Das ist ein Satz, den ich von meiner ehemaligen Kunstlehrerin, Frau Mehreck, zwar nie gehört habe, der aber gut und gerne von ihr hätte stammen können.
Heute erfuhr ich, dass Frau Mehreck bereits vor einigen Tagen gestorben sei. Es ist viele Jahre her, dass ich das letzte Mal mit ihr zu tun hatte, aber ich musste feststellen, dass mir die Nachricht und die Tatsache, dass sie nicht mehr lebe, viel näher ging, als ich erwartet hätte.
Annhild Mehreck war ein Mensch der Extreme. Sie wirkte eher bodenständig, aber man spürte, sie war ein sehr sinnlicher Mensch. Und sie hatte furchtbar viele Ecken und Kanten. Vielleicht nicht mehr als ich, aber sie hatte keinerlei Scheu, diese Ecken und Kanten auszuleben. Anders als ich, die sich entsetzlich schämt, wenn sie ausfallend geworden ist, selbst wenn die Umstände so unerträglich sind, dass es eigentlich nicht wundert, wenn man dann wirklich wütend und im Zweifelsfalle auch lauter wird.
Frau Mehreck hatte da keinerlei Scheu. Sie erklärte sich auch nie, wenn sie – bisweilen unberechenbar scheinend – einen Wutanfall bekam, nur weil ein kleiner Fünftklässler, der wie alle seine Klassenkameraden einen Esel hatte malen sollen, den Esel – anders als die Klassenkameraden, die das Wasserfarb-Huftier in Grau oder Braun gestalteten – in Blau malte, weil er möglicherweise von Bildern Franz Marcs, „Blaues Pferd“ oder dem „Turm der blauen Pferde“, inspiriert gewesen war. (Mich wundert der Ausraster noch heute, denn eigentlich stand Frau Mehreck auf Phantasie und natürliche Entfaltung des eigenen Willens. Möglich aber, dass sie eine Beeinflussung eben durch Franz Marc mutmaßte, und Beeinflussung mochte sie gar nicht – wir werden es nie erfahren. 😉 )
Sie war ein Mensch, den man an einem Tag gegen die Wand hätte klatschen, am anderen Tag aber ganz fest hätte drücken mögen. Ich sah auch, wie sie mit ihren Kindern, vier an der Zahl, drei Mädchen und ein Junge, umging. Sehr liebevoll, aber nicht gluckenhaft. Ihre jüngste Tochter, Mina, hatte sie einmal mit zur Schule gebracht, als die Kleine etwa anderthalb Jahre alt war. Wie gesagt: sehr liebevoll, aber als die Kleine wiederholt herumzickte, gab es sehr energisch zur Antwort: „Mina, du weißt, ich liebe dich sehr – aber jetzt ist Schluss!“ Möglich, dass man dies heutzutage schon als Kindesmisshandlung betrachten würde, aber die Kleine gab Ruhe und wirkte doch so, als sei ihr klar, dass Mama sie trotz allem liebte. 🙂 Und es half auch, uns zu zeigen, dass wir durchaus geschätzt wurden, wenn auch Frau Mehreck uns bisweilen etwas energischer behandelte.
An mir schien sie einen Narren gefressen zu haben, obwohl auch ich zwei- oder dreimal Opfer ihrer Wutausbrüche wurde. Ich habe schon immer sehr gern gezeichnet und gemalt. Zeichnen stand vor dem Malen bei mir stets auf Platz 1. Nur fand ich meine Werke nie so gelungen, hatte stets selber etwas daran zu mäkeln. Frau Mehreck aber meinte: „Du hast ein echtes Zeichentalent, und auch malen kannst du gut!“ Das war ein gigantisches Lob! Eingebildet habe ich mir aber nichts darauf, denn ich habe mich ja nicht selber gemacht und war obendrein von meinen Werken durchaus nicht überzeugt, zumal Frau Mehreck Einbildung und Arroganz zutiefst verabscheute. 😉 Da sind wir einander recht ähnlich – ich mag das auch nicht. 😉
Von der fünften bis zur achten Klasse malte und zeichnete ich mich durch, hatte immer gute Noten, und Frau Mehreck nannte mich „sehr sensibel und feinfühlig“. Noch eine Auszeichnung, denn so etwas sagte sie nicht zu jedem.
