Heute ist der 29. Februar – ein Tag, der ohnedies schon irgendwie schräg wirkt. Ehrlich gestanden, ich fände den 29. Februar für mich als Geburtstag eigentlich ganz passend – ich habe einen Hang zu Schrägem und zu Spinnern. Nicht jedoch zu Veranstaltungen mit Überlänge, die aufgrund von Redundanzen überlang werden. Da bin ich recht ungnädig, ich gebe es zu.
Ich habe neben dem Hang zu Schrägem und Spinnern auch eine Neigung dazu, mich ehrenamtlich zu betätigen – wahrscheinlich habe ich eine Art Helfersyndrom, obwohl ich das lieber positiv ausgedrückt sehen möchte. Sagen wir so: Ich tendiere zu sozialen Tätigkeiten, auch unentgeltlichen. Das mache ich keineswegs, weil ich denke, auf diese Weise mal ein besonders güldenes Stühlchen im Himmel zu bekommen – daran glaube ich eh nicht. Auch nicht, um mir dann selber auf die Schulter klopfen zu können und mich als besserer Mensch zu fühlen. Die Wahrheit ist: Es scheint mir einfach im Blut zu liegen. Und ich mache es immer wieder, trotz aller Nachteile, die einem daraus entstehen können. 😉
Und die sind zahlreich und nicht selten ganz profan …
Ich bin bei meinem Arbeitgeber bereits Ersthelferin und habe anno 2012 eine Erstunterweisung sowie zwei Jahre später einen Auffrischungslehrgang mitgemacht. Im Juni steht die nächste Auffrischung an, und ich hoffe, wir haben nicht wieder einen derart sadist…, nein, von naturalistischen Darstellungen begeisterten Ausbilder … Der letzte zeigte uns nämlich eine ganze Serie Fotos, eines schrecklicher als das andere. Abgetrennte Gliedmaßen, darunter ein Arm mit gezackten Abrisskanten – da war wohl jemand bei der Arbeit in eine Maschine geraten, und der Not-Aus-Knopf war leider zu spät betätigt worden … Man muss ja auch die Schrecksekunde und die dadurch folgende Verzögerung berücksichtigen. Offene Beinfrakturen, Augenverletzungen, Verbrennungen zweiten und dritten Grades – und das alles vor dem Mittagessen! Tränen standen in meinen Augen, als er ein Foto eines winzigen Säuglings zeigte, dessen kleiner Rücken krebsrot und mit Brandblasen übersät war: Die Mutter hatte es zu gut gemeint – vielleicht hatte sie auch einen geschnasselt -, denn sie hatte das kleine Kerlchen, wie der Ausbilder erzählte, auf eine kochendheiße Wärmflasche gelegt, ohne eine Decke oder ein mehrfach gefaltetes Handtuch auf die Wärmflasche zu legen, die offenbar ohnehin viel zu heiß für das winzige Kerlchen gewesen war. Als der Ausbilder sagte, der kleine Wicht habe nicht überlebt, liefen mir zwei, drei Tränen übers Gesicht, die ich jedoch geschickt hinter einem Dreiecktuch verbarg, das man für Armschlingen benötigt und just in diesem Moment von mir intensiv begutachtet werden musste, und meine Mitstreiter reagierten ähnlich betroffen. Einige wollten sich gleich am liebsten die Mutter vorknöpfen. Ich gebe zu, auch in mir regte sich dies Bedürfnis, aber wem nützt so etwas? Wahrscheinlich war der Mutter inzwischen auch klar, dass sie etwas falsch gemacht hatte. Es war eben ein furchtbares Foto, das sofort Mitgefühl mit dem kleinen, krebsroten Kerlchen auslöste.
Zum Glück habe ich mit den meisten alltäglichen Verletzungen schon aufgrund meiner Krankenhaustätigkeit vor -zig Jahren kein Problem und kann auch Blut sehen. Schön ist zwar anders, aber ich habe kein Problem damit – ich bin ja nicht aus Zucker, und einer muss doch helfen können, wenn Not am Mann ist. Gut, angesichts einer abgetrennten Gliedmaße würde ich wahrscheinlich auch erst einmal schlucken, und nach der Versorgung könnte mich der RTW sicherlich auch gleich mitnehmen, aber Hauptsache, es wurde erst einmal geholfen.
