Ich gebe zu, vielleicht muss man besonders geartet sein, sich in Irland besonders wohlzufühlen, und vielleicht ist meine Überschrift etwas verallgemeinernd.
Ich kam vor einigen Jahren erstmalig nach Irland, und es war Liebe auf den ersten Blick. Kommt bei mir nun wirklich nicht oft vor. (Ich kann mich nur an ein einziges Mal erinnern, mich auf den ersten Blick verliebt zu haben – ging nicht gut. 😉 ) Dieses Land und seine Menschen waren und sind wohl auf meiner Wellenlänge. Etwas hemdsärmelig ist es, wirken die Bewohner, aber auf eine wirklich liebenswerte Weise. Als „Ruhri“ mit fränkischem Einschlag war ich da genau richtig. Hier wurde Klartext gesprochen, aber nie unsympathisch und nie unfreundlich. Alles etwas „bollerig“ und sehr direkt, aber meist mit einem Augenzwinkern, einem Schlag auf die Schulter – damit komme ich hervorragend klar. Nicht umsonst fühlte ich mich auch in Berlin immer wohl und kam dort prima klar, wo andere ein „total ungehobeltes Benehmen“ beklagten, weil sie die Gangart dort nicht verstanden und/oder etwas verklemmt waren.
Ich reiste damals im November erstmalig gen Irland. Hervorragende Jahreszeit, um die Westküste oder jedwede Küstenregion zu besuchen, aber ich hatte es mir nicht aussuchen können. Denn es war eine Dienstreise mit meinem Kollegen Frederic. Wir arbeiteten beide an der RWTH Aachen im Zuge eines EU-Projekts zusammen, er technischer Koordinator, ich administrative Koordinatorin.
Ich musste mitten in der Nacht aufstehen, mit dem Taxi zum Hauptbahnhof fahren, da um diese Uhrzeit Busse nur sehr, sehr spärlich fuhren und ich neben meiner Kleidung sämtliche von mir erstellten Projektberichte und weitere schwere Unterlagen in meinem Trolley hatte. Habe ich zwar auch so in die Reisekostenabrechnung geschrieben, aber ich blieb auf den Kosten sitzen; Frederic desgleichen, der Gussproben im Gepäck hatte – auch nicht sonderlich leicht, wenn auch aus Aluminium. 😉
An die Fahrt vom Aachener Hauptbahnhof bis zum Flughafen in Düsseldorf kann ich mich nicht so recht erinnern, da ich wohl die meiste Zeit schlief. Aber die Strecke ist eh langweilig, und Frederic, ein Morgenmensch, kannte das schon von anderen Dienstreisen von mir, akzeptierte und respektierte das auch. Ein sehr guter Kollege. 🙂 Ich bin nämlich eine sogenannte „Eule“, die, im Gegensatz zu den sogenannten „Lerchen“, einen Biorhythmus hat, der zwar erlaubt, bis in die Nacht zu arbeiten, aber dazu zwingt, in den früheren Morgenstunden einfach nur zu schlafen – dann, wenn Lerchen fröhlich aus dem Bett springen, wahrscheinlich laut zwitschernd. 😉 Ich kann zwar früh aufstehen, bin dann aber nicht wirklich betriebsfähig, sondern handle mehr instinktiv. Und – nein – es hat keineswegs damit zu tun, dass ich einfach nur früher ins Bett gehen müsste. Alles schon ausprobiert, auch über längere Zeiträume … Um 10 Uhr morgens bin ich aber spätestens komplett „in dieser Welt“, und dann – abgesehen von einem kleinen Mittagstief – auch sehr konzentriert, und das bis in die Nacht hinein. Im Grunde lebe ich auf, wenn die „Lerchen“ bereits gen Schlafstatt schreiten, ihrerseits nicht mehr konzentrationsfähig. Nun ja, wir sind eben alle Individuen, nicht wahr? 😉
Wir flogen mit „Aer Lingus“, einer irischen Airline, nach Dublin. Zwei Stunden dauerte der Flug in der mir schon recht klein erscheinenden Boeing 737. In Dublin mussten wir einige Zeit auf unseren Anschlussflug warten, denn leider – so schien es mir damals – fand das jeweils halbjährliche Treffen, diesmal bei unserem irischen Projektpartner, nicht in Dublin, sondern in Galway statt. Im Westen Irlands.