In der achten Klasse lernten wir perspektivisches Zeichnen, die Fluchtpunktperspektive und das Zeichnen von Objekten mit Übertragung der Proportionen, Größen- und Längenverhältnisse aufs Papier. Fluchtpunkt war vergleichsweise einfach, obwohl ich in Geometrie immer eine Versagerin war. Beim Zeichnen klappte wie durch ein Wunder alles prächtig. 😉
Aber beim Zeichnen von Objekten mit Übertragung der Größenverhältnisse aufs Papier habe ich den zweiten oder dritten Wutausbruch Frau Mehrecks in meiner gesamten „Künstlerkarriere“ auf mich gezogen. Wir saßen im Schulgarten und hatten uns ein Objekt der alten Klosteranlage, die Teil unserer Schule war, ausgeguckt. Und Frau Mehreck hatte uns beigebracht, wie man die realen Größenverhältnisse entsprechend proportioniert zu Papier brachte. So saß ich auch da, das Zeichenbrett mit dem Zeichenpapier hochkant auf den Oberschenkeln, in der rechten Hand den Zeichenstift, den ich bei ausgestrecktem Arm als Maßstab benutzte. Die Spitze des Stifts an den höchsten Punkt des zu zeichnenden Objekts gesetzt, maß ich – vorschriftsmäßig ein Auge zugekniffen – mit dem Daumen am Stift die Länge des Objekts ab, um das Ganze dann zu Papier zu bringen. Aber irgendetwas muss ich wohl nicht ganz richtig gemacht haben.
Das wurde mir in dem Moment klar, als das Inferno über mich hereinbrach, und dies in Gestalt einer sehr lauten und wütenden Stimme hinter mir. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass Frau Mehreck hinter mich getreten war, so vertieft war ich in mein Tun gewesen. Sie schrie mich an: „Was machst du denn da? Das ist doch Scheiße!“
Vor Schreck ließ ich meinen Bleistift, Härtegrad B, fallen, ebenso das Zeichenbrett. Großer Gott – ich hatte den „Blauer Esel“-Effekt erzielt, und das völlig unwillkürlich! Da kam dann noch mehr Geschrei, dass ich mein Material doch nicht einfach so in den Dreck schmeißen könne – wie ich denn eigentlich drauf sei! Da habe ich aber reagiert und gesagt: „Ich habe es nicht geschmissen, sondern fallengelassen! Vor Schreck! Warum schreien Sie mich denn so an? Ich habe es doch nicht mit Absicht falsch gemacht!“
Da geschah das Wunder. Sie grinste und entschuldigte sich auf ihre Art, indem sie meinte: „Gerade von dir hatte ich erwartet, dass du das gleich könntest.“ (Offenbar ein Irrtum. 😉 ) Und dann ging sie hin und zeigte mir und meinen beiden Mitstreiterinnen, die mit mir zusammen die Außenansicht der Klosterkapelle zeichnen wollten und genauso wurschtig mit ihren Zeichenstiften Löcher in die Luft gestochen hatten, wie es wirklich richtig gehe. Seitdem kann ich richtige Proportionen zeichnen, als hätte ich es bereits mit der Muttermilch aufgesogen. 😉 Ganz ohne Raster, wie manche Leute es benutzen und mit zarten Bleistiftstrichen auf das Zeichenpapier malen, bevor sie mit dem richtigen Zeichnen loslegen.