Da nicht jeder sofort begeistert: „Hier!“ schreit, wenn es um derlei freiwillige Tätigkeiten am Arbeitsplatz geht, meldete ich mich auch noch halbwegs freiwillig, als händeringend Evakuierungshelfer für den Brandfall gesucht wurden, und erstaunlich rasch bekam ich vom zuständigen Dezernat meine Bestellungsurkunde. Bei meiner Ersthelfer-Bestellung hatte das viel länger gedauert. Lieber wäre ich Brandschutzhelferin geworden, aber das war meine Kollegin Lydia bereits für unseren Flur. Dabei hatte ich doch anno 2008 bereits einen Brandschutz-Lehrgang mitgemacht, in dem wir auch den Umgang mit verschiedenen Arten von Feuerlöschern erlernt hatten; ich hatte mich offenbar so anstellig in der Benutzung von Wasser-, Schaum- und Co2-Löschern gezeigt, dass einer der beiden Ausbilder von der Freiwilligen Feuerwehr gesagt hatte: „Frau B. – Sie kann man gut um sich haben, auch im Brandfall! Sie sind hier mit Abstand die Coolste.“ (War ich nicht. Ich sah nur so aus. Es gehört bei vorheriger absoluter Unkenntnis schon eine gewisse Überwindung dazu, einen Feuerlöscher zu benutzen – so doof das klingen mag.) Die Kollegin H. aus einem der Prüfungsämter hatte das gar nicht gemocht – sie hatte die ganze Zeit wimpernklimpernd mit den beiden Ausbildern geschäkert, was diese bestmöglich ignoriert hatten, und nun das! Mir ging es aber wirklich nur ums Löschen, nicht um das Legen von Bränden, auch nicht im übertragenen Sinne. 😉 Den beiden Ausbildern wohl auch.
Nach meiner Bestellung zur Evakuierungshelferin tat sich ganz lange nichts. Keine Unterweisung, und ich hoffte, es möge nicht brennen, zumindest, bis die Unterweisung erfolgt sei, auch wenn ich denke, ich könnte auch ohne eine solche zumindest einen Flur, eine Etage, evakuieren. Ich kann bisweilen ziemlich autoritär sein, vor allem dann, wenn es ans Eingemachte geht, und ich habe eine durchaus durchdringende Stimme. Nicht ganz so durchdringend wie die der Kollegin Brigitte, die ebenfalls Evakuierungshelferin auf unserem Flur ist, da tiefer, aber durchaus respektgebietend im Notfall, wie mir einige meiner ehemaligen Studis aus Mülheim bestätigten, die ich wider meine eigentliche Überzeugung doch einmal ganz zünftig anschreien musste. Die waren danach zahm wie sedierte Kaninchen, und einige kamen auf mich zu und meinten: „Frau B. – Respekt! Wir hatten nicht damit gerechnet, dass Sie so laut brüllen können – und das ganz ohne Mikrophon!“ – „Wenn es sein muss, geht das durchaus. Ich mache es aber nicht gern, denn Sie sind erwachsen und freiwillig hier! Ich möchte künftig nicht mehr brüllen müssen. Wir sind doch nicht im Kindergarten!“ Danach lief es prächtig. 😉
Vorletzte Woche ereilte mich eine Mail, die darauf hinwies, eine Unterweisung für Evakuierungshelfer stehe an. Ich meldete mich für heute an, aber am Wochenende ging mir wiederholt durch den Kopf, dass es doch günstiger sei, ich würde der scheidenden Kollegin Lydias Brandschutzhelfertätigkeit übernehmen, zumal wir Brigitte als Evakuierungshelferin haben. Und so schrieb ich heute früh Herrn Grethel, dem Brandschutzbeauftragten, der den Lehrgang leitete, eine Mail und bat darum, lieber zur Brandschutzhelferin ausgebildet zu werden. Brigitte hatte ich bereits in Kenntnis gesetzt, dass ich wohl nicht teilnehmen, da sich mein Betätigungsfeld ändern würde, und irgendwie hatte ich den Eindruck, sie fände das gar nicht so schlimm. Wollte wohl ihren verantwortungsvollen Job nicht teilen – es kam mir zumindest so vor. 😉
Kaum hatte ich meine Mail abgesendet, klingelte auch schon mein Diensttelefon: Herr Grethel war dran! Und er erläuterte mir, seines Erachtens seien Evakuierungsbeauftragte ohnehin redundant, und das Ganze gehe mehr in Richtung Brandschutz … Herr Grethel sprach viele Worte, das tut er immer. Ich mag ihn sehr, aber er neigt zu Redundanzen (wie ich beim Schreiben … 😉 ). Als er sagte, das Ganze gehe ohnehin mehr Richtung Brandschutztätigkeit, wusste ich: Ich hatte verloren. Keine Ausrede mehr. 😉