Als wir so vor uns hin warteten, tauchte der Repräsentant des zweiten deutschen Projektpartners auf, und gemeinsam mit ihm bestiegen wir dann den Vorfeldbus, der uns zu unserer Anschlussmaschine bringen sollte. Wir fuhren für meine Begriffe recht lange in diesem nach Kerosin stinkenden Bus, bis wir an einer bemerkenswert kleinen Maschine anlangten. Frederic rief: „Ah, eine Fokker 50!“ Ich rief: „Frederic! Das ist nicht dein Ernst! Was ist das? Das ist doch wohl nicht unsere Maschine! Die ist so klein! Und sie hat Propeller!“ Frederic, hobbymäßiger Segelflieger, lachte sich scheckig, und er meinte: „Ali, wir sind in Irland! Das ist, wie du weißt, ein kleines Land, und das Größte, was die Aer-Lingus-Flotte betreibt, haben wir vorhin verlassen. Das ist durchaus mein Ernst.“ Ach, du Scheiße. Draußen tobten spätherbstliche Stürme, und schon beim Einsteigen in den Bus hatte es mir fast den Skalp abgerissen, so windig war es. Und nun in diesen … Stoppelhopser? Je kleiner die Maschine, desto heftiger die Auswirkung von Turbulenzen – und hier stürmte es!
„Vielleicht solltest du mich k.o. schlagen und an Bord tragen,“, meinte ich zu Frederic, aber der lachte nur und meinte: „Was ist denn mit dir los? So kenne ich dich gar nicht! Bist doch sonst eher unerschrocken.“ War ich. Nur noch nie mit einer vergleichsweise kleinen Propellermaschine geflogen, zumal bei solchen Witterungsbedingungen. 60 Passagiere und drei Besatzungsmitglieder fasste das Fluggerät, und das ist eine größere Anzahl an Passagieren, als die Maschine von außen als möglich verhieß.
Ich stieg etwas beklommen ein. Frederic und ich hatten die Plätze auf Höhe des rechten Propellers. Es folgten die üblichen Hinweise zur Evakuierung der Maschine im Notfall. Normalerweise verfolge ich diese gelassen. Hier hörte ich genau hin. 😉 Und dann beugte sich Frederic zu mir herüber, sagte etwas, doch ich sah nur, wie er den Mund auf- und zuklappte, denn just in dem Moment, da er zu sprechen anfing, ertönte ein infernalisch lautes Geräusch, und so schrie ich Frederic, der sehr dicht neben mir saß, an: „Was hast du gesagt?“ Er brüllte zurück: „Ich sagte: ‚Achtung, gleich wird es laut, wenn die Triebwerke gestartet werden!‘“ Ach, so … 😉 Stimmte. Es war grauenhaft laut, aber Frederic brüllte mich an, es werde leiser, wären wir erst einmal in der Luft.