Sie hat mich sogar bis in den Matheunterricht quasi begleitet, als wir einmal irgendeine blöde Beweisaufgabe lösen sollten, und das anhand eines sehr bildhaften Beispiels, in dem ein Fenster vorkam. Die Behauptung bekam ich noch fehlerfrei hin, aber dann stand ich vor einem Rätsel … 😉 Das Kürzel „q.e.d.“, „quod erat demonstrandum“, oder „w.z.b.w.“, „was zu beweisen war“, war Lichtjahre von meinen Bemühungen entfernt. 😉 Immerhin hatten wir eine kleine Skizze zur Behauptung anfertigen sollen, und das bewahrte mich davor, ähnlich unbeschäftigt wie meine drei Banknachbarn auszusehen, die mathematisch ebenso ahnungslos waren wie ich. 😉 Im Gegensatz zu ihnen fertigte ich wenigstens eine ausgefeilte Skizze an: im Vordergrund ein Fenster mit zwei sich nach innen öffnenden Fensterflügeln, dahinter eine Straße mit Häusern zu beiden Seiten – Fluchtpunktperspektive -, mit Bäumen, denn es handelte sich um eine Allee, Autos, Bussen, Radfahrern und Fußgängern. Ich war zumindest beschäftigt. 😉 Und meine Mathelehrerin, Frau Antoni, die vermutlich eine großartige Theoretikerin war, meinte, als sie – von mir unbemerkt – hinter mich getreten war und gesehen hatte, was ich da tat, als ich gerade eine Topfpflanze und eine Katze auf die innere Fensterbank zeichnen wollte: „Ach, Ali, du machst das ja alles immer mit soviel Liebe!“ Und dann strich sie mir übers Haar! Es wäre vielleicht besser gewesen, hätte sie uns allen präziser erklärt, wie man mathematische Beweise angehe, denn ich war beileibe nicht die Einzige gewesen, die keine Lösung hatte. 😉 Immerhin aber hatte ich mich nicht gelangweilt, ganz im Gegensatz zu anderen Klassenkameraden. 😉
Einmal war Frau Mehreck – das war in der achten Klasse – mit auf Klassenfahrt. Nach Willingen im Sauerland ging es. Einige meiner Mitschüler hatten eine Fresse gezogen, als sie hörten, Frau Mehreck sei unsere weibliche Begleitperson. Aber sie war klasse, erzählte abends im Achter-Mädchenzimmer, wo wir Mädels uns alle versammelt hatten, im Dunkeln Gespenstergeschichten, und obwohl wir ja mit 13, 14 Jahren schon total „erwachsen“ waren, fanden wir es grandios, und wir hätten keine bessere Begleitperson haben können. (Die armen Jungs – ihre Aufsichtsperson war Herr Zuhoff, und das war keine Freude. 😉 ) Sie wirkte auch total entspannt, und das trotz der für Lehrer unangenehmen Pflicht, eine verreisende Klasse – noch dazu mitten in der Pubertät – begleiten zu müssen. Sie war gleichzeitig wie eine Mutter, aber auch wie eine Freundin. Man konnte auch mit Kummer zu ihr gehen, und man kam dann getröstet und mit viel mehr Zuversicht zurück. Sie konnte nicht „nur“ Kunst. 🙂 Jedenfalls nicht „nur“ bildende Kunst.
Mich fragte sie da einmal, ob ich ein Tagebuch führte. Ich sagte: „Ja, aber manches kann ich mit Worten nur so schwer beschreiben.“ Da riet sie mir, zusätzlich ein Skizzenbuch zu führen, und sie gab mir viele gute Tipps, wie ich gut und schnell skizzieren könne. Habe ich nie vergessen. 🙂 Und einen auf der Wiese tobenden und spielenden Dobermann habe ich dann sehr schnell und gemäß Frau Mehrecks Urteil sehr schön und treffend skizziert. „Der sieht einerseits etwas bedrohlich, andererseits auch sehr verspielt aus – das hast du sehr schön eingefangen und ausgeführt. Schenkst du mir die Skizze?“ – „Aber die ist doch nicht wirklich toll.“ – „Doch, ist sie. Schenkst du sie mir?“ – „Ja, wenn Sie sie wollen – gern.“ – „Aber erst signieren, Frollein!“ 🙂
