Die meisten Leute, die mich kennen, nennen mich bei dem Namen, unter dem ich drei Tage nach meiner Geburt, von meinem Vater veranlasst, in einem Essener Standesamt registriert wurde. Ehrlich gestanden, ich stehe nicht so auf meinen Namen, der zwar eine schöne Bedeutung, aber einen dumpfen Klang hat. Nun gut, die Meinungen darüber sind geteilt, aber ich wäre ganz froh gewesen, hätte es wenigstens zu einem Zweitnamen gereicht. Das aber wollte mein Vater nicht. Andererseits muss man das pragmatisch sehen: Wer weiß, was ihm hinsichtlich eines Zweitnamens noch so in den Sinn gekommen wäre … 😉
Jahrelang haderte ich mit meinem schrecklichen Schicksal, musste mir die dümmsten Kommentare zu meinem Namen anhören, die – natürlich – ganz ungefragt und ebenso unerbeten auf mich einprasselten. Ich glaube, es gibt zu meinem Namen keinen blöden Spruch, den ich noch nicht gehört habe. Als Kind war es furchtbar, inzwischen habe ich mich mit dem Namen arrangiert. Man muss auch das ganz pragmatisch sehen, denn: Was blieb mir auch anderes übrig? 😉
Doch alles änderte sich, als ich vor etwas über 20 Jahren in die Vereinigten Staaten reiste, um Verwandte zu besuchen. Verwandte meiner Mutter, die an der Nordwestküste der USA in und um Seattle leben. Seitdem bin ich Seattle-Fan.
Ich kam dort standesgemäß in einer Boeing 747 nach -zig Stunden Flug an (standesgemäß, da Boeing ja ursprünglich in Seattle beheimatet ist), war über London-Heathrow geflogen und hatte, obwohl ich ja schon den ganzen Tag hinter mir hatte, dennoch noch so viele Stunden Tag vor mir. Klar bei einer Zeitverschiebung von neun Stunden. Ich war sehr früh aufgestanden, und als ich in Seattle landete, war es dort etwa 13:30 h. Gegen 15:00 h hatte ich den ganzen „immigration“-Stress hinter mir, meinen Koffer glücklich wiedergefunden und meine Großtante nebst Großonkel, die ich das letzte Mal gesehen hatte, als ich etwa zweieinhalb Jahre alt war, gleich erkannt, die gekommen waren, mich abzuholen. Im Auto auf der Heimfahrt schlief ich dann erst einmal ein. Reizender Besuch: Wird freundlich in Empfang genommen und pennt zum Dank ein … 😉 Aber ich war wirklich zum Umfallen müde.
Zu Hause angekommen, traf gerade mein mir bis dato völlig unbekannter Cousin Jason ein, der mich offenbar gleich besichtigen wollte. Zusammen mit seinem drei Monate alten Dobermann-Schäferhund-Rottweiler-Welpen „Mickey“, die mich gleich begeistert begrüßte, während ich auf Deutsch freundliche Koseworte in ihre Ohren brabbelte – mit allen anderen redete ich englisch. Man stellte mich Jason vor, der mich lieber erst gar nicht mit Namen anredete – er hatte etwas merkwürdig dreingeblickt, als man ihm meinen Namen nannte, hatte nur gesagt, dass er sicherlich Schwierigkeiten haben werde, sich diesen zu merken. Ich konnte es ihm nicht verdenken – Amerikaner können mit meinem Namen wirklich nichts anfangen. Darin unterscheiden sie sich in keiner Weise von Franzosen, Belgiern, Engländern, Italienern etc. Lediglich in Schweden und Finnland gab es keinerlei Probleme. 😉
Nach dem Flugzeugfraß bei British Airways war ich sehr dankbar für die flank steaks, die extra zu meiner Begrüßung zubereitet wurden – ich liebe Steaks sowieso, und dann extra für mich nach einem langen Flug mit undefinierbarem Essen, das war schon sehr nett! 🙂
Später traf noch meine Tante Linda ein, die problemlos meinen Namen beherrschte, der allerdings in englischer Aussprache noch blöder klingt als in der deutschen. Nun, damit musste ich offenbar leben. 😉 Ich bin ja Kummer gewohnt. 😉
Gegen 20:00 h Ortszeit schlief ich dann am Tisch fast ein und war froh, als ich ins Bett gehen konnte.
Am nächsten Tag brachen noch andere Verwandte und Bekannte über das Haus meiner Großtante Lilibet und meines Großonkels Dick herein – du meine Güte, ich schien eine besondere Attraktion zu sein. Ich fühlte mich beinahe etwas exotisch, dabei waren die Leute dort Deutsche durchaus gewohnt. Großtante Lilibet ist eine Schwester meiner Oma und damit ursprünglich Deutsche, und ihre zahlreichen Verwandten aus Deutschland besuchen sie durchaus gern und öfter einmal.