Viel leiser wurde es nicht. Und der Start war das kalte Grauen, denn die kleine, dröhnende Maschine wurde wie ein Lämmerschwanz hin- und hergeworfen. Auch in der Luft wurde es nicht viel besser. Frederic meinte: „Zum Glück fliegen wir nicht so lange – das Land ist ja klein.“
In der Tat. Das ist es, und ich war erleichtert, als es hieß, wir befänden uns im Landeanflug auf den Flughafen Galway. Da war er auch schon zu sehen: einige nebeneinandergeworfene Gebäude, eine Piste, die wohl als Start- und Landebahn fungierte und über der unsere Maschine sich absenkte. Dem Himmel oder sonstwem war Dank – gleich würden wir festen, westirischen Boden unter den Füßen haben! (Ich fliege für mein Leben gern und bin einiges gewohnt. Aber das war ein ganz besonderer Flug, den ich nie vergessen habe … ;-)) Doch was war das? Die Landebedingungen offenbar nicht günstig – Scherwinde oder sonstwas, denn wir waren annähernd vor dem Aufsetzen, da startete der Pilot durch. Hui! Ein Gefühl wie Weihnachten im Bootcamp, und ein kleines Mädchen einige Reihen hinter uns – offenbar deutsch – schrie begeistert: „Stürzen wir jetzt ab?“ Ich möchte wetten, die Abdrücke meiner Fingernägel waren dauerhaft in beide Armlehnen geprägt, und erstmalig hätte ich fast von der Spucktüte Gebrauch machen müssen … Dann der nächste Landeanflugversuch. Und erst da wurde mir der Flughafen Galway in seiner vollen Schönheit präsentiert: sehr kurze Lande-/Startbahn, eher eine Buckelpiste, wie sich nach der Landung herausstellte, die abrupt an einem Zaun endete. Einem Weidezaun, hinter dem – was auch sonst? – Schafe weideten, die – beim zweiten Durchstarten, denn erneut konnten wir nicht unverzüglich landen – bähend und mähend in Panik davonrannten. Zwar konnte ich es nicht hören, aber wir waren so tief unten, dass ich sah, wie sie ihre kleinen Mäulchen auf- und zuklappten …
Im dritten Anlauf klappte es dann. Endlich. Ich atmete auf, Frederic, der alte Segelflieger-Fuchs, grinste und meinte: „Ich dachte schon, wir müssten nach Dublin zurückfliegen.“
Über den – inzwischen ehemaligen – „Flughafen“ Galway möchte ich nur wenige Worte verlieren. Interessant das Gepäckband, das etwa sieben Meter lang war, draußen vor dem Bretterverschlag, in den wir von der Maschine kamen, anfing und immerhin nicht mehr von Hand betrieben werden musste. Hätte mich aber auch nicht gewundert. 😉 Wer auf der kurzen Strecke nicht schnell genug seinen Koffer entdeckte, musste ihn am Ende des Bandes aus einem ganzen Haufen Gepäcks herauszerren. Ich war zum Glück schnell genug – mein Trolley war noch recht neu. 😉
Zusammen mit Herrn Schneider, dem deutschen Projektpartner, den wir in Dublin bereits getroffen hatten, nahmen wir ein Taxi. Und wenn mir nach dem recht anregenden Flug nebst Landung noch nicht schlecht gewesen war: Nach der Taxifahrt war ich einfach nur froh, mit dem Leben davongekommen zu sein … Denn der Fahrer fuhr, als würden wir von der Polizei oder Menschen, die uns nach dem Leben trachteten, verfolgt. Kurz hinter dem „Flughafen“ sah ich erstaunlich viele Begrüßungs- und Willkommensschilder quasi in hoher Frequenz an der Straße stehen: „Fáilte go hÉirinn!” Willkommen in Irland! Oder besser: Ich nahm sie wahr, quasi im Vorbeifliegen, denn der Fahrer raste so, dass ich mir dachte: “Man musste hier so viele Schilder aufstellen, damit man, mit einem einheimischen Taxifahrer unterwegs, wenigstens eines wahrnehmen kann, bevor das Taxi an einem Baum zerschellt. So stirbt man wenigstens im Bewusstsein, willkommen geheißen worden zu sein.” Und während Herr Schneider, der vorne saß, und ich uns an allen möglichen Handgriffen festkrallten, saß Frederic erneut ganz lässig im Auto. Es war nicht sein erster Irlandbesuch.
