Warum mein allerbester Freund „Murphy“ heißt

Ich werde nie vergessen, wie ich gerade mein Magisterexamen abgelegt hatte. Nicht nur mit Glück, sondern richtig gut. Ich war so glücklich, ich hätte die ganze Welt umarmen können. 🙂

Netterweise waren mein Vater und meine Schwester Stephanie sowie ein guter Freund zu meiner Abholung nach der zweistündigen „Kollegialprüfung“, dem mündlichen Examen in allen drei Fächern, gekommen, und Willy hatte sogar eine Flasche Sekt dabei, sowie echte Sektgläser, die er in einer Papprolle sorgsam verpackt hatte. Er hatte sogar an meine Verwandten gedacht.

Meine Mutter weilte in Kur, und da ich stets ein verkapptes Mamakind gewesen bin, vermisste ich sie sehr. Aber die Kur meiner Mutter hatte Priorität, das sah auch ich ein, und so rief meine Schwester nach meiner erfolgreich vollbrachten Prüfung in ihrem Hotel an und hinterließ eine entsprechende Nachricht.

Nachdem mein Vater und Stephanie wieder nach Hause gefahren waren, begab ich mich beschwingt – ich hätte singen können, weil solch eine grauenvolle Last von mir genommen worden war – nach Hause, um mich dort aus meiner Prüfungskleidung zu pellen, mich unter die Dusche zu stellen und mich auf meine Examensparty vorzubereiten.

Kaum war ich aus der Dusche heraus, klingelte mein Telefon. Mama war dran, und sie gratulierte mir, war gerührt und meinte, es tue ihr in der Seele weh, nicht anwesend zu sein. Aber das, was sie alles sagte, entschädigte.

Nachdem wir beide aufgelegt hatten, klingelte das Telefon erneut. Ich meldete mich, und meine Oma Margareta, von mir pottgemäß „Omma Bamberg“ genannt, weil sie dort lebte, war dran. Ich hörte, dass sie vor Rührung weinte, ich freute mich, meinte jedoch, sie müsse doch nicht weinen. Da kamen sie, die Worte, die ich nie vergessen habe: „Ach, Kind, ich bin so froh, dass du auch mal Glück gehabt hast! Du bist doch sonst immer so ein kleiner Pechvogel. Ich freue mich so!“

Ich hingegen staunte, nahm den Hörer vom Ohr und starrte ihn verwundert an. Wie das jetzt? „Pechvogel“? „Auch mal Glück gehabt“?

Ich meinte: „Omma, ich hatte nicht nur Glück! Ich war wirklich gut! Mein Erstprüfer meinte, ich sei immer eine sehr gute Studentin gewesen, und das war ich auch. Das war nicht nur Glück! Eben weil ich ja bisweilen ein kleiner Pechvogel bin, wie du sagst, zeugt das doch eher von Können, nicht von Glück!“ – „Ach Kind, sei nicht böse – ich freue mich nur so!“ Als hätte ich „Omma Bamberg“ je böse sein können! 🙂 Ich nahm es also einfach hin, und ich freute mich, dass sie sich so freute, wenn ich auch ein bisschen genervt war, dass ausgerechnet dort, wo ich wirklich gut war, das „Glück gehabt“-Schema angewandt wurde.

Tief in meinem Inneren wusste ich aber, sie hatte einen Punkt getroffen, der nicht ganz unwahr ist: Ich scheine Pech anzuziehen wie das Licht die Motten oder Mücken. 😉 Okay, es gibt auch Aspekte, da ich selber schuld bin, aber es gibt hinreichend Dinge, bei denen ich wirklich nichts dafür konnte und doch die Doofe war. Oder – sagen wir es nett – die Leidtragende. Ich bin offenbar so ein Mensch, warum, weiß ich nicht. Wäre ich gläubig und überzeugte Katholikin, würde ich das Ganze wohl als Prüfung betrachten. 😉 Da ich das aber nicht bin, lasse ich derartige Albernheiten bleiben. 😉

Wenn es auch so sein mag, dass ich bisweilen betroffen bin, habe ich mich bis dato relativ wacker geschlagen, denn offenbar bin ich immerhin zäh. 😉 Das bedeutet mitnichten, dass ich nicht sensibel wäre – im Gegenteil. Ich habe schon oft dagesessen und mich gefragt, was denn nun werden solle, geweint, mir an den Haaren gerissen und bestenfalls geflucht. Aber irgendwie habe ich mich immer wieder „auf den Topf setzen“ können. Das ist auch ganz wichtig. 🙂

Doch nun zu meinem allerbesten Freund Murphy. Der klebt an mir wie Scheiße am Schuh. Vielleicht liegt es daran, dass ich manchmal etwas pessimistisch eingestellt bin und schon etwas Derartiges ausstrahle – keine Ahnung. Es gibt Tage, an denen ich schon mit nichts Gutem rechne.

