Heute früh klebte ich wie Pech an meinem Bett – überhaupt keine Lust, aufzustehen. Ich musste mich selber „treten“, um irgendwie meinen Hintern aus dem Bett zu heben, aber gegen 6:30 Uhr schaffte ich es.
Leise vor mich hingrummelnd, schleppte ich mich ins Bad, mied den Blick in den Spiegel, bevor ich unter der Dusche gewesen war. Nach der Dusche ging alles besser, und ich fühlte mich auch lebendiger.
Da ich Raucherin bin, aber nur im Wohnzimmer rauche, tappte ich, nur in Dessous – was ein Nachbar freudig winkend zur Kenntnis nahm, als ich in die Nähe des Fensters kam, dem ich eher halbherzig zurückwinkte, – in eben dieses Zimmer und riss zum Lüften die Balkontür auf. Luft musste herein – ich rauche wirklich manchmal zuviel. 😉 Und dann ging ich ins Schlafzimmer, zog mich an und eilte danach ins Bad, um meine Haare zu trocknen und zu stylen, kurz: um mich für die Arbeit fertigzumachen.
Ich gehe davon aus, dass ich das Elend, welches folgen sollte, eher bemerkt hätte, hätte nicht das dumpf dräuende Geräusch meines Föns und der Fönbürste mein ansonsten sehr feines Gehör korrumpiert. Nun muss ich mich schuldig fühlen, dass zwei Lebewesen durch mein zu spätes Aufmerksamwerden möglicherweise dauerhaft traumatisiert sind. 😉
Als ich die Fönbürste ausschaltete, selber froh, dass deren nervend-monotones Geräusch verstummte, hörte ich etwas ganz Liebliches: Ich hörte draußen die Vögel zwitschern. Das klingt an einem netten Frühlingsmorgen immer sehr harmonisch. Aber mir kam es so vor – ich habe wirklich ein sehr feines Gehör, und das wahrscheinlich als Ausgleich dafür, dass ich kurzsichtig und hornhautverkrümmt bin und deswegen Kontaktlinsen trage -, als sei es besonders intensiv. Lauter als sonst. Und eine finstere Ahnung überfiel mich …
Ich hatte ja hier auch schon davon berichtet, wie einmal eine kleine Schwalbe mich einen ganzen Tag quasi an meine damalige Wohnung gefesselt, wenn auch nicht geknebelt, hatte. Und das liebliche Gezwitscher klang irgendwie einen winzigen Tick zu laut, um von draußen zu kommen, zumal ich feststellte, dass ich versäumt hatte, die Wohnzimmertür zum Flur hin zu schließen.
Ahnungsvoll eilte ich ins Wohnzimmer …
Sonderlich überrascht war ich nicht, aber doch ein wenig entsetzt, als ich sah, dass zwei – ja, gleich zwei, denn es ist ja Frühling – kleine, hinterrücks dunkle Gesellen laut und aufgeregt schreiend vor dem Wohnzimmerfenster auf und ab flatterten. Einer rechts, der andere links.
„Scheiße, ich wollte doch heute besonders früh bei der Arbeit sein!“ dachte ich, aber sofort wurde ich von Mitgefühl angefallen, als ich die kleinen „Fratzen“ [fränkisches, liebevoll gemeintes, Wort für Kinder oder andere kleine Lebewesen, die man mag] da so panisch herumflattern sah. Ich liebe Tiere und kann nicht mitansehen, wenn sie verzweifelt, hilflos und panisch sind. Ist übrigens nicht nur bei Tieren so – bei Menschen kann ich Verzweiflung, Hilflosigkeit und Panik auch nicht ertragen. Da muss man doch helfen! 😉
Und ich ging zügig, aber vorsichtig Richtung Fenster, vor dem die kleinen Kerlchen laut schreiend herumtaumelten. Nähergekommen, sah ich, dass es zwei Rotkehlchen waren. Die stehen bei mir auf der Beliebtheitsskala sehr weit oben, denn es sind kleine, unerschrockene Vögelchen, sehr anhänglich und niedlich in all ihrer Rundheit mit den streichholzdünnen Beinchen. 🙂 Sogenannte Kulturfolger, da sie dem Menschen folgen und sich näher herantrauen als andere Vögel. Hier nur etwas zu nahe – es schien sie selber zu erschrecken.