Mit dem Übergang von der achten zur neunten Klasse mussten wir uns entscheiden, was den künstlerischen Teil unserer Schulausbildung betraf, und wir mussten uns zwischen Kunst und Musik entscheiden. Da habe ich lange gebraucht, denn auch Musik ist für mich elementar wichtig. Und eines Tages, noch bevor meine Entscheidung gefallen war, fragte mich Frau Mehreck, wofür ich mich entschieden hätte. Ich zögerte mit der Antwort, ich wollte keinen möglichen Wutausbruch heraufbeschwören. Dann meinte ich ganz ehrlich: „Frau Mehreck, ich weiß es nicht. Beide Fächer sind mir sehr wichtig.“ Da grinste sie und meinte: „Musik ist in der Tat auch sehr wichtig, und ich finde schön, dass du nicht weißt, was du wählen möchtest. Viele wählen Kunst, weil sie denken, da sei eine gute Note ja ganz einfach.“ Da meinte ich etwas vorlaut: „Aber doch nicht bei Ihnen – diese Leute kennen Sie wohl nicht!“ Da lachte sie ihr dröhnendes Lachen und meinte: „Genau!“
Letzten Endes hat dann Kunst das Rennen gemacht. Aber was für eine Ernüchterung, als Frau Mehreck uns nach den Sommerferien mitteilte, Bildhauerei stünde auf dem Lehrplan! Grauenhaft! Hat mich nie interessiert, jedenfalls nicht mit mir als ausführender „Künstlerin“. 😉 Obwohl es sich noch harmlos anließ und wir zunächst mit Ton arbeiteten und eine Vogelskulptur anfertigen sollten. Meine sah derart futuristisch aus, dass Frau Mehreck sich vor Freude und Begeisterung kaum lassen konnte, und sogar meine Mutter hat den brachialen Vogel aufgehoben, weil sie ihn originell fand. War er auch, ähnelte mehr einem dieser großen Landsaurier als einem Vogel, zumindest von der Gestaltung her. Seines aufstrebenden Schnabels und seiner flugunfähigen Gestalt wegen nannte ich ihn „Ariane“, und dies in Anlehnung an die ESA-Trägerrakete gleichen Namens, die zunächst durch Fehler und Fehlstarts mit großem materiellen Schaden bekannt geworden war. 😉 Als Frau Mehreck dies mitbekam, lachte sie und meinte: „Sehr kreativ, Ali. Und sehr selbstkritisch und sarkastisch, mit nettem Augenzwinkern. Aber ich finde deine Ariane sehr schön – sie sieht nicht wie ein gewöhnlicher Vogel aus, sondern verheißt viel Phantasie und Abstraktion.“ O ja. Sie war so abstrakt und wuchtig, dass sie nur mit Hängen und Würgen in den Brennofen passte. Und weil ich so viel mehr Material als meine Mitschüler verarbeitet hatte, musste sie auch öfter als alle anderen Skulpturen gebrannt werden. 😉
Danach ging es weiter mit einer Skulptur aus Speckstein. Seitdem hasse ich Speckstein! Wir sollten aus einem unförmigen Klumpen zwei in einer Beziehung zueinander stehende Personen abbilden. Ich habe es gehasst! Mit speziellen Messern, Kerbinstrumenten und groben Feilen mussten wir zu Werke gehen, und ich musste Überstunden einlegen und den Klumpen, der einmal eine Skulptur werden sollte, sogar mit nach Hause nehmen und dort weiterarbeiten, damit das daraus wurde, was dem Emblem des Sportartikelherstellers „Kappa“ erschreckend ähnelt: zwei mit dem Rücken zueinander sitzende Menschen, bei denen sich beide an den Rücken des jeweils anderen anlehnen. Und das nach all den Mühen! Nix gegen „Kappa“, aber das Resultat war doch etwas … armselig. 😉