Ich weiß nicht, ob Murphy auch dafür verantwortlich zeichnete, dass ich eines Tages in meiner Zeit in Ratingen eine Vorladung zur Polizei im Briefkasten hatte. Ich vermute jedoch, er könne seine Finger im Spiel gehabt haben, denn zu der Zeit war ich gerade gar nicht gut drauf: Kurz zuvor hatte ich meine Kündigung von meinem damaligen Arbeitgeber erhalten, bei dem ich als technische Redakteurin tätig gewesen war, und das beileibe alles andere, als schlecht. Nur hatte die Geschäftsführung meines Arbeitgebers wohl Mist gebaut, und mit mir gingen in der ersten Kündigungswelle alle anderen Kollegen, die in den letzten zwei Jahren eingestellt worden waren. (Seit dieser Zeit bin ich auch gar nicht mehr verständnisvoll eingestellt, falls ich es je war, was ich stark bezweifle, wenn irgendwelche Deppen Arbeitslose pauschal als Faulenzer oder Loser bezeichnen. Generell nicht, wenn Tätigkeiten oder Nichttätigkeiten von manch besonders „schlauen“ Mitmenschen, die besser den Mund hielten, bewertet werden …) In der zweiten Welle dann die, die länger als ich dabei gewesen waren, bis die Firma ganz am Ende war. Eine einigermaßen ansprechende Abfindung hatte man uns allen schriftlich zugesagt, aber man hatte Insolvenz anmelden müssen, und ihr werdet es euch schon denken: Ich habe keinen Cent gesehen.

Doch zurück: Ich hatte in dieser tristen Phase meines Lebens eine Vorladung von der Polizei im Briefkasten. War mal was Neues, denn ansonsten fischte ich viele Absagen auf Bewerbungen aus dem Kasten. Da verhieß das hier doch mal etwas ganz anderes! 😉

Ich öffnete das Kuvert, las erstaunt, worum es sich handelte und suchte dann den Grund für die Strafanzeige, die gegen mich lief, den Grund für das Verhör, zu dem man mich geladen hatte. Zu einem Verhör „laden“ ist ohnehin recht witzig: Bei „laden“ muss ich eher an eine Einladung denken, und damit verbinde ich etwas Nettes, gutes Essen, einen angenehmen und schönen Abend. Doch nicht so etwas!

Denn da stand, ich hätte am Soundsovielten des Vorjahres um soundsoviel Uhr in Limburg an der Lahn aus einem Internetcafé eine „schwere Beleidigung“ begangen! Ich staunte. In meinem ganzen Leben habe ich die sicherlich sehr schöne Stadt Limburg am Fluss Lahn nicht besucht – bis heute nicht. Ein Bischofssitz ist sie und seit einiger Zeit bekannt durch einen gewissen Protzbischof. Der hat sich dort wohl recht wohlgefühlt. Ich mich nie, denn: Ich bin in meinem ganzen Leben nicht dort gewesen. Nur fürs Protokoll. Und schon gar nicht in einem Internetcafé! Und „schwere Beleidigungen“ sondere ich auch nicht ab, wenn ich auch bisweilen etwas ruppig bin. Aber doch nicht so! Im Gegenteil – ich gehe gleich in Sack und Asche, wenn ich, und das schnell, bemerke, ich habe mich im Ton vergriffen, und dann entschuldige ich mich. Es reicht bei mir daher zumeist nicht einmal für einfache Beleidigungen. Und wenn doch, bin ich meist total zerknirscht und entschuldige mich, so schnell es geht.

