An alle Arbeitgeber: „Achtung! Die Fußball-EM naht!“

Ich habe einen noch relativ neuen Chef. Ich mag meinen Chef, aber manchmal kommt er mir vor, als käme er von einem anderen Stern. Mag sein, dass es daran liegt, dass er nicht aus dem Ruhrgebiet kommt. Ich versuche schon dauernd, ihm beizubringen, wie die Seele des Gemeinen Pottmenschen so ticke. Bis dato erfolglos. Ich habe es bisher nicht einmal geschafft, ihm ein: „Muss …“ zu entlocken, in leicht melancholisch-resigniertem Tonfall, wie es hier so üblich ist, wenn’s gerade nicht so toll ist, wenn ich nach seinem Befinden frage, das – zumindest sieht es bisweilen so aus – gegebenenfalls nicht so wohlgeleitet ist. Da sagt er immer: „Ach, Frau B.!“ Oder: „Naja …“ Zum markigen „Muss!“ hat er sich noch nicht durchringen können. Wie soll er hierzulande nur bestehen? Bis dato wirkt er wie ein Fremdkörper. Dabei lasse ich kaum etwas unversucht, ihn zu integrieren. 😉

Als ich es mit Fußball versuchte, stellte sich Furchtbares heraus: Mein Chef bevorzugt den 1. FC Köln! Ihr wisst schon: den Verein mit „Hennes“, dem Geißbock. 😉 Ich bin in keiner Weise Köln-Fan, weder fußballtechnisch, noch sonstwie. Das durfte ich bisher immer laut sagen, seit meinem neuen Chef muss ich die Klappe halten – schlimm genug. 😉 Dabei wirkt mein Chef sogar fußballtechnisch irgendwie, als käme er aus einer anderen Welt, obwohl er vorgibt, Fan eines „Clubs“ zu sein. Kenne ich so gar nicht – ich komme aus einer Fußballregion und Fußballstadt, und da ist man eher markig-direkt. Mein Chef ist weit von so etwas entfernt, behauptet aber immer, er schätze meine direkte Art. Möglich auch, dass er ein bisschen Angst vor mir hat, weil ich so direkt bin. 😉

Und da ich so direkt bin, wies ich kürzlich darauf hin, dass ja nun die Fußball-EM nahe. Ich grinste, als ich ihm dies mitteilte, und das in der Hoffnung, der Groschen falle umgehend. Aber mein Chef meinte: „Was wollen Sie mir damit sagen, Frau B.?“

Einmal mehr stellte ich fest: „Nicht pottkompatibel.“ Unter all meinen Chefs hier ist mir so etwas noch nie passiert. Nur eine Kollegin hatte sich einst, 2006 zur WM, recht ignorant gezeigt, als sie mehrere Termine vereinbart hatte, die dann allesamt nicht zum Tragen kamen, da die Teilnehmer mitteilten, dass das doch nicht gehe, da zum genannten Zeitpunkt gerade eine interessante WM-Begegnung stattfinde. Die Kollegin hatte sich damals sehr verständnislos gezeigt und mich gefragt, ob ich das für möglich hielte. Ich meinte nur: „Was? Du hast ernsthaft da einen Termin vereinbaren wollen?“ – „Ja, wieso denn nicht?“ – „Da ist ein Spiel!“ – „Bist du auch so bescheuert?“ – „Das nicht, eher informiert. Und ich gucke selber Fußball.“ Die Kollegin nahm daraufhin Abstand von mir. Es bedrückte mich nicht sonderlich.

Mein Chef schaltete nicht, und da teilte ich ihm mit, dass es doch recht mitarbeiterfreundlich wäre, zumindest bei wirklich brisanten Begegnungen ein wenig Rücksicht walten zu lassen. „Woher wissen Sie das, Frau B.?“ – „Nun, ich arbeite hier schon seit ein paar Jahren.“ Mein Chef starrte mich an, als hätte ich gerade gestanden, Kokain zu schnupfen. (Als könnte ich mir das von meinem Gehalt leisten … 😉 )
Und dann meinte er: „Mal schauen, wie ich damit umgehe und ob ich da Freiräume gestatte.“ Ich sagte: „Das obliegt allein Ihnen.“ Und ich zog mich lächelnd zurück.

