ich bin keine Glucke! Es gibt wirklich Gründe für die Hin- und Hergurkerei. 😉
Und ich war immer diejenige, die sich über komplett unnütze Fahrten aufregte, vor allem dann, wenn mal wieder ein illegales Rennen stattgefunden hatte: „Haben die alle zuviel Geld?“ Nun ja … Wenn ich zumindest zwei der heutigen Fahrten so betrachte … Aber lassen wir das! 😉
Für Papa. Ich weiß, Dir hat das heute gar nicht gefallen. Aber ich habe mich gar nicht anders verhalten als Du Dich Stephanie und mir gegenüber früher. Und das sogar, als wir gerade schon volljährig waren. Es geschah aus Sorge. Das heute auch. Die Zeichen kehren sich nur um. 😉 Und es ist wirklich lieb gemeint, wenn es auch vielleicht anders wirken mag.