Nicht, dass ich faul gewesen wäre! Nein. Mir fehlte nur die Kraft, diesen blöden Stein zu bearbeiten. Nach jeder Doppelstunde plus Verlängerung, da eine „Abgabefrist“ herrschte, taten meine Hände und Handgelenke unbeschreiblich weh. Und ich habe es so gehasst! Einmal, als ich verzweifelt einmal mehr länger blieb, um irgendwie zeitlich klarzukommen, kam Frau Mehreck zu mir und meinte: „Ali, in Zeichnen bist du wirklich sehr gut. In Malen gut. Aber Bildhauerei ist nicht dein Ding. Zeig mal deine Hände!“ Was wollte sie da sehen? Ob meine Fingernägel sauber waren? 😉 (Waren sie im Kunstunterricht eigentlich nie, denn entweder hatte man Farbe darauf und darunter, aber auch Druckerschwärze, mit der man hervorragend malen und sich die Klamotten versauen kann. Oder Ton oder Staub von einem Speckstein …) Aber ich streckte ihr meine Hände hin, und sie meinte: „Kein Wunder! Du hast Hände und Handgelenke, die prädestiniert für das Führen eines Zeichenstiftes, von Zeichenkohle oder Kreiden oder Pinseln sind. Nicht für gröbere Instrumente. Sieht man schon an den Handgelenken. So feinfühlig wie ein Reh.“ Und ehe ich mich versah, fragte sie: „Spielst du ein Musikinstrument?“ – „Ja, Klavier, aber ich habe gerade mit dem Unterricht aufgehört.“ Da rief sie enthusiastisch-empört: „Sofort wieder anfangen! Angesichts deiner Hände hätte ich auf Violine getippt, aber du spielst Klavier, und du solltest damit weitermachen! Du hast sehr feinfühlige Hände! Meine älteste Tochter hat auch solche Hände, und die spielt Violine. Mein Sohn wäre da wahrscheinlich nicht so gut, weil er kräftigere Hände hat – daher spielt er auch Trompete.“
Für meine blöde Skulptur habe ich dann eine Drei bekommen. Schlechter als alles, was ich bis dato an Noten aus dem Kunstunterricht heimgebracht hatte, aber absolut gerechtfertigt. Das Ding war einfach Scheiße. 😉 Meine Mutter hat es trotzdem aufbewahrt, wahrscheinlich, weil es ein Symbol war: des Kampfes und Ringens mit und gegen sich selber. 😉 Immerhin würde es sich prima dazu eignen, eine Fensterscheibe – wahrscheinlich sogar aus Panzerglas – einzuwerfen und hat so doch einen gewissen „Nährwert“. 😉
In der Oberstufe war dann Schluss mit dem Kunstunterricht, und ich muss sagen: Er hat mir gefehlt. Aber ich hatte bis dahin wirklich viel gelernt, und all das habe ich Frau Mehreck zu verdanken. Trotz aller Schreierei.
Und trotz aller Schreierei habe ich sie stets in angenehmer Erinnerung behalten, weil sie im Grunde ein sehr lieber und gerechter Mensch war, von dem man sich – sogar, wenn sie wütend war – ernstgenommen fühlte, weil man wusste, sie nahm einen ernst. Auch als Fünftklässler. 🙂
Sie war eine meiner besten Lehrerinnen. Und das nicht nur in Bezug auf Kunst. 🙂 Von ihr habe ich sehr nachhaltig gelernt, dass Menschen ganz individuell seien und dass man immer ganz genau hinsehen müsse, bevor man ein Urteil abgebe. Und dass manchmal der Schein trüge. Danke, Frau Mehreck. Sie werden fehlen.
Liebe Ali, ein toller Nachruf auf Frau M.! Beim Lesen habe ich bedauert, dass ich bei dieser Lehrerin keinen Unterricht hatte. Und dass ich nicht beim Gespenstergeschichten-Erzählen dabei war. Ich fürchte jedoch, dass ihr gelegentliches Schreien bei mir denselbsn Effekt gehabt hätte, wie das Anstupsen einer Schildkröte oder einer Schnecke mit Haus hat. Ich hätte mich in mich zurückgezogen, zusammen mit dem letzten Rest Kreativität.
Welches Instrument hätte Frau M. wohl jemandem empfohlen, der Spinnenhände hat? So wie ich 😉 Das werde ich nun nicht mehr erfahren. Was ich jedoch noch spannender finde, ist die Antwort auf eine andere Frage: Zeichnest und malst du heute noch? Und falls die Antwort nein ist, könntest du dir vorstellen, wieder damit anzufangen. Ich mag deinen Blog und lese viele Beiträge mit großer Begeisterung. Und nun stelle ich mir vor, der eine oder andere Artikel hätte noch eine kleine oder größere Illustration. Das wäre doch toll!