Meine Tante Karen war auch im Empfangskomitee. Ich mochte sie auf Anhieb, obwohl sie mich erst mit „Arlene“ und dann mit „Annette“ anredete, aber auf sehr liebenswerte Weise sagte, sie sei nicht in der Lage, meinen Namen zu behalten, was aber an ihr läge. „It starts with an A – that’s all I can remember. I’m so sorry.” Ich sagte ihr, das sei gar kein Problem, aber sie erwiderte, doch, das sei eins, denn wie solle sie mich denn nun anreden? Sie könne mich doch nicht einfach „A“ nennen. In der Tat – das hätte unhöflich gewirkt. Mit „Ey“ angeredet zu werden, ist sicherlich nicht sonderlich nett. 😉
Plötzlich rief sie: „Would you mind if I called you ‚Ali‘?“ Hm, mit „Ali“ verbindet man hier in Deutschland nicht unbedingt Frauen, aber ich mag den Klang, und in Amerika ist „Ali“ durchaus auch verbreitet. Ich grinste und meinte, ich hätte rein gar nichts dagegen. Und sie rief: „Like Ali MacGraw!“ Ali MacGraw ist eine amerikanische Schauspielerin, die in den 60ern und 70ern besonders populär war. „Because you are such a spitting image of hers!“ Und Karen lachte sich schlapp, ich mich desgleichen, denn die Ähnlichkeit zwischen Ali MacGraw und mir könnte kaum geringer sein, da diese Schauspielerin, zumindest früher, rabenschwarze Haare hatte, einen dunkleren Teint – und braune Augen obendrein. Ich bin blond, habe Sommersprossen, die sich im Sommer – daher der Name – ganz reizend vermehren, und von braunen Augen bin ich relativ weit entfernt. Meine sind weitestgehend grün.
Schon war mein neuer Name aus der Taufe gehoben. Und der war wirklich sehr praktisch, wie ich gleich am folgenden Abend feststellen musste, als ich mit Tante Linda auf ein, zwei Bier in eine Kneipe ging. Wir saßen, da alle Tische besetzt waren, an der Bar und unterhielten uns. Links neben mir zwei jüngere Typen, die mich – wahrscheinlich wirkte ich so exotisch 😉 – die ganze Zeit ansahen, wie ich aus dem Augenwinkel bemerkte. Als Linda kurz abgelenkt war, sprach mich der direkt neben mir Sitzende an und fragte nach meinem Namen. Noch nicht ganz an meinen neuen Namen gewöhnt, nannte ich ihm meinen herkömmlichen. Daraufhin starrte mich der Typ ganz entgeistert an, während sein Kumpel ihn von links ungeduldig fragte: „So what did she say?“ Der Typ neben mir drehte sich zu ihm um, und ich hörte, wie er mit unsicherer Stimme zu ihm sagte: „Well, I think she was just kidding …“ Nein, mein Lieber, ich habe dich keineswegs verarscht – ich heiße wirklich so! 😉 In echt! 😉 Hätte ich mal gleich gesagt, mein Name sei Ali, denn nun trauten die beiden recht netten Jungs sich nicht mehr, mich erneut anzusprechen, sahen mich nur immer wieder verstohlen und mit verunsicherten Mienen von der Seite an. Danke, Papa – so kann Völkerverständigung und die Anbahnung von Kontakten natürlich nicht ganz so gut funktionieren … 😉
Ich hingegen gewöhnte mich von Tag zu Tag mehr an Ali, wie mich fünfzig Prozent der Leute dort nannten. Die andere Hälfte nannte mich bei meinem Taufnamen, Tante Lilibet sprach ihn als Einzige richtig aus. 😉 Allerdings hörte ich auch auf honey, darling, sweetheart oder cutie. Letzteres meist von Männern verwendet.
Cousin Jason, Tante Karens Sohn, hat es bis zum Ende meines Aufenthalts aber tatsächlich geschafft, meinen richtigen Namen zu verwenden. Er war sehr, sehr stolz, und als ich wieder abreiste, konnte er ihn sogar deutsch aussprechen. 😉
Ali habe ich aber beibehalten, weil ich es mag. Und es gibt auch hier in Deutschland Menschen, die sich mit meinem richtigen Namen schwertun. Da sage ich dann durchaus ab und an: „Nenn mich einfach Ali.“
Meinem Vater hat diese „Verunstaltung“ übrigens gar nicht gefallen. Aber selber schuld: Was gibt er mir auch einen Namen, der speziell im Ausland auf fragend hochgezogene Augenbrauen stößt? Wie gesagt: Nur in Schweden und Finnland nicht. Aber mal im Ernst: Habt ihr euch mal angehört, wie Schwedisch und Finnisch klingen? 😉