„Schwere Beleidigung“ … Das war heftig. Aber ich wusste, ich hatte das nicht getan. Und so ging ich in meine Wohnung zurück, zeigte Henrik, meinem damaligen Partner, die Vorladung, der sich auch nicht erklären konnte, wie ich dazu käme, und dann rief ich bei der Polizei an, um zu erfragen, was dahinterstecke. Man gab sich geheimnisvoll-arrogant und erklärte mir, ich solle doch einfach bis zum Verhörtermin warten. Klar. Das ist ganz einfach, wenn man sich keiner Schuld bewusst ist, dennoch keinen Stress mit den Behörden haben will und so geartet ist, wie ich es bin. 😉

Am nächsten Tag wurde ich persönlich bei der Polizei vorstellig. Da wurde ich noch arroganter behandelt, aber obwohl ich stinksauer war, habe ich mich weder zu einer einfachen, noch einer schweren Beleidigung hinreißen lassen. 😉 Man gab mir den unglaublich guten Rat, doch einfach bis zum Verhörtermin zu warten – da würde ich schon erfahren, was ich verbrochen hätte. Oder auch nicht. Ich war sauer und fühlte mich schlecht behandelt, und mein bester Freund Fridolin riet mir, es darauf ankommen zu lassen und einfach nicht zu erscheinen: „Die holen dich dann mit einem Streifenwagen ab, Ali! Ich würde es an deiner Stelle darauf ankommen lassen – eine Frechheit, was die mit dir machen!“

Au ja! Schmucke Vorstellung, wie ich von einem Streifenwagen abgeholt werde, weil ich freiwilliges Erscheinen verweigere! Ich sah förmlich vor mir, wie Streifenpolizisten mich überwältigen, mich bäuchlings zu Boden drücken und mir Handschellen anlegen würden. Nein, danke. Fridolin, ich mag dich wirklich sehr, aber der Rat entsprach so gar nicht meinem Wesen, auch wenn ich bisweilen etwas rebellisch bin. Zumindest nicht in diesem Stadium. Zu früh, aufmüpfig zu werden. 😉

Ich war zum Warten verdammt, bis dann endlich der Tag des Jüngsten Gerichts gekommen war. Henrik begleitete mich, und wir saßen dann nebeneinander im Flur vor dem Büro des Kommissars, der mich verhören sollte. Der war erschreckend gutaussehend, etwa in meinem Alter und rief mich dann auch irgendwann in sein Büro.

Ich gab mich sehr distanziert, fragte nach der Vorstellung und Angabe meiner Personalien: „Würden Sie mir nun bitte mitteilen, wessen ich bezichtigt werde, dass ich nun hier vorstellig werden muss?“ Der Kommissar strahlte mich an, wurde dann aber förmlich und erklärte mir verwaltungstechnisch korrekt, ich hätte mich der „schweren Beleidigung“ schuldig gemacht. Ich meinte: „Ja, das habe ich der Vorladung bereits entnommen. Was genau wird mir vorgeworfen?“

Und da erfuhr ich Erstaunliches. Ich sollte an einem Abend aus einem Limburger Internetcafé unter einem bestimmten Mailaccount auf der Homepage eines unbescholtenen Mannes aus der Nachbarregion behauptet haben, dieser Mann sei ein „Frauenschläger“ und „Betrüger“. Hui! Mir war sofort klar, dass das Aussagen waren, die den Vorwurf der „schweren Beleidigung“ rechtfertigten. Nur: Ich kannte den Mann nicht, würde niemals so doof sein, so etwas öffentlich zu posten, nicht einmal, wenn es wahr wäre. Wäre ich in einer Situation, da ich von jemandem geschlagen worden wäre, würde ich Anzeige bei der Polizei erstatten, aber gewiss nicht … Aber lassen wir das, das ist wirklich zu doof. 😉

Das sagte ich auch dem Kommissar, auch, dass ich nie in Limburg gewesen wäre. Er fragte, ob ich das beweisen könne. Ich lachte sarkastisch und meinte, nein, das könne ich nicht. Er solle doch noch einmal den Mailaccount nennen, unter dem diese Beleidigung gepostet worden sei. Er nannte ihn, ich grinste sardonisch und meinte, das sei in der Tat einmal meiner gewesen, bis ich drei Jahre zuvor dauernd Mails bekommen hätte, die nicht an mich, sondern an eine „Tina“ gerichtet gewesen wären. Eine davon hätte ich beantwortet, weil ich wissen wollte, was der Mist solle. Das sei meine Adresse, hatte ich geschrieben, und mein Gegenüber hatte netterweise geantwortet und erklärt, eine Freundin von ihm habe diese Mailadresse als ihre genannt, die sie neu eingerichtet habe. Mich hatte das damals mehr als irritiert, da so etwas strenggenommen gar nicht möglich war, und so hatte ich umgehend meinen Account gekündigt und den Provider um Bestätigung der Kündigung und Löschung des Accounts gebeten, die ich auch bekommen hatte. Offenbar hatte man meine Kündigung entgegengenommen, den Account aber keineswegs gelöscht. Herzlichen Dank auch!