EInen lieben Gruß von Nora Gold
Liebe Nora,
„Spinnenhände“? 😉 Vermutlich hätte sie Dir zu einer Zither geraten. Oder Harfe – auch ein schönes Zupfinstrument mit einem schönen Klang. 😉
Ich glaube, sie wollte niemanden ernsthaft verschrecken, wenn sie schrie. Sie war ja nicht „nur“ Kunstlehrerin, sondern tatsächlich bildende Künstlerin, und in manchen Aspekten entsprach sie wohl dem Klischee des Künstlers. Zumindest war sie bisweilen recht emotionsgeleitet bzw. ließ ihren Emotionen freien Lauf. Manch einer hatte daher auch ein Problem mit ihr, und auch ich hatte anfangs ein wenig Angst. Aber ich merkte schnell, das Geschrei war nicht böse gemeint – sie war einfach manchmal etwas aufbrausend, und sie mochte nicht, wenn man nicht zuhörte und dann vermeidbare Fehler machte, die unter Umständen dann ein ganzes Bild ruinierten. Ich stellte mich darauf ein, und so waren ihre temporären „Ausbrüche“ auch unbeschadet zu überstehen, zumal ich sie sehr mochte, da ich auch ihre andere Seite sehr deutlich sah.
Sie war bei unserer Klassenfahrt ins Sauerland richtig toll – nur wenige Menschen sind solch gute Erzähler. Und mit ihr machten sogar Wanderungen durch den Wald richtig Spaß: „Seht mal da – ein Eichelhäher!“ Und dann erzählte sie eine Eichelhähergeschichte. Oder: „Seht euch nur dieses unglaubliche Grün an!“ Und dann kam eine Geschichte zu den Farben. Das mag nicht jeden interessiert haben, aber einige von uns fanden es wirklich spannend, unter anderem ich. Auch mit Tieren und Pflanzen kannte sie sich sehr gut aus. Und als wir an einem der Tage mal wieder im Wald unterwegs waren, hat Herr Zuhoff, unser damaliger Klassenlehrer, der eine angeknackste Gesundheit und ein schwaches Nervenkostüm sein eigen nannte, so dass jeder sich wunderte, warum er überhaupt die Leitung einer Klasse übernommen hatte und mit der dann noch auf Klassenfahrt ging, mal wieder nervlich geschwächelt, „weil ihr alle so furchtbar seid,“, wie er sagte. Und so musste er sein gestresstes Haupt auf einem Bett von Moos lagern, legte sich lang hin und musste dort gequälter Miene erst einmal ruhen. Frau Mehreck meinte nur zu uns: „Kommt, wir gehen etwas weg.“ Und als wir ein Stück entfernt waren, meinte sie: „Zieht euch den Schuh bloß nicht an, ihr wäret furchtbar!“ Doch als wir dann Beschwerden über Herrn Zuhoff laut werden ließen, meinte sie: „Nein, lasst ihn in Ruhe. Er ist wirklich angeschlagen, und darauf muss man Rücksicht nehmen. Lasst uns lieber ein Spiel spielen. Ich möchte kein Gemotze hören – Respekt müsst ihr schon haben. Den habe ich auch vor ihm, wenn ich auch nicht auf einer Wellenlänge mit ihm bin.“ Wenn ich es recht überlege, war es ein extrem „exotisches“ Begleitpersonen-Gespann, das wir da mit auf Klassenfahrt hatten: Frau Mehreck und Herrn Zuhoff! 😉 Wer die beiden kennt, weiß, was ich meine. 😉
Sie war auf alle Fälle ein sehr gerechter Mensch. Sie schrie nämlich auch die guten Schüler an. 😉 Nein, im Ernst, sie war wirklich ein sehr liebenswerter und fairer Mensch, mal abgesehen von ihrer bisweilen allzu aufbrausenden Art. Aber – wie gesagt – auch mit der konnte man klarkommen, wenn man sich Frau Mehreck genauer ansah.
Ich zeichne leider nur noch selten, und gemalt habe ich schon ganz lange nicht mehr. Betrachte ich jedoch die Zeichen- und Malutensilien, die ich im Haus habe, sollte ich vielleicht mal wieder damit anfangen. 🙂
Vielen Dank fürs Lob und herzliche Grüße,
Ali