Ich selber bin da eher großzügig. Vor zwei Jahren, anno 2014, war die letzte WM. Ich erinnere mich, dass schon einige Viertelfinalspiele dieser Meisterschaft an mir vorbeigezogen waren, ohne dass ich einen funktionsfähigen Fernseher zur Verfügung gehabt hätte – ein Unding. Eine meiner Tanten hatte Mitleid und schenkte mir einen Fernseher, so dass zumindest andere Viertelfinalspiele, das Halbfinale und dann das Finale nicht ungesehen an mir vorbeigingen. Ich gestehe, beim Finale habe ich sie verflucht! Denn da saß ich irgendwann unruhig vor dem Fernseher, beide Hände vor die Augen gepresst, zwischen deren Fingern ich bisweilen hindurchblickte. Ich wollte zwar nicht all das Grauen sehen, das Entscheidende aber dann doch. Und dann wartete nur noch alles auf den Abpfiff, auch ich, und der Schiri ließ sich Zeit. Ich musste mich zu meinem Grauen dabei ertappen, dass ich irgendwann affektinkontinent den Fernseher anschrie: „Pfeif endlich ab, du Arsch!“ Ich meinte den Schiri, natürlich, der dann auch irgendwann abpfiff. Danach ging draußen das Inferno los, denn Deutschland war Weltmeister.

Am nächsten Tag, einem Montag, musste ich zur TU der Nachbarstadt, weil ich meinen vollen Seminartag hatte. Gleich morgens ging es los mit dem Englischseminar für Städteplaner. Erstaunt war ich, dass so viele Leute anwesend waren, vornehmlich Frauen. Aber auch diverse Männer saßen dort. Offenbar nur wenige Fußballfans. 😉

Es war die letzte Stunde, und es gab nicht mehr viel zu tun, und so endete die Stunde recht schnell. Kurz vor Ende ging die Hörsaaltür auf, und zwei Gestalten betraten den Saal. Ich musste zweimal hinsehen, um sie als Studenten meiner Veranstaltung zu erkennen: Zwei mehr oder minder „abgerissene“ Gestalten mit Augen wie Schlitzen betraten den Hörsaal, die recht strengen Geruch verbreiteten. Beim zweiten Hinsehen sah ich: Es waren Yannick und Lars! Zwei nette junge Männer, die wirklich gute Studis gewesen waren. Nur heute völlig derangiert, wenn auch grinsend. 😉

Ich grinste auch, und dann meinte ich: „Yannick! Lars! Sie hier! Und das am heutigen Tage! Sie sind ja echte Helden! Kommen viel zu spät, und dann noch, wenn ich gerade die letzte Sitzung beendet habe! Aber ich finde nett, dass Sie überhaupt gekommen sind – als echte Fußballfans. Hut ab!“

Die grinsenden Gestalten, die ich auf der Straße nicht erkannt hätte, näherten sich mir und meinten: „Wir wollten doch die Evaluationsbögen für Ihre Veranstaltung abliefern. Wir fanden Ihr Seminar toll!“ – „Danke! Übrigens, Yannick, Sie haben da Lippenstift im Gesicht.“ – „Echt? Okay, kann sein – ich erinnere mich nicht so genau …“ Ich lachte schallend, und da meinte Yannick: „Sie lachen! Sie haben offenbar Verständnis – Sie sind echt eine coole Dozentin!“ – „Ich war auch mal Studentin.“ – „Cool!“ Und Yannick wollte mich in den Arm nehmen … Da meinte ich allerdings: „Nehmen Sie es bitte nicht persönlich – aber Sie riechen ein bisschen streng. Kann es sein, dass Sie die Nacht durchgefeiert haben?“ – „Hmmm, ja, ehrlich gestanden … Aber wir wollten Ihnen doch die Evaluationsbögen bringen. Wir sind extra noch einmal zu Hause vorbeigegangen! Riecht man das wirklich?“ – „Ja. Macht aber nix – kommen Sie mal her …“ Und dann drückten mich die beiden Zuspätkommer. Sie stanken zum Himmel, hatten Fahnen bis dorthinaus, aber wer wäre ich denn, mich zimperlich anzustellen, wenn man mir so einen netten Abschied entbieten wollte? 😉 Und – wie gesagt – ich war selber mal Studentin. 😉

Ich bin offenbar cooler als mein Chef, der sich lange Gedanken zum Verhalten im Europameisterschaft-Fall machen will … 😉 Ich habe ihm noch nicht verraten, dass ich auch zu denen zähle, die möglichst viele interessante Spiele sehen wollen. Das halte ich noch offen, wenn es hart auf hart kommen sollte … 😉 Ich zähle aber auf meinen Chef, der zwar die Pott-Mentalität (noch) nicht beherrscht, aber ansonsten wirklich nett ist. 🙂

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