Das alles sagte ich dem Kommissar, der dann endlich mit den Logfiles herausrückte, die man vom Provider erbeten hatte. Und er wollte wissen, wann ich denn zuletzt eingeloggt gewesen wäre. Ich habe zum Glück ein gutes Gedächtnis und gab an, Mitte November damals müsse es gewesen sein. Er suchte die endlos scheinenden Zeilen der Logfiles ab, bis ich meinte: „Darf ich vielleicht auch mal einen Blick darauf werfen?“ – „Ja, selbstverständlich, Frau B.!“ Und ich ging die Logfiles mit ihm zusammen durch, bis ich sah, was ich schon erwartet hatte: „Da! 12. November! Da steht ‚Last Logon‘ Und ‚Last Logoff‘! Ich sagte Ihnen ja, dass ich etwa Mitte November jenes Jahres den Account gekündigt und um Löschung gebeten habe. Und mal im Ernst: Draußen auf dem Gang wartet mein Freund, und meinen Sie wirklich, ich würde derart pubertär handeln, jemanden öffentlich zu beleidigen, weil er mich – was ich in dem Fall vermute – zurückgewiesen hat?“ Der Kommissar sah mich an und meinte: „Nee. Sie sicher nicht – das haben Sie wohl nicht nötig. Seit ich Sie gesehen habe, war mir ohnehin schon klar, dass der Vorwurf sicherlich falsch sein müsse. Sie sind zwar verärgert gewesen, als Sie hier hereinkamen, aber trotzdem total geradlinig und sachlich-energisch. Das passte schon nicht. Und die Logfiles hier bestätigen Ihre Aussage. Da hat wohl jemand einen Server gehackt, denn in der Tat ist es normalerweise nicht möglich, dass ein Mailaccount von zwei Personen genutzt werden kann. Das freut mich sehr, Frau B., denn Sie waren mir gleich sympathisch. Und ich denke, die Staatsanwaltschaft wird das aufgrund der Indizien dann auch nicht weiter verfolgen.“ – „Das hoffe ich doch. Aber Sie waren mir auch gleich sympathisch, obwohl ich mit den schlimmsten Befürchtungen hierhergekommen bin.“ – „Warum das?“ Da erzählte ich ihm, wie ich von der Polizei behandelt worden war, als ich lediglich Aufklärung einer mir nicht erklärlichen Beschuldigung erbeten hatte, und das gleich zweimal. Da entschuldigte er sich, aber ich meinte: „Es wäre mir lieber, würde man Menschen, die höflich und freundlich um Aufklärung ersuchen, nicht gleich begegnen, als handelte es sich um Schwerstkriminelle. Und auch diese leise Häme fand ich nicht so toll. Wenn Sie das bitte weitergeben würden? Mir ist klar, dass das nicht viel nützen wird, und mir ist auch klar, dass Sie alle hier in Ihrem Beruf mit vielen Arschlöchern zu tun haben, und ich verzeihe auch einiges. Aber das fand ich doch ziemlich unverschämt. Man muss doch auch differenzieren können. Aber wahrscheinlich bin ich zu idealistisch eingestellt.“ Da lachte der Kommissar und entschuldigte sich noch einmal.

Eine typische Ali-Sache. Wirklich schuldlos in etwas verstrickt und haufenweise Ärger und in der Pflicht, Beweise für die eigene Schuldlosigkeit zu erbringen, während der eigentliche Schuldige unbehelligt bleibt. Es erinnerte mich daran, wie ich, damals in der zweiten Klasse, eine schallende Ohrfeige von meiner Klassenlehrerin bekommen hatte, weil ein teures Gerät zu Bruch gegangen war, was auf das Konto zweier Mitschüler gegangen war. Nur weil ich in der Nähe gestanden hatte, fiel der Watschenbaum für mich um. Die beiden Übeltäter blieben ungewatscht, denn „das sind doch Jungs, die sich austoben müssen“. Ah, ja, und dann knallt man dem nächststehenden Mädchen eine? Nun ja, über die pädagogische und psychologische Qualität meiner damaligen Lehrerin will ich mich lieber nicht auslassen, bei der die Mädchen gern für Untaten der Jungs bestraft wurden. 😉 Ich habe mir das Ganze damals wenigstens nicht unwidersprochen gefallen lassen. 😉 Vergessen habe ich es aber auch nicht.

Vor dem Hintergrund vermute ich, „Omma“ hatte vielleicht gar nicht so unrecht damit, dass ich manchmal ein kleiner Pechvogel sei. 😉

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