Im Hotel musste ich mich erst einmal sammeln – was für eine Aufregung. Viel Zeit hatte ich aber nicht, denn Frederic hatte Herrn Schneider und mir gesagt, er kenne ein tolles Fischlokal, wo wir prima zu Abend essen könnten. Gesagt – getan, und so landeten wir im „McDonagh’s“ – genauer: „McDonagh’s Seafood“. Es sah unspektakulär aus, eher wie eine Markthalle, aber Frederic ist Franzose und liebt gutes Essen – wir konnten kaum falsch liegen. Kaum hatten wir das mit Fischernetzen und Fisch- wie Schalen- und Krustentier-Modellen behängte Innere betreten, wurden wir von einer kleinen, quirligen und lebhaften Bedienung um die Vierzig plaziert, die uns auch sogleich Karten reichte und fragte, was wir trinken wollten: Naja, also, wohl ein lokales Bier! Sie freute sich, eilte davon. Wir studierten die Karte, die für jeden Fischliebhaber etwas parat hatte. Ich las: „Ray wing with caper butter“ – hmmm, ein Rochenflügel in Kapernbutter, dazu Beilagen. Ich bin immer offen für Neues, und um den Rochenflügel machte ich mir keine Sorgen. Aber ich war keine Kapernfreundin, und als die Bedienung wieselflink mit unseren Getränken an den Tisch zurückkam, fasste ich mir ein Herz und fragte sie: „Are there many capers in the caper butter?“ – „Why that?“ – „Well, I don’t like capers that much!“ Und da legte mir diese drahtige, kleine Irin den linken Arm um die Schulter, fasste mich scharf ins Auge und grinste mich an: „So, lady, are you an adult person? Or a baby? Only babies don’t like capers! Just have a try! If you don’t like it, Lizzy spends you a beer! Lizzy, that’s me. But first have a try! You wouldn’t consider the ray wing at all if capers were such a severe problem, would you?” – “You’re right. So I’ll have the ray wing.” – “And if you don’t like it, Lizzy spends you a beer – keep that in mind!” Und sie kniff mir liebevoll-energisch in die Wange. Ich mochte Lizzy sofort. 😉 Und der Rochenflügel war wunderbar – und die Kapernbutter erst! Seitdem bin ich ein absoluter Kapernfan. Lizzy hat mich geheilt, und sie hat mir – obwohl ich die Kapernbutter mochte! – dennoch ein Bier aufs Haus gebracht, und das mit den Worten: „You deserve it since you brought yourself to eat capers. And here we go!“ Und sie stieß mit mir an – sie hatte sich selber auch ein Bier mitgebracht. 😉 Geschäftstüchtig, aber wie kann man solche Leute nicht auf Anhieb lieben?
Und als wir ins nächstgelegene Pub gingen, dasselbe in Grün. Ich sang irgendwann mit einigen netten Iren zusammen den „Wild Rover“ und andere nette irische Lieder, die ich kannte, wurde bemerkenswert oft in die Wange gekniffen, und man nannte mich „a lovely girl“. Zwei wollten sogar wissen, ob ich länger bliebe und wo man mich erreichen könne. Aber ich war ja höchst beruflich dort und obendrein daheim liiert. Frederic, der mitgesungen hatte, lachte sich scheckig und meinte: „Endlich mal eine richtig schöne Dienstreise! Danke, Ali – mit dir kann man bedenkenlos in Irland Bier trinken gehen – das macht Spaß!“
Fast trat das „Geschäftliche“ in den Hintergrund, aber auch das haben Frederic und ich professionell gestemmt. Wenn auch immer mit einem kleinen Kater des Abends zuvor wegen. 😉 Das beste „Irish Stew“ habe ich in einer Spelunke in Galway gegessen, wo wir landeten, als alles andere in Reichweite bereits brechend voll war.
Galway ist seitdem meine Lieblingsstadt in Irland, und inzwischen kenne ich einige irische Städte. Keine hat Galway bisher den Rang ablaufen können. Okay, Dublin kenne ich nicht gut genug – muss ich wohl auch einmal richtig besuchen, denn beim ersten richtigen Besuch habe ich nicht viel gesehen.
Euch kann ich, wenn ihr auch etwas handfester seid, aber nur empfehlen: Reist nach Irland. 🙂 Und nein: Ich werde nicht vom irischen Tourismusverband dafür bezahlt. Es spricht mir nur aus der Seele. 😉