Brigitte wirkte etwas angepisst, als ich ihr mitteilte, ich würde nun doch mitkommen: Offenbar passte ihr nicht, nun nicht die alleinige Herrschaft über den Flur zu haben. Unterwegs zum Seminarraum teilte sie mir mit, auf keinen Fall werde sie überhaupt irgendwelche Löschversuche starten, denn ihre Aufgabe sei es, die Kollegen aus dem Gebäude zu schaffen. Ich meinte, das treffe sich wunderbar, denn ich sei durchaus bereit, sofern nicht a priori aussichtslos, auch Löschversuche zu unternehmen. Sie hat offenbar mehr Rette-sich-wer-kann-Gene als ich, bei der die Wenn-noch-was-zu-retten-ist-versuche-ich-es-zumindest-Gene vorherrschen, bevor ich dann die Leute mit autoritärem Gebaren, aber geordnet aus dem Gebäude bringe. Ich wusste es doch: Ich bin beim Brandschutz besser aufgehoben. 😉
Die Unterweisung sollte etwa eine Stunde dauern. Da ich unseren Brandschutzbeauftragten jedoch kenne, und das seit meinem vierten oder fünften Lebensjahr, wusste ich, es gebe einen gewissen Faktor, mit dem zu multiplizieren sei. Herr Grethel wirkt zwar bisweilen etwas linkisch, redet aber gern. Gewiss würde es, so war ich mir sicher, eine halbe Stunde länger dauern.
Doch es kam schlimmer. Bis auf zwei Kolleginnen aus der Verwaltung und einige Kollegen aus den Fachbereichen saßen lauter Leute im Lehrgang, die alles – wirklich alles! – kommentieren mussten, sich ganz originell vorkamen und sich auch noch triumphierend in die Runde umdrehten, wenn sie mal wieder einen – bisweilen verunglückten – Witz gerissen hatten. Ich bin auch nicht immer lustig, nur: Ich weiß das. Ich habe heute für Sünden gebüßt, von deren Existenz ich bis dato gar nichts geahnt hatte! 😉
Wir fingen bei Adam und Eva an, und das hätte eigentlich recht schnell abgehandelt werden können. Denn im Seminar saßen lauter erwachsene Menschen, die nicht auf den Kopp gefallen waren. Aber schon bei ganz eindeutigen Fragestellungen, für deren Beantwortung es keiner Diskussion, sondern des gesunden Menschenverstandes bedarf, meldeten sich einige und kamen mit Problemstellungen, die sogar ich, die bisweilen das Gras wachsen hört, für extrem unwahrscheinlich hielt. Und so bewegten wir uns nur schleppend von der Brandschutzverordnung in den Teilen A und B, die ich einst ganz unentgeltlich für mein frugales Salär und ohne zusätzliches Honorar ins Englische übersetzt hatte, weg zu anderen Aspekten. Ich habe nur wenig notiert – das Meiste lag im Grunde auf der Hand. Und es wurde auch alles nur etwa vier- oder fünfmal wiederholt … (Kollegin Brigitte erklärte mir hinterher, dies sei aus didaktischen Gründen notwendig. Ich erklärte ihr daraufhin, in meinem Studium auch ohne Notwendigkeit ein Didaktik-Seminar absolviert zu haben, und da habe man uns gesagt, Wiederholungen seien zwar sinnvoll, aber nicht überzustrapazieren, denn das bewirke das Gegenteil: Die Zuhörer schalteten irgendwann komplett ab. Oder rissen sich bei der vierten Wiederholung an den Haaren. So wie ich heute. Ich hatte allerdings auch noch nichts gegessen und nur drei Schlucke Kaffee zu mir nehmen können, als wir uns zur Unterweisung aufmachten … 😉 )
Einige interessante Neuigkeiten erfuhr ich – man sagt nicht mehr „Sammelplatz“, sondern „Sammelstelle“ -, aber das Meiste bestand aus Wiederholungen, und mehrfach war ich kurz davor: „Ja, bin ich denn der Leo?“ zu rufen. Ich weiß, das klingt total arrogant, aber mal im Ernst: Ist es so schwer, eine PowerPoint-Präsentation durchzugehen, ohne alles, was doch offensichtlich ist, drei- bis viermal durchzukauen? Ich frage mich, wie solche Leute im Brandfall agieren – wollen die dann auch diskutieren, was ganz offensichtlich ist? Zwei Wiederholungen, damit hätte ich leben können. Aber nicht vier!