Besonders beliebt sind sie bei mir, da das Rotkehlchen der inoffizielle „Nationalvogel“ Großbritanniens ist, und ich bin ja Anglistin. 😉 Aber ich hätte auch jedem anderen Vogel geholfen – hier war es aber besonders passend. 😉
Als ich an der Fensterbank ankam, landete No. 1, der linke Vogel, annähernd atemlos auf derselben und starrte mich angstvoll an. Ich sagte mit gehobener, leiser Stimme: „Keine Angst, kleines Kerlchen – ich tue dir nichts.“ Und ich öffnete das Fenster, aber der kleine Kerl flog nicht hinaus, starrte mich nur großäugig an. Ich überlegte, ob ich ihn einfach greifen und auf die äußere Fensterbank setzen solle, aber ich wollte ihn nicht noch zusätzlich erschrecken. Er – ich vermute jedoch eher, es war eine Sie – schien meine Gedanken zu erahnen und flüchtete ins Bücherregal, von wo es mich weiterhin mit großen Augen anstarrte. Und es starrte auf die Fensterbank, in Richtung meines Alpenveilchens, das ein Geschenk zweier Kolleginnen zu Weihnachten 2014 gewesen war und erstaunlich lange überlebt hat. 😉
Aha! Das Alpenveilchen also hinderte es an seinem Flug aus dem Fenster! Es stand im Weg! Sofort nahm ich es von der Fensterbank, öffnete das Fenster extra weit, und da schoss „little robin“ auch schon wie ein geölter Blitz an mir vorbei ins Freie! 🙂 Ich freute mich und blickte ihm nach: Es landete auf der Hecke, die den hinteren Garten umsäumt. Man sah nur seinen kleinen Rücken, aber selbst der sah total schockiert, wenngleich erleichtert aus – gerade noch mit dem Leben davongekommen! (Das kleine Rotkehlchen konnte ja nicht ahnen, dass ich sicherlich die Letzte wäre, die ihm etwas antun würde. 🙂 Eher würde ich mir einen Arm abhacken lassen, als einem Tier etwas anzutun.)
Was aber war mit No. 2? Aus dem Augenwinkel glaubte ich, gesehen zu haben, dass etwas durch die noch immer offene Balkontür entwischt sei. Und so ging ich hin und wollte die Balkontür schließen. Dabei stieß ich an meine Palme, die dringend umgetopft werden muss, da sie arg ins Kraut schießt. Sofort hörte ich ein flatterndes und raschelndes Geräusch, und ebenso schnell riss ich die schon fast geschlossene Balkontür wieder auf. Ein kleiner, dunkler Schatten schoss fast simultan durch die Öffnung hindurch, und ich atmete auf. Man stelle sich vor, ich hätte die Balkontür geschlossen und wäre zur Arbeit gefahren! Nicht nur, dass eine Familie in spe noch vor ihrer Entstehung auseinandergerissen worden wäre! Nein! Wie blöd hätte ich dreingeschaut, wäre ich abends nach Hause gekommen, hätte arglos den Fernseher eingeschaltet, und plötzlich hätte ein Rotkehlchen dagesessen und Satisfaktion für entgangene (Familien-)Freuden gefordert! 😉 Ganz zu schweigen von den Hinterlassenschaften … 😉
Ich bin eben nett zu Vögeln. 😉 Und das hat sich ausgezahlt, denn vorhin landete ein Rotkehlchenpaar auf meinem Balkon, tippelte bis zur Balkontür und zwitscherte lieblich, bevor es wieder wegflog. Das war sicher „mein“ Pärchen. Und sollte einer von euch meinen Titel irgendwie zweideutig finden, kann ich nur aus einem sehr alten deutschen Spielfilm, der „Feuerzangenbowle“, zitieren: „Bah! Wat habt ihr für ’ne fiese Charakter!“ 😉 Lernt Grammatik! 😉