Eine Kollegin aus dem Fachbereich Informatik schlug mit vielen Worten vor, man könne doch für den Notfall an den Fenstern nach außen sichtbar die Raumnummern anbringen. Mit sehr, sehr vielen Worten. Das war nach zweieinhalb Stunden, und vor meinem geistigen Auge erschien ein Szenario, das ich lange ad acta gelegt zu haben glaubte: Ali fährt nach dem Wochenende im Heimatort mit dem Zug zurück nach Aachen, an den Studienort. Bei Ausfahrt aus dem Hauptbahnhof in Düsseldorf passiert der Zug ein schmuckloses, mehrstöckiges Gebäude, in dessen Fenstern leichtbekleidete Frauen in eindeutiger Absicht wie Pose sitzen. An jedem Fenster eine Nummer, damit bei Einfahrt in den Hauptbahnhof etwaige Geschäftsreisende oder sonstige Männer auch schon wissen: „Ich will die Nummer 43! Die mit der gelenkigen Zunge und den Riesenmöpsen!“ Denn bei dem mehrgeschossigen Gebäude handelt es sich um einen Puff. Die haben auch Nummern an den Fenstern, die weithin sichtbar sind. Ich vermute wirklich, es lag an der Tatsache, dass ich bis zu dem Zeitpunkt nichts gegessen und kaum Kaffee zu mir genommen hatte, dass mir diese Assoziation kam. Zum Glück konnte ich im letzten Moment meine bisweilen lose Zunge im Zaum halten. 😉 Viel fehlte aber nicht.
Als dann immer phantastischere Szenarien Erwähnung fanden – den Kollegen, die diese äußerten, hätte ich derart viel Phantasie gar nicht zugetraut! -, schnappte ich energisch meinen Schal, wickelte ihn mir um den Hals, obwohl es im Raum recht warm war. Dann griff ich nach meiner Jacke. Inzwischen saßen wir seit drei Stunden in der vorgeblich einstündigen Einweisung! Ich zog sehr energisch meine Jacke an, und Herr Grethel hatte dann auch ein Einsehen. Wahrscheinlich hält er mich jetzt für unhöflich, aber ich finde unhöflich, Menschen mit einem gewissen Restverstand drei Stunden festzuhalten, wenn wirklich nur eine Stunde ausgereicht hätte.
Belohnt wurde ich immerhin mit einer neongelben Warnweste mit reflektierenden Streifen, auf deren Rückenteil Evakuierung steht. In XXL.
Als ich mir draußen eine Zigarette anzündete, meinte Kollegin Brigitte abschätzig zu mir: „Was für eine furchtbare Sucht!“ Ich meinte grinsend: „Da du ja keine Löschtätigkeit übernehmen willst, fühle ich mich relativ sicher. Und, ja: Es ist eine Sucht. Aber wir haben ja alle irgendwo eine Macke, nicht wahr, Brigitte? Und Rauchen scheint mir im Vergleich zu anderen relativ harmlos.“ Und ich grinste Brigitte ein wenig diabolisch an.
Liebe Kinder – macht das nicht nach! Freiwillige Tätigkeiten sind ehrenvoll, werden aber nicht selten bestraft. Manchmal durch überlange Veranstaltungen, bei denen ein Drittel gereicht hätte.
Immerhin hat mein Chef mich heute gelobt: „Sie bringen hier wirklich sehr viel Einsatz, Frau B.!“ Ich habe nur mit den Schultern gezuckt.
und heute hat es sich bezahlt gemacht 😉
schau an schau an
Jaja … 😉 Dabei hatte ich nicht mal meine schöne Warnweste dabei …
ich ahnte es – aber sicher den Schal um, der nach 2 ‚Über’stunden umgewulstet werden darf
Wie meinen?
ich dachte, man bindet sich einen Schal um, wenn’s zu lange dauert ….
*hust*
… trägst Du denn diese Warnjacke mit dem dinosauriergrossen Aufdruck auch IN GEWISSEN Momenten? ich meine, das käme doch gut!!!! so in Leuchtjacke das dunkle Schlafzimmer … (Kopfkino aus)
Ich glaube nicht, dass das der Brüller wäre. Es steht hinten „Evakuierung“ darauf … 😉
ja eben .. das kommt doch gut …. wenn’s zu heiss wird…
mmmuuuaaaahhhh
Sitz!
*Ich reisse meine Augen auf*
das war doch schon mal mit uns -gell?
Ja … 😉
und zudem müsste da ja dann
Alikuierung
drauf stehen 😉 nä? nicht Eva
Cool! Echter Schenkelklopfer! 😉
nun bleib mal schön auf dem Teppich ……
Bin ich doch – ich stehe mit den Füßen auf grauem Nadelfilz. 😉